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Schlußfolgerungen

Die deutsche und die japanische Wirtschaft scheinen zur selben Zeit eine Krise zu durchlaufen. Offensichtlich entsprechen die Strukturen zweier in der Vergangenheit erfolgreicher Volkswirtschaften nicht mehr den Bedingungen des globalisierten Wettbewerbs. Bei allen Unterschieden weist die Verfassung der deutschen und der japanischen Volkswirtschaft zwei Gemeinsamkeiten auf, die in der Vergangenheit als Erfolgsgeheimnis galten, sich heute aber als Hemmnis auszuwirken drohen, nämlich erstens kooperative und konsensbasierte Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitskräften, in Deutschland gesichert durch ein hohes Niveau an sozialer Sicherung, Mitbestimmung und Tarifautonomie, in Japan durch Beschäftigungsstabilität und eine informelle betriebliche Mitbestimmungspraxis; und zweitens die Einschränkung der Dynamik des Kapitalmarkts, in Deutschland durch die korporative Allianz von Großindustrie und Banken, in Japan durch die Bildung von Unternehmensgruppen mit wechselseitigen Beteiligungen und privilegierten Transaktionsbeziehungen.

In beiden Ländern wird eine Art Standortdebatte geführt. Dabei steht in beiden Ländern der hohe Außenwert der nationalen Währung im Zentrum der Standortproblematik. Darüber hinaus sind jedoch zwei grundlegende Unterschiede aufzuzeigen: In Deutschland werden die wichtigsten Standortprobleme entlang der Konfliktachse Unternehmen/Arbeitnehmer lokalisiert. Der Standort wird entweder durch von den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften zu verantwortende exzessive Löhne und Sozialleistungen, kurze Arbeitszeiten, unzureichende Arbeitsmoral usw. oder durch einen vom Staat zu verantwortenden exzessiven Schutz der Belange der Arbeitskräfte gefährdet. In Japan spielt diese "vertikale" Dimension der Standortproblematik bestenfalls eine zweitrangige Rolle. Zumindest in den Großbetrieben gilt die Belegschaft nach wie vor als wichtigstes asset des Unternehmens; obwohl die Unternehmer die Rigiditäten des Beschäftigungssystems häufig beklagen, stellen sie es zumindest nicht offen zur Disposition. Statt dessen werden die wichtigsten Standortprobleme eher in der "horizontalen" Dimension, in den Beziehungen zwischen und in den Wirtschaftssektoren lokalisiert. Nikkeiren zufolge liegt die Problematik der japanischen Wirtschaft in der Polarisierung zwischen einem Segment hochproduktiver, effizienter und exportorientierter Großunternehmen der verarbeitenden Industrie und einem weitaus größeren Segment wenig produktiver und vor Konkurrenz geschützter Wirtschaftssektoren. Diese Dualität spiegelt sich in der auffälligen Differenz zwischen dem Wechselkurs (der von den Exportsektoren bestimmt wird) und der inländischen Kaufkraft des Yen (der von der Gesamtwirtschaft bestimmt wird) wider. Die Exportindustrie muß unter diesen Bedingungen die doppelte Last steigender inländischer Kosten und sinkender preislicher Wettbewerbsfähigkeit verkraften.

Der zweite Unterschied in der Standortdebatte läßt sich mit dem Gegensatzpaar Standardisierung/Spezialisierung versus Flexibilität bezeichnen. In Deutschland hat ein hoher Grad der Standardisierung und Spezialisierung zu Flexibilitätsverlusten geführt. Ob es um die innerbetrieblichen Beziehungen, die staatlichen Vorschriften oder die Ausbildungszeiten von Wissenschaftlern geht: Starre und überall geltende Standards drohen Unbeweglichkeit zu erzeugen. Japan dagegen scheint an einem Übermaß an Flexibilität sowohl in der Unternehmensorganisation als auch in der staatlichen Regulierung zu leiden. Diese hohe Flexibilität war von Vorteil, solange die japanische Wirtschaft schnell wuchs und von einem hohen technologischen Innovationsrhythmus begleitet war. Sie wird zum Problem, wenn die durchschnittlichen Wachstumsraten sinken und immer mehr Industrien das Reifestadium erreichen. Die im Umfeld schneller Veränderungen gewachsenen Organisationsformen müssen sich dem neuen Umfeld stagnierenden Wachstums, einer alternden Bevölkerung, ausgereifter Technologien und saturierter Märkte erst noch anpassen.

Der in der deutschen Standortdebatte immer noch - wenn auch immer seltener - verwandte Hinweis auf Japan ist nicht hilfreich, wenn Japan uneingeschränkt als Vorbild hingestellt wird. Zum Teil gründet ein derartiger Hinweis schlicht auf falschen Informationen, etwa im Hinblick auf die Verweildauer im Ausbildungssystem, die in Japan im Durchschnitt länger ist als in Deutschland. Zum Teil wird der Preis, den die japanische Wirtschaft für auf den ersten Blick überlegene Arrangements zu zahlen hat, meist nicht berücksichtigt, so der Verzicht auf Vorteile der Spezialisierung, die Kehrseite der hohen Flexibilität in der Produktionsorganisation, oder das starke Produktivitätsgefälle in und zwischen den Wirtschaftssektoren, das auch auf die Unternehmenszentrierung der Tarifverhandlungen zurückgeht. Doch gerade weil Japan weder als Vorbild noch als Schreckbild taugt - sowohl das geschönte Bild industrieller Harmonie als auch die Horrorvision vom "Arbeitststaat" haben die Realität Japans immer schon zum Steinbruch für Argumente in der Debatte Deutschlands degradiert -, können beide Länder auch in der Krise voneinander lernen. Flexiblere und kommunikationsintensivere Organisationsformen der Produktion, wie sie in Japan vorliegen, könnten für Deutschland Vorbildfunktion haben - auch wenn sie ihren Preis haben. Das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystems in einer seiner wichtigsten Funktionen - der Strukturierung eines unternehmensübergreifenden Arbeitsmarkts für qualifizierte Tätigkeiten - könnte für Japan Vorbildcharakter haben - auch wenn über den schlechten Zustand dieses Systems immer wieder lamentiert wird.

In der Vergangenheit haben konservative und liberale Stimmen in Deutschland häufig auf die mentalen Wettbewerbsvorteile Japans hingewiesen: Der Fleiß, die Mobilität, die Verzichts-, Lern- und Kooperationsbereitschaft der japanischen Arbeitnehmer. Heute wäre ein anderer Faktor hervorzuheben: Die Behutsamkeit, mit der das Management der japanischen Großunternehmen in der Krise mit den (Stamm)Belegschaften verfährt, die Sorge des Managements um den gefährdeten Konsens mit den Betriebsgewerkschaften und seine Verantwortung für die Beschäftigung. Dieser - sei es auch symbolische - Eindruck von Fairness, einer ausgeglichenen Verteilung der Lasten, der darin zum Audruck kommt, daß japanische Manager eher die eigenen Bezüge kürzen als Mitglieder der Stammbelegschaft entlassen, ist es, der auch die japanischen Arbeitnehmer zu Verzichten motiviert.

Literaturhinweis

  • Zum Verhältnis von Ausbildungssystem und Produktionsorganisation in Japan s. Franz Waldenberger, Organisation und Evolution arbeitsteiliger Produktionssysteme, Habilitationsschrifft eingereicht bei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, Tokyo 1996
  • Zur Standortdebatte in Deutschland s. Alfred Pfaller, Politik-Dossier Standortdebatte, Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Zur Standortdebatte in Japan vergl. Japan Federation of Employers Organizations (Nikkeiren), Committee for the Study of Labor Issues, Revitalizing the Economy. Issues for Employers and Labor, Tokyo 1995; Nikkeiren, The Current Labor Economy in Japan, Tokyo 1995; RENGO, The Spring Struggle for a Better Living 1996, RENGO White Paper, März 1996

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