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TEILDOKUMENT:
Lohn- und Lohnnebenkosten Der zentrale Streitpunkt in der Standortdebatte in Deutschland betrifft die Lohnkosten. In der Tat liegen nicht nur die Lohnkosten, sondern auch die Lohnstückkosten in Deutschland über denen der anderen großen Industrieländer. Doch auch Japan ist längst ein Hochlohnland. Die japanischen Arbeitnehmer beziehen die höchsten Nettolöhne der Welt, sofern die Lohnentwicklung auf der Grundlage der Wechselkurse - und nur auf dieser Grundlage können Unternehmen Lohnkosten international vergleichen - berechnet wird. Dabei weist die Lohnentwicklung Japans eine Gemeinsamkeit und zwei Unterschiede zu der Deutschlands auf. Gemeinsam ist beiden Standorten, daß Löhne und Lohnstückkosten nicht aufgrund einer besonders dynamischen Lohnentwicklung, etwa infolge einer starken Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, angestiegen sind, sondern aufgrund der Aufwertung der nationalen Währungen. Gemessen in nationaler Währung hinkte die Entwicklung der Lohnstückkosten in Deutschland den europäischen, in Japan allen großen Industrieländern hinterher. Gemessen in US-Dollar dagegen führt Japan, gefolgt von Deutschland, die Lohnstückkostenentwicklung an. Der Vorsprung Japans erweiterte sich insbesondere nach 1992 aufgrund der Yen-Aufwertung, die im Frühjahr 1995 ihren Höhepunkt erreichte. Die wichtigste Determinante, von der die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte Deutschland und Japan abhängt, ist daher weniger die Lohnentwicklung als der Außenwert der D-Mark und des Yen, der nicht nur die relativen Löhne, sondern alle nichtimportierten Vorleistungen (Mieten, Dienstleistungen, Transport, Infrastrukturleistungen usw.) verteuert. Dabei sind die Ursachen der Aufwertung zu differenzieren: In Deutschland zieht eine stabilitätsorientierte Geldpolitik externe Ersparnis an; hinzukommt die hohe Staatsverschuldung im Gefolge der deutschen Vereinigung und der starke Anstieg der Zinsen, der DM-Anlagen für ausländische Anleger besonders attraktiv macht. Die Bedeutung des Yen dagegen ist als internationale Anlagewährung geringer, und die Niedrigzinspolitik der Bank of Japan macht Anlagen in Yen wenig attraktiv. Die Yen-Aufwertung ist stärker durch die Außenhandelsentwicklung (den sinkenden, aber nach wie vor hohen Überschuß der Handelsbilanz) bzw. eine handelspolitisch motivierte Währungspolitik des wichtigsten Handelspartners USA bedingt.
Der erste Unterschied betrifft die Lohnnebenkosten: Die Spitzenstellung der deutschen Lohnkosten geht nicht auf die Höhe der Nettolöhne, sondern vor allem auf die tariflich vereinbarten oder vom Staat auferlegten Lohnnebenkosten zurück. In Japan sind die Lohnnebenkosten, soweit sie auf den Beiträgen zu den sozialen Sicherungssystemen basieren, noch vergleichsweise niedrig. Die Versicherungsbeiträge, die, wie in Deutschland, zu gleichen Teilen von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern gezahlt werden, liegen in der Rentenversicherung bei 16,5% der Bruttolöhne, in der Krankenversicherung bei 8,2% und in der Arbeitslosenversicherung bei 1,2%, so daß die Sozialversicherungskosten insgesamt nur etwa 26% der Bruttolöhne ausmachen. Dieses günstige Verhältnis geht auf die in Japan niedrige offizielle Arbeitslosenquote zurück (die Tatsache, daß die reale Arbeitslosenquote weit höher angesetzt werden muß, ist von den Kosten her wenig relevant, da die real, aber nicht offiziell Arbeitslosen keine Leistungen beziehen); die Kosten sowohl der Arbeitslosenversicherung als auch der Rentenversicherung (verdeckte Finanzierung der Arbeitslosigkeit durch Frühverrentung, geringere Beitragseinnahmen) konnten in akzeptablen Grenzen gehalten werden. Allerdings sind - so betonen auch die japanischen Unternehmerverbände - zwei weitere Faktoren zu berücksichtigen. Erstens weisen die Lohnnebenkosten auch in Japan trotz noch niedriger Werte eine hohe Dynamik auf. Dies liegt an der auch im Vergleich zu Europa besonders schnellen Alterung der japanischen Bevölkerung, die sowohl die Renten- als auch die Krankenversicherung belasten wird. Das noch günstige Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern geht u.a. auf die Tatsache zurück, daß Japan in den Nachkriegsjahrzehnten eine im Industrieländervergleich besonders junge Bevölkerung hatte; dabei spielt auch eine Rolle, daß die in den 70er Jahren eingeführte Rentenversicherung auf die zu dieser Zeit aktiv Beschäftigten zugeschnitten war und die damals "aktuell Alten" nicht bzw. nur am Rande berücksichtigte. Ende des Jahrzehnts wird dieses Rentensystem jedoch in das Reifestadium übergehen, da ab dann die große Mehrheit der Rentner auf den vollen Beitragszeitraum zurückblicken und die vollen Leistungen in Anspruch nehmen kann. Die derzeit niedrigen Beitragssätze zur Rentenversicherung (und Krankenversicherung) werden sich nicht halten lassen. Zweitens tragen die großen Unternehmen selbst einen Teil der Kosten der realen, wenn auch nicht der offiziellen Arbeitslosigkeit, indem sie Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, die keine wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit ausüben. Die Zahl der inhouse-Arbeitslosen ist schwer zu ermitteln, ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung wird aber ebenso hoch eingeschätzt wie die derzeitige offizielle Arbeitslosenquote. In diesen Zusammenhang fallen auch die Abfindungszahlungen der Unternehmen an ältere Arbeitnehmer, die aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden. Diese Zahlungen bewegen sich in einer Höhe von 37 bis 39 Monatslöhnen, wobei die letzten und damit die höchsten Löhne des Arbeitslebens als Maßstab gelten. Da die Unternehmen bemüht sind, sich vor allem älterer und aufgrund des Senioritätsprinzips bei der Lohnzahlung besonders teurer Arbeitnehmer zu entledigen, bevor diese das offizielle Rentenalter von 60 Jahren erreicht haben, erfüllen die Abfindungen eine ähnliche Funktion wie in Deutschland die Frühverrentung. Der zweite wichtige Unterschied hinsichtlich der Lohn- und Lohnnebenkosten zwischen Deutschland und Japan betrifft die Differenz zwischen den Lohnkosten, gemessen in internationaler Währung, und der inländischen Kaufkraft der Löhne. Hinsichtlich ihrer inländischen Kaufkraft liegen die Löhne in der verarbeitenden Industrie Japans unterhalb der der meisten großen Industrieländer. Auch Nikkeiren erkennt an, daß zwischen den nominellen Löhnen und dem damit zu finanzierenden Lebensstandard eine Lücke klafft. Die Differenz zwischen der in- und ausländischen Kaufkraft der Währung führt Nikkeiren auf Produktivitätsdifferenzen in der japanischen Wirtschaft zurück, d.h. auf Differenzen zwischen den wettbewerbsfähigen Exportunternehmen und den geschützten Branchen, die keine international handelbaren Güter oder Dienstleistungen anbieten. Die Produktivität letzterer ist niedrig, die Preise sind entsprechend hoch - was sich nicht nur auf die inländische Kaufkraft der Löhne, sondern auch die Produktionskosten der Unternehmen des modernen Sektors negativ auswirkt. Die niedrige Produktivität in den rückständigen Sektoren gehört daher zu den von den Unternehmern identifizierten zentralen Standortnachteilen Japans, und die Produktivitätssteigerung in diesen Branchen durch Abbau der Protektion ist eine der am häufigsten vorgetragenen Forderungen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |