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Der Standort im Urteil der Investoren

Ein in der deutschen Debatte häufig vorgetragenes Argument erhebt die Bilanz der Auslandsinvestitionen (den Zufluß ausländischer minus den Abfluß deutscher Investitionen) zum Kriterium der Standortqualität. Länder, in denen sich viele ausländische Unternehmen ansiedeln, weisen eine hohe, Länder, aus denen Unternehmen Investitionen abziehen, eine niedrige Standortqualität auf. Im Falle Deutschlands sind zwischen 1987 und 1991 28 Mrd. US$ an ausländischen Direktinvestitionen ins Land geströmt, während im selben Zeitraum 89 Mrd. US$ abgeflossen sind - ein Negativsaldo von 61 Mrd. US$. Wendet man das Kriterium auf Japan an, kommt man zu einem für die japanische Volkswirtschaft niederschmetternden Ergebnis: 1987-91 sind nur 4 Mrd. US$ an ausländischen Investitionen nach Japan geflossen, während 174 Mrd. abgeflossen sind. Der Negativsaldo ist nahezu drei Mal so hoch wie der Deutschlands. Zwischen 1950 und 1994 sind 423 Mrd. US$ an japanischen Direktinvestitionen ins Ausland geflossen - gegenüber 30 Mrd. US$, die das Land an Investitionen aus dem Ausland empfing.




Allerdings läßt sich die Angemessenheit der Investitionsbilanz als Kriterium zur Standortbewertung bezweifeln: Länder mit sich aufwertenden Währungen, mit im internationalen Vergleich steigenden Kosten und Handels- bzw. Leistungsbilanzüberschüssen wie Japan und Deutschland sind per definitionem Länder, aus denen Kapital abfließt (wenn auch nicht unbedingt in der Form von Direktinvestitionen). Außerdem wurde der Zufluß ausländischer Investitionen in Japan nie als positives Standortkriterium angesehen. Im Gegenteil: Einer in den 50er und 60er Jahren betriebenen Politik der Abschottung des japanischen Marktes gegen ausländische Investitionen folgte seit den 70er Jahren eine nur zögerliche Öffnung. Auch in den 70er und 80er Jahren wurden ausländische Investitionen in Japan weniger gefördert als behindert, u.a. durch Auflagen hinsichtlich des Technologietransfers, durch die geforderte Verbindung mit einem lokalen Unternehmen oder durch informelle Zutrittsbarrieren zum Distributionssystem. Ende der 80er Jahre lag der Umsatzanteil ausländischer Unternehmen auf dem japanischen Binnenmarkt bei 1% - gegenüber 10% in den USA, 18% in Deutschland, 20% in Großbritannien und 27% in Frankreich. Es überrascht nicht, daß die "Investititons-hemmnisse" in Japan den Handelshemmnissen zugerechnet wurden und daß ausländische Unternehmer und Politiker diese Investitionshemmnisse zum Gegenstand handelspolitischer Sanktionen zu machen suchten.

Japanische Regierungen und Unternehmen haben offensichtlich versucht, "ihren" Standort von ausländischen Firmen freizuhalten. In den ersten 20 Jahren des japanischen Wirtschaftswunders konnte der Protektionismus mit dem Schutz der infant industries gerechtfertigt werden; aber auch nach der Mitte der 70er Jahre werden bestimmte Industriebereiche vor ausländischen Investitionen geschützt - und zwar nicht nur moderne Industrien, in denen die japanischen Unternehmen noch Nachholbedarf haben, sondern auch und gerade traditionelle Branchen wie die Glas- und Zementindustrie, in denen geschützte Kartelle trotz niedriger Produktivität hohe Gewinne garantieren. Selbst wenn es ausländischen Unternehmen, oft unter dem handelspolitischen Druck ihrer Regierungen, gelang, in geschützte Märkte einzudringen, wurden sie eher von den bestehenden Kartellen kooptiert, als daß eine wirkliche Öffnung stattgefunden hätte. Mit der Zeit freilich wurde der "Standort Japan" aufgrund der hohen inländischen Preise und der Überbewertung des Yen für potentielle ausländische Direktinvestoren immer weniger attraktiv, so daß sich staatlicher Schutz im Grunde erübrigte.

Die Tatsache, daß der Zufluß ausländischer Direktinvestitionen nach Japan nie als Kriterium der Standortqualität wahrgenommen wurde, man sich auch nie um ausländische Direktinvestitionen bemühte, bedeutet freilich nicht, daß man den Abfluß japanischer Direktinvestitionen in das Ausland nicht mit Sorge registrierte. In der Mitte der 80er Jahre, als japanische Unternehmen erstmals nennenswerte Investitionen im Ausland tätigten, tauchte mit kudoka (Aushöhlung) ein neues Schreckenswort in der wirtschaftspolitischen Debatte auf. Die hohe Regulierungsdichte, die Vielzahl an Vorschriften und Einschränkungen wurden als wichtigste Ursache der Abwanderung angesehen. Die vor allem unter Premierminister Yasuhiro Nakasone betriebene Politik der "administrativen Reform" (rincho) - der haushaltspolitischen Austerität, der Verkleinerung des staatlichen Sektors (u.a. der Privatisierung der staatlichen Eisenbahnen und des staatlichen Telekommunikationsmonopols NTT), partieller Deregulierungen im Immobilien- und Finanzsektor sowie der Begrenzung der in den 70er Jahren spektakulär gestiegenen Sozialausgaben - war ein erster und insgesamt erfolgreicher Versuch, die Abwanderung der Unternehmen in Grenzen zu halten. Zu dieser Zeit reagierten die Auslandsinvestitionen japanischer Unternehmen zum einen auf die Aufwertung des Yen, zum andern auf die als bedrohlich wahrgenommene Abschottung des nordamerikanischen und des europäischen Marktes. So überstiegen die japanischen Investitionen in Nordamerika und Europa die Investitionen in Asien bei weitem. Vielfach galten die Auslandsinvestitionen - etwa die Direktinvestitionen der großen Automobilkonzerne in den USA und Großbritannien - nicht als Substitut für Exporte (was die heimischen Arbeitsplätze gefährdet hätte), sondern als Vehikel der Marktausweitung und damit der Ausweitung auch der Exporte.

Eine neue Qualität hat die Diskussion um das hollowing out der japanischen Wirtschaft in den 90er Jahren gewonnen, als sich unter dem Druck der Rezession und eines weiter steigenden Yen der Schwerpunkt der japanischen Direktinvestitionen nach Ost- und Südostasien verlagerte und die meisten Investitionen dem Motiv folgten, den hohen heimischen Kosten zu entgehen. Obwohl die Arbeitslosenquote in Japan auch in der Krise 3,5 Prozent nicht überstieg - wobei diese niedrige Quote freilich Erhebungsmethoden geschuldet ist, die einen internationalen Vergleich unmöglich machen -, werden mittlerweile von weiteren Auslagerungsinvestitionen erhebliche negative Beschäftigungseffekte erwartet. Zwar war man wie auch in anderen Ländern zunächst davon ausgegangen, daß die Auslagerung von Arbeitsplätzen in erster Linie wenig qualifizierte und niedrig entlohnte Tätigkeiten betreffe, während höher qualifizierte und besser entlohnte Jobs im Lande verbleiben bzw. infolge der Auslagerung sogar zunähmen. Diese optimistische Sicht wurde inzwischen korrigiert. Unternehmen, die Arbeitsplätze auslagern, sind in erster Linie die großen Unternehmen der Exportindustrie, die überdurchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte nachfragen. Da das japanische Ausbildungssystem auf die Betriebe zentriert ist und die Großunternehmen niedrig qualifizierte Tätigkeiten und arbeitsintensive Segmente der Produktion meist an Zulieferer delegieren, werden - wie der Unternehmerverband Nikkeiren 1995 konstatierte - mit den Auslandsinvestitionen die modernsten und produktivsten Segmente der japanischen Industrie ausgelagert. Dies bereitet auch den kleineren japanischen Zulieferern Probleme, von denen nur ein Teil in der Lage ist, die Großunternehmen ins Ausland zu begleiten. Es kommt hinzu, daß japanische Großunternehmen nicht nur vermehrt im Ausland investieren, sondern auch zunehmend Vorprodukte aus dem Ausland beziehen. 1995 sind die Importe von Geräten der Büroautomatisierung um 71,5%, von Telekommunikationsausrüstungen um 59,4 und von elektronischen Komponenten um 69,8% gestiegen; die Importe von Automobilteilen nahmen 1995 um 38,4% zu. Gleichzeitig bleiben die geschützten und d.h. in der Regel die weniger produktiven und weniger wettbewerbsfähigen Branchen im Lande, so daß sich die Wettbewerbsfähigkeit des "Standorts Japan" insgesamt zu verschlechtern droht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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