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6. Agrarpolitische Konzeptionen der MOE-Länder

Die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten stehen vor der zentralen wirtschaftspolitischen Weichenstellung, künftig eine mehr liberale oder mehr interventionistische Agrarpolitik zu verfolgen. Die massiven Einkommensverluste im ländlichen Raum führten dazu, daß der Druck auf staatliche Subventionen und Regulierung wächst und zunehmend in die politische Praxis umgesetzt wird. In den meisten MOE-Ländern wurden deshalb nach der anfänglichen Preisliberalisierung Instrumente der Marktintervention, Exportsubventionen und ein verstärkter Außenhandelsschutz eingeführt. Insbesondere in den Visegrad-Ländern ähneln die Stützungmaßnahmen teilweise der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP), in anderen Staaten (Rumänien, Bulgarien und ehemalige GUS) bestehen sie teilweise noch aus Instrumenten (administrierte Preise) des alten zentralen Planungsystems.

Die Visegrad-Staaten gründeten Agrarmarktbehörden, die fakultative Marktinterventionen zur Preisstabilisierung vornehmen. Die eingeführten Minimum- oder Interventionspreise für Getreide, Zucker, Milcherzeugnisse, Rinder und Schweine liegen allerdings meist unter den freien Marktpreisen, so daß sie kaum markt- bzw. einkommensstabilisierende Wirkung haben. Die Erzeugerpreise bewegen sich nahe den Weltmarktpreisen und liegen damit deutlich unter den EU-Agrarpreisen. Zwar ist das Stützungsniveau gering, doch gibt es Beispiele, wie Agrarmarktordnungen nach dem Vorbild der EU interventionistisch gestaltet werden (Zuckermarktordnung in Polen). Zudem sind noch Preisverzerrungen (regional, vertikal und Binnen- und Weltmarktpreise) zu beobachten, die durch ein unzulängliches Vermarktungs- (Handel, Lagerung, Transport) und Marktinformationssystem hervorgerufen werden. Während sich in den fortgeschrittenen Reformländern die Preiseffizienz auf den Agrarmärkten durch flexiblere Vermarktungsstrukturen (Privatisierung, Privatunternehmen, mehr Wettbewerb) verbessert, sind in Rußland und den anderen GUS-Ländern noch die alten Bezugs- und Absatzwege trotz Teilprivatisierungen intakt, doch werden immer geringere Mengen über die alten Vermarktungskanäle gehandelt.

Die verteilungspolitischen Spielräume für eine mehr interventionistische, auf Subventionen gestützte Agrarpolitik sind in den Transformationsländern angesichts finanzieller Engpässe äußerst gering. Eine jetzt verstärkt in den MOE-Ländern angewandte Alternative ist ein größerer, den Staatshaushalt nicht belastender Außenhandelschutz im Agrarbereich. Dieser bürdet jedoch den Verbrauchern höhere Kosten auf, fördert die Inflation und mindert den Wettbewerb. Statt verstärkt auf interventionistische Konzepte zu setzen, sollte die Wirtschafts- und Agrarpolitik in den MOE-Ländern die institutionellen Reformen im Bereich des Vermarktungs- und Kreditsystem verbessern. Niedrigere Vermarktungsspannen und Zinsen kämen sowohl dem Verbrauch als auch den Produzenten zugute und würden den Druck auf Marktinterventionen und Subventionen mindern.

Die direkte und indirekte Unterstützung der Landwirtschaft liegt in den MOE-Ländern jedoch mit großem Abstand hinter derjenigen westlicher Industrieländer, insbesondere der EU, was international vergleichbare Indikatoren zeigen (PSE, Producer Subsidy Equivalent). Allerdings ist zu beobachten, daß insbesondere jene Länder, die sog. Europaabkommen mit der EU abgeschlossen haben und eine Mitgliedschaft in der EU um das Jahr 2000 bis 2005 erwarten (ausgenommen die Tschechische Republik), ihr Subventionsniveau seit 1992 angehoben haben. Die Einführung interventionistischer Elemente des Agrarsystems geschieht sicherlich auch in der Hoffnung, bei einem möglichen Beitritt das institutionelle Instrumentarium bereits besser an EU-Erfordernisse angepaßt zu haben.

Ein größerer Außenhandelschutz und verstärkte Marktinterventionen werden auch zunehmend deshalb gefordert, weil die mit der EU vereinbarte Handelsliberalisierung im Rahmen der Assoziierungsabkommen vor allem im Agrarbereich stark begrenzt ist. Dies ist für die Transformationsländer insofern ein großes Ärgernis, als sie im Nahrungsmittelsektor komparative Vorteile im Handel mit der EU erwarten, Westeuropa in den letzten Jahren jedoch in diesem Bereich Handelsbilanzüberschüsse sogar mit den Visegrad-Ländern aufweist. Zudem besteht mit den GUS-Ländern traditionell ein Handelsbilanzüberschuß im Agrarbereich. Enttäuschend ist für die Transformationsländern auch, daß im Zuge der Anpassung der Assoziierungsabkommen an das neue GATT-Abkommen die Handelsliberalisierung (Erweiterung der Einfuhrquoten zu Präferenzzöllen) langsamer als geplant vollzogen wird und in einigen Bereichen (Rinder, Schafe, Tomatenmark, Zwiebeln) sogar gänzlich ausgesetzt wurde.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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