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5. Wirtschaftliche Chancen

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Der Weg in die Informationsgesellschaft bietet für Wirtschaft und Verwaltung eine unübersehbare Vielzahl von Chancen, die im einzelnen aufzuführen und zu bewerten ein aussichtloses Unterfangen wäre.

Die Diskussionen der Enquête-Kommission und des Beirats (soweit sie sich schriftlich niedergeschlagen haben) erbrachten eine Reihe von Aspekten und Vorschlägen, die stellvertretend für das wirtschaftliche Szenario stehen mögen:

  • Neue Leitbilder in Betrieben und Verwaltungen: Die Anwendungen multimedialer Telekommunikation stellen eine neuartige Chance dar, betriebliche Prozesse und Verwaltungsabläufe für das 21. Jahrhundert auszurichten. Trotz aller „Lean-Philosophien" ist unübersehbar, daß die Aufgaben in Betrieben und Verwaltungen wachsen. Dies ist in einer komplexer werdenden Welt unausweichlich. Franz-Josef Radermacher verweist darauf, daß „künftig 20% mehr Leistungen mit 20% weniger Mitarbeitern" erbracht werden müssen. Diese Zuspitzung ist im zweiten Teil gewiß vom Pessimismus über die Staatsfinanzen geprägt, auch trägt sie den Erklärungen der Wirtschaft, von den „shareholder value"-Vereinfachungen wegzukommen, nicht mehr Rechnung. Sicher ist jedoch, daß es für zusätzliche Aufgaben nicht mehr den entsprechenden quantitativen Aufbau der Arbeitsplätze geben wird. Deswegen ist neben der Umschichtung von Aufgaben zu prüfen, inwieweit Multimediatechnik bei Routineaufgaben entlasten und dennoch die Aufgabenerfüllung sicherstellen kann. In Anhörungen der Enquête-Kommission wurde nochmals eine 20 Jahre alte Bürokommunikationsherstellerstudie herangezogen, die damals davon sprach, daß „bis zu 40% der Büroarbeit automatisierbar" seien und beträchtliche Unruhe ausgelöst hatte. Hier darf in der aktuellen Multimedia-Anwendungsdiskussion nicht dasselbe Mißverständnis aufkommen: Multimedia-Anwendungen in der Verwaltung und in den Büros soll mit ihrem Rationalisierungspotential die „Informationsexplosion" bewältigen helfen und - bei allen notwendigen Umschichtungen - nicht Vorwand für Stellenkürzungen sein.
  • Elektronische Dienstleistungen: Ein großes Projekt „Dienstleistung 2000 plus" unter der Leitung von Hans-Jörg Bullinger hat in seinem aktuellen Abschlußbericht das Feld der elektronischen Dienstleistungen gerade für den Wirtschaftsstandort Deutschland als einen der zukunftsträchtigen Wege zu neuen Märkten umfassend beschrieben. In der Tat öffnen sich hier für die gesamte deutsche Wirtschaft Perspektiven - nicht allein für die Dienstleister im engeren Sinn. Norbert Szyperski hat dies in der Arbeitsgruppe Mediendienste deutlich herausgearbeitet. So ist zum Beispiel der Teleservice - worauf der BDI mit Nachdruck verweist - eine Chance für die exportorientierte Investitionsgüterindustrie, den technischen Kundendienst zu erweitern und Verständnisprobleme zu beheben. Die Basis für Teleservice bildet die Übertragung von Maschinendaten und Prozeßdaten zwischen Maschinenstandort und einem entfernt gelegenen Ort mit Hilfe von neuen Informations- und Kommunikationstechniken. Teleservice wird bei der Installation und Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen, der Behebung von Störfällen und zur Übertragung von Neuen Softwareversionen eingesetzt. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen des Maschinenbaus können von den Möglichkeiten des Teleservice profitieren und so ihre Stärken wie Kundennähe, Schnelligkeit und Flexibilität über räumlich große Entfernungen entfalten. Anstatt umfangreiche Technikerstäbe weltweit einsetzen zu müssen, können mit Hilfe von multimedialen Anwendungen Ferndiagnosen über Datennetze zeitnah und global durchgeführt werden. Auf diese Weise können bestehende Märkte gesichert und zugleich neue erschlossen werden.
  • Entstehung des Electronic Commerce nicht fiskalisch behindern: Auch hier weist besonders Carsten Kreklau vom BDI im Sinne einer

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    Innovationspolitik auf mögliche falsche Weichenstellungen hin. Es sind alle neue Steuern zu unterlassen, die eine schnelle Verbreiterung des Electronic Commerce behindern. Aufgrund der Komplexität der Fragen zu den steuerlichen Auswirkungen des elektronischen Geschäftsverkehrs sollten auf nationaler als auch auf internationaler Ebene diese Frage nur einvernehmlich in engem Kontakt mit der betroffenen Wirtschaft gelöst werden. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des BMF, des BMWI und der Wirtschaft sollte deshalb die Besteuerung des elektronischen Geschäftsverkehrs sowie das weitere Vorgehen gemeinsam erörtern.
  • Konzeptarbeit für Electronic Cash vorantreiben: Es gibt derzeit noch keine allgemein akzeptierte elektronische Chipkarte, um bargeldähnliche elektronische Zahlungsvorgänge in der gebotenen Sicherheitsstufe zu realisieren. In einer aktuellen großen Studie des Fraunhoferinstituts ISI in Karlsruhe hat Peter Zoche im Verlauf einer vorbildlichen Technikfolgenabschätzung gezeigt, daß einige der vorliegenden Konzepte für eine Weiterführung in Frage kommen, wobei auch hier die Prinzipien der „mehrseitigen Sicherheit" anzuwenden sind. Auf diesem Gebiet gilt es, ein großes Einführungsprojekt - vor allem mit den Banken und Kommunen - voranzubringen. Schon innerhalb von drei Jahren könnte die elektronische Geldbörse Realität sein.
  • Nutzung elektronischer Zahlfunktionen durch öffentliche Stellen: Zur Förderung des elektronischen Zahlungsverkehrs könnten für eine Übergangszeit von drei bis fünf Jahren ein Großteil der Bestellungen und Transaktionen öffentlicher Stellen mit elektronischer Unterschrift erfolgen. Die Abwicklung sollte über eine Ausschreibung an private Dienstleister vergeben werden. Dies würde nicht nur die Glaubwürdigkeit politischer Appelle an Wirtschaft und Bürger zur Nutzung dieser technischen Möglichkeiten erhöhen, sondern könnte auch die für die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur erforderliche kritische Masse erzeugen helfen.
  • Teleorganisation und Virtuelle Betriebe erforschen: Völlig neue Möglichkeiten ergeben sich aus der Fortschreibung der Telekooperation in Richtung auf Virtuelle Unternehmensstrukturen. Darunter ist zu verstehen, daß sich eine Art „elektronischer Projektgesellschaft" bildet, die ein Marktsegment mit einer temporären Organisation schnell und flexibel bearbeitet. Projekte wie TREVIUS (u.a. Telekom, Fraunhofer-IAO) haben erste Erkenntnisse darüber geliefert, daß eine zuverlässige „Netzzusammenarbeit" dann möglich sein wird, wenn die Rahmenbedingungen für Datensicherheit, Urheberschutz und Datenschutz erarbeitet sind. Es müssen auf dem weiteren Weg hin zu vollkommen „virtuellen Firmen im Netz" im Hinblick auf Mitarbeiter und Kunden allerdings noch wichtige Forschungsarbeiten insbesondere zum Unternehmensrecht und Haftungsrecht durchgeführt werden.
  • Chancen für die Telemedizin: Spektakuläre Medienereignisse wie „Live-Operationen im Internet" verstellen ein wenig den Blick darauf, daß die Multimediatechnik einen veritablen Beitrag zur Modernisierung und Effektivierung des Gesundheitswesens leisten. Die Politik sollte die Entwicklung der Telemedizin fördern und es sich zur Aufgabe machen, die Prozesse der technischen Standardisierung und der Vernetzung aller Leistungsanbieter und Kostenträger im Sinne des solidarischen Gesundheitssystems voranzutreiben. Dabei gilt es, auch wirtschaftliche Chancen - z.B. durch Export von Telematikanwendungen - zu nutzen und Einsparpotentiale auszuschöpfen, die nicht zu Lasten der Versorgungsqualität gehen. Flankierend müssen Patientenrechte auf Information, Selbstbestimmung und Datenschutz gestärkt und eine geeignete Sicherheitsarchitektur abgesichert werden.
  • Existenzgründungen erleichtern: Um Existenzgründungen auch im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechniken zu erleichtern, müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. Hierzu gehört neben der Bereitstellung von Risikokapital und einer verbesserten Rechtssicherheit ein innovationsfreundliches Klima. Es muß geprüft werden, ob zeitlich befristet von Auflagen abgesehen werden kann, bis ein Unternehmen aus der Startphase heraus ist.

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  • Kompetenzzentren für mittelständische Wirtschaft ausbauen: Damit auch kleine und mittlere Unternehmen die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen können, sollten verstärkt Kompetenzzentren für den elektronischen Geschäftsverkehr eingerichtet werden. Aufgabe dieser Kompetenzzentren ist es, die mittelständische Wirtschaft über Möglichkeiten und Anwendungsweisen des Internets für geschäftliche Zwecke zu informieren, den Unternehmen Trainingsprogramme anzubieten und einen breiten Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Träger dieser Kompetenzzentren könnten Hochschulen, Technologietransferstellen, Kammern und Verbände sein. In Einzelfällen sollte auch eine staatliche Anschubfinanzierung der Kompetenzzentren erfolgen.
  • Wertschöpfung in der Region stärken: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß zur Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs und der Anwendung von Telearbeit gerade regionale Handlungsansätze ausgebaut werden sollten. Das baden-württembergische „Forum Soziale Technikgestaltung" verfolgt beispielsweise das Konzept „regionaler Innovationspartnerschaften", in denen Unternehmen, Gewerkschaften, Kammern, Forschung, Handwerk, Verbraucher und Kom-munen regionalspezifische Anwendungen in regionalen Wertschöpfungsketten organisieren. Solche Vorhaben zur „Standortsicherung virtueller Wertschöpfungsketten" (Welf Schröter) sollten verstärkt initiiert, unterstützt und kommuniziert werden.
  • Nachhaltige Entwicklung im globalen Maßstab: Die Entwicklung der Informationstechnik ist auf das engste mit Fragen der ökonomischen Globalisierung und damit auch des Weges in eine zukunftsfähige Weltgesellschaft (nachhaltige Entwicklung) verknüpft. Damit sind große Chancen für mehr Umweltverträglichkeit und soziale Entwicklung verbunden, aber ebenso große Risiken. Zukunftsfähigkeit wird letztlich dadurch bestimmt werden, ob und wie es gelingt, die globalisierte Ökonomie in sozialer und ökologischer Hinsicht auszurichten. Beträge hierzu verlangen geeignete Innovationen im technischen Bereich, im Verhalten und hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnung, worauf Franz-Josef Radermacher und Ernst-Ulrich von Weizsäcker hinweisen. In bezug auf die gesellschaftliche Ordnung sind Beiträge zur Veränderung der weltweiten Rahmenbedingungen ebenso erforderlich wie weltmarktfähige Veränderungen der Rahmenbedingungen in Europa bzw. Deutschland. In all diesen Bereichen ist die Politik zentral gefordert.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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