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5. AUFGABEN DES STAATES

[Seite der Druckausgabe: 51]

Im Grunde hat das vorhergehende Kapitel staatliche Aufgaben schon implizit skizziert. In diesem Kapitel sollen explizit und komplementär dazu weitere Aufgaben, deren Lösung ansteht, erörtert werden.

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5.1. Rechtsverbindlichkeit

Bei der elektronischen Übermittlung in digitalisierter Form taucht ein Problem auf, das uns bereits beim Thema Home Banking und Teleshopping begegnet ist. Wie können die übermittelten Informationen zuverlässig und gegen Mißbrauch gesichert übertragen werden? Wie können sie mit einer elektronischen Unterschrift versehen werden, die dem Empfänger die Sicherheit gibt, daß am anderen Ende die Person gesessen hat, mit der er rechnet, und wie kann schließlich sichergestellt werden, daß es sich um den Originaltext, die Originalinformation handelt? Bei diesem Problem, dem Problem der Zuverlässigkeit und Rechtsverbindlichkeit elektronisch erstellter und übermittelter Dokumente, ist der Gesetzgeber gefordert.

Das Ziel wäre, elektronischen Dokumenten im Rechtsverkehr die gleichen Vorteile zubilligen zu können wie Schrifturkunden. Computerausdrucken und Telefaxen werden gegenwärtig grundsätzlich keine Urkundeneigenschaften zuerkannt, denn für die Anerkennung der Echtheit einer Urkunde ist es notwendig, daß „die Urkunde auf die vom Beweisführer als Aussteller bezeichnete Person zurückgeführt werden kann". [Fn.48: Kurzbericht der GMD über Juristische Aspekte von TELETRUST, 1992] Zwar können Rechtsmittelerklärungen rechtswirksam auch durch Telefax eingereicht werden, aber um Computerausdrucke mit Schrifturkunden gleichzustellen, ist genau das erforderlich, was auch beim elektronischen Zahlungsverkehr im Netz gewünscht wird, die Echtheits- und die Identitätsfunktion sicherzustellen. Auch hier stoßen wir wieder auf das komplizierte Thema eines wirtschaftlich und rechtswirksam darstellbaren Public Key Systems.

Datensicherheit, Datenschutz und Rechtsverbindlichkeit der Kommunikation stellen den Gesetzgeber vor neue Aufgaben. Dazu gehört in den nächsten Jahren vor allem eine schnelle und umfassende Regelung des Problems der elektronischen Unterschrift, um die Sicherheit von Transaktionen zu gewährleisten. Noch sind wir weit entfernt von einer weltweit anerkannten Lösung, wie beispielsweise Vertragsabschlüsse im Rahmen der Telekooperation rechtswirksam auf Computernetzen dargestellt werden können. Aber es wird höchste Zeit, dem Innovationstempo des Internet ein vergleichbares Innovationstempo in der Anpassung der nationalen und internationalen Rechtssysteme an die Seite zu stellen.

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5.2. Bildung

Wir haben einen Zukunftsminister, zugegeben, mit eingeschränkten Zuständigkeiten für die Zukunft. Immerhin bündelt er die Zuständigkeiten des Bundes für Bildung und für Forschung und hat einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf die Bildungspolitik der Länder, schon, weil er Geld zu vergeben hat.

Wird er zur Renaissance einer Idee beitragen, die schon mehrfach zu Grabe getragen worden ist? Der Idee, mit Hilfe der Technik Bildungsinhalte effizienter zu vermitteln. Das ist in den Vereinigten Staaten inzwischen wieder zu einem heißen Thema geworden und hat bereits zu einer ganzen Reihe von Unternehmensneugründungen geführt.

In Deutschland wurde Anfang der siebziger Jahre das FEoLL [Fn.49: Forschungsinstitut für objektivierte Lehr- und Lernverfahren] gegründet. In dieser Zeit des Aufbruchs glaubten viele an die Notwendigkeit, Bildung mit neuen Methoden vermitteln zu müssen, alle Bildungschancen zu nutzen, um Bildung nicht zu einem Privileg der Besserverdienden zu machen und Begabte entsprechend ihren Neigungen und Eignungen fördern zu können. Die Möglichkeiten des Computers, dazu einen Beitrag zu leisten, wurden heftig und kontrovers diskutiert, und das FEoLL wuchs innerhalb von fünf Jahren auf 125 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an. Doch die Blütenträume welkten dahin, und ausgerechnet als der Perso-

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nal Computer mit seinem Siegeszug begann, wurde das FEoLL im Jahr 1983 geschlossen.

Ist in Deutschland die Zeit nicht längst reif für einen Neubeginn?

Zwei Themen gewinnen jedenfalls wieder an Aktualität. Zum einen die Möglichkeit, unter Nutzung der Telekommunikation virtuelle Klassenzimmer oder Hörsäle zu schaffen, die es dem Lehrer ermöglichen, seinen Schülern Bildungsinhalte zu vermitteln, auch wenn beide sich nicht am gleichen Ort befinden. Das Schlagwort heißt Telelearning und ist pädagogisch nicht weiter umstritten, denn der Lehrer dominiert die Vermittlung der Bildungsinhalte, auch wenn er sich dabei audiovisueller Techniken bedient und über Entfernungen mit seinen Schülern kommuniziert. Telelearning wird sich durchsetzen, aber letztlich die Technik der Vermittlung von Wissen und Erfahrung nicht revolutionieren.

Das gilt eher für das zweite Thema. Es knüpft an Diskussionen der siebziger Jahre an, beruft sich aber auf die neuen Möglichkeiten, die durch interaktive Multimedia, durch die Verbindung von Videotechniken, Virtual Reality und Personal Computer geboten werden. Dabei spielen Kommunikationsnetze keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ein einleuchtendes Beispiel ist der Fahrtrainer, von dem schon die Rede war, der nicht nur Fertigkeiten, sondern auch Einsichten vermittelt. Werden damit bereits Bildungsinhalte vermittelt? Darüber kann man trefflich streiten.

Viele Fachleute in Amerika glauben, daß mit Multimedia eine Möglichkeit entsteht. Bildungsinhalte so plastisch zu vermitteln, daß sie einer Art Nürnberger Trichter gleichkommt. In Deutschland ist das nach wie vor umstritten und einer heillosen Grundsatzdiskussion ausgeliefert. In dem sehr nachdenklichen Kapitel der schon genannten Vorstudie des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags, die sich wiederum auf ein anderes Gutachten stützt [Fn.50: J. Hasebrook, Lernwirksamkeit von Multimedia- und Hypermedia-Systemen, 1994] , wird der große Pädagoge des 17. Jahrhunderts Comenius mit den Worten zitiert:

„Warum solle also nicht die Lehre mit einer Betrachtung der wirklichen Dinge beginnen, statt mit ihrer Beschreibung durch Worte?" Vielleicht sollten wir diese Weisheit ernst nehmen und an ihr die Grenzen des Lehrers erkennen. Wenn wir uns den „wirklichen Dingen" nähern und Multimedia für Bildungszwecke nutzen wollen, sind virtuelle Realitäten eine pragmatische Diskussion wert.

Hier soll nicht in eine Grundsatzdiskussion zum Bildungswesen im allgemeinen und die Nutzung neuer Technologien zur Vermittlung von Bildungsinhalten im besonderen eingestimmt werden. Wir wollen nur ganz einfach den Wunsch vortragen, daß der Zukunftsminister sich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen möge. Warum hat er sonst die Zuständigkeit für Bildung und für Wissenschaft und für Technologie in seine Hände bekommen.

Diane Ravitch, renommierte Pädagogin der Brookings-Stiftung, hat keine Probleme: „Wenn Klein-Eva nicht schlafen kann, kann sie statt dessen Algebra lernen. An ihrem Lerncomputer kann sie sich mit einer Serie von interessanten und kindgemäßen Problemen auseinandersetzen, die in einem interaktiven Medium präsentiert werden, wie bei Videospielen." Da laufen deutschen Pädagogen Schauer über den Rücken. Warum eigentlich?

Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, daß die Technik der Computerspiele eine neue Dimension eröffnet und die Generation der Computer Kids ohnehin ein anderes Verhältnis zur Technik entwickelt hat, zumal sie häufig in der Schule erfahren müssen, daß sie weit geschickter und effizienter mit dem PC umgehen können als ihre Lehrer. Das eigentliche Problem liegt nicht darin oder sollte nicht darin gesehen werden, die Technik gegen hervorragende Pädagogik auszuspielen, deren Ziel es ist, junge Menschen zur kreativen und kritischen Erkenntnisfähigkeit zu erziehen. Es genügt auch nicht, den Schulen Internet-Anschlüsse zu versprechen, so begrüßenswert eine solche Initiative ist.

Das eigentliche Problem liegt in einer Aufarbeitung dessen, was Technik heute dazu beitragen kann, Bildungsinhalte zu vermitteln.

Kinder haben in aller Regel keine Angst vor dem Computer. Es wird höchste Zeit, daß die deutschen Pädagogen ihren Widerstand gegen einen Trend aufgeben, der die nächste Generation zu prägen im Begriff ist. Wer heute in einer gut sortierten Buchhandlung in Deutschland nachfragt, was an Literatur zum Thema CBT [Fn.51: Computer Based Training] vorrätig sei, erhält in der Re-

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gel die Antwort, das Interesse an diesem Thema sei zu gering, als daß es sich lohne, Bücher zu diesem Thema vorrätig zu halten.

Dabei ist zumindest unumstritten, daß im Bildungssystem der Zukunft dem Bereich der Weiterbildung eine immer größere Bedeutung zukommt, wenn wir denn schon Klein-Eva nicht mit den Schrecken der Multimediabildung konfrontieren wollen und damit ihre Erfahrung mit Multimedia auf die Welt der Spiele, die um des Geschäfts willen konstruiert worden sind, reduzieren.

In der Weiterbildung geht es ganz profan auch um Kosten und vor allem um Einsparungen potentieller Kosten. Wer will eigentlich ein dringend notwendiges System der Weiterbildung finanzieren, wenn schon das Bildungssystem nicht mehr finanzierbar ist?

Der Fahrtrainer war deshalb nur ein Beispiel, um die Kontroverse auf einen praktischen Pfad zu lenken und der pädagogischen Grundsatzdebatte zu entgehen. Genau so gut hätten wir Beispiele aus der Chirurgie nehmen können. Im Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung kann besichtigt werden, wie mit Hilfe virtueller Techniken Kniescheibenoperationen gelernt werden können, die bisher am lebenden Objekt geübt worden sind. Schon mancher Patient ist als Folge der bisherigen Praxis mit einem steifen Bein aus dem Operationssaal gehinkt. Was wir Bildung nennen, hat zu einem ganz bedeutenden Teil mit Übung zu tun, und einen Satz wird auch der engagierteste deutsche Pädagoge bereit sein zu unterschreiben: Zum Üben sind Multimedia außerordentlich geeignet. Fangen wir also so schnell wie möglich mit dem Üben an.

Bei der Nutzung von Multimedia im Bildungswesen ist Deutschland in Gefahr zurückzubleiben. Es wird höchste Zeit, daß die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Pädagogen und Technikern von Bund und Ländern gemeinsam mit der Wirtschaft stärker als bisher gefördert wird, um auf der Grundlage von Multimediatechniken Verfahren zu entwickeln, die komplexe Lernprozesse fördern, Lehrer entlasten und Trainingsprozesse effizienter gestalten können. Denn die Faszination des Computerspielemarktes nimmt den Pädagogen sonst die Butter vom Brot, was sich niemand wünscht. In diesem Markt entstehen die virtuellen Realitäten, mit denen sich die Kinder und die Erwachsenen morgen auseinandersetzen werden. Die Lehrer im besten Sinne des Wortes sollten nicht abseits stehen, sondern diese Techniken in ihrem Sinne zu gestalten suchen.

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5.3. Regulierung und Deregulierung

Mit der Satellitenschüssel wurde es für jeden erkennbar. Nationale Regierungen hatten endgültig die Macht verloren, in ihrem Hoheitsbereich Fernsehen autonom zu regeln, weil Satelliten keine Grenzen respektieren und die weltweite Verteilung von Fernsehprogrammen zulassen. Die Folge war das duale Fernsehsystem, wie wir es heute kennen, mit tiefgreifenden Folgen für die politische Verfassung unseres Landes. Multimedia, die über weltweite Netze angeboten werden, sind der logische nächste Schritt. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Fernsehen und Multimedia.

Fernsehen ist Ländersache, während der Bund für die Gesetzgebung in der Telekommunikation zuständig ist und darüber hinaus eine Rahmengesetzgebungskompetenz im Bereich des Presserechts vom Grundgesetz zugewiesen bekommen hat.

Verwickelt wird es nun dadurch, daß die Abgrenzung des Rundfunkbegriffs, unter den auch Fernsehen subsumiert ist, gegenüber Multimedia, sagen wir ganz einfach, schwierig ist. Noch verwickelter wird es dadurch, daß die großen Medienkonzerne im internationalen Geschäft nicht durch kleinkarierte nationale Spezialitäten behindert werden möchten und ausgesprochen aggressiv reagieren, wenn sie das Gefühl haben, das könnte der Fall sein.

Deshalb kann der renommierte Jurist Dr. Dieter Stammler, Justitiar bei Deutschlandradio, mit seinem Beitrag zum Thema, in dem er die „Entwicklung nicht allein den Marktkräften überlassen" will, kaum mit Beifall rechnen. [Fn.52: Paradigmenwechsel im Medienrecht, ZUM, 2/1995] Er plädiert für eine Vernetzung der Gesetzgebungskompetenzen und für das „Prinzip des Konsenses bzw. der Koordination, das ein Wesenselement des 'kooperativen Föderalismus' darstellt", und weist zugleich auf die Notwendigkeit europäischer Lösungen hin. Wir möchten seinen Gedanken hier aufgreifen und dahingehend weiterentwickeln, als es in diesem schnellebigen Bereich nicht nur auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen ankommen kann, sondern auch effektive

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und anpassungsfähige Regulierungsmechanismen entwickelt werden müssen.

Innovative Regulierungsmechanismen sind in Deutschland Neuland und drohen gerade bei Multimedia an der föderativen Struktur zerrieben zu werden. Die Länder sind für den Rundfunk zuständig und legen deshalb den Rundfunkbegriff weiträumig aus. Das könnte zu einem ernsten Innovationshindernis werden.

Das Prinzip müßte wohl heißen, Regulierung soweit wie nötig und Deregulierung so weit wie möglich. Denn es macht keinen Sinn, sich international vollziehenden Entwicklungen nationale Widerstände entgegenzusetzen. Niemand kann vorhersagen, welche Innovationen in den nächsten Jahren neue Märkte eröffnen. Sicher ist nur, deutsche Unternehmen sollten in ihrem Innovationsdrang so wenig wie möglich behindert werden. Sonst gehen die erwünschten positiven Arbeitsplatzeffekte an Deutschland vorbei, und das kann sich niemand wünschen.

Ein Kampf zwischen Bund und Ländern um die Auslegung des Rundfunkbegriffs hätte vermutlich ausgesprochen negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Sicher ist allerdings auch, daß die Länder darum kämpfen müssen, daß strukturschwache Räume im Multimediazeitalter die gleichen Entwicklungschancen bekommen wie die Ballungszentren. Wenn Arbeitsplätze außerhalb der Ballungszentren gefährdet werden, weil die Tarifeinheit im Raum nicht mehr durchsetzbar ist, dann ist etwas falsch gelaufen.

Der Bund ist für die Regulierung im Bereich der Telekommunikation zuständig und bisher nicht bereit, den berechtigten Interessen der Länder an der Mitgestaltung der neuen Kommunikationsformen durch entsprechende Strukturen der geplanten Regulierungsbehörde Rechnung zu tragen.

Konsens ist gefragt. Mit seinem Diskussionsentwurf für ein Telekommunikationsgesetz vom Mai 1995 hat der Bund eine Regulierungsbehörde zur Diskussion gestellt, die dem Konsensprinzip mit den Ländern zunächst eine Absage erteilt. Dabei geht es in diesem Gesetzentwurf darum, die Interessen der Nutzer auf dem Gebiet der Telekommunikation zu wahren, eine flächendeckende Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu sichern und einen chancengleichen Wettbewerb auf den Märkten der Telekommunikation herzustellen. Leider weiß niemand so genau, was mit Grundversorgung bei Telekommunikationsdienstleistungen gemeint sein könnte. Jedem aufmerksamen Beobachter ist klar, daß der Begriff der Telekommunikation im Multimediazeitalter schillernd ist und mit den von den Ländern beanspruchten Zuständigkeiten kollidieren wird.

Man wird sich darüber hinaus fragen müssen, ob eine klassische Behörde mit einem Präsidenten an der Spitze, der vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen werden soll, in diesem buntschillernden Markt mit kräftigen wirtschaftlichen Interessenkonstellationen nicht bald überfordert sein wird.

Was wäre zu tun? Bund und Länder müßten über ihren Machtschatten springen, damit alle davon profitieren. Die Länder, die das föderative Prinzip verteidigen und zu Recht Konzentrationsprozesse in der Medienwirtschaft fürchten, der Bund, der nationale und internationale Verantwortung trägt, und die Wirtschaft, die ebenfalls zu Recht darauf besteht, im Innovationsprozeß nicht behindert zu werden. Ein zukunftsweisender Kompromiß ist notwendig und sollte nicht nur im Telekommunikationsgesetz des Bundes, sondern auch im Rundfunkstaatsvertrag der Länder seinen Niederschlag finden.

Ein zukunftsweisender Kompromiß könnte darin bestehen, daß zum einen die Länder zustimmen, den Rundfunkbegriff und damit die Funktionen der Landesmedienanstalten auf die herkömmliche Art von Rundfunk im dualen System zu beschränken. Im Gegenzug müßte der Bund ihnen mehr Rechte bei der geplanten Regulierungsbehörde einräumen. Die Bundesregierung sollte die geplante Regulierungsbehörde in Anlehnung an die amerikanische Federal Communications Commission mit einem Senat als Führungsgremium ausstatten, der von Bundestag und Bundesrat bestätigt werden muß. Das hätte den entscheidenden Vorteil, daß bei einem Regierungswechsel nicht jedesmal die Regulierungspolitik völlig neu aufgerollt wird und damit für Unternehmen, die langfristig Investitionssicherheit brauchen, unberechenbar wird.

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5.4. Förderung der Innovation

Zunächst einmal gibt es eine Fülle von europäischen, nationalen und regionalen Förderprogrammen, die das Thema Multimedia zum Gegenstand haben. Sie sollen hier nicht aufgezählt werden, denn der entscheidende Punkt ist möglicherweise nicht

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die Förderung einzelner Projekte. Vier Aspekte sollen hier noch einmal herausgegriffen werden, weil sie in besonderer Weise dazu beitragen, daß Forschungsergebnisse zu Innovationen werden können, die sich am Markt durchsetzen.

Was fehlt, sind erstens systemare Ansätze, bei denen Forschungsförderung, die Durchsetzung von Normen und Standards und integrierte Anwendungskonzepte ineinandergreifen.

Das Beispiel der Verkehrsleittechnik hat diesen Aspekt bereits beleuchtet. Wenn der Verkehrsminister sich um elektronische Maut kümmert, der Forschungsminister den digitalen Rundfunk fördert, der Innenminister (und die Autoversicherer) den Diebstahl von PKW wirkungsvoll zu bekämpfen suchen und gleichwohl den Schutz der Privatsphäre ernst nehmen, so gibt es möglicherweise einen gemeinsamen Nenner, der zu einer innovativen Systemlösung führt, mit der die Chancen der neuen Technik optimal genutzt werden können.

Fahrtrainer mit Virtual Reality sind nicht nur technisch faszinierend und in absehbarer Zeit ein interessantes Geschäft. Vielmehr hängt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter nicht zuletzt davon ab, ob der Beitrag von Fahrtrainern zur Erhöhung der Verkehrssicherheit von der Politik gewürdigt und durch eine Neuregelung im Fahrschulwesen unterstützt wird.

Forschungspolitik muß sich als Dienstleistung begreifen, die zu Problemlösungen beiträgt, statt sich darauf zu konzentrieren, Technologien zu entwickeln, die sich anschließend auf die Suche nach möglichen Anwendungen begeben. Das muß zwar auch sein, reicht aber nicht aus.

Den zweiten Aspekt haben wir ebenfalls bereits angesprochen. Weil neue Märkte besonders gut von neuen Unternehmen bedient werden können, wenn man ihnen nur die Chance dazu gibt, besteht Innovationsförderung ganz zentral darin, die Rahmenbedingungen für junge Technologiefirmen zu verbessern. Deshalb wäre die Umsetzung des 20-Punkte-Programms, das der Verfasser dieser Studie zusammen mit Peter Glotz vorgelegt hat [Fn.53: in "Das dritte Wirtschaftswunder - Aufbruch in eine neue Gründerzeit", ECON-Verlag, 1994] , ein ganz entscheidender Beitrag zur Förderung von Multimediainnovationen.

Schließlich gehört drittens zur Förderung von Innovationen die Förderung des Verständnisses von Innovationen. Und hier schließt sich der Kreis zum Abschnitt, in dem von Bildung die Rede war. Ein großes Hindernis könnte die Generationenlücke werden, die sich im Multimediazeitalter zwischen den Jungen, die mit diesen Techniken spielerisch aufwachsen, und den Älteren, die sich nicht damit abfinden wollen, daß ihre Kenntnisse und Erfahrungen in Frage gestellt werden, auftut. Und infolgedessen gilt für viele aus der älteren Generation, daß sie Innovationen nicht mit Freude als neue Herausforderung betrachten, sondern als Gefahr für ihre Stellung im Unternehmen, in der Behörde, im Klassenzimmer, womöglich in der Familie.

Deshalb ist vielleicht das wichtigste Problem bei der Förderung von Innovationen die Überwindung dieser Generationenlücke, die wichtigere Aufgabe nicht Bildung, sondern Weiterbildung.

Es wäre gut, wenn der Zukunftsminister sich dieses Thema auf seine Fahne schriebe und seine Motivationskraft einsetzen würde, um eine breite Bewegung auszulösen, die nicht nur die Jungen, die sich vielleicht zu helfen wissen, sondern auch die Älteren in Deutschland anspricht, wenn er gemeinsam mit der Wirtschaft und den Ländern Konzepte entwickelt, wie diese Herausforderung zu bewältigen ist.

Viertens bedürfen nationale Förderungsmaßnahmen in einem zusammenwachsenden Europa der Orientierung an einem homogenen europäischen Markt, der bewußt eingesetzt wird, um im internationalen Markt Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Wenn Europa bei Verkehrsleitsystemen international in Führung geht, kommt das nicht nur seiner eigenen Infrastruktur zugute, sondern erhöht gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Deshalb macht es Sinn, wenn auf europäischer Ebene nicht so sehr Technologien, als vielmehr Systemlösungen gefördert werden, die Grundlage europäisch geprägter internationaler Standards werden könnten.

Weniger Sinn macht eine stark bürokratisch geprägte, einseitig auf Großunternehmen ausgerichtete europäische Förderung. Es wird Zeit, die europäische Technologieförderung wieder näher an die Unternehmen heranzuführen bzw. durch gut abgestimmte nationale Programme zu ersetzen, die auch mittelständischen Unternehmen gleichwertige Chancen auf Förderung eröffnen.



[Seite der Druckausgabe: 56 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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