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6. AUSBLICK

[Seite der Druckausgabe: 57]

Am Schluß dieser Studie wollen wir die Neuigkeiten des Multimediazeitalters ein wenig relativieren und mit einer kurzen Analyse der Verbrauchsgewohnheiten der Menschen in unserem Lande beginnen.

Betrachten wir die Verbraucherbudgets der beiden vom Statistischen Bundesamt definierten vierköpfigen Familien (Durchschnittsverdiener und Besserverdiener) und ihre Entwicklung über zwei Jahrzehnte hinweg, dann ergibt sich folgendes Bild: Faßt man die Ausgaben für Kommunikation, Information und Kultur (Fernsehen, Kino, Zeitschriften, Bücher, Theater, Telefon und Brief) zu einem heterogenen Block zusammen, so stellt sich heraus, in der Gruppe der Schwächerverdienenden machte dieser Block 1973 4,3% der Ausgaben für den privaten Verbrauch aus und stieg allmählich bis 1993 auf 5,3% an. Bei den Besserverdienenden blieb er bemerkenswert konstant bei 5,6% stehen, obwohl sich in dieser Zeit die Realeinkommen kräftig erhöhten.

Da nun einmal die Verbrauchsgewohnheiten der Menschen das Marktpotential sehr stark prägen, immerhin geht rund 60% des Sozialprodukts in den privaten Verbrauch und den Rest teilen sich Staat und Investoren, müßten neue Multimediaanwendungen entweder die Verbrauchsgewohnheiten der Menschen radikal verändern oder der Markt dafür wächst doch weniger schnell als einige Optimisten erwarten.

Das Thema dieser Studie könnte dazu verführen, Multimedia zum Kern künftigen Wirtschaftens hochzustilisieren. Die Grundbedürfnisse der Menschen, die sich ganz nüchtern darin niederschlagen, wofür sie ihr Geld auszugeben bereit sind, werden sich im Multimediazeitalter nicht grundlegend ändern.

Wer auf solche grundlegenden Veränderungen setzt, wird enttäuscht beobachten, wie zäh die Verbraucher an dem festhalten, was sie schon in der Vergangenheit erfreut hat. Genauso wie das Fernsehen andere Formen der Unterhaltung und Information nicht grundsätzlich in Frage gestellt hat, vor allem aber insgesamt das Budget für Unterhaltung und Information eher eine Frage der Einkommenshöhe als der angebotenen Technik war, werden auch Multimedia keine grundlegende Verschiebung in den Haushaltsbudgets zuungunsten des Autos, der Wohnung und ihrer Einrichtung, der Ausgaben für Urlaub, Sport und ein gutes Essen bewirken. Haushaltsbudgets sollten nicht mit Zeitbudgets verwechselt werden und „reale" Ausgaben, die sich auf Preise in einem Stichjahr beziehen, nicht mit den tatsächlichen Ausgaben.

Sicher ist, daß, in konstanten Preisen gerechnet, die Ausgaben für Multimedia kräftiger zunehmen, als sich das wegen des fortschreitenden Preisverfalls im Portemonnaie dann niederschlägt. Insofern werden „reale" Wachstumsraten für Multimedia vielleicht unterschätzt. Kurz, die Consumermärkte für Multimedia werden deflationsbereinigt und „real" sehr schnell, aber tatsächlich eher langsam wachsen. Es besteht kaum ein Zweifel, daß im Multimediazeitalter nicht so grundsätzlich anders konsumiert werden wird als im Zeitalter vorher, auch wenn es ganz neue Formen der Unterhaltung, Kommunikation und Information geben wird, die einige Jahre früher noch unbezahlbar waren.

Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen wird sich dagegen gründlich verändern, und einige Beispiele wurden diskutiert.

Multimedialösungen werden in einer Vielzahl von Dienstleistungen auftauchen. Sie werden die industrielle Fertigung, die Reparatur und Wartung und den Vertrieb von Gütern nachhaltig beeinflussen. Ob das als Chance oder Gefahr begriffen wird, hängt davon ab, wie schnell wir lernen, mit kräftigen Produktivitätssteigerungen umzugehen, ohne eine Zwei-Drittel-Gesellschaft zu zementieren.

Die große Chance des Multimediazeitalters besteht darin, den Wohlstand zu erhöhen, ohne die Umwelt in Gefahr zu bringen. Die neuen Multimediatechnologien tragen dazu bei, daß die Vision vom nachhaltigen Wachstum weltweite Realität werden könnte.

Bei aller Freude über diese große Chance sollten wir die Augen vor einer Tatsache nicht verschließen, die prägend für unsere Zeit zu sein scheint: die wachsende Gewaltbereitschaft junger Menschen. In unseren Demokratien, die auf Toleranz aufgebaut werden müssen, wenn sie überleben sollen, kommt es

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mehr denn je darauf an, diese Gewaltbereitschaft an der Wurzel zu bekämpfen, im sozialen Umfeld, in der Erziehung und in der Chance auf Arbeit und Anerkennung. Mit Multimedia öffnet sich eine neue Erlebniswelt, die auch Gefahren mit sich bringt.

Wir beobachten: Bei vielen jungen Menschen beginnt der Computer, den Fernseher zu substituieren, weil er mehr zu bieten hat. Bald wird er ihn integrieren und ganz neue Möglichkeiten bieten. Die jungen Menschen werden virtuelle Realitäten kennenlernen, deren Faszination sie sich nicht entziehen können, zu denen sie keine Distanz gewinnen, weil sie selbst als Teil davon einbezogen werden.

Zu einem großen Risiko für die Stabilität unserer Gesellschaft, gefördert durch den immer raffinierter werdenden Computerspielemarkt und den weltweiten Free Flow of Information, könnte die Manipulation von jungen Menschen und eine noch gezieltere Einübung in Kriminalität werden, wie sie mit der Darstellung von Gewalt im Fernsehen und auf Videos begonnen hat, immer noch zunimmt und durch Multimedia eine immer größere Suggestivkraft gewinnt.

Möglicherweise ist die Lösung dieses Problems wichtiger als alles, was sonst zum Thema Multimedia diskutiert wird, dieser Technik ohne Grenzen. In einer Multimediawelt ohne staatliche Grenzen muß es gleichwohl ethische Grenzen geben, die mit der Erhaltung gewaltfreien Zusammenlebens zu tun haben und mit der Bekämpfung von Gefahren, die dieses Zusammenleben in Frage stellen könnten. Offene Märkte sind ein außerordentlich wirksames Instrument zur Wohlstandssteigerung. Aber es gibt Bereiche, wo auch die Marktwirtschaft klare Grenzziehungen braucht, weil sonst Grundfesten unserer mühsam erworbenen demokratischen Gesellschaft in Gefahr geraten, am besten durch Unternehmensethik, und wo das nicht funktioniert, durch einen starken Staat und eine zur Kooperation bereite internationale Staatengemeinschaft.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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