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TEILDOKUMENT:




3. TERMINALS UND APPLIKATIONEN

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3.1. PC-Fax und Bildtelefon

Wir beginnen mit einem ganz einfachen Problem, um anzudeuten, warum der Weg in die Multimedia-welt steinig ist. Es gibt keine preiswerten einfach zu handhabenden multifunktionalen Endgeräte. Dieser Satz bedarf der Begründung.

Die simpelste Form der Kommunikation nach dem Telefon ist der Brief. Dafür gibt es zum Beispiel Faxgeräte. Für viele Anwendungen ist die Informationsübermittlung in Facsimile-Form bequem und wenn externe Dokumente, möglicherweise mit Bildern oder handschriftlichen Notizen versehen, eingespeist werden sollen, notwendig.

Viele PC-Benutzer verfügen über eine Faxsoftware. Fax ist im Grunde eine Urform von Multimedia. Im Fax werden bei der Übertragung Texte wie Bilder behandelt und bei der Übermittlung nicht von ihnen unterschieden. Und diese Urform ist einfach und praktisch im PC einzubauen, müßte man meinen. Wie sieht das in der Realität aus? Wie viele PCs sind heute mit einem Scanner ausgestattet, um über die volle Faxfähigkeit zu verfügen? Wie oft steht neben dem PC noch ein separates Faxgerät, um auch externe Vorlagen übermitteln zu können. Das ist heute immer noch die Regel, obwohl man sich jedesmal ärgert, wenn wieder eine Rolle Spezialpapier gekauft werden muß, obwohl der Laserdrucker am PC mit Normalpapier auch Faxe in hoher Qualität drucken und damit gleichzeitig ohne zusätzliche Kosten als erstklassiger Hauskopierer genutzt werden könnte. Aber er kann externe Vorlagen nicht lesen, weil die Scannerfunktion fehlt. Warum ist das so? Nicht weil die Technik fehlte, sondern weil die Multifunktionalität von den Endgeräteherstellern in der Vergangenheit nicht hinreichend gepflegt wurde. Das beginnt sich zu ändern, wie die Systems 95 demonstriert hat.

Eine weitere ähnlich schlichte Betrachtung: Eine Seite Text (oder Bild) im analogen Telefonnetz als Facsimile übertragen dauert im heute üblichen Dienst, dem Fax der Gruppe 3, etwa eine Minute und ist damit immer noch billiger als ein herkömmlicher Brief. Im ISDN-Netz können im gleichen Zeitraum mit einem Faxgerät der Gruppe 4 bei wesentlich verbesserter Auflösung mindestens sechs Seiten Text oder Bild übertragen werden. Damit wird in diesem Netz der Faxdienst, wenn der Gebührentakt kurz genug ist, extrem billig. Und dabei sind die Möglichkeiten der Datenkompression noch gar nicht voll berücksichtigt. Die Übermittlungskosten über das Netz fallen im ISDN-Netz bei voller Datenkompression gar nicht mehr ins Gewicht. Entscheidend sind die Kosten der Endgeräte und im geschäftlichen Bereich die Personalkosten bei der Erstellung und Verarbeitung der Faxe.

Was will der Kunde? Ganz einfach. Er will kein separates Faxgerät. Statt dessen wünscht er sich einen PC, der im Standby-Modus zu jeder Tages- und Nachtzeit über die volle Faxfähigkeit verfügt, einfach zu bedienen ist, auf Normalpapier ausdruckt, als Kopierer genutzt werden kann [Fn.30: einscannen und ausdrucken] und durch ein breit eingeführtes ISDN-Netz und eine effiziente Datenkompression kostengünstig Text- und Bildinformationen zu möglichst vielen Partnern zu übermitteln gestattet. Er will ein multifunktionales Euro-ISDN-fähiges preiswertes Endgerät mit einer Benutzerschnittstelle, die keine Anleitung erfordert, sondern nach dem Motto „plug and work" funktioniert.

Der Netzbetreiber, der mit Fax im ISDN-Netz noch den gleichen Umsatz machen will wie beim analogen Telefonnetz, müßte allerdings das übertragene Volumen vervielfachen, es sei denn, er würde für Fax versuchen, seine Preise zu erhöhen. Letzteres, dem Wettbewerb sei Dank, wird ihm nicht gelingen, zumal der Personal Computer flexibel genug ist, um solchen Anschlägen zu entgehen, und ganz abgesehen davon, daß reine Textinformationen in codierter Form (z.B. über Internet) noch billiger übertragen werden können als in Facsimile-Form. Aber wie gesagt, die Übertragungskosten fallen immer weniger ins Gewicht. Halten wir fest: Electronic Mail in seinen verschiedensten Ausprägungen, ob multimedial als Fax oder codiert als Text, wird jedenfalls mit ISDN extrem billig, nur bei den multifunktionalen Endgeräten hapert es noch.

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ISDN und digitaler Mobilfunk in Verbindung mit leistungsfähigen multifunktionalen Endgeräten bringen einen Preisrutsch bei Electronic Mail und beim Bildtelefon. Von diesem Preisrutsch profitieren zunächst stationäre und bald auch mobile Multimediadienste. Es ist nicht abwegig, wenn der Gründer von Microsoft, Bill Gates, behauptet, daß wir vor einer Renaissance des „Briefverkehrs" in einer neuen Qualität stünden. Der Personal Computer wird zum Briefträger, zum Personal Communicator, der Bild und Ton des Absenders gleich mitbringt.

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3.2. Pen Computing

Ein zweites scheinbar ganz einfaches Problem: Das Telefon ist längst mobil geworden. Auch bei Multimedia nimmt der Wunsch nach Mobilität zu. Die großen weit verbreiteten digitalen Mobilfunknetze sind für den Sprachverkehr ausgelegt, obwohl sie sich im Prinzip genau so für den Datenverkehr eignen, beispielsweise den Datenverkehr, der von Pen Computern ausgeht.

Pen Computer sind mobile Computer, die im Gegensatz zu den tragbaren Note Books in der Regel die Informationen über einen einfachen Stift einzugeben gestatten, mit dem notiert, gezeichnet, markiert und in den verfügbaren Programmen navigiert werden kann, ohne an die Fesseln einer Unterlage angebunden zu sein.

Der Pen Computer bietet das elektronische Formular, das computerunterstützt ausgefüllt werden kann. Er könnte in Verbindung mit CD-ROM als elektronisches Buch genutzt werden und enthält dann gleich eine ganze digital gespeicherte Bibliothek, wenn man es darauf anlegt. Er kann in absehbarer Zeit Sprache verstehen und in Texte umsetzen. Er kann, wenn man das bezahlen will, Töne genau so gut wie Videosequenzen empfangen und abspielen.

Mit einer Mobilfunkschnittstelle, Mikrofon, Lautsprecher und Scanner ausgestattet, könnte er als Personal Communicator zum Telefonieren, zum Fernzeichnen wie zum Faxen benutzt werden. Die Mobilität ist seine Stärke. Interessant wäre eine Lösung, die den Pen Computer (als multifunktionales Terminal) gar zu einem mobilen Bildtelefon macht.

Drei Probleme müssen noch überwunden werden, damit mobile Multimediaanwender zu ihrem Recht kommen:

Erstens ist für eine breite Anwendung der Preis entscheidend, ohne daß bei der Qualität zu viele Kompromisse gemacht werden müssen. Nach dem mißglückten Versuch einer großen amerikanischen PC-Firma [Fn.31: Newton von Apple] zeigt sich, daß der Preis für gute Qualität noch zu hoch ist und zwar deshalb (ähnlich wie bei seiner Schwester, dem Note Book), weil das Display bei hohen Qualitätsanforderungen den Preis bestimmt. Deshalb ist die Vielseitigkeit dieses multifunktionalen Endgeräts dadurch beschränkt, daß die Displaytechnik den Durchbruch noch nicht geschafft hat. Nicht die Schrifterkennung, sondern die Displayqualität ist das eigentliche Problem.

Zweitens kommt mobilen Endgeräten wie dem Pen Computer nach wenigen Stunden Mobilität die Energie abhanden. Leistungsfähige Batterien sind, wie schon mehrfach angesprochen, ein ganz entscheidender Engpaß.

Drittens sind die flächendeckend verfügbaren Funknetze auf Sprachkommunikation angelegt und bieten keine ISDN-Übertragungsraten. Für ein brauchbares mobiles Bildtelefon sollte aber die Übertragungsgeschwindigkeit von 64 Kilobit/sec schon erreicht werden.

Mobile Multimediaterminals, z.B. Pen Computer, sind auf erstklassige Displays, leistungsfähige Batterien und Mobilfunknetze angewiesen, die als Kleinzellennetze möglichst ISDN-Qualität bieten sollten. Mobile Multimediaanwendungen sind im geschäftlichen Bereich im Kommen, aber die Geräte sind wegen des Engpasses bei Flachdisplays und Batterien im Verhältnis zur Leistung für Massenanwendungen noch zu teuer. Auch hier gilt, daß für die Netzbetreiber der Vertrieb von innovativen Endgeräten in hohen Stückzahlen eine wichtige Vertriebskomponente darstellt, um neue leistungsfähigere Mobilfunknetze schnell in die Rentabilität zu führen.

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3.3. Telekooperation

Mit den beiden vorangegangenen Beispielen sind zwei wichtige Aspekte der Telekooperation bereits angedeutet, nämlich die Übertragung von Texten/Bildern und die Unterstützung von Mobilität. Auf der Übertragung von Texten und Bildern, häufig in Kombination mit Fernsprechmöglichkei-

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ten, bauen heute viele Anwendungen der Telekooperation auf. Sie sind oft nichts anderes als Electronic-Mail-Anwendungen mit Sprechunterstützung und einer gemeinsamen Tafel im PC, auf der Bildinformationen ausgetauscht und modifiziert werden können. Sie bieten damit schon sehr viele Möglichkeiten, die in Deutschland zwar noch keine breite Anwendung gefunden haben, aber für viele Internet-Benutzer längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

Ein weiterer Aspekt der Telekooperation, nennen wir ihn Japan-Effekt, ist die vertraute Tatsache, daß hohe Stückzahlen, die im Consumermarkt erreicht werden, auch geschäftliche Anwendungen beeinflussen. Denn der Preis entscheidet über die Anwendungsvielfalt. Für Europa wird es in den nächsten Jahren ganz entscheidend darauf ankommen, diesen Japan-Effekt zu nutzen. Gerade bei der Telekooperation (und der zunehmenden Verbreitung von Telearbeit) sind Funktionalität und Kosten der Endgeräte der Schlüssel zum Erfolg, und wer sich zunächst auf die Hochpreissegmente konzentriert, wird früher oder später seine Marktanteile verlieren, wenn er nicht rechtzeitig auch die Consumermärkte zu bedienen lernt.

Wir wollen in diesem Abschnitt allerdings eine Form der Telekooperation diskutieren, die heute noch absoluten Seltenheitswert besitzt und wo auch Internet mit seinen paketvermittelten Netzen völlig ins Schwimmen gerät: jene, in der hochauflösende Bildsequenzen in Verbindung mit Sprachkommunikation eine konstitutive Rolle spielen und die gleichwohl bezahlbar bleiben soll, getreu dem Motto, technisch ist vieles machbar, aber der Umschlag in eine neue Qualität findet nur statt, wenn diese bezahlbar ist. Wie ist es um die Möglichkeiten einer wirklichen Videopräsenz der Telekooperationspartner bestellt, in der diese gar nicht mehr bemerken, daß sie sich nicht im gleichen Raum befinden? Und wie groß ist der Bedarf dafür?

Für eine echte Videopräsenz der Kommunikationspartner, wie man sie tagtäglich in Fernsehstudios besichtigen kann, fehlt das kostengünstige Übertragungsmedium (und ein hochauflösendes preiswertes Display). Breitband-ISDN mit Glasfaseranschluß (Fiber to the Home or to the Office) ist teuer. Ein solcher Dienst wird von der Deutschen Telekom zwar angeboten, aber wer kann schon eine monatliche Grundgebühr von 65.000,- DM und zusätzlich eine Nutzungsgebühr von 8.500,- DM/Stunde für einen Breitbandanschluß zu diesem Zweck aufbringen.

Zwar ist auch hier als Folge der Liberalisierung mit einem Preisverfall zu rechnen. Vor allem die Datenkompression wird dazu einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn die dafür benötigten Codecs in großer Stückzahl produziert werden können. Vielleicht werden Glasfasernetze am Ende auch mit einer Funkverbindung bis zum Teilnehmer geführt werden, um dem ehernen Gesetz, „wer gräbt, der stirbt" ein Stück weit zu entkommen. Hier sind wir vor Überraschungen gar nicht sicher, wenn der Wettbewerb zu greifen beginnt. Denn die Glasfasern selbst sind ausgesprochen billig, nur das Verlegen teuer. Das Office of Technology Assessment (OTA) beim amerikanischen Kongreß hat vor kurzem einen Projektbericht veröffentlicht, der dieses Thema diskutiert. [Fn.32: Wireless Technologies and the National Information Infrastructure] Gleichwohl dürfte in dem vor uns liegenden Jahrzehnt eine Kostengrenze für breitbandige Informationsübertragung erhalten bleiben, die für Massenanwendungen kaum unterschritten werden kann.

Eine Billiglösung muß auf dem normalen ISDN-Netz aufsetzen, aber für eine echte Videopräsenz reicht dessen Qualität nicht aus. Zwar zeichnet sich ab, daß der normale PC-Benutzer ein kleines Bewegtbildfenster (Videoguckkasten) auf seinem Bildschirm erkennen, dazu passend eine Sprechverbindung herstellen und auf diese Weise zumindest eine Art von Videotelefon realisieren kann. Diese Möglichkeit wird in naher Zukunft zur Standardausrüstung von Personal Computern gehören. Aber eine echte Videopräsenz ist das nicht, eher ein Guckfensterchen mit der Qualität des Films, als die Bilder laufen lernten.

Möglicherweise wird für neue Formen der Telekooperation aber gar nicht eine Bewegtbildübertragung in begrenzter Qualität, ein ISDN-Videotelefon, im Vordergrund stehen, obwohl dieser Markt nicht unterschätzt werden sollte. Häufig mag es wichtiger sein, bei Bedarf hochauflösende Bilder von einem Objekt (oder einer Person) benutzerfreundlich und kostengünstig in den Ablauf der Telekooperation einblenden zu können. Für die mittelständische Firma Grenzebach Maschinenbau reicht sogar die einfache Telefonleitung aus, um per Modem in die

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Computersteuerungen ihrer Kunden hineinsehen und Fehler rasch beheben zu können. [Fn.33: Grenzebach baut Anlagen zur Glasbearbeitung, FAZ 24.8.95, S.20]

Das Stichwort benutzerfreundlich kennzeichnet dabei das eigentliche Problem. Telekooperation mit Daten, Text, Bild und Ton erfordert ein computergestütztes Bedienungs- und Konferenzmanagement, das Flexibilität in der Handhabung mit Einfachheit in der Bedienung verknüpft. Die Lösung dieses Problems für Massenanwendungen steht noch vor der Tür. Wenn diese Tür geöffnet würde, gäbe sie dem mit einem ISDN-Anschluß versehenen PC-Benutzer (dessen PC dann eine bewegliche Videokamera, Mikrofon und Lautsprecher besitzt) ein weiteres mächtiges Instrument zur Telekooperation an die Hand.

Telekooperation ist technisch kein Problem mehr, soweit dafür nur Texte, Daten, Sprache, hochauflösende Standbilder und Video in begrenzter Qualität übertragen werden müssen. Trotzdem setzt sie sich in Deutschland nur zögerlich durch, weil neue Formen der Telekooperation einen Lernprozeß voraussetzen und organisatorische, rechtliche und psychologische Hemmnisse abgebaut werden müssen. Diesen Lernprozeß gilt es zu fördern.

Echte Videopräsenz in guter Qualität als Breitenanwendung liegt trotz der Fortschritte in der Datenkompression wegen der notwendigen hohen Investitionen in neue Glasfasernetze jenseits der Jahrzehntsgrenze.

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3.4. Smart Building

Ein weiterer Markt, der die Vielfalt dessen demonstriert, was unter Multimedia verstanden werden kann und zugleich auf Massenanwendungen zielt, wird unter der Überschrift Smart Home oder Smart Building diskutiert. Worum geht es dabei: Werden Beleuchtung, Heizung und Klima, Lüftung, Alarmtechnik, Videoüberwachung und andere Subsysteme im Haushalt (Wasch- und Spülmaschinen etc.) informatorisch miteinander vernetzt und zentral überwacht, geregelt oder gesteuert, spricht man von „Intelligenten Haussystemen" (englisch Smart Home), und es gibt eine Reihe von konkurrierenden Standards und ganz unterschiedliche Techniken, um die Vernetzung zwischen den einzelnen Subsystemen, Meßfühlern und Stellgliedern auf bestehenden Netzen zu realisieren. Damit sind wir noch nicht wirklich im Multimediamarkt, sondern befinden uns mitten im Haustechnikmarkt, im Installationsmarkt der Zukunft, teilweise der Gegenwart.

Man könnte nun einen Schritt weitergehen und sich fragen, ob es Sinn macht, alle Informationsfunktionen in größeren Gebäuden in einem einzigen integrierten Netz abzuwickeln (Smart Building), ohne hier schon streng zwischen Wohn- und Bürogebäuden zu unterscheiden, eine Unterscheidung, die im Zeitalter der aufkommenden Telearbeit ohnehin fragwürdiger wird, und müßte dann neben den oben genannten, eher schmalbandigen Steuerungsfunktionen eine Fülle von weiteren Kommunikationsaufgaben integrieren. Dazu gehören zum Beispiel Zugangsfunktionen und Zeiterfassungssysteme mit Smart Cards, Videoüberwachung, Datenkommunikation und PC-Vernetzung, Kabelfernsehen und Hausantennenanlagen und natürlich das wichtigste Medium, das gute alte Telefon.

Videoüberwachung erfordert verhältnismäßig viel Übertragungskapazität von Punkt zu Punkt, aber keine Vermittlungstechnik. Unterstützt durch Datenkompression sind Übertragungskapazitäten von
2 Megabit/sec mehr als ausreichend. Häufig dürfte für diesen Zweck sogar schon ein ISDN-Kanal hinreichende Qualität bieten, wenn die Bewegungsabläufe weniger wichtig sind, als ein gutes Bild.

Die Datenkommunikation stützt sich, zumindest in geschäftlich genutzten Gebäuden, in der Regel auf separate paketvermittelte Netze (Local Area Networks), obwohl in vielen Fällen Textverarbeitung und verhältnismäßig langsame Datenverarbeitungsprobleme im Vordergrund stehen und ISDN, wie der Name schon andeuten soll, für diese Zwecke sehr viel Leistung bietet. Die CCITT definiert ISDN geradezu als „network, that provides end-to-end digital Connectivity to support a wide range of Services, including voice and non-voice Services, to which users have access by a limited set of Standard multi-purpose user-network interfaces."

Fernsehen läuft über die Hausantennenanlage, die ein reines Verteilnetz darstellt, das Informationen nur in einer Richtung zu übertragen gestattet und eigentlich auf Glasfaser umgestellt gehörte, wenn das Neuverlegen von Leitungen nicht so teuer wäre.

Wenn alle diese disparaten Dienste innerhalb des Gebäudes in einem Netz abgewickelt würden, hät-

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ten wir den klassischen Fall multimedialer Kommunikation. Kritiker können allerdings zu Recht fragen, ob die Integration so unterschiedlicher Funktionen nicht auf die berühmte eierlegende Wollmilchsau hinausläuft.

Beispielhafte Lösungen, um derart divergierende Anforderungen in einem Netz zusammenzufassen, finden sich derzeit allenfalls in militärischen Anwendungen, wo es auf Kosten nicht so sehr ankommt, weil andere Kriterien im Vordergrund stehen.

Trotzdem wäre vorstellbar, so unterschiedliche Funktionen in einem Netz abzuwickeln, das dann allerdings so flexibel wie ATM und so billig wie ISDN auf Kupferbasis sein müßte. Eine Lösung böte die dezentrale Vermittlungstechnik, bei der ein Glasfaserring durch das Gebäude geführt wird und dezentrale kleine (und billige) Knotenrechner Signale aufnehmen und abgeben und über diesen Ring miteinander kommunizieren. Tatsächlich weisen militärische Anwendungsbeispiele, von einer deutschen mittelständischen Firma [Fn.34: DST Deutsche System-Technik, Bremen] realisiert, darauf hin, daß solche Netze bei hinreichenden Stückzahlen sogar ausgesprochen kostengünstig und ausfallsicher konzipiert werden könnten. Wir stoßen hier aber, und deshalb wurde das Beispiel gewählt, auf ein extremes Standardisierungsproblem. Man multipliziert sozusagen bisher nur teilweise gelöste Standardisierungsprobleme miteinander und kombiniert Kompetenzen, die in aller Regel organisatorisch nicht verzahnt sind.

Am Beispiel Smart Building läßt sich zeigen, daß häufig erst durch ein vernetztes Denken und daraus abgeleitete Normen und Standards Multimediaanwendungen möglich werden, die in der Theorie technisch kein Problem sind und bei Neubauten auch wirtschaftlich darstellbar sein müßten. In der Praxis scheitern sie, weil ein integrativer Ansatz, der Organisations- und Zuständigkeitsgrenzen überschreitet, sich noch nicht durchgesetzt hat.

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3.5. Online-Dienste

Fast fünfzehn Jahre ist es her, da fiel ein möglicher europäischer Standard, auf dem Online-Dienste hätten aufsetzen können, in sich zusammen. Während die Deutsche Bundespost, zu der in diesen fernen Zeiten auch die Telekom zählte, einen relativ aufwendigen Standard für einen neuen Dienst, genannt Bildschirmtext, kreierte und in Europa durchsetzte, entschloß sich der Nachbar (die französische Telekom), eine vereinfachte Version von Bildschirmtext im französischen Markt einzuführen, um auf diese Weise nicht nur die defizitären Telefonauskunftsdienste zu sanieren (das elektronische Telefonbuch), sondern zugleich einen neuen Online-Dienst aufzubauen, der dem Benutzer eine große Vielfalt von Möglichkeiten des Informationszugriffs zu einem für damalige Verhältnisse extrem niedrigen Preis anbieten sollte. Die französische Schwester von Bildschirmtext hieß Minitel und gehörte als Folge einer typisch französischen Industriepolitik bald zur Standardausrüstung französischer Haushalte. Statt des Telefonbuchs bekam man Minitel und hatte damit ein Instrument, das als Vorläufer der aktuellen Online-Dienste eine beachtliche Leistung anbot, während der 1983 schließlich eingeführte deutsche Bildschirmtext viele Jahre vor sich hin kümmerte. Die Geräte waren zu teuer, die Handhabung nicht sehr benutzerfreundlich und das Angebot nicht attraktiv genug.

Die Zeiten haben sich geändert. Bildschirmtext hat den eher ingenieurmäßig geprägten Namen Datex J bekommen und inzwischen fast 800.000 Teilnehmer. Jeden Monat kommen 20.000 bis 30.000 Teilnehmer hinzu. Hintergrund ist die Ausstattung deutscher Haushalte mit Personal Computern, die ohne weiteres bildschirmtextfähig gemacht werden können, wenn sie über ein Modem verfügen, ein Zusatzgerät zum PC, das inzwischen nicht mehr als 200,- DM kostet. Auf dieser Plattform setzen inzwischen eine Fülle von Diensten auf, bis hin zu einem ersten Zugang zu Internet.

Ein Motiv für viele Datex J-Kunden dürfte ein steigendes Interesse an Home Banking sein. Das Informationsangebot von Datex J ist zwar gewiß nicht schlecht, aber die Benutzerschnittstelle mutete jedenfalls bis vor kurzem an wie ein Oldtimer im Automobilsalon der neuen Modelle. Das ändert sich mit KIT. [Fn.35: Kernsoftware für Intelligente Terminals] Die Deutsche Telekom modernisiert ihr Erscheinungsbild.

Online-Dienste sind im Kommen. Ein amerikanischer Anbieter [Fn.36: Compuserve] begann schon 1991 in Deutschland

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Fuß zu fassen und ist dabei, seinen Markt auszuweiten, obwohl er derzeit noch weit von den mit Datex J erreichten Teilnehmerzahlen entfernt ist. Als neuen Wettbewerber gibt es bald eine deutsch-britisch-französische Verlagsgruppe, die noch 1995 mit einem breiten Angebot aus Nachrichten, Veranstaltungshinweisen, Fahrplänen, Datenbanken und einem Internet-Zugang auf den Markt kommen will. Online-Dienste sind zwar im Kommen, aber sie könnten kurioserweise bald einen mächtigen Konkurrenten bekommen, nämlich Offline-Dienste auf der Grundlage von CD-ROM. Denn CD-ROMs sind, siehe ganz oben, unglaublich preiswert und flexibel.

Worin besteht der wesentliche Unterschied für den potentiellen Kunden, ob er sich ans Netz hängt oder eine CD-ROM in seinen PC einschiebt? Nun, wenn es sich erstens um Informationsangebote handelt, die in einem Jahr nur geringen Veränderungen unterworfen sind, auf die zweitens häufig und in längeren Zeitintervallen zugegriffen wird, und die drittens vom Markt in großen Stückzahlen angeboten werden, dürfte es interessant und kostengünstig sein, sich vom Netz abzukoppeln und statt dessen eine CD-ROM zu kaufen. Alle drei Bedingungen sind allerdings nicht leicht zu erfüllen. Und deshalb ist auch bei Online-Diensten mit hohen Wachstumsraten zu rechnen. Nur sollten die besonderen Stärken von Offline-Diensten darüber nicht vergessen werden, zumal inzwischen bereits ein Drittel aller PCs über CD-ROM verfügen.

Was bieten Online-Dienste unter dem Gesichtspunkt Multimedia? Zur Zeit so gut wie nichts, wenn man ganz ehrlich ist. Vieles ist heiße Luft oder noch zu teuer. Aber der Kreativität alter und neuer Wettbewerber sind hier keine Grenzen gesetzt. Die Grenzen liegen eher beim Kunden, der mit einem multimedial erweiterten Online-Dienst auch etwas anfangen können muß und bereit sein muß, die unter Umständen nicht unbeträchtlichen Übermittlungskosten zu übernehmen, sobald es um Videoanwendungen geht.

Eine Regel wird zu beherzigen sein: Computerbenutzer sind ungeduldig und warten ungern länger als ein paar Sekunden, bis eine gewünschte Information auf dem Bildschirm präsentiert wird. Das bedeutet, nicht nur die Server im Online-Dienst müssen ganz außergewöhnlich leistungsfähig sein, um sehr viele Nachfrager gleichzeitig bedienen zu können, sondern auch das Netz entscheidet über die Qualität des Angebots, ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung einer schnellen Einführung von ISDN als Regelanschluß.

Hinzu kommt, daß Informationsanbieter auch und gerade im Multimediazeitalter sich der altbekannten Regel aus der Frühzeit der elektronischen Datenverarbeitung „garbage in, garbage out" unterworfen sehen. Wir wollen die am Anfang zitierte Definition von Multimedia aus einem deutschen Lexikon nicht als garbage bezeichnen, aber sie macht doch deutlich, worum es geht: um die Inhalte. Die Sicherstellung der Qualität der Information, die Möglichkeit des systematischen Zugriffs mit hoher Trefferquote, so daß die relevanten Informationen nicht mit zuviel Ballast zugeschüttet werden, ist, wie jeder weiß, der sich mit Information Retrieval Systemen schon in der Vergangenheit beschäftigt hat, gewiß auch in Zukunft ein Problem.

„Das grafische Können und die journalistische Kompetenz", wie es ein neuer Anbieter selbstbewußt formuliert hat [Fn.37: Hubert Burda vom neuen Dienst Europe Online S.A.] , sind sicherlich nützlich, aber vermutlich allein noch nicht hinreichend, um im Wettbewerb von Online-Diensten ganz vorn mit dabei zu sein.

Wer einen so vielfältigen Markt abdecken will, der von der Fahrplanauskunft, der Bereitstellung von Wissenschaftsdatenbanken, Lexika, aktuellen Informationen in Politik, Wirtschaft, Sport bis zur Woh-nungs- und Arbeitsvermittlung reicht und noch viele andere Facetten entwickeln wird, der muß seine Inhalte von einer entsprechenden Vielfalt von Anbietern beziehen, sie von diesen ständig aktualisieren lassen und eine benutzerfreundliche Plattform entwickeln, an der er verdient.

Das World Wide Web im Internet ist dafür ein interessanter Vorläufer. Dort kann sich jeder als Informationsanbieter nach gusto profilieren, und je mehr es tun, um so attraktiver ist die Teilnahme, umso interessanter wird es, bei Internet mitzumachen. Die Anarchie triumphiert. Dabei ist es gar nicht so einfach, wenn für angebotene Informationen auch bezahlt werden soll, eine Zahlungsfunktion damit verbunden werden soll. Im Augenblick herrscht auf dem Internet noch ein Stück Informationskommunismus.

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Bei Datex J funktionierte es bisher anders herum. Die Anbieter von Informationsdienstleistungen und die Benutzer waren säuberlich voneinander geschieden, eine künstliche Trennung, die überwunden werden sollte.

Mit Multimedia werden eingefahrene Strukturen aufgelöst und neue wachsen nahezu organisch heran, wie das WorId-Wide-Web im Internet gezeigt hat. Bildschirmtext und andere Online-Dienste stehen damit vor der Herausforderung, ihren Kunden eine benutzungsfreundliche Plattform zu bieten, auf der diese sich erstens im Diensteangebot zurechtfinden (navigieren), zweitens diese selbst zu Anbietern werden können, drittens Leistungen im Netz einfach und sicher abgerechnet werden.

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3.6. Home Banking und Teleshopping

Home Banking und Teleshopping sind Dienste, die (wie viele Multimediadienste) dadurch charakterisiert sind, daß geschäftliche und private Nutzungsformen integriert werden. Wo liegt heute das Problem?

Zunächst einmal und vor allem gilt: Elektronisches Geld muß die gleiche Sicherheit vor unberechtigtem Zugriff bieten, wie sie im Zahlungsverkehr generell üblich ist und vom Kunden verlangt wird.

Das ist leichter gesagt als getan und bisher häufig nicht der Fall. Bereits die Tatsache, daß der Benutzer von Internet oder von Online-Diensten heute in der Regel gebeten wird, die Nummer seiner Kreditkarte an ein anonymes und internationales System abzugeben, erfüllt viele, die um den Mißbrauch solcher Nummern wissen und die steigenden Fähigkeiten elektronischer Diebesbanden richtig einschätzen, mit großem Unbehagen. Wer per Internet einkaufen will, kann relativ leicht beklaut werden, solange die Kreditkartennummer dafür benutzt wird und keine umfangreichen und national einklagbaren Sicherheitsvorkehrungen gelten.

Deshalb haben die deutschen Banken, die neuerdings Home Banking als Dienstleistung anbieten, ein aufwendiges System kreiert, bei dem neben der Sicherung durch eine PIN-Nummer [Fn.38: Personal Identification Number] zur persönlichen Identifikation noch pro Buchungsvorgang eine TAN-Nummer [Fn.39: Transaktionsnummer] benutzt werden muß. Sobald der Benutzer alle TAN-Nummern verbraucht hat, muß er sich, ähnlich wie beim Euroscheck, neue Nummern bei der Bank besorgen, und zwar zu Fuß, das heißt, mit der guten alten Post, und nicht auf elektronischem Weg.

Ein Hindernis auf dem Weg in die Multimediawelt ist die Sicherheit von Transaktionen im Netz. Erst wenn der elektronische Geldverkehr ähnlich sicher und einfach sein wird wie der normale Zahlungsverkehr, werden die Blütenträume von multimedialem Teleshopping als Online-Dienst heranreifen.

Schecks werden unterschrieben und damit einigermaßen fälschungssicher gemacht. Für den Online-Zahlungsverkehr wird nach Meinung vieler Fachleute eine ähnlich fälschungssichere elektronische Unterschrift benötigt, die nicht nur denjenigen zu identifizieren gestattet, der unterschrieben hat, sondern zugleich das unterschriebene Dokument vor der Eingabe in das öffentliche Netz authentifiziert, so daß eine nachträgliche Änderung nicht mehr möglich ist. Dabei handelt es sich natürlich nicht um die elektronische Nachbildung einer Unterschrift, der Begriff wird hier vielmehr im übertragenen Sinn benutzt.

Zur Darstellung einer elektronischen Unterschrift ist auch bereits ein Verfahren entwickelt worden, das für jeden Benutzer einen privaten und einen öffentlichen Schlüssel vorsieht und deshalb als Public-Key-Verfahren bekannt geworden ist. Nur der Unterschrifteninhaber ist im Besitz des geheimen Schlüssels in Form einer Chipkarte (seine Unterschrift), während sein öffentlicher Schlüssel allen seinen Geschäftspartnern zur Verfügung steht, ähnlich einer Unterschriftsprobe, die von den Banken aufbewahrt wird. Dokumente, die mit dem einen Schlüssel chiffriert wurden, sind nur mit dem anderen Schlüssel wieder zu öffnen. Als besonders sicher, weil schwer zu knacken, gilt die Chiffriermethode des sogenannten RSA-Verfahrens. [Fn.40: nach ihren Erfindern Rivest, Shamir und Adleman benannt] Damit das System funktioniert, braucht man allerdings eine (absolut vertrauenswürdige) Zertifizierungsinstanz, welche die Schlüssel vergibt und aufbewahrt.

Das Problem der elektronischen Unterschrift liegt deshalb zum einen in ihrer möglichst weltweiten

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Standardisierung und Akzeptanz, vor allem aber darin, daß bisher niemand sagen kann, wer eigentlich als vertrauenswürdige Zertifizierungsinstanz die Sicherheit gewährleisten soll. Oder wieviele solcher Instanzen es geben soll, die dann in vertrauenswürdiger Weise miteinander kommunizieren, damit die elektronische Unterschrift universell einsetzbar wird. In Deutschland sehen die Notare hier einen neuen lukrativen Service auf sich zukommen. In Amerika ist Microsoft dabei, sich einen weiteren Markt zu sichern.

Die Sicherheit von elektronischem Geld könnte mit einem Public Key System gewährleistet werden, aber noch ist unklar, wie die elektronische Unterschrift verwaltet werden soll. Wenn es gelänge, die europäischen Netzbetreiber und das europäische Bankensystem dazu zu bringen, ein gemeinsames Zertifizierungsnetzwerk zu entwickeln und aufzubauen, könnte Europa zum Schrittmacher bei Home Banking und Teleshopping werden.

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3.7. Verkehrsleittechnik

Wir bleiben auch hier bei potentiellen Massendiensten. Dieses Beispiel wurde nicht zuletzt ausgewählt, um darauf hinzuweisen, wie im Multimediazeitalter das Interesse am Schutz der Privatsphäre (Datenschutz) mit dem Interesse an einem leistungsfähigen multifunktionalen Verkehrsleitsystem kollidieren könnte.

Wo liegt das Problem? Im Straßenverkehr darin, daß der Bundesverkehrswegeplan von 1992, der bis ins Jahr 2012 reicht, den fortschreitenden Zusammenbruch des fließenden Verkehrs nicht aufhalten wird. Das ist den Fachleuten und den Landesverkehrsministern bekannt, aber was sollen sie tun? Neue Verkehrswege sind teuer und treffen, gleich ob Schiene oder Straße, auf den engagierten Widerstand der Betroffenen. Der integrierte Dauerstau in Zeiten hohen Verkehrsaufkommens wird immer häufiger, und deshalb mag die Schiene vor einer Renaissance stehen, wenn ihre Kapazität denn ausreichen würde (und die Schienenanwohner ein Güterverkehrsaufkommen akzeptieren, bei dem alle 2 Minuten ein Güterzug vorbeirasselt). Das ist nicht der Fall. Deshalb suchen Verkehrsfachleute fieberhaft nach einer Lösung, die es zumindest gestattet, die Kapazitäten von Straße und Schiene optimal zu nutzen und dadurch den drohenden Verkehrsinfarkt zu vermeiden. Diese Studie ist nicht der Ort, um Verkehrsvermeidungsstrategien detailliert zu diskutieren, so wichtig diese sind.

Hier soll nur folgender Aspekt erörtert werden: Wie können Multimediadienstleistungen zur besseren Steuerung des Verkehrsaufkommens und zur optimalen Nutzung der Verkehrsinfrastruktur beitragen?

Zur Zeit wird in einem großangelegten Feldversuch eine besonders komplizierte Multimediadienstlei-stung erprobt. Es geht um die Einführung der elektronischen Maut auf deutschen Autobahnen. Ziel ist die direkte Abbuchung der Mautgebühren von einer im Auto mitgeführten Debitkarte auf dem Funkweg, und das Problem besteht darin, diejenigen zu erwischen, die auf die eine oder andere Weise nicht bezahlen. Eine Lösung wird darin gesehen, mit Fernsehkameras das Autokennzeichen des Übeltäters automatisch zu erkennen und dadurch seiner habhaft zu werden.

Im Grunde gäbe es eine viel einfachere Lösung, die darauf hinausläuft, neben den beiden Autokennzeichen aus Blech jeden Autohalter auch zu einem elektronischen Nummernschild zu verpflichten, das möglicherweise für im Inland zugelassene Fahrzeuge bereits vom Hersteller fälschungssicher angebracht wird und auf dem Funkweg auf kurze Distanz abgelesen werden kann. [Fn.41: mittels Transpondertechnik] Ausländische Fahrzeuge würden ein portables elektronisches Nummernschild erhalten und mit sich führen müssen. Da jedes vorbeifahrende Polizeifahrzeug ähnlich wie beim Blechnummernschild feststellen kann, ob das Fahrzeug über ein elektronisches Nummernschild verfügt, ist die Überprüfung denkbar einfach. Mit Hilfe des elektronischen Nummernschilds könnten dann, ebenfalls auf denkbar einfache Weise, diejenigen zur Ordnung gerufen werden, die ihre Gebühr nicht bezahlt haben, weil sie entweder gar keine Debitkarte besitzen oder diese sich bereits geleert hat.

Diese Lösung wurde hier etwas genauer beschrieben, weil sie einen großen Nachteil hat, der ins Grundsätzliche weist: Das Kontrollpotential des Staates über die Autofahrer würde drastisch erhöht, weil Straßenkontrollen weitgehend automatisierbar werden.

Dem stehen drei Vorteile gegenüber: Zum einen wird Autodiebstahl schwieriger, denn der Dieb kann sich

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nicht ohne weiteres hinter einem gefälschten Nummernschild verstecken, und die automatisierte Kontrolle läßt ihn, z.B. an Grenzen, sehr viel schneller ins Netz der Polizei gehen. Zum zweiten werden die Kosten der Infrastruktur, um elektronische Maut zu erheben, deutlich gesenkt, denn das Lesen von Nummernschildern mit Videokameras bei jedem Wetter und jeder Geschwindigkeit an sehr vielen Kontrollpunkten verursacht erhebliche Kosten, ist aber notwendig, um die Zahlungsbereitschaft entscheidend zu fördern. Drittens, und dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, die politische Durchsetzung von elektronischer Maut dürfte nur dann wirklich gelingen, wenn zugleich dem Autofahrer ein verbesserter Verkehrsfluß geboten wird. Mit einem elektronischen Nummernschild kann zugleich der Autotyp identifiziert werden. Auf diese Weise, das zeigen bereits installierte Verkehrsleitsysteme, können vorausschauende Simulationen des zu erwartenden Verkehrsflusses wesentlich verbessert werden. Damit gewinnen Stauvorhersagen an Zuverlässigkeit. Die Straßeninfrastruktur wird besser genutzt. Die politische Debatte wird zeigen, ob diese Vorteile ausreichen, um den potentiellen Nachteil für den Schutz der Privatsphäre auszugleichen.

In einem effizienten System der Verkehrssteuerung müssen die Autofahrer über präzise Streckeninformationen und ihre voraussichtliche Belastung verfügen. Durch die Einführung des digitalen Rundfunks (Digital Audio Broadcast) in Verbindung mit Verkehrsleittechniksystemen würde nicht nur das Autoradio einen Qualitätssprung machen (CD-Qualität ohne Störung des Empfangs), sondern zugleich würde auch eine ständige Information der Autofahrer über zu erwartende Streckenbelastungen möglich. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, über digitalisierte Straßenpläne und Fahrzeugleittechniken dem Autofahrer auf Wunsch eine individuelle optimale Verkehrsführung zu bieten, bei der mögliche Stausituationen vom Bordcomputer bei der Streckenauswahl gleich mit berücksichtigt werden.

Intelligente Systeme der Verkehrssimulation, der Verkehrsinformation und der darauf aufsetzenden Verkehrssteuerung, die zugleich die Erhebung elektronischer Mautgebühren unterstützen, gehören zu den innovativen Multimediadienstleistungen der nächsten Jahre, denn sie tragen zur Verkehrsvermeidung bei und setzen neue Maßstäbe in der Streckenproduktivität von Schiene und Straße, eine immer noch weithin unterschätzte Aufgabe, deren Lösung Einsparpotentiale in Milliardenhöhe erschließt.

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3.8. Reale Scheinwelten

Es ist nicht einfach, den Begriff „Virtual Reality", der auf Englisch so leicht von den Lippen geht, in die deutsche Sprache zu übertragen, weil wir virtuelle Wirklichkeiten vielleicht noch hinnehmen, aber sich die Assoziation zu den wirklichen Wirklichkeiten unmittelbar einzustellen beginnt.

Ein Foto oder einen Film mag man als virtuelle Realität bezeichnen, aber erst mit der Interaktivität beginnt tatsächlich der Eintritt in eine neue Welt, eben der Welt der „Virtual Reality", einer sich ganz real gebenden Scheinwelt, in der wir uns bewegen und die wir mit unserer Präsenz beeinflussen können. Wenn Multimedia eine neue Welt erschaffen, dann mit dieser Technologie, eine Welt, in die wir eindringen, als wäre es keine künstlich geschaffene, sondern eine echte Welt.

An dieser Stelle soll eine Multimediaanwendung aus dem Bereich Virtual Reality dargestellt werden, die zur Zeit im Begriff ist sich durchzusetzen. Sie ist interessant, weil ihre Nützlichkeit jedermann unmittelbar einleuchtet, die Technik dafür in einem atemberaubenden Veränderungsprozeß begriffen ist und der Spielemarkt als Motor dieses technischen Fortschritts gelten kann. Gemeint ist der Fahrschulsimulator des Jahres 2000, also noch innerhalb unseres Zeithorizonts.

Wo liegt das Problem? Jedes Jahr werden allein in Deutschland eine Million Menschen neu in den Straßenverkehr geschickt, die in der Regel vorher nie Kupplung, Bremse und Gaspedal in koordinierter Weise bedient haben und nun sogleich in den brausenden Verkehr hineinlenken sollen. Wäre es nicht höchste Zeit, daß alle Fahrschüler, bevor sie auf die Straße kommen, in einem Simulator die Bedienung der Fahrzeuge erlernten. Dafür geeignete Simulatoren gibt es bereits [Fn.42: Fahrtrainer der DST Deutsche System-Technik Bremen] , und eine Fahrstunde in ihnen ist billiger als eine Fahrstunde in einem realen PKW. Aber das ist nur die erste Hälfte des Problems, denn die dafür verfügbare Technik arbeitet aus Kostengründen mit klassischen, allerdings im Ablauf computergesteuerten Videobildern, nicht mit „Virtual Realities".

Die zweite Hälfte ist die Tatsache, daß die Fahrschüler für die rund 2.000,- DM, die sie ausgeben,

[Seite der Druckausgabe: 44]

um den Führerschein zu erlangen, vom Fahrlehrer an allen gefährlichen Verkehrssituationen sorgfältig vorbeigesteuert werden. Risikotraining findet zu Recht nicht im Fahrschulunterricht statt, weil dieser sich in der realen Welt vollzieht. Wäre es nicht wünschenswert, daß die frischgebackenen Autofahrer lernen, auf was sie sich da einlassen, wenn sie sich in den Straßenverkehr begeben? Sollten sie nicht lernen, was es heißt, wenn sie plötzlich in eine Nebelwand fahren, wenn Glatteis das Fahren gefährlich macht, wie lang der Bremsweg sein kann, wenn sie mit hoher Geschwindigkeit fahren und ein Hindernis auftaucht? Dafür gibt es „Virtual Reality", genauer gesagt, dafür entstehen zur Zeit die Technologien, mit denen reale Fahrsituationen in einer real erscheinenden Umgebung simuliert werden können, ohne daß am Ende die Zerstörung des Fahrzeugs oder seiner Insassen steht.

Zwei Technologien sind zur Zeit kurz vor der Marktreife, und der Computerspielemarkt ist ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung.

Zum einen die Möglichkeit, auf dem Bildschirm ganz realistische synthetische Bildfolgen zu erzeugen, die dem Benutzer gestatten, darin herumzufahren, und zwar zu erschwinglichen Kosten, eben Virtual Reality statt vorbeiziehender Videobilder. Die 64bit-Prozessoren der Spielehersteller, die derzeit auf dem Markt aufzutauchen beginnen, sind wirtschaftlich ein entscheidender Schritt dahin. Zwar kann man das auch bisher schon mit spezialisierten Work Stations der graphischen Datenverarbeitung machen, aber dafür muß man immer noch 300.000 bis 500.000 DM hinblättern, viel zu teuer für Fahrtrainer in Fahrschulen. Der Spielemarkt wird in absehbarer Zeit den finanziellen Durchbruch bringen, wenn nicht mit der Generation, die 1996 auf den Markt kommt, so spätestens im Jahr 2000.

Zweitens die Möglichkeit, auf dem Bildschirm dreidimensionale Bilder darzustellen. Auch das geht heute schon, allerdings nur mit lästigen Brillen, die für eine realitätsnahe Schulung hinderlich sind, denn der Fahrschüler soll sich im Simulationscockpit wie in einem realen PKW umsehen und Instrumente ablesen können. Außerdem sind die Systeme ziemlich teuer. Das Heinrich-Hertz-Institut in Berlin demonstriert mit dem Linsenrasterverfahren, wie es gehen könnte, und zwar zu Kosten, die sich bei einer Massenfertigung und der Verfügbarkeit von Flachdisplays in einem durchaus erschwinglichen Rahmen halten dürften.

Multimediatechniken werden im Bereich Bildung und Training eine wachsende Rolle spielen, vorangetrieben durch den Computerspielemarkt. Dabei sind Virtuelle Realitäten ein besonders interessanter Ansatzpunkt, etwa bei der Nutzung von Simulationstechniken im Fahrschulunterricht. Schon in wenigen Jahren wird es soweit sein, daß Multimedia-Fahrtrainer gebaut werden können, die ein realitätsnahes Risikotraining ermöglichen, und zwar zum Preis eines normalen Fahrschulautos.

Eine verantwortungsbewußte Verkehrssicherheitspolitik sollte diese Art von Nürnberger Trichter für Fahrschüler fördern, um dazu beitragen, daß der Verkehr auf unseren Straßen sicherer wird, weil die Autofahrer dann nicht erst aus Schaden klug werden.

Es ist kein Zufall, daß der Computerspielemarkt in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert worden ist. Die Amerikaner haben das schon auf den Begriff gebracht, indem sie von Edutainment [Fn.43: zusammengezogen aus Education and Entertainment] sprechen, eine Kombination, die für sich selbst spricht. Leider haben wir in Deutschland keine Unternehmen, die im Weltmarkt der Computerspiele, der immerhin bereits auf 15 Milliarden Dollar jährlich geschätzt wird, tätig sind. Deutsche Firmen tun sich auf diesem Gebiet schwer. Wir befassen uns mit seriösen Applikationen von Virtual Reality, beispielsweise im Medizinbereich mit dem Einüben schwieriger Operationstechniken oder im industriellen Bereich mit der Darstellung komplizierter Vorgänge, alles wichtige und interessante Themen, für die es allerdings bisher nur einen winzigen Markt gibt. Wir erforschen dabei neue Technologien, die andere geschwind in Markterfolge umsetzen.


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