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[STABSABTEILUNG DER FES]
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Gewerkschaften und wirtschaftliche Situation

Wie angemerkt, ist die Hochwachstumsphase der japanischen Wirtschaft Vergangenheit. Dies bedeutet nicht nur, daß ein jahrzehntelang erfolgreiches Modell der Arbeitsbeziehungen und Unternehmensorganisation zu erodieren droht, sondern auch, daß die Spielräume für Lohnerhöhungen geschrumpft sind. Sowohl die regulären Lohn- als auch die Bonuserhöhungen sind in den letzten Jahren bescheiden ausgefallen. Die schwachen Ergebnisse der gewerkschaftlichen Frühjahrs-Lohnoffensiven haben in den Organisationen die Kritik ausgelöst, die Gewerkschaften kümmerten sich zu sehr um die Politik, während sie die unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder vernachlässigten. Die derzeitige politische Enthaltsamkeit von Rengo geht daher nicht nur auf die parteipolitische Konstellation zurück, sondern auch auf die Mißerfolge im Verteilungskampf. Für die Lohnrunde 1996 hat der Unternehmerverband Nikkeiren eine Unternehmer-Version des deutschen Bündnisses für Arbeit vorgeschlagen: Eine Nullrunde gegen Beschäftigungsgarantien. Dabei wird angeboten, Produktivitätssteigerungen nur durch eine Erhöhung des Bonus, nicht durch generelle Lohnerhöhungen zu honorieren. Es muß allerdings auch berücksichtigt werden, daß sich die Konsumentenpreise derzeit negativ entwickeln, so daß auch eine Nullrunde reale Lohnsteigerungen bedeutete.

Ein besonderes Problem der Gewerkschaften liegt derzeit darin, daß die Erosion der Institutionen, die Beschäftigungsstabilität sicherten, mit dem erstmaligen Auftreten von Arbeitslosigkeit seit den 50er Jahren einhergeht. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt zwar noch bei aus westlicher Sicht beneidenswerten 3,4%, doch ist sich jedermann klar darüber, daß diese Zahl nicht die wirkliche Beschäftigungssituation widerspiegelt. Denn zum einen sind die "innerbetrieblichen Arbeitslosen", die aus Mitteln des Arbeitsministeriums subventioniert werden, nicht mitgerechnet. Das Arbeitsministerium selbst bestritt, es habe die wirkliche Arbeitslosigkeit in einem internen Papier auf über 8% kalkuliert. Zweitens wird die Arbeitslosenquote per Erhebung ermittelt, wobei jeder Befragte, der mehr als eine Stunde pro Woche arbeitet und nicht aktiv nach einer neuen Stelle sucht, als beschäftigt gilt. Von diesen Beschäftigten fallen aber viele in extrem unproduktive und schlecht entlohnte Teilzeit-Arbeitsverhältnisse. Drittens handelt es sich bei einem großen Teil der "Selbstbeschäftigten" und "mithelfenden Familienangehörigen" um verdeckt Arbeitslose oder Unterbeschäftigte. Nicht abgesicherte Frauen (Frauen gehören fast per definitionem weder zur Stammbelegschaft, noch zur Betriebsgewerkschaft), die in Krisenzeiten

ohne Probleme entlassen werden können, kehren in den Haushalt zurück und werden nicht mehr den Erwerbspotential zugezählt. Die Arbeitslosenversicherung ist wie in Deutschland organisiert, die Beiträge sind aber gering, und Leistungen werden nur für eine kurze Zeit entrichtet. Nach der Arbeitslosenversicherung gibt es aber kein soziales Netz mehr. Zwar gibt es Sozialhilfe; diese kommt aber fast ausschließlich vaterlosen Familien, Alten und Behinderten zugute. Bei einem physisch und mental Arbeitsfähigen wird dagegen (noch!) unterstellt, daß er auf jeden Fall Arbeit findet.

Eine Zunahme der Arbeitslosigkeit droht von zwei Seiten her. Auf der einen Seite verlagern japanische Großunternehmen (und ihre größeren Zulieferfirmen) unter dem Druck steigender Kosten und eines immer noch überbewerteten Yen immer mehr Arbeitsplätze in das asiatische Ausland. Bislang werden erst 7% der Produktion der verarbeitenden Industrie im Ausland erstellt (USA: 22%), der Internationalisierungsprozeß hat also gerade erst begonnen und wird sich in den nächsten Jahren verstärkt fortsetzen. Auf der anderen Seite wird die Beschäftigung in den wenig produktiven und administrativ geschützten Segmenten der Wirtschaft (Dienstleistungen, Einzelhandel, Bauwirtschaft, Kleinindustrie, Landwirtschaft) durch die allseits geforderte Deregulierung bedroht. Eine Anhebung der Produktivität in diesen Branchen auf amerikanisches Niveau würde einer Kalkulation von Nikkeiren zufolge 20 Millionen Arbeitsplätze kosten, und der Unternehmensberater Kenichi Ohmae schätzt, daß 40% der japanischen Arbeitsplätze durch einer ernsthaft betriebenen Deregulierung zum Opfer fallen würden.

Auf Deregulierungsbestrebungen brauchen die Gewerkschaften deshalb keine Antwort zu geben, weil es unwahrscheinlich ist, daß mit der Deregulierung Ernst gemacht wird. Sie können sogar eine gewisse Vorreiterrolle besetzen, weil sie wissen, daß andere, eng mit der LDP liierte Interessengruppen eine entsprechende Entwicklung verhindern werden. Eine Antwort auch der japanischen Gewerkschaften auf die Internationalisierung der Produktion dagegen liegt in der Intensivierung der internationalen gewerkschaftlichen Zusammenarbeit. Rengo hat vor einigen Jahren mit der Japan International Labor Foundation (JILAF) eine international operierende Stiftung ins Leben gerufen, die mittlerweile auch mit öffentlicher Entwicklungshilfe arbeitet. Auch die Textilarbeitergewerkschaft Zenzen, deren Mitglieder seit langem von Auslagerungsprozessen bedroht sind, ist international (d.h. in Asien) überdurchschnittlich aktiv. Doch darf dies nicht übersehen lassen, daß die internationale Zusammenarbeit noch in den Anfängen steckt. Nicht nur Schwierigkeiten in den Gastländern japanischer Unternehmen, auch Schwierigkeiten der japanischen Gewerkschaften, Verantwortung nicht nur für die in Auslandsniederlassungen arbeitenden Japaner, sondern auch für

die lokalen Arbeitskräfte zu empfinden, haben eine effiziente Kooperation in der Anfangsphase verzögert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998

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