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[STABSABTEILUNG DER FES]
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Gewerkschaften und Politik

In der japanischen Gewerkschaftsbewegung gibt es drei Dachverbände. An erster Stelle steht Rengo mit 73 Industriegewerkschaften und 47 lokalen Verbänden. Rengo repräsentiert 7,8 Millionen Mitglieder. Zenroren steht der Kommunistischen Partei nahe. Dem Verband gehören 47 Industriegewerkschaften und 45 lokale Verbände an; er repräsentiert 1,4 Millionen Mitglieder. Zenryoko schließlich ist mit 500.000 Mitgliedern, 4 Industriegewerkschaften und 49 lokalen Verbänden der kleinste Dachverband. Er ist aus der Gewerkschaft der vormals staatlichen Eisenbahnen hervorgegangen, die, begleitet von harten gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, in den 80er Jahren privatisiert wurden. Weitere 1,6 Millionen Mitglieder sind in Gewerkschaften organisiert, die keinem der drei Dachverbände angehören.

Die Dachverbände sind, wie bemerkt, gewerkschaftspolitisch wie finanziell Hinsicht eher schwache Organisationen. Gleichwohl hat Rengo einen nicht zu unterschätzenden politischen Einfluß, der darauf zurückgeht, daß seine Mitgliederorganisationen bis 1994 die personelle, finanzielle und organisatorische Basis der beiden sozialdemokratischen Parteien SDPJ und DSP ausmachten. Die bis 1994 größte Oppositionspartei Japans, die SDPJ, stützt sich traditionell vor allem auf die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes: der Lehrer, Kommunalangestellten, Postler, Telekommunikationsarbeiter usw. Die stärksten Gewerkschaften des Landes dagegen, u.a. die Organisationen der Automobil-, Elektronik- und Stahlarbeiter, unterstützen traditionell die weitaus schwächere DSP. Der Unterschied zwischen beiden Parteien liegt (bzw. lag) in der weltpolitischen Lokalisierung Japans zwischen den Fronten des Kalten Krieges: Während die SDPJ (mit einem starken prosowjetischen Flügel) eine "positive Neutralität" vertrat, war die DSP eine dezidiert prowestliche Partei.

Vor der Gründung Rengos 1989 waren die nicht-kommunistischen Gewerkschaften Japans in zwei Dachverbänden organisiert, die sich gemäß ihrer Stellung zu den beiden Parteien definierten, die wiederum weitgehend - wenn auch nicht vollständig - mit dem öffentlichen und privaten Sektor übereinstimmten. Sohyo, der Dachverband der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, unterstützte die SDPJ, Domei, der Verband der in privaten Unternehmen Beschäftigten, die DSP. Die Gründung Rengos war gleichbedeutend mit der Vereinigung von Sohyo und Domei unter einem gemeinsamen Dach, dem eine allmähliche Verschmelzung folgen sollte. Die Gründung von Rengo wurde auch als eine Aufforderung an SDPJ und DSP bewertet, ihre Differenzen zu begraben und als einheitliche Opposition gegen die Dauerherrschaft der konservativen Liberaldemokraten anzutreten. Man kann sagen, daß die innere Einheit von Rengo in hohem Maße von dem Verhältnis der beiden sozialdemokratischen Parteien zueinander abhing. Die acht Monate der Regierung Hosokawa (Sommer 1993 bis Frühjahr 1994) boten die für Rengo günstigsten politischen Ausgangsbedingungen: Beide sozialdemokratischen Parteien waren in der Regierung vertreten, und Rengo bot einer Regierung, die sich aus gerade gebildeten oder in der Regierungsarbeit unerfahrenen Parteien zusammensetzte, eine wichtige Reserve organisatorischer und intellektueller Ressourcen. Der damalige Rengo-Präsident Akira Yamagishi war eine der grauen Eminenzen der Regierung Hosokawa; es ist nicht zuletzt dem Druck Yamagishis und der Rengo-Gewerkschaften zu verdanken, daß sich DSP und SDPJ an der Regierung beteiligten. Der Regierungswechsel vom Sommer 1994 dagegen, die Bildung einer Koalition aus LDP und SDPJ, schuf die für Rengo schlechteste aller möglichen politischen Welten. DSP und SDPJ fanden sich in den entgegengesetzten Lagern wieder. Die DSP ging in der neokonservativen Shinshinto auf, einem Zusammenschluß von fünf Parteien, in dem ehemalige LDP-Politiker und die von der ebenfalls aufgelösten Komeito-Partei eingebrachte buddhistische Laiensekte Soka Gakkei dominieren. Die SDPJ dagegen hat in den Unterhauswahlen von 1993 und den Oberhauswahlen von 1995 so viele Wählerstimmen verloren, daß ihr Verschwinden aus dem politischen Spektrum nach den nächsten Unterhauswahlen nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Sie klammert sich mit allen Mitteln an den Gegner von einst, u. U. in der Hoffnung, bei den nächsten Wahlen mit der LDP gemeinsame Kandidatenlisten aufstellen zu können. Rengo steht unter diesen Bedingungen in dem doppelten Dilemma, daß sein Einfluß auf die Politik stark zurückgegangen und daß die innere Einheit der Organisation gefährdet ist. Da die Gegensätze zwischen SDPJ und Shinshinto stärker ausgeprägt sind als die zwischen SDPJ und DSP in der Zeit, als beide in der Opposition standen, droht der alte Gegensatz zwischen Sohyo- und Domei-Gewerkschaften innerhalb Rengos wieder aufzubrechen. Der Dachverband hat - hierzu gab es keine Alternative - seinen Mitgliedsgewerkschaften anheimgestellt, welche Partei sie unterstützen, SDPJ oder Shinshinto. Die innerorganisatorischen Spannungen konnten auf diese Weise eingefroren werden, de facto hat sich der Verband politisch paralysieren lassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998

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