S O Z I A L I S T I S C H E

M I T T E I L U N G E N

der London-Vertretung der SPD


Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
33, Fernside Avenue, London, NW 7 - Telephone: MIL1 Hill 3915

Nr. 104 -5
1947


Okt.-Nov.
1947

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LABOUR MUSS DURCHHALTEN !

Der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, der sich gegenwärtig auf einer sechswöchigen Reise durch die Vereinigten Staaten befindet, hat zum Problem "Grossbritannien - von deutschen Sozialisten gesehen" Stellung genommen und wir bringen nachstehend die wichtigsten Gedankengänge dieser Abhandlung im Auszug:

"Grossbritannien hat sich als Weltmacht und in der Ausstrahlung seiner Bedeutung geändert, ist aber nicht vergangen. Die populäre Vorstellung von den beiden einzigen echten Weltmächten, den USA und der Sowjetunion, vereinfacht die Dinge unzulässig und geht an den Realitäten und den Imponderabilien vorbei. Eine solche Alternative würde die schwerste Krise der Demokratie bedeuten. In Europa kann die Demokratie nur leben und die Zukunft gestalten, wenn sie sozial offensiv ist. Hier sind die Ideen der Demokratie und des Sozialismus nicht mehr voneinander zu trennen, kann der Sozialismus kulturell und ökonomisch nur leben, wenn er die Frage nach der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit positiv beantwortet.

Für die Zukunft ist von grösster Bedeutung, ob die Vereinigten Staaten eher erkennen, dass die sozialökonomische Form Europas der Sozialismus ist, oder ob die Russen schneller begreifen, dass Europa politisch nur mit den Mitteln der Demokratie, und zwar der eindeutigen Demokratie schlechthin und nicht einer Sowjetdemokratie, Volksdemokratie, Balkandemokratie oder einer sonstigen, sich demokratisch nennenden Spielart des diktatorischen Totalitarismus geformt werden kann.

Dieser Auseinandersetzung können die Völker Europas nicht tatenlos gegenüberstehen. Sie müssen ihre eigene Auffassung von den europäischen Notwendigkeiten den Ansprüchen des Ostens entgegenstellen und die lebensnotwendige amerikanische Initiative zu beeinflussen und zu lenken versuchen.

Europa aber ist ohne Grossbritannien nicht denkbar. Die Insel ist von entscheidender Bedeutung gerade durch den grossen Versuch, den demokratischen Sozialismus durchzusetzen.

Es ist eine europäische Notwendigkeit, dass Labour den Kampf um den Sozialismus gewinnt.

Dabei fühlt man auf dem Kontinent ganz deutlich, dass eine Beschränkung des Erfolges dieses Kampfes auf Grossbritannien nicht möglich ist. Hier gibt es keinen "Sozialismus in einem Lande". Die Weiterführung und Sicherung der sozialistischen Neugestaltung in Grossbritannien hängt davon ab, dass auf dem Kontinent im Westen und im Herzen Europas in den politischen Mitteln der Demokratie sozialistische Formen der Wirtschaft erkämpft und gehalten werden. Die Solidarität in diesem Kampfe ist die Voraussetzung für seinen erfolgreichen Ausgang. Das heutige Europa hat keine Aussicht ohne Grossbritannien. Wir glauben aber, dass Grossbritannien, das auch noch andere Interessen und Notwendigkeiten in der Welt zu verteidigen oder in neue Formen zu bringen hat, auch keine Aussichten ohne Europa hat. Die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der sozialistischen Parteien ist die Voraussetzung für die Durchsetzung des demokratischen Sozialismus in jedem Lande. Die sozialistische Solidarität in Europa mit Grossbritannien als "primus inter pares" (der Erste unter Gleichen) wird massgebend davon abhängen, dass man auf der Insel darauf verzichtet, Europa und sein schwächstes Glied, Deutschland, als Objekt oder gar als Konkurrenten zu betrachten. Ein isoliertes Deutschland wäre ein verwesendes Deutschland, ein permanenter Gefahrenherd. Man weiss, von welch entscheidender Bedeutung der Export für Grossbritanniens Wirtschaft ist. Man weiss aber auch, dass eine Gesundung Deutschlands ohne eine verstärkte deutsche Ausfuhr nicht verwirklicht werden kann. Man muss den Ausgleich zwischen den Exportnotwendigkeiten beider Länder finden. Auch in der Deutschlandpolitik Grossbritanniens sollte sichtbar werden, dass das Interesse der europäischen Gesundung dem Interesse der einzelnen Exportfirma vorgeht. Für ein Minimum an britischem Nutzen ein Maximum an deutscher Schädigung mit in Kauf zu nehmen, ist keine gute Politik, denn sie wirkt sich nicht nur antibritisch, sondern auch gegen Idee und Praxis der internationalen Zusammenarbeit aus.

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Letzten Endes geht es jetzt darum, bei den Deutschen den Glauben an das englische Wort wiederherzustellen. Dieses Vertrauen ist durch drei Faktoren erschüttert worden. Einmal um das Feuerwerk um die Kalorien. Hier scheinen die beiden Völker nicht nur verschiedene Sprachen zu sprechen, sondern auch ein verschiedenes Einmaleins zu benutzen. Zum anderen an das Zuschieben von Verantwortung an die Deutschen, nachdem man zuerst eine Politik gemacht hat, durch die die Position der sabotierenden Produzenten in Agrar- und Industriewirtschaft gestärkt und die deutschen Behörden entmachtet worden sind. Zum dritten die Zwiespältigkeit und Unentschlossenheit in der Frage der Sozialisierung der schweren Industrien. Wir glauben, wenigstens im grossen und ganzen die Gründe für die tatsächliche britische Haltung zu erfühlen. Wir halten sie aber im letzten Grund nicht für durchschlagend.

Oft hört man in Deutschland Stimmen, die den Wunsch ausdrücken, dass Grossbritannien nicht nur schneller und entschlossener handeln, sondern auch mehr Zutrauen zu sich selbst und seiner Zukunft haben möge. Solche Meinungen sind im tiefsten Grunde diktiert von der Erkenntnis, dass ein starkes sozialistisches und demokratisches Grossbritannien für Europa und die Welt unverzichtbar ist.

Auf Einladung der American Federation of Labor (AFofL), dem ältesten und grössten Gewerkschaftsbund in den Vereinigten Staaten, sind Dr. Kurt Schumacher, der Vorsitzende der SPD, und Fritz Heine, Mitglied und Sekretär des Parteivorstandes, am 21. September vom Flughafen Berlin-Tempelhof über Frankfurt-London nach New York geflogen. Sie werden als Gäste an der Jahreskonferenz der AFofL in San Franzisko vom 6.-16. Oktober teilnehmen. "Ich werde in den USA um Verständnis für die Sache Deutschlands und Europas werben", sagte Dr. Schumacher vor seinem Abflug. "Die AFofL steht nicht wie vielfach - besonders von der SED - behauptet wird, der Frage der Sozialisierung ablehnend gegenüber. Es ist bekannt", sagte Schumacher weiter, "dass innerhalb dieser Gewerkschaft verschiedene Ansichten hierüber vertreten werden. In jedem Falle werde ich auch in den Vereinigten Staaten für die Notwendigkeit der Sozialisierung eintreten." Die New York Herald Tribune" schreibt zu dieser Reise u. a.: "... in Dr. Schumacher werden die Amerikaner die wahrscheinlich bedeutendste politische Figur in Deutschland kennen lernen. Sozialisierung der Grossindustrie ist seine Antwort auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland, aber er kombiniert in seinen Reden und in seiner politischen Handlung den Sozialismus mit der Forderung nach Rede-, Presse- und Religionsfreiheit und Beachtung der parlamentarischen Formen des Westens ..." Am 14. Oktober hielt Dr. Schumacher auf der Tagung der AFofL eine Rede, der wir die folgenden Auszüge aus einem Eigenbericht entnommen haben:

"Der Kampf um die Freiheit in einem Lande ist heute zu einer Angelegenheit aller anderen Länder geworden. Noch ist die grosse Frage der Zeit nicht beantwortet, ob wir in Europa ein Zeitalter der Freiheit erreichen oder in ein System der Sklavenarbeit versinken. Soll die Zwangsarbeit eine Säule der ökonomischen Produktion werden oder sollen freie Arbeiter die wirtschaftliche Erzeugung tragen? Die Zwangsarbeit in einem Lande ist die Gefährdung der ökonomischen Sicherheit in anderen Ländern. Durch Zwang verbilligte Arbeit bedroht die Arbeitsbedingungen überall in der Welt. Sogar im Nachkriegsdeutschland kennen wir in einigen Teilen noch die Sklavenarbeit.

Ich erinnere Sie an die Zwangsarbeit im Uran-Bergbau des Sächsischen Erzgebirges. Ich erinnere Sie an die Kriegsgefangenen über all in der Welt, vor allem in Russland. Wenn einem Volke Reparationen auferlegt werden, dann hat das ganze Volk sie zu tragen und nicht die unglücklichen Einzelwesen, denen das zufällige Schicksal der Kriegsgefangenschaft zuteil geworden ist. Die Rückkehr der deutschen Kriegs-gefangenen in ihre Heimat, die bisher restlos nur von den USA ermöglicht worden ist, ist gewiss eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die deutsche Produktion. Darüber hinaus aber ist sie eine menschliche Angelegenheit, an der jeder Denkende und Fühlende Anteil nehmen sollte, der unnötiges Unglück vermeiden will.

Europa hat ein gemeinsames Schicksal. Seine veraltete politisch-ökonomische Struktur hindert es daran, diese Gemeinsamkeit auszunutzen. Solange wir im Stadium einer Konkurrenz der Nationalstaaten und Nationalwirtschaften leben, wird die verhängnisvolle Abwärtsbewegung nicht aufgehalten werden können. Es besteht die Gefahr, dass wir von einer Wirtschaftskrise in die andere stolpern.

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Vor allem Deutschland waere dann eine staendige Last fuer Europa und fuer die Welt. Eine Tatsache, die sich nicht nur oekonomisch, sondern auch politisch in den Chancen fuer die Erweiterung des Ostblockes ausdruecken koennte. dass der Marshallplan die europaeischen Voelker zur Annaeherung zwingt, ist eine seiner staerksten Vorteile. Am wichtigsten ist die Annaeherung der Franzosen und der Deutschen. Das Verhaeltnis Frankreich-Deutschland ist der Gradmesser fuer die wirtschaftliche Vernunft und die lebendige Menschlichkeit in Europa.

Die oekonomische und soziale Anarchie hat ihre politischen und moralischen Rueckwirkungen. Der Umfang und die Intensitaet der Zersetzung und Aufloesung in Deutschland ist vielleicht doch nicht in seiner ganzen grauenhaften Groesse bekannt. 13 Millionen Fluechtlinge, vorwiegend Frauen, Kinder und alte Leute, machen ihr Recht auf Leben in diesem zertruemmerten Lande geltend. Verzweifelt kaempfen sie um die Erhaltung des Lebens. Bewunderungswuerdig ist die Zaehigkeit, mit der vor allem die Frauen sich bemuehen, ihre Kinder vor Verelendung und Demoralisierung zu schuetzen. Jeder hofft auf den Anschluss an eine Normalisierung des Lebens. Aber jeder hat erlebt, dass der letzte Winter mit seiner grausamen Kaelte sich gegen uns ausgewirkt hat und sieht jetzt voller Schrecken, dass auch der Sommer gegen uns war. Die Duerre hat eine seit Jahrzehnten nicht gekannte Missernte mit sich gebracht. Wenn die Lebensmittelversorgung im bisher geplanten Rahmen schon von unzureichenden Voraussetzungen ausging, so droht der Minderertrag auf deutschem Boden die Entwicklung zu einer neuen Hungerkatastrophe zu fuehren. Dabei ist der Arbeitswille in Deutschland bei den heutigen Geldverhaeltnissen dauernd vom Schwarzen Markt bedroht. Eine Waehrungsreform aber, die sich im Technischen erschoepft, ohne den sozialen Lastenausgleich einzuschliessen, waere eine Enteignung der Geldtitelbesitzer allein und dadurch eine Privilegierung der Eigentuemer von Sachwerten. Das haette seine politischen Konsequenzen. Die Menschen, die nichts besitzen als ihre Arbeitskraft waeren entscheidend benachteiligt zugunsten der Kreise, die Hitler favorisiert und am zweiten Weltkrieg eigentlich nichts weiter zu tadeln hatten, als dass er nicht gewonnen wurde. Unter diesen widersinnigen Verhaeltnissen lebt heute in Deutschland der fruehere Nazi meist besser als die Antinazis, die sich ueberwiegend aus der Arbeiterschaft und den Intellektuellen rekrutieren. In einer Situation gefaehrlicher Resignationsstimmungen und weiterer wirtschaftlicher Aufloesung riss die Marshall-Initiative die Hoffnungen hoch. Sie aktivierte Reserven des Lebenswillens und des Vertrauens. Im Bewusstsein der Deutschen, und nicht nur der Deutschen allein, ist praktisch und seelisch eine neue Situation geschaffen worden. Eine neue Situation aber kann nicht mit alten Mitteln gestaltet werden. Die weitere Anwendung des
alten und gefaehrlichen Mittels der Demontagen hat oekonomisch und noch mehr psychologisch Katastrophenwirkung. Von dieser Stelle drohen die Stimmungen der Aussichtslosigkeit und der Glaubenslosigkeit wieder Raum zu gewinnen. Selbstverstaendlich muss die Herstellung von Kriegsmitteln vermindert werden. Aber hier geht es in der uebergrossen Mehrzahl der Faelle um die Produktionsstaetten der Friedensgueter-Industrie.

Der bolschewistische Totalitarismus versucht den Kontinent zu erobern. Wir fuehlen uns bei der Abwehr dieses Versuches von jedem Hass gegen das russische Volk frei. Wir halten aber die Übertragung der totalitaeren Methoden auf deutsche Verhaeltnisse fuer eine europaeische Katastrophe mit weltpolitischen Folgen. Wir wehren uns gegen den alles verschlingenden nationalen Egoismus der oestlichen Siegermacht. Der Kommunismus ist den Deutschen ein fremdes System zu fremdem Nutzen. Wir wollen keine Diktatur. Wir haben den Totalitarismus auf eigenem Boden erlebt. Wir haben die Gewissenlosigkeit der kommunistischen Katastrophenpolitik erfahren, ohne die der Staat von Weimar nicht den Nazis ausgeliefert worden waere. Wir kaempfen fuer eine nationale,
staatsrechtliche und wirtschaftliche Einheit Deutschlands. Wenn die Teilung der Welt und Europas mitten durch ein grosses Volk gehen sollte, dann waere es die gefaehrlichste Form der Teilung. Wir wuerden eine Eroberung Deutschlands durch den Kommunismus als die staerkste Gefaehrdung des Weltfriedens ansehen. Bestand wird in Deutschland nur haben, was aus eigener Erkenntnis und freiem Willen geschaffen wird. Die Menschen in Deutschland muessen selbst denken, selbst entscheiden, selbst Sinn und Willen zur Verantwortung haben. Wenn man eine Ideologie nach Deutschland zwangsimportiert, dann ruft man nur Widerstaende hervor. Die Russen haben als erste erfahren muessen, dass man die Bedingungen des eigenen Landes nicht auf ein anderes hochentwickeltes Land uebertragen kann. Wenn solche Versuche von anderer Seite gemacht werden,

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dann wuerden die Russen eine neue Chance bekommen, die ihnen sonst seit ihrer politischen Marneschlacht vom Mai 1945 in Deutschland nicht gegeben ist. Es gilt jetzt nicht nach Europa und vor allem nach Deutschland in der Heimat bewaehrte Ideologien zu importieren [!], sondern Lebenskraft. Dass das
deutsche Grosskapital ein Feind der Demokratie gewesen ist, sollte man nie vergessen. Um den Einfluss der Arbeiterbewegung auszuschalten, hat es die Demokratie sabotiert. Es hat das Buendnis mit dem Militarismus gemacht und damit der deutschen Politik die gefaehrlich aggressorische Wendung gegeben. Es hat seinem Klasseninteresse zuliebe den Nazismus in den Sattel gesetzt und so sein Volk und den Frieden geopfert. Es hat seine Unfaehigkeit zur Gestaltung von Politik und Frieden geopfert. Es hat seine Unfaehigkeit zur Gestaltung von Politik und Wirtschaft bewiesen. Man kann irgendwelchen Schichten der deutschen Kapitalisten das Schicksal der Demokratie und des Friedens nicht anvertrauen. Diese Cliquen sind in ihrem Denken und Fuehlen nicht mehr korrigierbar. Sie werden aber, wieder einmal im Besitz der wirtschaftlichen Macht, ihr Geld in Politik umzuwechseln verstehen und von neuem das gefaehrliche Spiel mit nationalistischen und faschistischen Kraeften beginnen. Das sind auf deutschem Boden Zwangslaeufigkeiten, die selbst bei gutem Willen der einzelnen auf die Dauer nicht erfolgreich vermieden werden koennen.

Wir wollen Gerechtigkeit, Wirklichkeitssinn und rechtes Augenmass an Stelle der Machtgier, des Hochmuts und der Uferlosigkeit setzen. Aber gerade dieser Wille zur verantwortlichen Gestaltung der Realitaeten dieses Unterscheidenkoennens zwischen Moeglichem und nicht Moeglichem, zwischen Notwendigem und Vermeidbarem schreibt uns die Politik der
Sozialisierung der Schwerindustrie vor. Fuer uns ist die Sozialisierung keine Verstaatlichung, kein enormer Staatskapitalismus und kein Mammutkonzern wie die Nazi-Reichswerke der juengsten Vergangenheit.

Die SPD als der politische Ausdruck der demokratischen Arbeiterbewegung ist eine selbstaendige und unabhaengige Partei. Sie sagt in ihrer Politik nach innen und aussen dasselbe. Sie verschleiert und bemaentelt keine Ziele. Sie ist eine Partei der ehrlichen Zusammenarbeit, aber sie ist keine Partei der Unterwerfung. Wir wollen die Interessen der arbeitenden Massen in Deutschland vertreten und sie in Einklang bringen mit den Notwendigkeiten einer internationalen solidarischen Politik und Wirtschaft."

fuer die britische und amerikanische Zone Deutschlands ist Donnerstag, am 16. Oktober 1947 erfolgt. Die Reparationsliste enthaelt 682 Betriebe, davon 302 Werke oder Teilwerke der Kriegsindustrie, 224 der Maschinenbauindustrie, 92 der Stahl- und Eisenindustrie, 42 der chemischen Industrie, 11 der Nichteisenmetalle, je 4 der Elektroindustrie und der Energiewirtschaft und 3 der Schiffsbauindustrie. Die Werke oder Teilwerke verteilen sich auf die Laender wie folgt: Nordrhein-Westfalen 294, Niedersachsen 115, Schleswig-Holstein 44, Stadt Hamburg 42, Berlin je 1 im brit. und amerik. Sektor, Bayern 88, Hessen 51, Wuerttemberg-Baden 39, Bremen 7.

Der Standpunkt der SPD zur Demontage kam in einer Erklaerung des 2. Vorsitzenden der SPD Erich Ollenhauer zum Ausdruck. In ihr heisst es: "Ich glaube, dass in der gegenwaertigen Situation niemand den deutschen Arbeitern zumuten kann, an der Demontage von Arbeitsstaetten und Maschinen, die ausschliesslich und eindeutig der Friedensproduktion dienen, mitzuhelfen. Bei dem gegenwaertigen Zustand der deutschen Produktionsmittel muss die Demontage von Produktionsstaetten und Maschinen fuer die Friedensindustrie den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft entscheidend erschweren. Auch die psychologische Wirkung der Liste auf die Arbeiterschaft koenne in einem Augenblick, in dem die Menschen mit groesster Sorge dem kommenden Winter entgegensehen, nur schlecht sein", fuhr Ollenhauer fort. "Die deutsche Arbeiterschaft will wieder produktive friedliche Arbeit leisten. Seit 2 Jahren hofft sie auf den Augenblick, in dem der Zerfall in der Wirtschaft abgeloest wird durch einen planmaessigen Aufbau. Stattdessen wird jetzt eine neue Demontageliste praesentiert."

Ollenhauer glaubt nicht, dass hinter dem Demontageplan in erster Linie Konkurrenzerwaegungen stehen. "Man kann unmoeglich von der Annahme ausgehen, dass die Vaeter der neuen Demontageliste sich nicht ueber den Widerspruch im klaren sind, der darin liegt, dass auf der einen Seite die groessten Anstrengungen gemacht werden, um die europaeische Wirtschaft einschliesslich der westdeutschen aufzubauen, waehrend auf der anderen Seite ein weiterer Abbau von Produktionsmitteln und Maschinen erfolgt. Dieser Widerspruch erklaert sich aus der Tatsache, dass man auf der einen Seite die Abmachung von Potsdam einhalten wolle, waehrend auf der anderen Seite die Erkenntnis

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stehe, dass die europaeische Krise nur geloest werden koenne, wenn auch die deutsche wirtschaftliche Leistungsfaehigkeit wieder hergestellt wird. Die SPD erkenne die Pflicht des deutschen Volkes zur Wiedergutmachung und den Anspruch der Alliierten auf Sicherheit vor einer neuen deutschen Angriffspolitik an. Voraussetzung fuer eine wirksame Wiedergutmachung sei jedoch eine leistungsfaehige deutsche Friedensproduktion. Demontagen von Produktionsmitteln und Maschinen, die der Friedensproduktion dienen, treffen nicht nur das deutsche Volk, sondern auch die europaeischen Voelker, die einen Anspruch auf Wiedergutmachung haben."

Die 3. interzonale Kulturtagung der SPD seit Kriegsende fand unter Leitung des Kulturreferenten der SPD, Arno Hennig (Hannover), in Anwesenheit des 2. Parteivorsitzenden, Erich Ollenhauer, in Ziegenhein (Hessen) vom 21. bis 23. August statt. Achtzig Delegierte aus der britischen, amerikanischen, franzoesischen Zone und aus Berlin beteiligten sich an dieser Tagung. Das Programm dieser drei Tage war sehr reichhaltig: Willy Eichler sprach ueber die Lehren der Geschichte, Gerhard Weisser und Erich Winkler[1] ueber die Bedeutung der Soziologie, Arno Hennig ueber die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften und Guntram Pruefer[2] ueber das Thema "Wie sehen wir den Menschen heute?" In einer zusammenfassenden Aussprache, die Carlo Schmid leitete, wurde eine Entschliessung ausgearbeitet, mit der der Grundstock gelegt wurde fuer die Loesung der Aufgabe, die der Nuernberger Parteitag den kulturpolitisch Taetigen in der Partei gestellt hatte: Die geistigen Grundlagen der Sozialdemokratie zu ueberpruefen. Die Tagung fand ihren Niederschlag in der nachstehenden, einstimmig angenommenen
Entschliessung: "Die Sozialdemokratie kaempft fuer die Demokratie und ihre Voraussetzung, den Sozialismus, um des Menschen willen. Sie kaempft fuer die Verwirklichung der Gerechtigkeit auf allen Lebensgebieten und fuer die Gestaltung des Volkslebens im Geiste der Freiheit und Gemeinschaft unter Entfaltung aller kulturellen Kraefte des einzelnen und der Gesamtheit.

In diesem Kampfe bedient sie sich der Erkenntnisse Karl Marx' und seiner Schueler. Diese Erkenntnisse wurden gewonnen im Zeitalter des Historismus. Sie beanspruchen Wahrheit auf Grund einer vermeintlichen Zwangslaeufigkeit der historischen Entwicklung, in der das Proletariat lediglich bestimmt sei, die Gesetze des dialektischen Geschichtsprozesses vollstreckend zu erfuellen. Diese Gesetze sollten vorwiegend solche der oekonomischen Entwicklung der Produktivkraefte und Produktionsverhaeltnisse sein. Der Verlauf der Geschichte seit Karl Marx hat die Einseitigkeit einer nur-oekonomischen Betrachtung enthuellt.

Die Erfahrungswissenschaften vom Menschen und von der menschlichen Gesellschaft haben in steter Vertiefung die Vielseitigkeit des menschlichen Verhaltens und damit des geschichtlichen Prozesses durchsichtig gemacht. Der Aufdeckung der oekonomischen Bedingungen menschlichen Handelns und Denkens, vornehmlich im Zeitalter des Kapitalismus, durch Karl Marx, sind umwaelzende Enthuellungen der Triebkraefte der Geschichte erfolgt.

Die Sozialdemokratie muss ihre Erkenntnisse in dieser Richtung erweitern, um ihre politischen Ziele verwirklichen zu koennen. Die Ergebnisse der marxistischen Methode sind ihr eine unverzichtbare Quelle politischer Einsicht. Sie sind ihr jedoch nicht alleinige und absolute Grundlage aller Erkenntnis. Sie anerkennt die geistige Freiheit des Menschen und seine sittliche Verantwortlichkeit als gestaltende Faktoren auch des geschichtlichen Prozesses. Sie kaempft fuer ihre letzten politischen Ziele nicht allein in Verfolgung der Tendenzen der oekonomischen Entwicklung oder aus Gruenden materieller Zweckmaessigkeit, sondern um der Wuerde des Menschen willen.

Kaempferisches Bewusstsein der unterdrueckten Klassen, Wille zur Menschlichkeit, religioese und sittliche Verpflichtung vereinigen sich in der Sozialdemokratie zu einer gemeinsamen Kraft, die Welt zu veraendern; zu einem gemeinsamen Willen, der Idee des Menschen in der politischen und oekonomischen Wirklichkeit des ganzen Menschengeschlechtes Gestalt zu verleihen. In der Sozialdemokratischen Partei sollen alle ihre politische Heimat finden, die von der Notwendigkeit einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ueberzeugt sind." Die "RHEINISCHE ZEITUNG" schreibt hierzu: "Die Entschliessung ist nicht ein Kompromiss zwischen verschiedenen Überzeugungen. Dank der ausserordentlich sachlichen Aussprache gelang es, eine Übereinstimmung so weit zu erzielen, wie sie in der Resolution niedergelegt ist. Obwohl die Resolution, was selbstverstaendlich ist, kein neues Programm darstellen kann, das erst nach viel sorgfaeltigerer Vertiefung und vor allem erst nach der Billigung durch den Parteitag selber erstehen

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kann, darf doch so viel gesagt werden, dass die Richtung, die in dieser Resolution eingeschlagen wird, sicherlich auch in der endgueltigen Formulierung des sozialdemokratischen Programms beibehalten werden wird.

Es geht dabei nicht um die Wiederholung des Streites zwischen der revisionistischen und revolutionaeren Richtung - es gibt heute keinen Streit der Meinungen innerhalb der SPD ueber die Notwendigkeit einer echten sozialen Revolution. Es geht auch nicht darum, "den Marxismus" zu liquidieren, zu ergaenzen oder zu vertiefen.

Es geht ganz einfach darum, die Marxsche Methode der soziologischen Erforschung wesentlicher Triebkraefte des kapitalistischen Geschehens, die im wesentlichen auch heute noch von allen Sozialdemokraten fuer richtig gehalten wird, weiter auszubauen und ausserdem eine wirkliche Begruendung zu geben fuer die Verpflichtung des einzelnen, am Kampf um den Sozialismus teilzunehmen ..."

Das geistige Ringen um die Idee des Sozialismus, das seit dem Nuernberger Parteitag mit Leidenschaft gefuehrt wird, spiegelte sich auch in der
Tagung der sozialistischen Schriftsteller und Autoren Ende September in Offenbach am Main wieder. Es wurde auch in dieser Zusammenkunft von 200 Vertretern des sozialistischen Schrifttums deutlich, wie sehr die heutige Sozialdemokratie sich bewusst ist, dass es keine fruchtbare Politik geben kann ohne die Auseinandersetzung mit der geistigen und weltanschaulichen Problematik, die uns die heutige Zeit aufgibt, ohne ein sich staendig erneuerndes Verhaeltnis zu den Grundlagen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens zu finden. "Es ist der Geist, der sich den Koerper baut" hatte Friedrich Stampfer, der alte und doch geistig frische Kaempfer in der Eroeffnungssitzung den versammelten Sozialisten in Erinnerung gerufen. Die lebhafte geistige Auseinandersetzung hob diese Tagung - an deren Zustandekommen dem jungen Verleger Karl Drott vom Bollwerk-Verlag, Offenbach, ein grosses Verdienst zukommt - weit ueber den Durchschnitt politischer Aussprachen hinaus.

Nach einem Referat des Generalsekretaers der Europa-Union[3], H. Ritzel - Basel, ueber die geistigen Grundlagen des demokratischen Sozialismus sprach Arno Hennig. Er umriss den Sinn der Tagung mit dem Satz: "Unser Zweck ist nicht, zu organisieren, sondern anzuregen." Mit ausserordentlich lebendigen Worten kennzeichnete er die Aufgabe der Sozialdemokratie. Ziel aller Politik sei der Mensch. Der Staat und die Eroberung der politischen Macht sei stets nur als Mittel zum Zweck zu betrachten. Jeder politische Messianismus sei abzulehnen, denn er fuehre unweigerlich zum Totalitarismus. Mit der Ziegenhainer Entschliessung des Kulturpolitischen Ausschusses der SPD sei die geistige Neufindung der sozialistischen Theorie zur oeffentlichen Diskussion gestellt. Der Verlauf der Geschichte seit Karl Marx habe die Einseitigkeit einer nur-oekonomischen Betrachtung enthuellt. Es sei eine viel groessere Vielschichtigkeit des menschlichen Verhaltens und des geschichtlichen Prozesses erkennbar geworden. Gegenueber falschen Auslegungen dieser Erweiterung der geistigen Schau der Sozialdemokratie muss jedoch klargestellt werden, dass der Sozialdemokratie nach wie vor die Ergebnisse der marxistischen Methode eine unverzichtbare Quelle politischer Einsicht seien, aber nicht die alleinige und absolute Grundlage aller Erkenntnisse bildeten. Eingehend berichtete Hennig ueber Besprechungen, die auf Wunsch des Rates der evangelischen Kirche[4] mit Vertretern der SPD stattgefunden haben [5]und in denen sich eine bemerkenswerte Bereitschaft fortschrittlicher kirchlicher Kreise zu einer positiven Haltung in Fragen offenbarte, die fuer die Sozialdemokratie von besonderem Interesse sind. So u. a. in der Frage der Bodenreform und auch in der Gemeinschaftsschule. Zum

Verhaeltnis von Kirche und Sozialismus erklaerte Hennig in diesem Zusammenhange, dass keine Verwischung ihrer Funktionen erfolgen duerfe. Die Partei bleibe Partei und handele auf der politischen Ebene, Aufgabe der Kirche sei es, auf der Ebene der Seelsorge zu handeln. Ohne sich zu schneiden, koennen sich beide Institutionen auf einer gemeinsamen hoeheren Ebene finden. Unter keinen Umstaenden duerfe die Kirche der verlaengerte Arm einer Partei und eine Partei das Werkzeug der Kirche sein. In der Aussprache haben die Vertreter der Kirche ausgesprochen, dass die Evangelische Kirche zweimal ihre historische Aufgabe verkannt habe: bei der Entwicklung des Industrieproletariats, als sie - statt sich auf die sozialpolitische Realitaet einzustellen - das Buendnis "Thron und Altar" schloss; dann als sie versaeumte, die Bedeutung der Weimarer Republik zu erkennen und vielmehr statt dessen die Reaktion foerderte. Sie steht auch heute in der Gefahr, ein drittes Mal ihre Aufgabe zu versaeumen, wenn sie sich auf die Seite der kapitalistischen sozialfeindlichen Kraefte Deutschlands stellt.

Hatten die Ausfuehrungen Hennigs bereits neue Ausblicke auf die geistige Fundierung des sozialistischen Kampfes eroeffnet, so fuehrte das Referat des hessischen Staatssekretaers Brill ueber

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die historischen Kraefte des 20. Jahrhunderts die Tagung auf ihren Hoehepunkt. Dr. Brill fuehrte den von Hennig bereits gesponnenen Faden weiter und lieferte einen weiteren Beitrag zur Vertiefung der sozialistischen Theorie. Von der Fragwuerdigkeit des Begriffes Geschichte ausgehend legte er dar, dass die herkoemmlichen Einteilungen der Geschichte, die geschichtsphilosophischen Theorien und Periodisierungen zum Verstaendnis des Geschehens der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts nicht ausreichen. Es komme nicht darauf an, die Anschauungen von der einseitig oekonomischen Verursachung der gesellschaftlichen Ereignisse aufzugeben, sondern nachzuweisen, wie sie zu erweitern sind. In der Wirtschaftsgeschichte seien die Wirtschaftswissenschaften hinter den tatsaechlichen Entwicklungen zurueckgeblieben. Das Zentrum des geschichtlichen Bewusstseins des 20. Jahrhunderts sei der Mensch. Die orthodoxe-marxistische Auffassung des Klassenbewusstseins sei insofern zu korrigieren, als es sich dabei weniger um ein Bewusstsein der Massen handele, als um das Bewusstsein einer geistigen Elite der Arbeiterklasse. In der Solidaritaet und Internationalitaet, die nicht mit dem Weltbuergertum alter Praegung gleichzusetzen sei, wuerden die fortschrittlichen, geschichtlichen Kraefte des 20. Jahrhunderts sich zu einem neuen Wirken zusammenfinden.

Die sich an Hennigs und Brills Ausfuehrungen anschliessenden Diskussionen fuehrten zu einer Ausweitung und zugleich Vertiefung der behandelten Probleme. - Die Wahl von vier Vertrauensmaennern der sozialistischen Schriftsteller und Verleger bildete den Abschluss der Arbeitstagung. Es sind dies: Dr. Guntram Pruefer (Britische Zone), Dr. Etzkorn[6] (Amerikanische Zone), Karl [richtig: Günter] Markscheffel[7] (Franzoesische Zone) und Dr. Wacker[8] (Berlin).

Das "Mitteilungsblatt" unserer Genossen in Schweden berichtet ueber die 3. Landeskonferenz der sudetendeutschen Sozialdemokraten in Schweden, an der unsere Gen. Dr. Otto Friedlaender, Paul Pankowski[9] und Walter Poeppel[10] als Gaeste erschienen waren. Im Mittelpunkt der Tagung stand ein Referat des Gen. Wenzel Jaksch in dem er ein Bekenntnis zur guten Kameradschaft mit der SPD abgab, in deren Rahmen in Zukunft er selbst und Ernst Paul persoenlich in Deutschland mitarbeiten werden. In einem Beschluss der Konferenz heisst es: "Die Sudetendeutschen Sozialdemokraten in Schweden bekunden, dass sie sich mit der SPD innigst verbunden fuehlen. Sie geben ihrer Freude Ausdruck, dass die trotz heldenhaften Einsatzes fuer Demokratie, Freiheit und Sozialismus von ihrem alten Kampfboden vertriebenen sudetendeutschen Sozialdemokraten in der SPD eine neue politische Heimstaette gefunden haben. Die Konferenz nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass unsere Genossen - trotz ihrer bitteren Erlebnisse - in der SPD fuer unsere unvergaenglichen sozialistischen Ziele und fuer den Aufbau eines demokratischen Deutschland arbeiten, im alten Geist und mit gewohnter Opferbereitschaft.

Die sudetendeutschen Sozialdemokraten in Schweden anerkennen die Grundsaetze der SPD und erklaeren ihre Bereitschaft, fuer diese im Rahmen ihrer Moeglichkeit einzutreten. - Die besonderen Aufgaben, die mit der Betreuung der sudetendeutschen sozialdemokratischen Fluechtlinge in Schweden, deren Zahl in der kommenden Zeit noch wachsen wird, verbunden sind, sowie die Organisierung spezieller Hilfsaktionen fuer unsere notleidenden Genossen in Deutschland und Oesterreich verpflichten uns doch, die Schwedengruppe der Treugemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten bis auf weiteres noch als selbstaendige Organisation aufrecht zu erhalten.

Die Konferenz gibt dem Wunsch Ausdruck, mit der Vereinigung deutscher Sozialdemokraten in Schweden bis zum Zeitpunkt der Verschmelzung in ein enges Kartellverhaeltnis zu treten. Sie erklaert die Bereitschaft der sudetendeutschen Sozialdemokraten in Schweden, an allen Aktionen mitzuwirken, die der deutschen Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit dienen."

aus der Feder des bekannten sozialistischen Verlegers und aktiven Foerderers der "SAVE EUROPE NOW"-Bewegung in Grossbritannien, Victor Gollancz, erhalten unsere Leser gleichzeitig mit der vorliegenden Nummer der SM zugestellt.[11] Der Bericht vergleicht die gegenwaertigen Bedingungen in Deutschland mit der Lage im Herbst vorigen Jahres und behandelt Ernaehrung und Gesundheit, Kleidung und Wohnung, Vertriebene und Fluechtlinge, "Denazification", Abruestung, Kriegsgefangene usw. Weitere Exemplare koennen bei uns angefordert werden. Nach der Lektuere bitte an Freunde weitergeben.
Freiwilligen Unkostenbeitrag fuer die Herstellung dieser Mitteilungen und die Versendung unseres Materials erbeten an: W. Sander, 33, Fernside Ave., London, N.W.7.

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Das Kriegsgefangenen-Schulungslager Wilton Park in England

" ... Wilton Park ist ein Schulungslager, in das Kriegsgefangene aus den verschiedensten Lagern in England zu sieben-woechigen Kursen zusammenkommen. Es liegt in herrlicher Umgebung und wirkt in diesem Rahmen eher wie ein Erholungsaufenthalt. Die einzelnen P.W.-Studenten sind Freiwillige, d. h. sie koennen sich fuer die Teilnahme an diesen Kursen melden. Am 10. Lehrgang (5. Juli bis 16. August 1947) nahmen 240 Kriegsgefangene teil. Sie waren in Nissenhuetten untergebracht. Im uebrigen hatten sie den gleichen Status wie alle anderen Kriegsgefangenen.

Die aus Deutschland gekommenen Teilnehmer, 58, darunter zum erstenmal 10 Frauen, kamen aus allen Schichten der Bevoelkerung und waren von den verschiedensten englischen Dienststellen fuer die Teilnahme an diesem Kursus vorgeschlagen worden. Der politischen Zugehoerigkeit nach waren 18 SPD, 5 KPD-SED, 6 CDU, 3 Zentrum, 2 FDP, 1 DP, 23 parteilos.

Fast alle Teilnehmer standen irgendwie im oeffentlichen Leben, es waren fuehrende Leute aus dem Erziehungswesen, aus Wirtschaft, Presse und Verwaltung, aus Parteien, Gewerkschaften und Genossenschaften. Wir waren nicht in Huetten untergebracht, sondern in einem Steingebaeude, je zwei in einem Raum mit einfacher Einrichtung zur Angleichung an den P.W.-Standard. Die Zimmer wurden saubergehalten. Es gab auch Leute, die sich die Betten machen liessen. Betten: Strohsack auf Drahtgeflecht, 4 Decken. Heisses Wasser, Brause und Bad waren vorhanden.

Die Ernaehrung war Gefangenenkost, reichlich und gut zubereitet. Die Mahlzeiten wurden in Esshuetten gemeinsam mit den P.Ws. eingenommen. Jeder holte sein Essen selber von der Kueche ab und saeuberte sein Essgeschirr selbst. Es gab 3 Mahlzeiten am Tag und ausserdem Tee bzw. Kaffee am Vormittag und Nachmittag.

Alle Zivilstudenten erhielten woechentlich 16 Shilling 6 Pence Taschengeld, das in den letzten 3 Wochen auf 20 Shilling erhoeht wurde. Ausserdem wurde eine einmalige Zuwendung von 30 Shilling fuer den Kauf von Buechern gegeben. Das Taschengeld reicht natuerlich nicht weit (20 Zigaretten kosten 3 Shilling 4 Pence), aber mancher deutsche Zivilstudent brachte es fertig, sich zusaetzliche Einnahmequellen durch Rundfunk, Presse, Theater und andere Gelegenheiten zu erschliessen. Viele fanden Anschluss an englische Familien und hatten dadurch manche Erleichterung und Verschoenerung ihres Aufenthaltes.

Das Lager selbst gab eine Reihe von Moeglichkeiten zur Abwechslung. Es gab eine Buecherei und eine Kantine, es gab Kulturveranstaltungen, Ausstellungen usw., Gelegenheit zu Gespraechen und Spaziergaengen mit Kriegsgefangenen. Zeitungen waren in reichem Masse vorhanden. Alle wichtigen englischen Zeitungen und Zeitschriften standen zur Verfuegung, aber auch eine ganze Reihe von deutschen, die verhaeltnismaessig schnell im Lager zur Auslage kamen.

Die Zivilstudenten wurden in 2 Gruppen eingeteilt. Wir waren 4 Tage in der Woche im Lager und 2 Tage auf Besichtigungsfahrten. Sonntags war frei. Die meisten Abende waren mit Referaten von Gastreferenten belegt, die mit der Diskussion im Durchschnitt etwa 2 Stunden in Anspruch nahmen.

An den beiden Besichtigungstagen in der Woche wurden oeffentliche Einrichtungen Englands besichtigt, bei denen wir zumeist Gelegenheit zu eingehenden Aussprachen mit verantwortlichen Leuten hatten. Es wurden besichtigt bzw. besucht: House of Parliament, London County Council, Islington Wen Hall, Toynbee Hall, Cadby Hall (Lyons), Wandsworth Gas Works, Southall Technical College, Kettering Co-operative Society, Board of Trade, BBC, Fleet Street, H.Q. Liberal Party, H.Q. Labour Party, H.Q. Conservative Party, Oxford University, Port of London.

Ein Wochenende haben die meisten Zivilstudenten in einem der vielen Kriegsgefangenenlager verbracht (allein oder zu zweit). Die Besichtigungen fanden in Gruppen von 6-20 Studenten statt, und es war reichlich Gelegenheit gegeben, englische Einrichtungen wirklich eingehend kennenzulernen. Freilich war die Sprache vielfach eine Schwierigkeit, da diejenigen, die nicht englisch sprechen konnten, auf die Uebersetzer angewiesen waren, doch war stets dafuer gesorgt, dass Uebersetzer dabei waren, wie ueberhaupt die ganze Einrichtung dieser Besuchsreisen und Besichtigungen von seiten der Lagerleitung aus wirklich grosszuegig und ohne Knauserigkeit organisiert worden ist.

Die Schulleitung hatte sich grosse Muehe gegeben, Gastreferenten fuer die Abendveranstaltungen nach Wilton Park zu bringen. Es war eine grosse Zahl interessanter und wichtiger Leute des englischen oeffentlichen Lebens da. Wir geben im folgenden eine Liste der Referenten und der Themen, ueber die sie gesprochen haben: Miss Jenny Lee[12], H.O. for Cannock: Die Frau in Labour-England; Lt.Col. St. Clare Crondona[13], Commandant PO-Camp 300: Australien; Lord Soulbury[14], Mitglied des Oberhauses: Betrachtungen ueber Selbstverwaltung; Mr. Skeffington[15], Labour M.P. fuer einen Londoner Wahlkreis: Freiheit in geplanter Gesellschaft; Unterhaus-Brains-Trust: Sir St. Reed[16], M.P. (Kons.);

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Mr. A. Bramall, M.P. (Lab.); Lt. Col. Wickham[17], MVO (Kons.); Mr. A. Rabens[18], M.P. (Lab.); Mr. E. Martell[19], M.P. (Lib.), Diskussion: Die Chancen der englischen Parteien im Hinblick auf die kommenden Wahlen, Verstaatlichung, Stellung d. engl. Parteien zu einem "Vereinigten Europa" usw.; Prof. T. Hodgkin[20], Fellow of Balliol Coll., Oxford: Erwachsenenerziehung in England; Dr. H. Zbinden[21], Schweizer Journalist: Um die Zukunft Deutschlands; Dr. H. Koeppler[22], Rektor von Wilton Park: Das Problem des 20. Juli; Dr. Ronnebeck[23], Leiter des Schulwesens in Niedersachsen; Dr. Borinski[24], Leiter der Heimvolkshochschule Foehrde: Besprechung ueber Erziehungsprobleme; Industrie Brains-Trust Vertreter der Firma Wall & Sons Ltd., London, Wurst- und Speiseeisfabrik: Sie sollten unsere Fragen beantworten, die in erster Linie die Gebiete "Personal" und "Betriebsleitung" umfassten; Mr. Christopher Hill[25], Fellow of Balliol Coll. Oxford: Rusische Aussenpolitik; Dr. Walter Klatt[26], Sachverstaendiger fuer Landwirtschaft beim Minister fuer die Brit. Zone: Warum hungert Deutschland; Mr. David Worswick[27], Fellow of Magdalen College, Oxford: Die Hintergruende des Marshall-Angebots; Prof. H.G. Wood[28], D. D. of Birmingham University: Die christlichen Grundlagen einer neuen Welt. Mr. Victor Gollancz: Das deutsche Problem.

Das Ziel dieser Kurse in Wilton Park wird vielleicht am besten klar durch die Wiedergabe von Teilen eines entworfenen Rundbriefes an Deutsche, die zu diesen Kursen eingeladen werden sollen. " ... Der Erfolg des Kurses in Wilton Park haengt von der aktiven Mitarbeit der Teilnehmer ab. Sie brauchen nicht Englisch sprechen zu koennen oder eine Universitaets- oder Hoehere Schulbildung zu haben. Sie werden keine langen Predigten hoeren; fuerchten Sie also nicht, dass Sie, wenn Sie nach Wilton Park kommen, nochmals die Schulbank druecken zu muessen. Glauben Sie aber andererseits nicht, dass Sie sich nur hinsetzen koennen und zuzuhoeren brauchen. Die Arbeit in Wilton Park wird nicht so sehr von den Vorlesenden als vielmehr von den Studenten selbst getan. Das kann man schon aus der Arbeitsmethode erkennen. So etwas wie eine Vorlesung gibt es nicht. Unsere Arbeitseinheit ist eine Periode von 1 1/2 Stunden; 40 Minuten davon bilden die Einleitung des Themas, und der Rest ist der Diskussion bzw. den Fragen und Antworten gewidmet. Wir glauben, dass dies die einzig moegliche Methode ist, um die politische Erwachsenenerziehung erfolgreich zu machen. Das ist besonders wichtig im Fall einer internationalen Arbeitstagung wie z. B. in Wilton Park, da am Anfang Skepsis, wenn nicht sogar Misstrauen ueber die Absichten der anderen zumindest nicht fehlen wird. So dass, wenn Sie nach Wilton Park kommen, man erwarten wird, dass Sie mit ganzem Herzen am Lehrplan teilnehmen und jede Frage, die Ihnen wichtig erscheint, stellen werden. Wo das Thema es erlaubt, kann die Einleitung desselben von einem der Studenten vorbereitet werden, und dieser koennten sehr leicht Sie sein.

Vielleicht fragen Sie, warum England ein Interesse am deutschen Wiederaufbau nehmen sollte. Man hat jetzt allgemein begriffen, dass der innere Aufbau eines Landes und die geistige und politische Ausrichtung jeden Landes von direktem Interesse fuer andere Laender ist. Es geht nicht mehr an, dass Nationen nebeneinander leben koennen, deren Weltanschauung und deren Geschichtsbild nicht nur in einigen Punkten abweichen, sondern grundsaetzlich miteinander unvereinbar sind. Denn ein solcher Zustand muss notwendigerweise zu Reibungen fuehren, und diese Reibungen fuehren notwendigerweise zum Krieg. Wir sind jetzt ueberzeugt, dass es nicht allein die Sache des deutschen Volkes ist, wie ein neues Deutschland sich selbst der Weltlage anpasst, sondern die Sache aller derer, die in grossem Masse die Verantwortlichkeit fuer den Wiederaufbau einer vom Krieg zerstoerten Welt tragen. Wir glauben daher, dass der Versuch gemacht werden muss, die Kluft zu ueberbruecken, die zwischen den Gedankengaengen der Sieger und der Besiegten dieses Krieges besteht. Wir glauben, dass dies ein Beitrag sein kann fuer die Herstellung der zukuenftigen Beziehungen zwischen Deutschland und den Laendern, die gezwungen waren, sich der Politik des Dritten Reiches mit Gewalt zu widersetzen und es zu ueberwinden. Wir hoffen, dass diese Beziehungen dazu beitragen werden, innerhalb eines geregelten sozialen und wirtschaftlichen Rahmens ein Europa des Friedens und der Zusammenarbeit aufzubauen.

Die Arbeit in Wilton Park besteht aus vier Hauptthemen:

(a) Individuum und Staat. Hier werden die Beziehungen zwischen Buerger und Staat, die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer modernen Gesellschaft diskutiert.

(b) Internationale Beziehungen. Die Politik der Grossmaechte zu Deutschland und untereinander, sowie die Funktion der verschiedenen neuen internationalen Organisationen wird hier betrachtet.

(c) Englisches Leben. Hier wird ein Versuch gemacht, ein Bild des heutigen Englands zu geben, wie es in Wirklichkeit ist und wie es zu dem, was es jetzt ist, kam. Dieser Teil der Arbeit wird nur teilweise in Wilton Park selbst durchgefuehrt. Zwei Tage in der Woche sind fuer unsere Studenten vorgesehen, um verschiedene soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen zu besuchen, die, wie man hofft, von Interesse fuer die Studenten sind und die ihnen die Gelegenheit geben, die Maenner und Frauen, die in diesen Einrichtungen und Organisationen arbeiten, zu treffen.

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(d) Die Entwicklung Deutschlands waehrend des letzten Jahrhunderts. Dies ist in gewisser Beziehung das schwierigste und gewiss nicht das unwichtigste der Themen. Die Deutschen sind zu lange von der Aussenwelt abgeschnitten gewesen und laufen oft Gefahr, ihre eigenen Probleme ohne Beachtung der anderer Laender zu betrachten. Die brennendsten Probleme im heutigen Deutschland bilden die Ernaehrung, die Kohlenfrage und die Wohnungsfrage; aber jeder vernuenftige Mensch wird zustimmen, dass, sogar wenn diese Probleme einer Loesung naeher sind als heute, das langwierigste Problem die Wiedereingliederung Deutschlands in Europa bleiben wird. Diese Wiedereingliederung kann nicht auf das Ende der Notlage warten, sie muss jetzt beginnen. Der erste Schritt muss ein Versuch der Deutschen sein zu verstehen, wie die verantwortlichen Leute in anderen Laendern auf Deutschland sehen. Weiterhin biete Wilton Park eine Gelegenheit fuer Deutsche, das deutsche Problem von ausserhalb zu betrachten, und zwar in einer Atmosphaere eines gewissen Abstandes, die notwendig und augenblicklich in Deutschland nicht vorhanden ist. Eine nuetzliche Nebenerscheinung, die die Teilnehmer aller Parteien bei frueheren Kursen erkannt haben, ist die Gelegenheit, die Mitgliedern verschiedener politischer, sozialer Berufs- und regionaler Gruppen gegeben wird, ihre Probleme auf einer neutralen Plattform zu diskutieren ..."

Wilton Park dient zweifellos dem Voelkerfrieden. dass es verbesserungsfaehig ist, ist kein Urteil, das fuer sich allein der ganzen Einrichtung gerecht wird. So wie es heute ist, ist Wilton Park eine Schule, in die viele mit Gewinn gehen koennten. Sie gibt Ruhe, Zeit und Moeglichkeit, brennende Gegenwartsprobleme, die Geschichte Deutschlands, die Ursachen unseres heutigen Gesellschaftszustandes sowie viele interessante oeffentliche Einrichtungen Englands eingehend kennenzulernen. Damit ist die Chance gegeben, ueber einige wesentliche Dinge nachzudenken, einen weiteren Gesichtskreis zu gewinnen und sein Urteil abzurunden, in vielen Faellen ueberhaupt erst einmal die Basis fuer ein Urteil zu finden, das nicht im wesentlichen national gefaerbt ist. dass die Schule durch Aenderungen noch betraechtlich verbessert werden kann, aendert nichts an diesem positiven Urteil."

(Auszug aus einem laengeren Bericht eines Teilnehmers)

Eine Reihe von Genossen aus Deutschland, die zum Kurs in Wilton Park nach England gekommen waren, nahmen auch im September, Oktober und November wieder an den Veranstaltungen der "Vereinigung deutscher Sozialdemokraten in Grossbritannien" teil.

Am 23. September waren sie Gaeste der Vereinigung in den Raeumen der "Vega". Genossin Kirschbaum-Riedel[29], Sekretaerin des Arbeitsministers Halbfell[30] in Duesseldorf, sprach ueber ihre Taetigkeit und gab einen Bericht von der Lage der deutschen Partei. Ihre kritischen Bemerkungen richteten sich besonders gegen die zu geringe Beteiligung der Jugend und der Frauen an der verantwortlichen Arbeit der Partei. Das Jugendproblem wurde auch in dem Bericht betont, den der Berliner Genosse Schulz[31], 2. Betriebsratsvorsitzender der BEWAG ueber die gewerkschaftliche Situation in Berlin gab. Eine rege Aussprache schloss sich an die Ausfuehrungen an.

Anfang Oktober war die erste nach England eingeladene Gruppe deutscher Journalisten in London und Scottland. Der Chefredakteur des Berliner "TELEGRAF", Arno Scholz[32], sprach am 3. Oktober in einer Versammlung der "Vereinigung". Er schilderte die Entstehungsgeschichte seiner Zeitung, die sich aus schwierigsten Anfaengen zu einer der verbreitetsten, in ganz Deutschland gelesenen Tageszeitungen entwickelt hat. Er berichtete von der Zulassung der Berliner Blaetter in der Ostzone und von den Folgen, die das Lesen des "TELEGRAF" fuer Abonnenten in der Ostzone gehabt hat; das Ergebnis ist, dass die auf einem Vierzonenabkommen beruhende gegenseitige Zulassung der Zeitungen sich einseitig gegen die Blaetter der Westzone und der westlichen Sektoren Berlins auswirkt. Scholz charakterisierte die besondere Funktion des "TELEGRAF", der kein Parteiorgan ist und seine vornehmste Aufgabe darin sieht, in weiteste Kreise zu dringen und sozialistische Ideen weit ueber die Kreise der Parteimitgliedschaft hinauszutragen.

Die Journalisten und Mitarbeiter der London-Vertretung der SPD hatten noch zwei besondere Zusammenkuenfte mit den sozialistischen Redakteuren und Verlagsleitern, die sich zu Besuch in England aufhielten. (Vertreter des "TELEGRAF", des "SOZIALDEMOKRAT", des "SPANDAUER VOLKSBLATT", der "HANNOVERSCHEN PRESSE", der "NEUEN RHEINISCHEN ZEITUNG" und der in Kiel erscheinenden "SCHLESWIG HOLSTEINISCHEN VOLKSZEITUNG".)

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In diesen Zusammenkuenften wurde die Moeglichkeit besserer Zusammenarbeit zwischen sozialdemokratischen deutschen Journalisten in England und der sozialdemokratischen Presse Deutschlands besprochen. Die Tatsache[n], dass der deutsche Pressedienst der britischen Zone (DPD) erstmalig eine Vertreterin nach London entsenden durfte, dass es moeglich geworden ist, deutsche Zeitungen an Zeitungsstaenden in London zu kaufen und in ganz England zu abonnieren (siehe auch Anzeige der vorliegenden Nummer der SM) und ein London Office des "TELEGRAF" zu schaffen, wurde[n] als Fortschritt gewertet, der fuer die Zukunft neue Hoffnungen erweckt.

In einer Londoner Mitgliederversammlung der Vereinigung gab Genosse Rud. Moeller-Dostali, der seit seiner Heimkehr aus der englischen Emigration fuer den Parteivorstand in Hannover taetig ist und sich einige Wochen in London aufhielt, einen Bericht ueber die politische Lage in Deutschland und die besonderen Probleme, vor die sich die SPD auf organisatorischem, wirtschaftlichem, politischem und ideologischem Gebiete gestellt sieht. An den umfang- und inhaltsreichen Vortrag schloss sich eine lange Aussprache, zu deren Fortfuehrung ein besonderer Abend angesetzt werden musste. Die Frage der SPD im Ost-West-Konflikt, der Koalitionspolitik und der ideologischen Auseinandersetzungen, wie sie sich in der "Ziegenhainer Resolution" spiegeln, (deren Wortlaut wir in der vorliegenden SM im Wortlaut bringen) waren Hauptgegenstaende der Aussprache.

In der Sitzung der "Arbeiterwohlfahrt London" am 29. Oktober waren ebenfalls einige Genossinnen aus Deutschland erschienen. Unter der zweiten Gruppe von 10 Frauen aus Deutschland, die auf Einladung der "National Council of Women of Gt. Britain"[33] fuer 10 Tage nach England gekommen waren, um kommunale und soziale Einrichtungen in Bristol kennen zu lernen, befanden sich 5 SPD-Genossinnen, die an einem Tage auch als Gaeste der AWound der "Vereinigung" in London waren. Genossin Lanzke[34], die Vorsitzende der AWoHannover, gab einen Bericht ueber die Schwierigkeiten, mit der die Arbeiterwohlfahrt in Deutschland zu ringen hat, betonte bes. die Not der Fluechtlinge und den furchtbaren Ernaehrungs- und Gesundheitszustand der Kinder und wies auf die dringende Notwendigkeit verstaerkter Hilfe vom Ausland hin. Das Bild wurde ergaenzt durch Ausfuehrungen der Landtagsabg. Dr. Linden[35], Luebeck, und einer Genossin von der Arbeiterwohlfahrt in Kiel.

Das Palaestinenserproblem wurde von Gen. Dr. Hugo Freund[36], der sich auf der Rueckreise von Haifa nach Deutschland in England aufhielt, in einer Londoner Versammlung der Vereinigung besprochen. Ausgehend von den drei Hauptfaktoren, dem Zionismus, dem arabischen Nationalismus und den gegenwaertigen Oelinteressen der Grossmaechte, gab er ein Bild der gegenwaertigen Lage in Palaestina, wies auf die Errungenschaften der juedischen Einwanderung hin, die aber nicht zur Loesung des Judenproblems fuehren koenne. Dr. Freund besprach den Teilungsplan der UNO und beantwortete anschliessend eine Reihe zu diesem Thema gestellter Fragen.

Demontage- und Erziehungsfragen, das Karl Marx-Haus in Tier und New York, Berichte von der Amerikareise Dr. Schumachers standen im Mittelpunkt einer Versammlung der Vereinigung in London am 31. Oktober. Neben einem eindringlichen Bericht ueber die Schwierigkeiten und Probleme im Aufbau des Schul- und Erziehungswesens in Deutschland wurde auch ueber die Stimmung und Lage nach der Veroeffentlichung der Demontageliste in Deutschland gesprochen. Der Chefredakteur Walter Poller erzaehlte ueber den Aufbau und das Entstehen der Dortmunder Parteizeitung und Peter Bachér[37], Redakteur an der "Lübecker Freien Presse" unterrichtete ueber die Lage in Luebeck und Schleswig-Holstein. Beide Redakteure haben als Mitglieder der zweiten Redakteurgruppe auf Einladung des Foreign Office an einer Informationsreise durch die Industriegebiete Englands teilgenommen. Genosse Gleissberg dankte dem Gen. Poller, dem Verfasser des Buches "Arztschreiber in Buchenwald"[38] fuer seine anerkennenden Worte ueber die Emigranten und seinen optimistischen Ausblick ueber die positive Mitarbeit der Jugend in der deutschen Arbeiterbewegung. Lotte Loewenthal[39] hatte an der ersten Pressekonferenz des Gen. Dr. Kurt Schumacher in New York teilgenommen und konnte ueber die Zusammensetzung der Konferenz, ueber die Probleme, Fragen und Antworten und die Aufnahme der deutschen sozialdemokratischen Delegation aus eigenen Beobachtungen berichten. Richard Loewenthal und W. Sander konnten aus ihnen zugegangenen Berichten ergaenzende Bemerkungen machen. Jean Schulz-Douvrain[40] aus Paris schilderte zum Schluss in sehr lebhafter und interessanter Anschaulichkeit von seiner Arbeit als Sekretaer des Internationalen Komitees zur Wiederherstellung des Karl-Marx-Hauses in Trier und der grossen Feier, die die Stadt Trier als die Geburtsstadt von Karl Marx veranstaltet hatte. Es berichtete auch ueber den Stand der internationalen Vorarbeiten zu den Veranstaltungen in Trier, die am 5. Mai 1948, dem 130. Geburtstag von Karl Marx und dem 100. Geburtstag des "Kommunistischen Manifestes", durchgefuehrt werden sollen. Gen. Sander verwies in diesem Zusammenhang auf die Marx-Begraebnisstaette in Highgate.

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Die Deutsche Presse wieder im Auslande zu haben.

Jeder kann wieder Zeitungen, Zeitschriften und Buecher aus Deutschland lesen. Auf der ersten Hannoverschen Nachkriegsmesse wurde die erste Genehmigung zum Export von Zeitungen, Zeitschriften und Buechern erteilt und der Welt die Moeglichkeit gegeben, in deutschen Zeitungen zu inserieren.


Sollten Sie also eine oder die andere Heimatzeitung oder Zeitschrift abonnieren wollen oder Buecher aus Deutschland lesen wollen, wenden Sie sich um Einzelheiten an die

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teilt mit, dass bisher von ihm eingegangene Angaben ueber Gefangene und Vermisste im Osten in 1.107.261 Faellen bearbeitet werden. Davon schreiben bereits an ihre Angehoerigen 386.911 Gefangene und als Vermisste sind 738.350 ehemalige Wehrmachtsangehoerige festgestellt. Die Bearbeitung und Sichtung des eingegangenen Briefmaterials ist damit noch nicht abgeschlossen. An verschleppten und vermissten Zivilpersonen wurden 1.172 Jugendliche 4.132 Frauen und Maedchen, 6.164 Maenner registriert. In den obigen Zahlen ist das Gebiet oestlich der Elbe einschl. Berlin mit 5,4% enthalten.

Die Angaben aus den einzelnen Gemeinden und Bezirken sind sehr unterschiedlich. Die hoechste Zahl an Gefangenen und Vermissten weist die Gem. Bergenstedt (Holstein) = 1.100 Einwohner mit 29 Gefangenen und 51 Vermissten auf. Im Durchschnitt liegen die Ergebnisse in den bisher bearbeiteten Gebieten bei 41 Gefangenen und Vermissten auf 1.000 Einwohner. Diese Zahl, umgerechnet auf das Rumpfgebiet Deutschland mit 65 Mill. Einwohnern, ergibt zur Zeit eine Gefangenenzahl von 2.665.000 Gefangenen und Vermissten im Osren. Die Aufgliederung dieser Gesamtzahl nach Gefangenen und Vermissten im gleichen Verhaeltnis, wie es durch die Kriegsgefangenenhilfe der SPD bei ihrer Registrierung ermittelt wurde, fuehrt zu der Zahl 887.445 Kriegsgefangene, die bis zum heutigen Tage aus den Kriegsgefangenenlagern Sowjetrusslands schreiben, und 1.777.555 Vermissten aus dem Osten.

Auf Einladung der schwedischen Sozialdemokratie und Arbeiterwohlfahrt war Lotte Lemke, Hannover, Geschaeftsfuehrerin der deutschen AWo, in Schweden. Die Sozialistische Partei Oesterreichs hatte ihren 3. Parteitag nach dem Zusammenbruch vom 22. bis 26. abgehalten. Es nahmen Delegationen aus 11 europaeischen Laendern teil. Die SPD war durch Herta Gotthelf, Hannover, W. v. Knoeringen, Muenchen, und Louise Schroeder, Berlin, vertreten.

Die hollaendische "Partij van de Arbeid" hatte zur gleichen Zeit eine Delegation der SPD nach Holland geladen, bestehend aus den Genossen Ad. Grimme, Lotte Lemke und Erich Ollenhauer. Es fanden Besprechungen mit der Kommission fuer auswaertige Angelegenheiten, mit dem hollaendischen Parteivorst. und Vertretern hollaendischer Gewerkschaften statt, und es wurden verschiedene hollaendische und internationale Institutionen besichtigt. Unter Mitwirkung und Kontrolle hollaendischer Parteistellen soll ein Landesausschuss der AW errichtet werden. Es fanden auch Besprechungen mit der Emigration statt, und mit Zustimmung der hollaendischen Genossen wird der Gen. Ernst Hoche[41] als Verbindungsmann fuer die SP taetig sein.

Die Sozialdemokratische Partei Schwedens hat den Gen. Dr. Kurt Schumacher und eine Vertretung des Vorstandes der SPD eingeladen, nach Schweden zu kommen, um einen engeren Kontakt mit der schwedischen Sozialdemokratie herzustellen und die schwedische Arbeiterschaft ueber die Lage in Deutschland zu informieren.






Editorische Anmerkungen


1 - Erich Winkler (1900-1966), 1933 der letzte Leiter der sozialdemokratischen Heimvolkshochschule Tinz (Thüringen), während der NS-Zeit wegen illegaler politischer Tätigkeit viermal inhaftiert. Nach 1945 Gegner der Fusion KPD und SPD in Thüringen (später wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen 2 Jahre Gefängnis), widmete sich der Kultur- und Bildungsarbeit in der Berliner Sozialdemokratie, SPD-Bezirksverordneter in Berlin-Wilmersdorf und bis zu seiner Pensionierung in der Senatsverwaltung für das Schulwesen mit Volkshochschulangelegenheiten betraut.

2 - Guntram Prüfer (1906 - 1979), Essayist, Dramatiker und Lyriker, Hamburger Mitglied der Gruppe Sozialistischer Schriftsteller.

3 - Eine der nach dem Krieg entstandenen Organisationen der europäischen Einheitsbewegung, die einen Zusammenschluss der europäischen Staaten anstrebte.

4 - Im August 1945 in Treysa war von Vertretern der Landes- und Provinzialbehörden u. a. der Rat als vorläufige Kirchenleitung der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) eingesetzt worden. Zum Kirchenbund der EKD gehörten lange Zeit auch die Landesbehörden der SBZ.

5 - In Detmold am 17. Juli 1947.

6 - Zu Hans Etzkorn konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

7 - Günter Markscheffel: Siehe SM 73/74, April/Mai 1945, Anm. 19.

8 - Zu Dr. Wacker konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

9 - Paul Pankowski: Siehe SM 79/80, Okt./Nov. 1945, Anm. 91.

10 - Walter Pöppel (1904 - 1993), Gärtner, Metallarbeiter, später Fotograf und Journalist, 1924 Mitglied und Funktionär der SAS, 1926 der Jungsozialisten, 1928-1930 im Vorstand der SPD-Dresden, Mitbegründer der SAP in Sachsen, 1933 wegen Gefährdung durch illegale politische Tätigkeit Flucht in die CSR, Januar - Oktober 1935 illegal in Berlin, um Kontakte zum SAP-Widerstand aufrechtzuerhalten, 1938 Emigration nach Schweden, dort Metallarbeiter und Fotograf, 1940 ausgebürgert, tätig in der schwedischen SAP-Gruppe und in der Landesgruppe Schweden der Auslandsvertretung deutscher Gewerkschafter. Gegen Kriegsende Mitglied der SPD, ab 1948 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Schwedens.

11 - Der Bericht folgt als Beilage zu diesem Heft.

12 - Jennie Lee (1904 - 1988), Tochter einer schottischen Bergarbeiterfamilie, Juristin, Lehrerin und Journalistin, prominente Labour-Politikerin, verheiratet mit Aneurin Bevan (s. d.), 1929-1931 und 1945-1970 Labour-MP, 1964-1970 Regierungsämter (Staatssekretärin und Staatsministerin), 1970 geadelt (life Peers).

13 - Zu St. Cla(i?)re Crondona konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

14 - Herwald Rambsbotham of Soulbury (geb. 1887), Konservativer, 1936-1937 Kabinettsminister, 1940-1941 Unterrichtsminister, 1949-1954 Generalgouverneur v. Ceylon.

15 - Arthur Massey Skeffington (1909 - 1971), Volkswirt und Jurist, Mitglied der Fabian Society und Labour Politiker, 1945-1950 und 1953 ff. MP.

16 - Stanley Reed (geb. 1872), Journalist, Publizist, konservatives MP 1938-1950.

17 - Lieutenant-Colonel Edward Thomas Wickham (1890 - 1957), Berufsmilitär und konservativer Politiker, 1935-1945 MP. MVO = Member of the Royal Victorian Order.

18 - Alfred Rabens (geb. 1910), Gewerkschafter und Labour-Politiker, 1945-1960 MP, 1945-1951 Parlamentarischer Staatssekretär bei versch. Ministerien, 1951 Arbeitsminister, 1961 geadelt, 1961-1971 Chairman des National Coal Board.

19 - Edward Martell (geb. 1909), Journalist, Buchhändler und Verleger, als Liberaler 1946-1949 Mitglied des London County Council.

20 - Thomas Lionel Hodgkin (geb. 1910), Dozent und Autor (u. a. zu Themen der Erwachsenenbildung und afrikanischer Politiker).

21 - Hans Zbinden (1893 - 1971), Schweizer Publizist und Kultursoziologe, im 2. WK Kriegsgefangenenhilfe, ab 1955 Professor an der Universität Bern.

22 - Heinz Koeppler (1912 - 1979), Historiker, 1933 nach GB emigriert, 1937 brit. Staatsbürgerschaft, Dozent und Prof., 1946-1977 Rektor von Wilton Park, das im Laufe der Zeit zu einem Zentrum europäischer Begegnungen wurde. Vgl. D. M. Keezer: A Unique Contribution to International Relations: The Story of Wilton Park, London 1973.

23 - "Ronnebeck": Günther Rönnebeck (1901 - 1986), 1924-1929 Lehrer (Deutsch, Geschichte) in Landerziehungsheimen, ab 1929 im Schuldienst in Hannover. Nach dem II. Weltkrieg (Kriegsdienst) 1945-1966 im Oberpräsidium Hannover und dann im niedersächsischen Kultusministerium Referent für Schulreform und seit 1947 Leiter der Schulabteilung, 1952 Ministerialdirigent, Vertreter Niedersachsens in der KMK.

24 - Fritz Borinski (geb. 1903), Soziologiestudium, promovierter Jurist (1927), seit 1928 SPD-Mitglied, 1931-1933 Assistent am Leipziger Universitätsseminar für Freie Volksbildung, nach 1933 illegale politische Tätigkeit, 1934 Exil in GB, Zusammenarbeit mit Otto Strasser (s. d.) und Hans Ebeling (s. d.), 1940-1941 in Australien interniert, 1941 Rückkehr nach GB, im Oktober 1941 der "deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig" erklärt, führend bei der German Education Reconstruction (s. d.) und tätig in Wilton Park. 1947 Rückkehr nach Deutschland, tätig in Erwachsenenbildung und 1947-1954 Direktor der Heimvolkshochschule Göhrde (nahe Lüneburg/Nieders.), 1954-1956 Direktor der Volkshochschule Bremen, 1956-1970 Prof. für Erziehungswissenschaften an der Freien Universität Berlin.

25 - Christopher Hill (geb. 1912), Dozent für neuere Geschichte in Oxford, Autor u. a. von Lenin and the Russian Revolution, London 1947.

26 - Werner Klatt (geb. 1904), Agrarwissenschaftler (u. a. bei IG Farben), in der Weimarer Republik SPD- und Gewerkschaftsmitglied, hatte sich später der Gruppe Neu Beginnen angeschlossen, illegale politische Tätigkeit nach 1933, 1939 Emigration nach GB, 1940 interniert, 1940 - 1946 Tätigkeit im Londoner Außenministerium (als brit. Staatsangehöriger). 1946-1966 Wirtschaftsberater versch. Ministerien.

27 - David Worswick (geb. 1916), Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, ab 1965 Direktor des National Institute of Economic and Social Research.

28 - Herbert George Wood (geb. 1879), Theologe und Historiker, 1940 - 1946 Prof. für Theologie an der Universität Birmingham.

29 - Anny Kirschbaum-Riedel (geb. 1907), SPD-Mitglied, 1946-1951 im NRW-Arbeitsministerium tätig, später bei der Gewerbeaufsicht beschäftigt. .

30 - August Halbfell (1889 - 1965), Bergmann, früh Sozialdemokrat und Gewerkschafter, 1922-1933 Aufsichtsratsmitglied im Ruhrkohlensyndikat, 1928 - l933 Direktor des Arbeitsamtes Gelsenkirchen, 1933 und 1944 inhaftiert. Nach Kriegsende Präsident des Landesarbeitsamtes Westfalen, 1946-1954 SPD-MdL NRW, 1946-1950 NRW-Arbeitsminister

31 - Kurt Schulz (1906 - 1979), Elektromechaniker, SPD-Mitglied und Gewerkschafter, 1947-1951 stellvertretender und von 1951-1968 Betriebsratsvorsitzender der BEWAG.

32 - Arno Scholz (1904 - 1971), ausgebildet als Mechaniker und im Druckerei- und Verlagswesen, 1930 - 1933 Redakteur des sozialdemokratischen "Volkswille" (Hannover), 1933 Berufsverbot, später Werbeberater und Klischeehersteller in Berlin. Seit 1946 Herausgeber und Chefredakteur des "Telegraf" (Berlin).

33 - National Council of Women of Great Britain = Dachverband britischer Frauenorganisationen.

34 - Emmy Lanzke (1900 - 1962), 1945-1961 SPD-Ratsmitglied in Hannover, Vorsitzende des Kreisausschusses der Arbeiterwohlfahrt Hannover.

35 - Elly Linden (1895 - 1987), 1915-1916 Volksschullehrerin, danach Universitätsstudium und Lehrtätigkeit an der Handelslehranstalt Lübeck, seit 1927 SPD-Mitglied, nach 1945 Dozentin an der Volkshochschule Lübeck, 1946-1962 SPD-MdL Schleswig-Holstein.

36 - Hugo Freund (geb. 1890), promovierter Mediziner, 1927-1933 SPD-Stadtverordneter in Dresden, Ministerialdirektor im sächsischen Innenministerium, Mitglied des Vorstandsrates des Vereins Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 1933 nach Palästina emigriert.

37 - Peter Bachér (geb. 1927), Journalist, 1947-1949 bei der "Lübecker Freien Presse", damals SPD-Mitglied, 1949-1953 Redakteur beim "Hamburger Echo", 1953-1959 bei der "Bild"-Zeitung, 1974-1984 Chefredakteur von "Hör zu!", 1984-1992 Herausgeber dieser Programmzeitschrift, bedeutende Rolle beim Axel -Springer-Verlag.

38 - Walter Poller: Arztschreiber in Buchenwald. Bericht des Häftlings 996 aus Block 36; 1947 war bereits die 2. Auflage dieses Buches erschienen. W. Poller (1900 - 1983), Journalist, 1919-1933 Redakteur bei einer SPD-Zeitung in Hamm i. W., nach 1933 zweimal Schutzhaft, wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" 4 Jahre Zuchthaus und 2 Jahre KZ Buchenwald. Kurz nach dem Krieg SPD-Sekretär in Hamburg, ab 1946 Chefredakteur der sozialdemokratischen "Westfälischen Rundschau" (Dortmund).

39 - Lotte Löwenthal: Wahrscheinlich handelt es sich um Charlotte Herz, geb. Abrahamsohn (geb. 1908), Nationalökonomin, seit 1928 SPD-Mitglied, seit Frühjahr 1929 Mitglied der Sozialistischen Studentengruppe, seit Frühjahr 1936 im Exil in GB (sie gibt private Gründe dafür an), dort Tätigkeit als Archivarin im Central European Joint Committee, 1960 mit Richard Löwenthal verheiratet (s. d.).

40 - "Schulz-Douvrain": Johannes Schulz (geb. 1904), Bankangestellter, in den 20er Jahren Eintritt in die KPD, 1933 Flucht vor drohender Verhaftung nach Paris, dort Mitarbeiter von Willi Münzenberg (s. d.), 1938 Trennung von der KPD, 1939 interniert, 1941 Flucht in die Pyrenäen (führte den Tarnnamen "Jean Douvrain"), 1944 Mitglied der SFIO und der Landesgruppe deutscher Sozialdemokraten in Frankreich. 1947 Rückkehr nach Deutschland, ab 1949 Mitarbeit als Journalist bei der sozialdemokratischen "Freiheit"(Mainz), 1949-1952 SPD-Sekretär in Neustadt a. d. W.

41 - Ernst Hoche (1905 - 1972), Küfer, seit 1920 Mitglied der Arbeitersportbewegung, seit 1923 der SPD, nach 1933 im Widerstand, 1934 Flucht nach Amsterdam, 1940-1945 im Untergrund. 1945-1950 Angestellter beim Jugendring in Amsterdam, 1950-1967 SPD-Geschäftsführer in Hamburg-Altona.




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