SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 62 - 1944

10. Mai 1944

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Vor vier Jahren, im Mai 1940, begann Hitlers grosse Offensive im Westen, die zur Besetzung Hollands, Belgiens und Frankreichs fuehrte. Seitdem stehen deutsche Truppen an der Kueste des Atlantiks und an der franzoesischen Seite des Kanals.

In diesen vier Jahren hat das Schicksal Englands eine Entwicklung durchgemacht, die zum Dramatischsten gehoert, das die Geschichte kennt. Die Insel, die im Sommer 1940 der einzige Fleck Europas war, auf dem der bewaffneten Macht des Faschismus Widerstand geleistet wurde und die in staendiger toedlicher Invasionsgefahr schwebte, ist zum Aufmarschplatz des groessten Invasionsheeres der Weltgeschichte geworden, das den Kontinent und die Welt vom Faschismus befreien soll. Das Land, das vor vier Jahren nach dem Zusammenbruch aller seiner Verbuendeten allein den Kampf weiterfuehrte, das dem Ansturm der deutschen Bomber gegen seine Staedte und der deutschen U-Boote gegen seine Schiffahrt standhielt, ist zum Mittelpunkt einer Weltkoalition geworden, zu der die maechtigsten Staatengebilde der Erde, die UdSSR und die USA gehoeren. - Damals, vor vier Jahren, schien der Kampf Grossbritanniens hoffnungslos, und andere wieder verurteilten ihn als Fortsetzung eines imperialistischen Krieges. Heute scheint die Fortsetzung des Kampfes fuer die Nazis hoffnungslos und heute ist es Goebbels, der den Krieg imperialistisch nennt.

In diesem Fruehling ist die Aufmerksamkeit der Welt erneut auf England gerichtet, weil von hier aus der Stoss nach dem Kontinent erwartet wird, der die Entscheidung auf dem militaerischen Felde der Kriegsfuehrung bringen soll. Die deutschen Armeen haben sich im Osten vor dem Ansturm der Roten Armee bis an die Karpaten, bis hinter die Rokitno-Suempfe und bis nach Estland zurueckziehen muessen. Sie haben nach dem Verlust ihrer afrikanischen Stellungen ein Drittel Italiens verloren und den alliierten Brueckenkopf suedlich Roms nicht beseitigen koennen. Gelingt es den Amerikanern und Englaendern, nach einer Luft-

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offensive ohnegleichen Truppenmassen im Westen des europaeischen Kontinents zu landen, dann wird die militaerische Lage des Hitler-Regimes bald unhaltbar sein.

Je naeher die Entscheidung rueckt, umso dringender wird die Frage, wie sich die politische Lage Europas gestalten wird, wenn die Alliierten den Kontinent von der Hitler-Diktatur befreien. Die Ereignisse, die den Konferenzen der Aussenminister Russlands, Amerikas und Englands in Moskau und Stalins, Roosevelts und Churchills in Teheran gefolgt sind, haben erkennen lassen, dass noch manches zu tun und zu klaeren bleibt, bevor eine voellige Uebereinstimmung der drei alliierten Grossmaechte und ihrer Haltung zu den Nationen Europas erzielt ist. Es ist zu hoffen, dass die Besprechungen, die kuerzlich in London mit dem amerikanischen Staatssekretaer Stettinius[1] stattfanden, einen weiteren Schritt zur Uebereinstimmung zwischen USA und Grossbritannien brachten. Es bleibt zu hoffen, dass die europaeische Politik der Sowjetunion sich klarer als bisher in den gemeinsamen Rahmen fuegen wird.

Es haette wenig Sinn, die Probleme verschweigen zu wollen, die sich gerade in letzter Zeit so deutlich gezeigt haben. Der Konflikt zwischen der Sowjetregierung und der polnischen Exilregierung hat sich nicht gemildert; die Sowjetregierung haelt an der Forderung fest, den 1939 von der Roten Armee besetzten Teil Polens der Sowjetunion einzuverleiben; die "polnischen Patrioten" in Moskau, die Front gegen die polnische Exilregierung machen, stimmen dieser Forderung zu, falls Polen durch deutsche Gebiete entschaedigt wird; das Ergebnis des Streites ist, dass die Verheissung der Atlantic Charter, territoriale Aenderungen nur mit Zustimmung der betroffenen Bevoelkerung vorzunehmen, in Zweifel geraten ist.

Nicht nur mit der polnischen, auch mit der jugoslawischen und griechischen Exilregierung haben sich Schwierigkeiten ergeben. In Jugoslawien wie in Griechenland haben sich Bewegungen gebildet, die unabhaengig von den Exilregierungen oder in offener Opposition gegen sie den Kampf gegen die deutsche Besetzung aufgenommen haben und die Zukunft ihres Landes selbst gestalten wollen. Die jugoslawische Freiheitsarmee und provisorische Regierung Titos[2] hat die Anerkennung der Sowjetunion und die militaerische Unterstuetzung Englands gefunden. Die Spannung zwischen der griechischen Heimat-Bewegung und der Exilregierung in Kairo hat zu langwierigen Kabinettskrisen und zu Meutereien gefuehrt, und es ist ungewiss, ob es dem neuen sozialdemokratischen Ministerpraesidenten Papandreu[3] gelingen wird, eine Einigung zwischen Koenig, Regierung und Volk herbeizufuehren.

Konflikte dieser Art koennen nicht nur Zweifel an der Einigkeit der "Vereinigten Nationen" aufkommen lassen und damit die einzige

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Hoffnung naehren, die den Nazis und ihren Verbuendeten noch geblieben ist. Sie koennen auch in den Voelkern Europas die Besorgnis erwecken, dass ihnen nach der Befreiung ihrer Laender von der Hitler-Tyrannei Regierungen aufgezwungen werden sollen, die von ihnen nicht gewaehlt, nicht gewollt und nicht gebilligt sind. Das schnelle Gelingen des militaerischen Entscheidungsstosses auf dem Kontinent wird nicht zuletzt von der tatkraeftigen Mithilfe der Freiheitskaempfer in den unterdrueckten Laendern abhaengen. Die Hoffnung auf eine gesunde und dauerhafte Neu-Ordnung Europas laesst sich nur verwirklichen, wenn sie dem freien Willen der Voelker entspricht und wenn an ihrer Wiege nicht Zwang, sondern Solidaritaet und Selbst-Verantwortung stehen.

Deshalb verdienen die warnenden Stimmen, die sich gegen einseitige Zwangsloesungen der europaeischen Regierungs- und Grenzfragen erheben, die groesste Beachtung aller, die den heissen Wunsch haben, dass dieser Weltkrieg der letzte ist und Europa nach so viel unsaeglichen Leiden eine gluecklichere und segensreichere Zukunft haben soll.

Die Wiederauferstehung der Demokratie in den vom faschistischen Regime befreiten Gebieten Italiens - ein muehevoller und leidensreicher Prozess nach zwei Jahrzehnten Diktatur in einem militaerisch besetzten Lande - ist ein Schauspiel, auf das sich die Augen aller Freiheitsfreunde und besonders aller Sozialisten mit grosser Hoffnung, aber nicht ohne Bangen richten. Auf die Forderung "bedingungsloser Kapitulation" liessen die Alliierten die Anerkennung der Badoglio-Regierung als eines halben Verbuendeten folgen. Auf das Regime einer Militaer-Regierung liessen sie Schritte zur Selbstverwaltung folgen. Parteien bildeten sich, politische Fuehrer kehrten aus langem Exil zurueck, freie Gewerkschaften wurden wieder errichtet. Alle forderten Abdankung des Koenigs, der sein Land an den Faschismus verraten hatte, und lehnten die Zusammenarbeit mit Badoglio ab, der Abessinien fuer Mussolini erobert hatte. Waehrend die Westmaechte erklaerten, die Entscheidung ueber die Regierung Italiens nach der Befreiung Roms dem italienischen Volke ueberlassen zu wollen, nahm die Sowjetregierung einen Austausch diplomatischer Vertreter mit der Badoglioregierung vor, die daraufhin von den italienischen Kommunisten unterstuetzt wurde.[4] Der Koenig erklaerte sich zur Abdankung nach Roms Befreiung, Badoglio zur Umbildung seines Kabinetts bereit, und Vertreter aller sechs nicht-faschistischen italienischen Parteien sind in die neue Regierung eingetreten.

So unklar die Einzelheiten der Vorgaenge in Italien im Schatten der Kriegsereignisse geblieben sind, so unschwer sind die verheissungsvollen und die bedenklichen Zuege des Bildes zu er-

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kennen, das sie bieten. Verheissungsvoll scheint es, dass die Alliierten dem italienischen Volk sofort nach dem Waffenstillstand eine Chance zur Mitarbeit gaben; bedenklich, dass sie den Koenig und Badoglio stuetzten und damit die radikale Vernichtung des Faschismus verzoegerten. Verheissungsvoll scheint es, dass nach 22 Jahren Diktatur demokratische Parteien und Gewerkschaften in kuerzester Zeit wieder ins Leben traten, politische Emigranten heimzukehren und aufs neue zu wirken begannen und die "AMGOT"[5]-Verwaltung nicht laenger als noetig aufrechterhalten wurde; bedenklich, dass die drei Grossmaechte nicht einheitlich handelten und so den Politikern Italiens keine andere Wahl blieb, als ihre Ablehnung Badoglios unter dem Zwang der Ereignisse zu widerrufen.

Dass Italien einen Wegweiser fuer die Probleme darstellt, die sich auch in anderen Laendern Europas, in feindlichen wie in verbuendeten, ergeben werden, ist deutlich durch die Diskussion erwiesen worden, die seit langem um die Zukunft Frankreichs im Gange sind. Das Zoegern der Alliierten, das Nationalkomitee de Gaulles in Algier als franzoesische Regierung anzuerkennen, die Entschlossenheit der "kaempfenden Franzosen", sich gegen alle Mitarbeiter der Nazis zu wenden, die in der Hinrichtung Pucheaus[6] ihren krassesten Ausdruck fand, und die Kaltstellung Girauds, der im Kampfe zwischen den Anhaengern de Gaulles und denen Vichys nicht entschieden genug Stellung nehmen wollte, - das alles deutet auf Konflikte hin, die in jedem Lande des Kontinents ausgetragen werden muessen und die mit nationalen Schlagworten ebensowenig zu loesen wie mit Diktaten von aussen zu verhindern sein werden.

Wer Europa befreien will, wird fuer die Parteien der Freiheit in Europa Partei nehmen muessen. Und wer Europa den Frieden geben will, wird seine sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen sichern muessen. Es fehlt nicht an Aeusserungen verantwortlicher Staatsmaenner, die solchen Einsichten zustimmen. Aber solange die Zukunftspolitik der Regierungen Ueberraschungen ausgesetzt [ist], wie man sie in letzter Zeit erlebte, werden sichere Fundamente des kommenden Friedens nicht von Proklamationen zu erwarten sein; eher von Organisationen, die internationalen Einfluss haben.

Aus diesem Grunde kommt den Beratungen und Beschluessen der - von allen Vereinten Nationen ausser der Sowjetunion beschickten - Internationalen Arbeitskonferenz in Philadelphia[7] eine so grosse Bedeutung zu; denn dort soll ein Plan zur sozialen Sicherung der Arbeiter aller Laender entworfen und ein internationales Amt geschaffen werden, das dafuer sorgen soll, die Arbeits- und Einkommensverhaeltnisse aller Voelker auf einem menschenwuerdigen Niveau zu halten.

Wenn die Delegierten zur naechsten Jahreskonferenz der britischen Labour Party ueber internationale Fragen verhandeln und

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beschliessen werden, werden auch sie, wie wir hoffen, sich ihrer Verantwortung vor der Zukunft bewusst sein. Auf die britische Labour Party, die staerkste und einflussreichste demokratische Arbeiterpartei, die dem Ansturm des Faschismus nicht erlag, sind die Hoffnungen der Arbeiter aller Welt gerichtet, auch der Millionen aller Nationen, die heute Sklaven der Hitlerschen Kriegsindustrie sind. Die heftigsten inneren Auseinandersetzungen in der Labour Party sollten angesichts dieser grossen Verantwortung fuer das Kommende kein Hindernis fuer eine weitschauende, klare vom Geiste internationaler Solidaritaet getragene, wahrhaft europaeische Politik sein.

wird der naechsten Jahreskonferenz der Partei in einem besonderen Bericht der Nationalexekutive der britischen Labour Party vorgelegt, als dessen Ziel folgende Punkte angegeben werden:


Den kuenftigen Krieg zu verhindern, indem seine Ursachen beseitigt und im voraus kollektive und praeventive Aktion[en] gegen alle Arten von Angriff unternommen [werden]; dennoch dafuer zu sorgen, dass, falls uns durch Angriff von irgend einer Seite abermals Krieg aufgezwungen wird, wir imstande sein werden, den Angreifer schnell und vollstaendig zu zerschmettern; einen hohen und staendig steigenden Standard wirtschaftlichen Wohlstandes in allen Laendern zu erreichen, sowie das Ende der Arbeitslosigkeit, der Armut und der Unterernaehrung, und ein wirksames System sozialer Sicherheit in allen Laendern; Demokratie und politische Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten.

Nach einem Hinweis auf den Terror in den besetzten Gebieten wird die Frage der deutschen Verantwortung behandelt und gesagt:

"Wenig laesst sich durch eine Debatte darueber gewinnen, wieviele Deutsche fuer alle diese Uebel verantwortlich sind. Sicher sind viele Millionen direkt fuer diese Akte verantwortlich; besonders die Mitglieder der Gestapo, der SS und der SA, die alle Nazis sind, und eine grosse Zahl der regulaeren Streitkraefte. Das allein bringt die Gesamtzahl der Verbrecher auf eine furchtbare Hoehe. Ausserdem ist es schwer zu behaupten, dass eine Nation, die einer Minderheit gestattet, sie ihrer Freiheit zu berauben, damit der 'Verantwortung' fuer alle Konsequenzen dieses Raubes entgeht. Die sozialistische Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung wurde voellig zerschlagen, und es gibt bisher noch keine wirksame 'Untergrundbewegung' in Deutschland. Seit der Machtergreifung der Nazis im Jahre 1933 haben viele Millionen deutscher Arbeiter in Waffenfabriken und anderen Industrie-

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zweigen ihr Aeusserstes getan, um Hitlers Kriegsmaschine aufzubauen und zu staerken.

Andererseits ist es absurd zu leugnen, dass es viele anstaendige, gutherzige Deutsche gegeben hat und gibt. Das Schlimme ist nicht, dass keine guten Deutschen existieren, sondern dass sie besonders erfolglos bei der Bekaempfung der schlechten Deutschen sind.

Von Hitlers frueheren Gegnern haben sich einige zweifellos nachtraeglich zum Nazismus bekehrt. Viele andere, darunter die Besten, sind jetzt tot, entweder auf natuerliche Art gestorben oder als Opfer des Krieges. Andererseits ist seit 1933 durch Nazi-'Erziehung' der systematische Versuch erfolgt, die gesamte deutsche Jugend zu korrumpieren und zu brutalisieren.

Nach allem, was die Welt durchgemacht hat, koennen wir uns nicht mehr aufs gute Glueck verlassen. Im Interesse aller seiner Nachbarn und auch im Interesse der Deutschen selbst, besonders der jungen Generation, muessen wir alle noetigen Massnahmen ergreifen, um eine Wiederholung des deutsches Angriffs zu verhindern. Darauf bestehen auch Stalin und die Russen. Ebenso die Sprecher unserer Genossen in allen Laendern des besetzten Europa. Wir in England entgingen 1914-1918 nur mit genauer [!] Not der Katastrophe, und noch kritischer war es im Jahre 1940. Zweimal im Laufe unseres Lebens gerieten wir an den Rand einer nationalen Katastrophe, von der wir uns im Falle eines deutschen Sieges und eines brutalen deutschen Friedens nicht haetten erholen koennen. Wir koennen uns kein drittes Mal in solche Gefahr begeben."

Ueber die Situation unmittelbar nach dem Kriege wird gesagt: "Unser erstes Ziel muss es sein, die engste Zusammenarbeit zwischen England, Amerika und Russland, die moeglich ist, fortzusetzen. Diese Zusammenarbeit darf nicht zu einer exklusiven Gruppierung fuehren und darf auch kein Instrument fuer die Beherrschung der uebrigen Welt sein. Wir koennen nur unsere Ideen und Hoffnungen vereinigen und die weitestmoegliche Uebereinstimmung versuchen. Die Konferenzen der Vertreter der drei Regierungen in Moskau und Teheran waren ein nuetzlicher Anfang."

Ueber den Plan einer internationalen Streitkraft wird erklaert:
"Es waere utopisch anzunehmen, dass die nationalen Streitkraefte des britischen Reiches, der USA und der Sowjetunion sofort nach dem Krieg in eine einzige internationale Streitkraft umgeformt werden koennen. Aber wir sollten versuchen, den Anfang einer solchen Streitkraft zu schaffen, erst einmal als Ergaenzung der nationalen Streitkraefte, sobald der Krieg zu Ende ist."

Ueber die Abruestung Deutschlands und Japans wird gesagt:

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"Sie muss in den Friedensvertraegen ohne Zeitgrenze erzwungen werden. Eine reine Zivilpolizei, die von den Besatzungsarmeen unterstuetzt wird, muss die Ordnung aufrechterhalten, und die Macht der deutschen Militaerkaste muss ebenso wie die der deutschen Junker und Schwerindustriellen vernichtet werden. Aehnlich mit Japan. Die Siegerstaaten muessen diesmal die einzigen Richter darueber sein, wie bald und inwieweit sie ihre Ruestungen reduzieren koennen. Dennoch sollte nach dem Sieg eine grosse und allgemein gebilligte Reduktion moeglich sein, und die britische Regierung sollte ihre Plaene dafuer zunaechst mit der amerikanischen Regierung und dann mit den uebrigen Vereinigten Nationen in Uebereinstimmung bringen.

Deutschland und Japan sollten nach dem Krieg fuer eine betraechtliche Zeit besetzt werden. Italien und die kleineren Achsenstaaten sind viel weniger gefaehrlich und koennen weniger streng und fuer kuerzere Zeit kontrolliert werden.

Irgendeine Form internationaler Kontrolle des deutschen und japanischen Wirtschafts- und Finanzsystems, einschliesslich der Schwerindustrie, muss von den Regierungen der Vereinigten Nationen, mindestens fuer die Zeit von einigen Jahren, ausgearbeitet werden. Das deutsche Kriegspotential, das heisst, die deutsche Faehigkeit, einen neuen Krieg zu beginnen, muss entschieden reduziert werden. Aehnlich fuer Japan.

Aber wir muessen uns daran erinnern, dass keine Diskriminierung gegen die besiegten Staaten auf lange Zeit erzwungen werden kann, ausser durch tatsaechliche militaerische Besetzung oder eine wirksame Gewaltdrohung aus naechster Naehe."

Zum Thema Kriegsverbrecher heisst es, dass sie ausgeliefert werden sollen, soweit sie identifiziert werden koennen, aber dass eine Serie langer gerichtlicher Verfahren vermieden werden soll. Zu begruessen sei der Beschluss der Moskauer Konferenz, alle Verbrecher, soweit moeglich, an den Schauplatz ihrer Verbrechen zurueckzusenden, damit sie dort abgeurteilt werden koennen. Es waere gerecht, dass die Mitglieder der Gestapo, der SS usw. eine Zeitlang in Russland und anderswo Reparationsarbeiten verrichten sollen. "Aber wir wuenschen keinen von ihnen hier", wird hinzugefuegt. - Zur Frage der Reparationen heisst es:

"Diesmal muessen Reparationen Teil eines kontrollierten und geordneten Systems sein. Ihr Zweck muss es sein, den Kriegsschaden sobald wie moeglich und nach einem sorgfaeltigen Plan zu reparieren, waehrend unguenstige Wirkungen auf das Wirtschaftsleben der Empfaenger vermieden werden muessen. Es waere gut, das ganze Reparationsprogramm in etwa fuenf bis sechs Jahren zu beenden." Zur Grenzfrage heisst es: "Grenzen in Europa und anderswo muessen

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endgueltig im Lichte vieler Umstaende geregelt werden, die man heute noch nicht genau voraussehen kann. Es waere ein Fehler fuer die Labour Party, sich fuer ein Programm klar bestimmter Grenzen in diesem Zeitpunkt einzusetzen.


Aber wir muessen bei der Festsetzung von Grenzen auf drei Dinge zielen. Erstens muessen die Grenzen so gezogen werden, dass sie geographische und wirtschaftliche Unbequemlichkeiten fuer den Transit von Personen und Guetern auf ein Minimum reduzieren. Zweitens sollten einmal bestimmte Grenzen als endgueltig betrachtet werden, und jede Agitation fuer Grenzrevisionen soll entmutigt werden. Drittens sollten wir internationale Arrangements versuchen, die Grenzen als wirtschaftliche und kulturelle Barrieren immer weniger wichtig machen sollten. Sie sollten weniger Schranken als Bruecken zwischen den Nationen sein. Aber 'nationale Minderheiten' in Mitteleuropa, die ausserhalb der Grenzen ihrer eigenen Nationen bleiben, sollten dazu ermutigt werden, in sie zu ziehen [!]. Besonders sollten alle Deutschen, die ausserhalb der Nachkriegsgrenzen Deutschlands gelassen werden, nach Deutschland zurueckgehen, falls sie nicht willens sind, loyale Untertanen des Staates zu werden, in dem sie sich befinden, ohne besondere Privilegien zu fordern. Tatsaechlich waere ihnen zu raten, das in ihrem eigenen Interesse zu tun, denn, mindestens in den ersten Nachkriegsjahren, wird tiefer Hass gegen die Deutschen in den besetzten Laendern herrschen, den weder wir noch die Amerikaner uns richtig vorstellen koennen. In vielen dieser Gebiete duerften die Deutschen nur die Wahl zwischen Auswanderung und Massaker haben."

Weiter heisst es: "Jedenfalls wird es ein ungeheures Problem der Repatriierung und Wiedersiedlung [!] in Europa geben, wenn Millionen von Fluechtlingen, Sklavenarbeitern und Kriegsgefangenen in die Freiheit und die Heimat zurueckkehren. Im Vergleich damit wird der Transfer selbst grosser nationaler Minderheiten, seien es deutsche oder andere, eine geringfuegige Angelegenheit sein."

In dem folgenden Kapitel ueber internationale politische Organisation wird der Moskauer Erklaerung zugestimmt, die eine internationale Weltorganisation zur Aufrechterhaltung des Friedens vorschlug.[8] Es wird auf das Problem der ungleichen Groesse der Staaten hingewiesen und gesagt, dass alle die gleichen Rechte auf Frieden, Freiheit und Sicherheit haben sollen, aber nicht hoffen koennen, gleichen Einfluss und gleiche Macht zu haben. "Es hiesse nur ein theoretisches Kartenhaus bauen, wenn man vorgibt, dass sie es koennten. Die Schweiz kann praktisch nicht soviel gelten wie die Sowjetunion und Bolivien nicht soviel wie die USA. Diese Tatsache muss in der Verfassung und Arbeit der Gesellschaft zum Ausdruck kommen."

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Ueber internationale Wirtschaftsorganisation
wird gesagt, dass der letzte Frieden auf diesem Gebiete unruehmlich versagte und nur das Internationale Arbeitsamt sich als gute Schoepfung der Friedensvertraege erwies. Es soll deshalb in Zukunft sehr erweitert und verstaerkt werden. Der Unterschied im Lebensstandard in den verschiedenen Nationen soll verringert werden.

Die Rationierung soll auch nach dem Kriege eine Zeit weitergehen. Besonders soll die Kontrolle der Preise, Rohstoffe, Kapitalanlagen, Kapitalexporte und des Aussenhandels andauern.

"Falls die Planung weise erfolgt und von den modernen wissenschaftlichen und technischen Moeglichkeiten voller Gebrauch gemacht wird, koennen wir bald von der Phase der Knappheit in die der Fuelle gelangen."

Ebenso wie die Besatzungsarmeen eines Tages zu einer internationalen Streitkraft verschmelzen sollen, so sollten auch die zivilen Organisationen fuer Hilfe, Wiedereinbuergerung, Neusiedlung und Bevoelkerungstransfer und zur Wiederbelebung des Wirtschaftslebens in Europa und Asien zu einer internationalen Beamtenschaft verschmelzen. "Deutsche und Japaner sind in [den] kommenden Jahren berechtigt, ihren Anteil an der allgemeinen Aufwaertsbewegung des Lebensstandards zu haben. Aber in der Uebergangszeit der Knappheit und der Wiedergutmachung des Schadens waere es hoechst ungerecht, dass die Angreifer einen hoeheren Lebensstandard haben sollten als ihre Opfer."

Weiter wird gesagt: "Nach diesem Kriege wird die russische Industrie als Ganzes maechtiger sein als die Deutschlands. In verhaeltnismaessig kurzer Zeit wird die chinesische Industrie ebenso im Umfang und in der Produktion die Japans ueberfluegeln. Beide Veraenderungen waeren Verbesserungen."

Dann wird auf die Frage der Kolonien eingegangen und gesagt, dass sie zum Wohle und zur Erziehung der Eingeborenen verwaltet werden sollen. Ein besonderer Absatz ist Palaestina gewidmet. "Die Araber sollen aus dem Lande ziehen, die Juden moegen einziehen. Die Araber haben viele grosse eigene Gebiete; sie duerfen nicht fordern, die Juden aus diesem kleinen Gebiet Palaestina auszuschliessen, das im Umfang kleiner ist als Wales. Wir sollten die Moeglichkeit erwaegen, die jetzigen palaestinensischen Grenzen im Einverstaendnis mit Aegypten, Syrien oder Transjordanien auszudehnen."

Am Schluss wird das Bekenntnis der Labour Party zum Sozialismus erneuert, der allein die Vernichtung des Faschismus und die Durchsetzung der Menschenrechte ermoeglicht.

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zur Leitung der Besetzung und Verwaltung feindlicher Gebiete fordert die American Labor Conference on International Affairs[9], die von Fuehrern der AFL und des CIO geschaffen worden ist, um die internationalen Ereignisse vom Standpunkt der Arbeiterbewegung aus zu studieren und ein alle vierzehn Tage erscheinendes Bulletin herausgibt. Die Entschliessung besagt:


"Wir unterstuetzen die allgemeinen Grundsaetze einer allumfassenden internationalen Organisation aller 'friedliebenden Staaten', ob gross oder klein, mit dem Ziel, einen dauernden Frieden zu sichern, wie er von der Moskauer Konferenz proklamiert wurde. Wir unterstuetzen aus ganzem Herzen die Entschliessung des amerikanischen Senats vom 5. November, die sich fuer die aktive Teilnahme der USA an der Bildung einer solchen Weltorganisation ausspricht, um eine neue Aera internationaler Zusammenarbeit nach dem Endsieg ueber die Achsenmaechte einzuleiten. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die enge Zusammenarbeit der alliierten Grossmaechte, die zusammen eine einzigartige Konzentration militaerischer, wirtschaftlicher und politischer Macht darstellen, der beste Weg zum Aufbau der Weltorganisation zwecks Sicherung eines dauernden Friedens waere.

Aber dieses Ziel laesst sich nur unter gewissen Bedingungen erreichen. Erstens muessen die Grossmaechte selbst nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, die gleiche Prozedur zur Bereinigung ihrer eigenen Kontroversen und Konflikte mit anderen Staaten annehmen, wie sie in der Atlantic Charter vorgesehen ist. Die Herrschaft des internationalen Rechtes, die jede einseitige Gewaltaktion ausschliesst, muss von den Grossmaechten anerkannt und angenommen werden, wenn die internationale Organisation, die sie leiten, eine neue Weltordnung herbeifuehren soll, die nach den Worten der Erklaerung von Teheran 'die Zustimmung der Volksmassen in der ganzen Welt finden soll'.

Um die wirksame Zusammenarbeit der Grossmaechte und der kleineren Nationen zu erreichen, sollte die allumfassende internationale Koerperschaft die Teilnahme aller Mitgliedstaaten auf gleichem Fusse herstellen, wie es die Moskauer Konferenz verkuendete, und ein Verwaltungsausschuss der Vertreter der Grossmaechte sollte den besonderen Verpflichtungen genuegen, die sie bei der Aufrechterhaltung des Friedens und der Verhuetung kuenftiger Angriffe auf sich nehmen.

Ein wichtiger erster Schritt zur Schaffung einer solchen internationalen Organisation waere nach unserer Meinung, dass sofort ein Rat der Vereinten Nationen geschaffen wird, in dem die

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Grossmaechte und eine angemessene Vertretung der kleineren alliierten Maechte vereint sind, und dass dieser Rat mit der Ueberwachung und Koordinierung der inter-alliierten Besetzung und Verwaltung feindlicher Gebiete beauftragt wird, um die Aufteilung dieser Gebiete in Einflusssphaeren zu verhueten.

Wir glauben ferner, dass alle Massnahmen, die zur Aufrechterhaltung des internationalen Friedens bis zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung in der Uebergangszeit ergriffen werden muessen, nicht von einer einzelnen Macht unternommen werden sollen, sondern in gemeinsamer Aktion der Grossmaechte mit Zustimmung des Rates der Vereinten Nationen und nach Beratung 'miteinander und je nach Gelegenheit mit anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen', so wie es die Moskauer Erklaerung vorsieht. Solche Massnahmen sollten nicht nur, wie es die Moskauer Erklaerung verspricht, 'im Namen der Voelkergemeinschaft' unternommen werden, sondern auch im ausschliesslichen Interesse der Voelkergemeinschaft."

Aus verschiedenen Sendungen des Londoner Rundfunkes der letzten Wochen war ersichtlich, dass zum Gewerkschafts-Kongress in Bari[10] auch Vertreter der Transportarbeiter-Internationale von London in Sueditalien weilten. Ueber die Stimmungen und Auffassungen unserer Freunde in Italien geben die nachfolgenden Zeilen einen kurzen Ueberblick, die auch wichtige Lehren fuer unsere Gewerkschaftsmitglieder enthalten. Diese Zeilen wurden geschrieben, bevor unsere italienischen Genossen in die Badoglioregierung eintraten, behalten aber trotzdem ihre Bedeutung.

Der Faschismus hat die Klassengegensaetze nicht gemildert oder gar aufgehoben, er hat sie bis ins Unertraegliche gesteigert und verschaerft. Das ist der erste Eindruck, den man erhaelt, wenn man Italiens Boden betritt. Es ist deshalb kein Wunder, wenn das italienische Volk alles, was an Mussolini erinnern koennte, radikal vernichtet hat.

Sofort nach der Vertreibung ihrer Unterdruecker traten die Arbeiter in den Betrieben und Werken zusammen und waehlten in einfacher Wahl ihre Betriebsvertreter, ihre Vertrauensmaenner. Das waren in der Regel ehemalige Illegale oder Kameraden, die sich durch ihre Haltung dem Faschismus gegenueber das Vertrauen der Belegschaft erworben und erhalten hatten. Aeltere Kollegen gingen dann bald an den Aufbau oertlicher Gewerkschaften. Sie legten dabei eine bemerkenswerte Umsicht an den Tag.

Die Eisenbahner Sueditaliens waren die ersten, die entschlossen an den Aufbau ihrer Gewerkschaft gingen. Vorher hatten sie die faschistische Organisation voellig zerschlagen. Es bestanden naemlich drei Auffassungen ueber die Loesung des Gewerkschaftsproblems. Die eine Richtung wollte die faschistischen Organisationen einfach uebernehmen und demokratisieren. Diese Richtung

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wurde im wesentlichen von ehemaligen faschistischen Funktionaeren vertreten. Sie hofften in einem Umbau der Gewerkschaften einen willkommenen Unterschlupf zu finden.

Die zweite Richtung, von bewaehrten Antifaschisten vertreten, ringt sehr ernst mit dem Problem. Ihnen schwebt die Errichtung von zwei Organisationen vor. Die eine soll eine reine Kampforganisation sein, ohne Buerokratisierung und ohne Unterstuetzungseinrichtungen, die andere eine reine Unterstuetzungsorganisation. In der Kampforganisation soll nur die Elite der Arbeiterschaft zusammengefasst werden, waehrend die Mitgliedschaft fuer die Unterstuetzungsorganisation fuer alle Arbeitnehmer obligatorisch sein soll. Die Unterstuetzungsorganisation soll von der Kampforganisation kontrolliert werden. Dadurch will man den Gedanken der Einheit am naechsten kommen.
Die dritte Richtung verlangt sofortigen Neubau der Gewerkschaften nach Zerschlagung der faschistischen. Die neue Gewerkschaftsbewegung muesse ihre Wurzeln im Betrieb haben und organisch von unten nach oben wachsen. Sie muss unabhaengig vom Staat, von Parteien und sonstigen Koerperschaften sein. In ihr soll jeder antifaschistische Arbeiter ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der politischen Ueberzeugung Platz haben. Massgebend fuer alle Handlungen der Organisation ist allein die auf demokratischen Prinzipien beruhende, die Selbstverwaltung garantierende und in freier Willensaeusserung zustande gekommene Verfassung der Gewerkschaft, das Statut.


Die neue Eisenbahner-Gewerkschaft Italiens ist die erste nach diesen Grundsaetzen errichtete Gewerkschaft auf dem befreiten Kontinent. Sie ist eine Einheitsorganisation, ein Industrie-Verband. In den Satzungen ist ein "Entfaschisierungsparagraph" aufgenommen, der ehemaligen Mitgliedern der Miliz die Ausuebung von Funktionen in der Gewerkschaft unmoeglich macht. Weiterhin wurde der Anschluss an die Transport-Arbeiter-Internationale (ITF) in der Satzung verankert und damit der Weg zur hoeheren Organisationsform, zum "Internationalen Verband" freigelegt.

An dem konstituierenden Kongress in Bari nahmen auch Delegierte aus dem besetzten Norden teil. Das politische Leben wird durch die sechs im Freiheits-Komitee zusammenarbeitenden Linksparteien repraesentiert. Das einigende Band, was sie zusammenhaelt, ist die Forderung nach Abdankung des Koenigs und Ersetzung der Badoglio-Regierung durch eine Volksregierung auf breitester demokratischer Grundlage. Eine Demokratisierung der Badoglio-Regierung lehnen sie ab, weil dies die Schaffung von Schlupfwinkeln fuer Ganz- und Halbfaschisten bedeuten wuerde. Zwanzig Jahre bittere Erfahrung haben sie gelehrt, dass es mit dem Faschismus kein Praktizieren, sondern nur Vernichtung geben kann. Der faschistische Bann ist gebrochen, die befreite Arbeiterschaft ist auf dem Marsche.

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Unter diesem Titel hat die England-Gruppe sudetendeutscher Sozialdemokraten eine Studie veroeffentlicht, die zu den wichtigsten Problemen der Gegenwarts- und Zukunftspolitik vom sozialistischen Standpunkt aus Stellung nimmt, und deren Grundgedanke es ist (wie Wenzel Jaksch in seinem Vorwort schreibt), ein "neues sozialistisches Weltbild zu erarbeiten".

Der Ausgangspunkt der Studie ist die Lage nach dem Sturz des Faschismus und die Chance, die sie dem Sozialismus bieten wird. Drei "Fundamental-Artikel der Freiheit" wird er zu verfechten haben: 1. Die Prioritaet der sittlichen Widerstandskraefte gegen jede Gewaltherrschaft, 2. das Recht der sozialen Emanzipation von unten her, 3. die Verpflichtung aller Institutionen der Wirtschaft, der oeffentlichen Erziehung, des Staates wie der ueberstaatlichen Einrichtungen, der Wohlfahrt des kleinen Mannes zu dienen. Zur Erfuellung dieser Forderungen ist die Erkenntnis der sozialistischen Wirkungsmoeglichkeiten die erste Voraussetzung. Die Studie weist darauf hin, dass die faschistische Willkuerherrschaft die Erinnerung an die selbstlosen und freiheitlichen Leistungen der Sozialdemokratie erneut wachgerufen haben wird, dass aber die inzwischen vorgegangenen Umwaelzungen in Betracht gezogen werden muessen.

Die sozialistische Strategie nach Hitler, so wird gesagt, muss eine Reihe von Tatsachen in Rechnung stellen; sie muss erkennen, dass der Pazifismus keine Antwort auf die Probleme der modernen Waffentechnik ist, welche die Herrschaft machtluesterner Minderheiten beguenstigt und die Massen des Volkes wehrlos gegen Verfassungsbrueche macht. Daraus folgt, dass die Waffen nicht in die Haende einer volksfeindlichen Minderheit gelegt werden duerfen und die Demokratie zur Sicherung der Herrschaft des Rechts entschlossen sein muss. Das Problem der Staatsfuehrung erhaelt damit erhoehte Bedeutung. Der Wille der Massen muss die Grundlage der Rechtsherrschaft sein, die Zivilgewalt muss durch Volksdelegierte kontrolliert werden und gleichzeitig muessen Polizei- und Militaergewalt unter der Kontrolle der Zivilgewalt stehen.

Aber in der Uebergangszeit kommt der "Staats-Spitze" erhoehte Bedeutung bei der Aufrechterhaltung der Demokratie und der Abwehr aller Versuche zu, die Kommandogewalt in reaktionaere Haende zu bringen. Die erste Bewaehrungsprobe der europaeischen Demokratien wird der Beweis sein, dass sie stark genug sind, "jeder Form von Pilsudskismus[11] den Zutritt zu den Hebeln der Macht zu verweigern". Anders als in der Gruendungsperiode der Arbeiterbewegung wird nach dem Sturz des Faschismus der Weg nicht schrittweise ueber

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die liberale Monarchie und die republikanische Demokratie zum Sozialismus begangen werden koennen. Waehrend in den Anfaengen der Arbeiterbewegung die Aufgabe darin bestand, die Machtpositionen der buergerlichen Gesellschaft von der Peripherie her zu durchdringen, wird es nach dem Sturze des Faschismus darauf ankommen, "auf den kuerzesten Wegen zu den Zentren der Macht vorzustossen". Deshalb wird es auf die Zusammenfassung der Kraft ankommen, der erst spaeter eine Vielfalt der Organisation folgen kann. Auch auf gewerkschaftlichem Gebiete muessen deshalb die Gesamtinteressen der Arbeiterklasse ueber die Interessen der Arbeitergruppen gesetzt werden. Eine einheitliche Auffassung der Wirtschaftspolitik und ein dementsprechender Einfluss auf die planmaessige Gestaltung der Wirtschaft werden die Aufgaben sein. Dazu ist die Zusammenfassung der freien Gewerkschaften in eine einheitliche Organisationsform notwendig.

Die Studie wendet sich dann nach einem geschichtlichen Abriss der Kaempfe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in der Vergangenheit dem Problem der Erringung der Macht zu. Es wird die Frage gestellt, an wen die Sozialisten ihren Machtappell richten sollen. Sie muessen ihn, so wird gesagt, "von der geistigen und ethisch-moralischen Seite her aufrollen" und sich werbend an die Opfer der kapitalistischen Gesellschaft sowie an jene Schichten wenden, "die in den Massstaeben und Beduerfnissen sozialer Ordnungsprobleme denken". Daraus folgt, dass der Appell an die werktaetigen Massen im weitesten Sinne und an die fortschrittliche Intelligenz zu richten sein wird. Besondere Bemuehungen sind den in der modernen Gesellschaft am staerksten benachteiligten unqualifizierten Arbeitern und den oeffentlichen Angestellten zu widmen, deren Bedeutung in der modernen Wirtschaft und Verwaltung immer groesser wird. Die modernen Wissenschaften muessen zu Verbuendeten des Sozialismus werden, der das Problem einer "ueberschuessigen Intelligenz" nicht mehr aufkommen lassen darf. Religioese Toleranz und Wachsamkeit gegen politisches Verschwoerertum sind weitere Forderungen. Vor allem gilt es, den Glauben an die Ueberlegenheit des sozialistischen Prinzips zurueckzugewinnen und sich der Zukunft staerker verbunden zu fuehlen als der Vergangenheit. - Die wirtschaftliche Forderung der Zukunft ist der Sieg der expansiven ueber die restriktive Wirtschaft. Um die Wirtschaft zur Dienerin der Massen zu machen, muss der Einfluss der werktaetigen Massen auf die Gestaltung der Gesellschaft gesichert werden. Dabei kommt es, so wird gesagt, weniger auf eine technische Wahlgeometrie als auf ein Wahlsystem an, das die Ausuebung politischer Rechte "in den Rahmen sozialer Funktionsgemeinschaften" stellt, um damit den Arbeitern, Bauern und der fortschritt-

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lichen Intelligenz den Einfluss zu sichern, der ihnen zukommt. Die Verwaltung soll "aus einem Instrument der Machtausuebung zu einer Dienerin der breitesten Volksmassen werden. Die Voelker koennen nur dann zur Wirtschaft der Fuelle uebergehen, wenn sie bereit sind, ihr politisches Leben diesem Wirtschaftsziel anzupassen. Fuer soziale Sicherheit muss ein Teil der Scheinfreiheiten eingetauscht werden, welche Massen unter dem liberalen Kapitalismus zwar besassen, aber mit sozialer Unsicherheit bezahlten. Nur so wird die Gefahr eines Staende-Faschismus[12] oder einer diktatorischen Wirtschaftsbuerokratie abgewendet werden koennen.

Auf dem Gebiete der Aussenpolitik bedeutet der Uebergang zur expansiven Wirtschaft die Ueberwindung des Nationalismus. Aus dem sozialistischen Prinzip folgt der Grundsatz der Gleichberechtigung der Voelker. Aus den Daseinsbeduerfnissen der lebenden Generation folgt die Forderung, die Kriegsschuldfrage und die Abrechnung mit den Nazi-Verbrechern von den Problemen der europaeischen Friedensverfassung zu trennen. Alleuropaeische und internationale Institutionen muessen auch den kleineren Voelkern tatsaechliche Gleichberechtigung sichern. Das wirtschaftlich-soziale Gleichgewicht Europas muss durch Herstellung des Gleichgewichts zwischen dem industriellen und landwirtschaftlichen Sektor Europas und zwischen Produktion und Konsum in der Weltwirtschaft erzielt werden. Ein Versagen der Sozialistischen Internationale haette die Machtergreifung der internationalen Reaktion zur Folge.

Der Sozialismus der Zukunft soll das Erbe der gesamten sozialistischen Bewegung und ihrer theoretischen und praktischen Errungenschaften antreten und sich seiner humanistischen Tradition bewusst bleiben, vor allem aber seiner internationalen Zielsetzung. Das "Versagen des Sozialismus" im Kampfe gegen den Faschismus sollte leidenschaftslos im Lichte der geschichtlichen Umstaende geprueft werden. Die Schwaeche der Komintern, die den Sozialismus eines Landes in andere Laender verpflanzen wollte, muss ebenso erkannt werden wie die Schwaechen der sozialdemokratischen Koalitionspolitik. Die Sozialisten der westlichen Laender werden ihre Zusammenarbeit mit der russischen Arbeiterklasse "in erster Linie auf dem Gebiete der Voelker- und Staatenpolitik suchen muessen". Im befreiten Europa wird der "Internationalismus der Organisation" auf der Tagesordnung stehen, und die sozialistischen Kraefte aller Laender werden zusammenarbeiten muessen, um der Arbeiterklasse in den befreiten Laendern politische Bewegungsfreiheit, den Gewerkschaften Organisationsfreiheit und auch die Freiheit [der] Bauernbewegung zu sichern. Darueber hinaus geht es um die Durchsetzung planwirtschaftlicher Prinzipien im Weltmassstab.

(Der Druck dieser Studie ist zum Preis von sh 1/- durch uns erhaeltlich, er kann durch Postal Order bezahlt werden)

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fand in diesem Jahre Sonntag, den 30. April, in der Conway Hall in London statt. Unter dem Vorsitz der Gen. Philip Noel-Baker, M.P., und Jim Middleton, Generalsekretaer der Labour Party, sprachen: Oskar Pollak - Oesterreich, Louis de Brouckère - Belgien, ein chinesischer Seemann, Jaromir Necas und Dr. Robert Wiener - Tschechoslowakei, R. Haas-Picard[13] - Frankreich, Erich Ollenhauer - Deutschland, Panayotis Daypanayotis[14] - Griechenland, Harold Clay[15] - Grossbritannien, J. A. W. Burger[16] - Holland, Graf Michael Karolyi - Ungarn, Paolo Treves - Italien, Victor Bodson - Luxemburg, Anders Frihagen[17] - Norwegen, Berl Locker - Palaestina, Ian Kwapinski - Polen, A. Ramos Oliveira[18] - Spanien und Vicko Santic[19] - Jugoslawien.

Die Versammlung war sehr gut besucht, ihre Teilnehmerschaft war ebenso international zusammengesetzt wie die Rednerliste. Die Kundgebung war ein neuer eindrucksvoller Beweis fuer den internationalen Geist, in dem das Internationale Buero der Fabian Society seine Aufgabe zu erfuellen sucht.

Alle Redner hielten ihre Ansprachen teils in englischer Sprache und teils in ihrer Muttersprache. Sie wurden am 1. Mai in den verschiedenen auslaendischen Sendungen der BBC auszugsweise verbreitet. Ein Auszug aus der Rede des Gen. Ollenhauer wurde in der Sendung fuer deutsche Arbeiter am Abend des 1. Mai wiedergegeben.

Die Mai-Ansprache des Genossen Erich Ollenhauer

auf dieser Internationalen Kundgebung hatte folgenden Wortlaut:

"Mr. Chairman, Comrades and Friends,

Twelve years ago, on the first of May 1932, I addressed a great May Day demonstration of the socialist youth in Germany. It was the last free May Day demonstration before Hitler smashed the German Labour movement. It was a demonstration against fascism, for we knew, that a victory of fascism would mean oppression of freedom in our own country, and war against other peoples. Now, the German peoples feel also the terrible truth of our past warnings: fascism means war. Hitler made Europe a concentration camp, and a field covered with ruins.

We know today that Hitler's dictatorship will pay for its crimes and will perish. Europe will be free again. But I will just tell the German workers and socialists that peace and liberty must also be fought for, by their own actions against the war machine of Hitler's dictatorship. Hitler must be overthrown by the united struggle of free nations and of the German enemies of Hitler, so that a new free labour movement may live and work in

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a new Germany and a new Europe. The German workers and the foreign workers in Hitlerite Germany are an important sector of the front of freedom in this war. I am convinced that a new International of free socialists will be created by their common sufferings and their common fight against the common enemy within the Nazi fortress of Europe.

I hope that we shall be able to celebrate next May Day as a day of victory for freedom, and that the continental socialists, struggling in the dark today, will be in a position to speak again freely and publicly to the socialists of the world.

Genossen und Genossinnen,
in dieser Stunde sprechen im Rahmen dieser internationalen Maikundgebung Sozialisten aller europaeischer Laender zu ihren Gesinnungsgenossen in der Heimat. Unsere Sprachen sind verschieden, aber unsere Ideen sind die gleichen. Es sind die grossen Ideen des Maitages, die Ideen der Freiheit, des Friedens und des Rechts fuer alle Voelker und fuer alle Menschen.

Wir feiern diesen ersten Mai am Vorabend entscheidender militaerischer Ereignisse, die mit der Niederlage und dem Zusammenbruch der deutschen Kriegsmaschine und der Hitlerdiktatur enden werden. Europa wird von der Gewaltherrschaft der Hitlerdiktatur befreit werden. Die neue Freiheit und der kommende Frieden in Europa werden aber nur dann von Bestand sein, wenn sie nicht nur von den Waffen der Alliierten errungen werden. Sie muessen auch durch die Voelker Europas gegen ihre eigenen oder fremden Unterdruecker erkaempft werden.

Das gilt vor allem fuer das deutsche Volk und fuer die deutschen Arbeiter. So wie wir deutschen Sozialisten vom ersten Tag dieses Krieges an gegen Hitlers Kriegsmaschine gestanden haben, so gibt es auch in diesem entscheidenden Endstadium des Krieges fuer alle Hitlergegner nur ein Ziel: die schnelle und vollstaendige Niederlage der Hitlerdiktatur. Jede aktive Handlung deutscher Arbeiter gegen die deutsche Kriegsindustrie, die die militaerische Niederlage und den Zusammenbruch des Systems beschleunigt, ist ein positiver Beitrag zur Verkuerzung der Kriegsleiden aller Voelker und ein Schritt vorwaerts zu Frieden und Freiheit. Nur die schnelle und vollstaendige Vernichtung der Hitlerdiktatur kann Deutschland und die Zukunft der deutschen Arbeiterbewegung retten. Seht die auslaendischen Arbeiter und Gesinnungsgenossen neben euch. Sie und Ihr, Ihr gemeinsam bildet einen entscheidenden Teil der Freiheitsfront dieses Krieges. Uebt Solidaritaet. Handelt gemeinsam und schafft so im Herzen der Tyrannei die wahre europaeische Einheit, die Einheit der arbeitenden Menschen Europas. Heute ist der Tag der Internationale. Ihre

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alte organisatorische Form ist zerbrochen. Aber sie wird wieder erstehen. Und sie wird staerker und maechtiger sein als jemals zuvor, wenn Ihr aus der Internationale des Zwanges, die Hitler in Deutschland errichtet hat, die Internationale freier sozialistisch denkender und handelnder Menschen aus allen Laendern Europas entwickelt.

Eine solch internationale Gemeinschaft der Arbeiter, geboren aus gemeinsamer Not und im gemeinsamen Kampf fuer gemeinsame Ideale, geschaffen aus der eigenen Kraft der Arbeiter, ist die staerkste Garantie fuer ein neues und freies Europa, in dem auch ein demokratisches und soziales Deutschland seinen Platz und seine Lebensmoeglichkeiten finden wird."

wurde am Abend des 30. April im Heim unserer sudetendeutschen Genossen veranstaltet. Die ueberfuellte Kundgebung war kurz und eindrucksvoll; im Mittelpunkt stand die Ansprache des Gen. Willi Eichler, der die bewegte Geschichte des Maigedankens behandelte. Der festliche Rahmen wurde durch Rezitationen und Gesang der "Sozialistischen Jugend der Union" geliefert.

Auch die Landesgruppe Deutscher Gewerkschafter versammelte sich am Abend des 1. Mai in der Alliance Hall. Dr. Berendson spielte einen Sonaten-Satz und schuf dadurch eine feierliche Stimmung. Kollege Hinze[20] und Kollegin Liedtke[21] von der Fachgruppe Buehne brachten Maidichtungen zum Vortrag und Kollege Fritz Kramer[22] fand durch eine kurze temperamentvolle Ansprache den Beifall der Versammlung. Beide Kundgebungen schlossen mit dem gemeinsamen Gesang der "Internationale". - In Oxford sprach als Vertreter der Deutschen unser Genosse Alfred Seidel[23] gemeinsam mit Rednern der franzoesischen, englischen und oesterreichischen Sozialisten in einer Feier des Oxforder Refugee Club und dem International Forum for Austrian Socialists[24].

in Gross-Britannien werden in der englischen Presse berichtet. Bereits Mitte April berichtete die Wochenschrift "TRIBUENE" ueber Differenzen, nun brachte auch "STATESMAN and NATION" vom 6. Mai ausfuehrlichere Angaben ueber die Gruende einer Austrittsbewegung. Bald nach der Gruendung der FDB hatte sich bereits Kaplan Tausig[25] zurueckgezogen, ihm folgte spaeter Dr. Leopold Ullstein[26]. Ende April erklaerte der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Staatspartei, Dr. August Weber, seinen Austritt. Er verweist u.a. darauf, dass es nicht gelungen sei, eine wirksame deutsche Zentrale zu schaffen, dass ein Teil der Mitglieder

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der Freien Deutschen Bewegung Ansichten vertrete, die nicht im europaeischen Interesse liegen und vom sicheren Port aus dem deutschen Volke Vorwuerfe darueber machen, dass es sich nicht gegen die Nazis zur Wehr setze.

In der letzten Ausschuss-Sitzung der "Freien Deutschen Bewegung" in London am 7. Mai 1944 sind nun auch Genosse Victor Schiff und Fritz Wolff[27], der ehemalige Herausgeber der "Pariser Tageszeitung", ausgetreten. In ihrem Austrittsschreiben stellen beide fest: "Die Entwicklung in der letzten Zeit hat zu einer voelligen organisatorischen und politischen Beherrschung der FDB durch die Kommunisten gefuehrt. Die bei der Gruendung fuer unbedingt notwendig erklaerte Verbreiterung der Freien Deutschen Bewegung durch Einbeziehung wichtiger, abseits stehender politischer Gruppen, Organisationen und Persoenlichkeiten ist nicht gelungen und durch die jetzige Entwicklung unmoeglich geworden. Auch die Aussichten fuer eine Heranziehung und aktive Teilnahme der FDB in Grossbritannien am Endkampf gegen den Hitler-Faschismus sind damit zunichte gemacht.

Diese "Freie Deutsche Bewegung" muss daher einer wirklichen und serioesen Zusammenfassung aller politischen Anti-Nazi Kraefte Platz machen, die den Standpunkt der Traeger eines kuenftigen demokratischen und friedlichen Deutschland im Rahmen der Allianz der demokratischen Voelker wuerdig und unabhaengig zum Ausdruck bringen kann ..."

In anderen Orten, wie Manchester, sind gleiche Auseinandersetzungen im Gange, die moeglicherweise auch zu Austritten fuehren.

(ITF) Die daenische illegale Zeitung "DE FRIE DANSKE"[28] verbreitete im Maerz eine illustrierte Sonderausgabe, die Verwuestungen im bombardierten Berlin zeigte. Die Bildseiten der Zeitung wurden in Kopenhagen an viele Mauern angeschlagen. Die gleiche Nummer berichtet ueber einen Streik, an dem sich Ende Februar 30.000 Arbeiter beteiligt haben. Die Arbeiter sollen Frieden gefordert haben. "Jetzt sind die (deutschen) Arbeiter bereit, durch Organisieren von Streiks und Auflaeufen etwas zu riskieren. Vor kurzer Zeit war das noch nicht der Fall ... Die Streiks brachen urspruenglich in den wichtigen Lokomotivwerken ... bei Koenigswusterhausen aus (wahrscheinlich sind die im April bombardierten Schwarzkopf-Werke in Wildau gemeint. Red.) und erfassten waehrend einiger Tage auch Betriebe anderer Industrien. [Obwohl] eine Anzahl Arbeiter erschossen wurde, dauerte die Streikbewegung etwa zehn Tage."

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[Veranstaltungshinweise]

Aus Anlass der Jahres-Konferenz der Labour Party
Wochenend-Tagung der in England registrierten SPD-Mitglieder
im Austrian Labour Club, 31 Broadhurst Gardens, London, N.W.6
Freitag, Sonnabend und Sonntag, den 26., 27., und 28. Mai 1944.


Freitag, d. 26. Mai, ab[en]ds 7.30 Uhr: Soz. Gemeinschafts-Feier.
Darbietungen: Gesaenge der Sozialistischen Jugend, London. Hertha Polemann[29] spielt eine Arabeske von Debussy.
Vorlesungen: D. Segall

Ansprachen: H. N. Brailsford - Louis Levy - Gleissberg.

Gruss und Dankadresse an den aus dem Amte scheidenden Generalsekretaer der britischen Labour Party, Genossen

Jim Middleton.


Sonnabend, d. 27. Mai, nachm[ittags] 5.30 Uhr:

Sonntag, d. 28. Mai, vorm[ittags] 10 Uhr:

Starke Beteiligung unserer Genossen wird erwartet. Programme 1/-



Ewald Fabian, der Begruender des "Verbandes sozialistischer Aerzte in Deutschland" und der Herausgeber des Bulletins "Der Sozialistische Arzt"[30] ist am 17. Februar in New York nach kurzer Krankheit verschieden. Dr. Carl Heller[31], Zeitgenosse Seligers[32] in der altoesterreichischen Zeit, Advokat in Teplitz und Mitglied des Senats in Prag, unermuedlicher und selbstloser Berater und Helfer der deutschen Fluechtlinge in der Tschechoslowakei, ist im Alter von 72 Jahren im Exil in Stockholm verstorben. - Richard Kretschmar ist in Guildford nach kurzer Krankheit gestorben. Richard war der Typ des einfachen, treuen und nimmermueden Parteiarbeiters. In Zittau, seiner Heimat, und an der Grenze bei Reichenberg stand er seinen Mann, in Norwegen und auf der Flucht vor den Hitlertruppen war er der tapfere Kamerad wie in seinem Betrieb. Zahlreiche Freunde aus der Heimat, der Tschechoslowakei und Guildford gaben ihm am 17. April, im Krematorium in Woking des letzte Geleit.[33]




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Ave., London N.W.7. MIL 3915






Editorische Anmerkungen


1 - Edward Reilly Stettinius (1900 - 1949), amerikanischer Industrieller und Politiker, 1944-1945 US-Außenminister.

2 - Josip Tito (1892 - 1980), Mechaniker, seit 1920 Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, ab 1927 Sekretär der Metallarbeitergewerkschaft, mehrfach in Haft (1928 - 1934), 1934 emigriert, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1937 Generalsekretär der KPJ, organisierte ab 1941 den Widerstand und den Partisanenkampf gegen die deutschen und italienischen Besatzer Jugoslawiens. Ab 1945 jugoslawischer Ministerpräsident, ab 1953 Staatspräsident, 1948 Abkehr vom Stalinismus und "blockfreie" Politik.

3 - Jeorjios Papandreu (1888 - 1968), griechischer Politiker, anfänglich Liberaler, dann Sozialdemokrat, 1923-1933 mehrfach Minister, im II. Weltkrieg in der Widerstandsbewegung, 1942-1944 in italienischer Haft, 1944-1945 Ministerpräsident (zuerst in der Exilregierung), 1963 und 1964/65 erneut Ministerpräsident, ab 1967 unter Hausarrest.

4 - Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion wurde am 13.3.1944 in Neapel angekündigt.

5 - = Allied Military Government for Occupied Territories.

6 - Pierre Pucheau (1899 - 1944), 1941-1942 Innenminister in der Vichy-Regierung, sagte sich von der Vichy-Regierung los und floh nach Algerien, dort wurde ihm als Kollaborateur der Prozess gemacht, Todesstrafe.

7 - Die Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) fand im April/Mai in Philadelphia statt. Die Konferenzempfehlungen wurden in der "Philadelphia Charter" zusammengefasst.

8 - "Weltorganisation": Siehe folgenden Bezug auf US-Senatsentschließung vom 5.11.1944.

9 - AFL-CIO-Kommission, die sich u. a. zu Friedensproblemen beratend äußern sollte.

10 - Im Januar 1944 hatte in Bari eine Gewerkschaftskonferenz stattgefunden, auf der u.a. eine freie italienische Eisenbahnergewerkschaft wieder ins Leben gerufen wurde.

11 - Bezieht sich auf den polnischen Politiker und Marschall Józef Pilsudski (1867 - 1935), der trotz formaler Aufrechterhaltung des parlamentarischen Systems ein antidemokratisches autoritäres Regime errichtete.
Siehe auch SM 106, Dez. 1947, Anm. 29

12 - "Stände-Faschismus" strebte eine Auflösung der Parteiendemokratie an. Im Rückgriff auf den historischen Ständestaat entstandenes Konzept einer staatlichen Ordnung, in der die Berufsstände Träger des Staates sein sollten. Dieses ständestaatliche Konzept hatte großen Einfluss auf die Austrofaschisten (Dollfuß u.a.) sowie auf die Faschisten in Portugal und Italien.

13 - Raymond Haas-Picard (1906 - 1971), Vertreter der französischen Sozialisten im Untergrund, 1944 (nach der Invasion) kurzfristig in London, 1945-1949 im französischen Innenministerium.

14 - Panayotis Daipanayotis, Vertreter der griechischen Seeleutegewerkschaft.

15 - Harold Clay, Vorsitzender der Londoner Labour Party und Gewerkschafter (Transport and General Workers' Union).

16 - Jacob Albertus Wilhelmus Burger (1904 - 1986), von Beruf Rechtsanwalt, niederländischer Sozialdemokrat, Minister in der niederländischen Exilregierung 1943-1945.

17 - Anders Frihagen (1892 - 1979), norwegischer Sozialist, 1939 Handelsminister, 1942-1945 Wiederaufbauminister in der norwegischen Exilregierung.

18 - Antonio Ramos Oliveira, spanischer sozialistischer Publizist, 1937-1939 an der Spanischen Botschaft in London.

19 - Vicko Santic, Vertreter der jugoslawischen Seeleute-Gewerkschaft.

20 - Gerhard Hinze (1904 - 1972), deutscher Schauspieler, KPD-Mitglied, 1933-1935 KZ Oranienburg, 1935 Flucht über Prag in die UdSSR, 1937 ausgewiesen, später Großbritannien, Mitarbeit an deutschsprachigen Sendungen der BBC.

21 - Gisa Liedtke, deutsche Schauspielerin, 1943 im Landesvorstand des Freien Deutschen Kulturbundes.

22 - "Fritz Kramer": Pseudonym von Hans Jahn, siehe SM 47, Anf. März 1943, Anm. 8.

23 - "Alfred Seidel": Gemeint war Arno Seidel (geb. 1894), Krankenkassenbeamter, Mitglied der SPD seit 1919, 1938 Exil in der CSR, 1938 ausgebürgert, seit 1939 in Großbritannien.

24 - Es konnten keine Angaben ermittelt werden. Auch bei Helene Maimann (Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien. 1938 bis 1945, Wien-Köln-Graz 1975) nicht erwähnt.

25 - Zu Bruno Tausig konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

26 - Leopold Ullstein (1906 - 1995), Sohn von Hans Ullstein (dessen Vater Leopold Ullstein, gest. 1899, Gründer des gleichnamigen Berliner Verlages ist), deutscher Verleger und Publizist, 1939 Emigration nach Großbritannien.

27 - Fritz Wolff (1897 - 1946), deutscher Graphiker und Verleger, Sozialist, Emigration 1933 nach Frankreich, 1939-1940 Herausgeber der "Pariser Tageszeitung", 1940 ausgebürgert, 1942 nach Großbritannien, ursprünglich KPD-Mitglied. 1946 Eintritt in die SPD. In einem aufsehenerregenden Brief an Edvard Benes bestritt er eine deutsche Kollektivschuld.

28 - "De Frie Danske" erschien monatlich von 1941 bis 1945.

29 - Hertha Polemann (geb. 1900), Gymnastiklehrerin, seit 1928 Mitglied der SPD, Mai 1933 Exil in Großbritannien.

30 - Ewald Fabian (1885 - 1944), Dr. med. dent., 1912 SPD-Mitglied, nach dem I. Weltkrieg USPD, KPD, KPDO, SAP. 1933 Haft und Flucht nach Prag, 1938 Frankreich, 1939 interniert, November 1939 in die USA, dort Arbeit als Packer bis zu seinem Tod.
Der Verein sozialistischer Ärzte wurde 1924 gegründet. "Der Sozialistische Arzt" (Untertitel: Vierteljahreszeitschrift des Vereins sozialistischer Ärzte) erschien in Berlin 1925- Februar 1933.

31 - Carl Heller (1872 - 1944), Rechtsanwalt, DSAP-Mitglied, 1920-1938 Senator in der CSR-Nationalversammlung, 1939 über Polen nach Kopenhagen, nach dem deutschen Überfall auf Dänemark nach Schweden.

32 - Josef Seliger (1870 - 1920), als österreichischer Sozialdemokrat 1907-1911 im österreichischen Reichsrat, ab 1919 Führer der deutschen Sozialdemokraten in der CSR.

33 "Kretschmar": Richard Kretzschmar (1887 - 1944).




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