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TEILDOKUMENT:




C. Zur Beruflichen und Berufsschulbildung im Dualen System

1. Das duale System hat sich nach der gesetzlichen Fixierung durch das Berufsbildungsgesetz 1969 als ein sich selbst steuerndes System bewährt, das die Absolventen des dreigliedrigen Schulsystems aufnimmt, sie auf das Beschäftigungssystern vorbereitet und damit die Integration ins Arbeitsleben erleichtert. Aber die Selbststeuerungs- und Integrationskräfte des dualen Systems sind in Gefahr. Der Erfolgsfaktor des dualen Systems - die direkte Verbindung von Ausbildung und Berufspraxis - muß erhalten werden. Aber es muß sich den Herausforderungen der Zeit stellen.

In den vergangenen 20 Jahren haben zwischen 53 und 75 % der Schulabgänger eine Berufsausbildung im dualen System aufgenommen. Bei Übernahmequoten von über 80% konnte von einem nahtlosen Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem gesprochen werden. Die Selbststeuerung des Systems resultierte aus dem unternehmerischen Bestreben und vielfach auch aus dem Ethos, den eigenen Nachwuchs selbst auszubilden und im Unternehmen integrieren zu wollen. Ausbildungswillige hatten damit in florierenden Wirtschaftsphasen gute Perspektiven.

Mit der wirtschaftlichen Talfahrt Deutschlands hat sich eine Schere zwischen Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen geöffnet. In der Gesamtschau mag zwar rechnerisch noch immer für jeden Bewerber ein Ausbildungsplatz bereitstehen, jedoch bestehen regional erhebliche Unterschiede - insbesondere in den Neuen Bundesländern. Die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen unter 20 Jahren ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und schwankt je nach Bundesland zwischen 6 und 18 %. Auf der anderen Seite suchen Branchen wie der Einzelhandel, aber auch einzelne Industriezweige verzweifelt nach Nachwuchs.

Vielfach werden von den Unternehmen kurze gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für effizienter gehalten als mehrjährige Berufsausbildungsgänge. Aber die Schulabsolventen mit höheren Abschlüssen sind es, die heute von der Arbeitsplatzknappheit profitieren. Sie und nicht die geringer Qualifizierten haben die Wahl zwischen dualem System oder Studium und entscheiden sich immer öfter für beides. So haben 80.000 Studienanfänger 1994 zuvor eine Berufsausbildung im dualen System absolviert und damit 80.000 Ausbildungsplätze besetzt. Der Verdrängungswettbewerb zu Lasten gering Qualifizierter ist in vollem Gange. Viele Arbeitsplätze, die bisher von einem Facharbeiter ausgefüllt wurden, werden heute mit einem Akademiker besetzt.

Nur das duale System kann ein Spektrum an Ausbildungsberufen bieten, das für alle Leistungsklassen der Schulabgänger vom der Sonderschüler bis zum Abiturienten einen angemessenen Beruf bieten kann. Die Berufswelt der Zukunft wird nicht an Schreibtischen der Arbeitsverwaltung ersonnen, sondern entfaltet sich im wirtschaftlichen Gesamtprozeß. Deshalb darf sich die Berufsausbildung nicht von der Arbeitsrealität abkoppeln. Ein Berufsbildungssystem, das die Schulabsolventen am Arbeitsmarkt vorbei qualifizieren wollte, wäre zum Scheitern verurteilt. Staatlich organisierte Berufsbildungsmaßnahmen ohne betrieblichen Bezug sind auch in den Neuen Bundesländern ein im Grunde falscher Ansatz, der nur im Rahmen von Notmaßnahmen zu rechtfertigen ist. Falsch wäre es aber auch, die Ausbildung nur den Wirtschaftsunternehmen zu überlassen.

2. Der Weg führt von der Berufsausbildung zur Berufsfeldausbildung; Bildungsziel ist die Lernfähigkeit als Voraussetzung der Berufstüchtigkeit

Globalisierung, neue Arbeits- und Organisationsformen, die Nutzung neuer Technologien stellen die bisherige Anpassung der Berufsbilder in Frage. Weder ein Prozeß der permanenten Modifizierungen, die letztlich die Identifikation des Auszubildenden mit seinem Beruf gefährden, noch eine Zergliederung der Ausbildungsinhalte in Module und zahllose Varianten derselben Berufe, die nicht mehr vergleichbar bzw. abgrenzbar wären, was auch den Wettbewerb um einen Arbeitsplatz behindern würde, können hier eine Lösung bringen.

Wir sollten statt dessen die Berufsbilder so flexibel fassen, daß sich für die Auszubildenden und die im Beruf Tätigen variable Entwicklungsperspektiven ergeben. Dieser Lösungsansatz führt auf den Weg von der Berufsausbildung zur Berufsfeldausbildung: Ein Auszubildender könnte zunächst einen Ausbildungsvertrag über eine breitgefächerte Grundausbildung von etwa 18 Monaten in einem Berufsfeld abschließen mit der Option, danach eine weiterführende Spezialausbildung zu erhalten. Ein solches Modell böte sowohl die notwendige Flexibilität für die Unternehmen als auch größere Arbeitsplatzchancen für die Auszubildenden. Um eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu gewährleisten, sollte für jedes Berufsfeld eine gewisse Anzahl von Spezialisierungsmöglichkeiten festgelegt werden.

Mit dem Wegfall und der Neubildung von Berufs- und Berufsfeldbildern kann die Berufsausbildung lebenslang gültige und einsatzfähige Qualifikationen nicht mehr versprechen. "Ausgelernt" hat heute niemand mehr - zu keiner Zeit im Leben. Eine zukunftsgerichtete Berufsausbildung muß deshalb, wenn sie ihre Legitimation nicht verlieren will, die Grundlagen legen für ein offenes, sich beständig veränderndes Arbeitsleben. Ihre Schwerpunkte liegen bei der Vermittlung nicht nur des erforderlichen fachlichen Spezialwissens, sondern auch eines breiten Grundlagenwissens.

3.Hemmende Rahmenbedingungen der Berufsausbildung müssen beseitigt, Fehlentwicklungen muß begegnet werden. Nötig ist eine „Konzertierte Aktion Berufliche Bildung"

In den letzten Jahren haben insbesondere kleinere Unternehmen die Ausbildung ganz eingestellt und größere die Ausbildungsquoten reduziert. Die rückläufige Anzahl von Ausbildungsplätzen in den Unternehmen hat mehrere Gründe. So wurden bei einer Umfrage des Bundesinstitutes für Berufsausbildung "Kein Bedarf an neu ausgebildeten Fachkräften" (39 %), Ausbildung zu teuer (30 %), schlechte wirtschaftliche Lage (24 %) und "Keine geeigneten Bewerber" (von 19 % der Befragten) als die vier Hauptgründe genannt.

Daß 54% der befragten Unternehmen Ausbildungsaktivitäten wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastung zurückfahren, hat z.B. seinen Grund darin, daß sämtliche Arbeitszeitverkürzungen der letzten Jahre auf Kosten der betrieblichen Ausbildungszeit gegangen sind. Die Frage wird gestellt, warum die wöchentliche Ausbildungszeit an die tarifliche Arbeitszeit gekoppelt sein muß. Warum sollen die Auszubildenden nicht, im eigenen Interesse an einer hochwertigen Ausbildung, ein paar Stunden mehr pro Woche in die eigene Entwicklung investieren können? Jeder Student, der in angemessener Zeit ein gutes Examen ablegen möchte, muß das schließlich auch tun.

Ähnlich kontraproduktiv ist die Wirkung tarifvertraglicher Übernahmegarantien, die nur zu einer besonders kritischen Prüfung der Frage führen, wieviel Auszubildende ein Betrieb sich noch leisten kann. In letzter Zeit beklagen immer mehr, besonders mittelständische, Unternehmen die Höhe der Ausbildungsvergütung als Ausbildungshemmnis. Diese umfaßt derzeit etwa die Hälfte der Ausbildungskosten. Ein Bafög-Modell, angepaßt an die Bedürfnisse der dualen Berufsausbildung, könnte die Akzeptanz einer entsprechenden Entlastung der Wirtschaft erhöhen

Ausbildungshemmend wirkt auch mangelhafte Information. Die Quote der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge ist von 14,3 % im Jahre 1984 auf 25,2 % im Jahre 1994 deutlich gestiegen. Offenkundig beginnt ein Teil der Schulabsolventen in Anbetracht der angespannten Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt zunächst eine Berufsausbildung, die nicht unbedingt ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Der Übergang von der industriellen Produktions- zur Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft brachte ferner Tätigkeitsprofile mit sich, die vor einigen Jahren undenkbar waren und für Menschen, die nicht direkt in diesen Bereichen arbeiten, nur schwierig nachvollziehbar sind. Hier wäre von den berufsbildenden Stellen, aber auch von den Unternehmen wesentlich mehr Öffentlichkeitsarbeit wünschenswert, die auf ansprechende Weise über Veränderungen und Neuheiten auf dem Ausbildungssektor hinweist.

Nicht zu verwechseln mit der Beseitigung von Ausbildungshemmnissen ist die Subventionierung von Ausbildungsplätzen über den Bedarf hinaus. Die kurzfristige Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, von denen niemand weiß, ob sie später auch zu einem Beschäftigungsverhältnis führen, nützt letztlich wenig. Daran kann auch die derzeit diskutierte Umlagefinanzierung nichts ändern. Zwar könnten, gelockt durch Subventionen, einige Unternehmen zur Ausbildung bewegt werden oder der Staat könnte aus dem Budget der Umlagefinanzierung vermehrt Ausbildungsstellen im öffentlichen Bereich schaffen. Doch was wäre die Folge? Die ursprüngliche Intention der dualen Berufsausbildung, die Auszubildenden auf eine reale Berufswelt vorzubereiten geriete zur Makulatur. Der nahtlose Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem, der sich über die Jahre hinweg bewährt hat, wäre gefährdet. Jede künstlich herbeigeführte Steigerung der Ausbildungszahlen, um die nachwachsende Generation in die Erwerbsgesellschaft zu integrieren, verlagert die wirklichen Probleme um drei Jahre, ohne zu ihrer Lösung beizutragen.

Im Sinne einer Beseitigung solcher Hemmnisse und Fehlentwicklungen, zu denen auch Qualifikationsdefizite der Schulabgänger zählen (s.o. Teil A), ist eine konzertierte Aktion aller an der Berufsbildung Beteiligten, nämlich der öffentlichen Arbeitgeber, der Unternehmen, der Auszubildenden, der Arbeitnehmervertreter, der Verbände sowie der übrigen berufsbildenden Stellen, erforderlich. Ihre "gemeinsame Sache" besteht darin, über ein leistungsfähiges Ausbildungssystem und eine entsprechend hohe Qualifikation der Arbeitnehmer den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und dadurch wieder vermehrt Arbeitsplätze zu schaffen und auf diesem Wege dem einzelnen Arbeitsplatzchancen zu eröffnen, die durch eine kurzsichtige Politik des Sparens an der falschen Stelle gefährdet werden.

Eine zukunftsgerichtete Berufsausbildungspolitik muß verstärkt neue Berufe in zukunftsträchtigen Betätigungsfeldern, gesellschaftlichen wie auch privatwirtschaftlichen, fördern, um es den Unternehmern zu erleichtern, in neue, zukunftsorientierte Bereiche zu investieren und damit zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Sie muß den Übergang unserer Berufsausbildung aus einem geschlossenen, mehr oder weniger statistischen System in ein offenes, dynamisches System bewerkstelligen, das sich aufnahmefähig und flexibel in seinen Reaktionen gegenüber von Einflüssen von außen zeigt. Wenn dies gelingt, können die Vorteile, welche die duale Berufsausbildung in der Vergangenheit für Wirtschaft und Gesellschaft unter Beweis gestellt hat, auch in die Zukunft übertragen werden.

4. Eckpfeiler einer Zukunftsorientierung der Beruflichen Bildung

1. Berufsbildung muß das Ziel haben, jungen Menschen den Übergang in das Beschäftigungssystem zu erleichtern, indem sie ihnen eine "Berufstüchtigkeit" vermittelt, die ihnen langfristig eine aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglicht.

2. Die Berufsbildung muß auch weiterhin in der Verantwortung der ausbildenden Unternehmen, als Bereitsteller von Ausbildungsplätzen bleiben, denn nur dann besteht die Chance auf eine spätere Integration in das Beschäftigungssystem.

3. Es müssen verstärkt neue Berufe in zukunftsträchtigen Wirtschaftsbereichen gefördert werden, um dadurch zusätzlich Ausbildungsbereiche zu schaffen. Ordnungspolitik hat sich dabei der Bildungs- und Beschäftigungspolitik unterzuordnen.

4. Der Prozeß zur Entwicklung neuer Berufe muß weiter beschleunigt werden.

5. Die Berufswahl sollte vielfältige Entwicklungswege zulassen und den einzelnen dann mehr Flexibilität gewährleisten. Dies könnte geschehen, indem zunächst eine berufsfeldeinheitliche Ausbildung erfolgt und die endgültige Berufsspezialisierung auf einen zweiten Ausbildungsabschnitt verschoben wird.

6. Berufsausbildung muß für die fachübergreifende Zusammenarbeit sensibilisieren.

7. Eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit über Berufe und deren Karriereperspektiven ist dringend erforderlich, um das Image der dualen Berufsausbildung zu stärken.

8. Berufsausbildung soll auch die Persönlichkeit fördern und darf keinesfalls nur den rasch einsetzenden, "flexibel funktionierenden" Mitarbeiter zum Ziel haben. Hier sind insbesondere die Berufsschulen gefordert.

9. Es sind verstärkt Wege zu entwickeln, die auch leistungsschwächere Jugendliche in das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem integrieren. Hier könnte man zusätzliche Einstiegsberufe anbieten, die eine spätere Weiterqualifizierung zulassen.

10. Es sind Wege weiterzuentwickeln, um leistungsstarken Jugendlichen dauerhafte Anreize zu geben. Unsere Bildungsressourcen sind zu wertvoll, als daß Jugendliche sie (zu Lasten anderer) mehrfach in Anspruch nehmen können sollten. Alternative duale Bildungsgänge müssen deshalb ausgebaut werden.

Gleichwertig kann Berufsausbildung für junge Menschen nur sein, wenn das Auslernen sichtbar in ein Weiterlernenkönnen übergeht, wenn Perspektiven und Durchlässigkeit sichtbar sind.


©Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1998

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