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TEILDOKUMENT:




D. Zur Beruflichen Weiterbildung

Der Deutsche Bildungsrat definiert Weiterbildung als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Ausbildungsphase". In der Statistik- des Berichtssystems Weiterbildung für die Bundesrepublik Deutschland werden die Sektoren der beruflichen Weiterbildung, der allgemeinen Weiterbildung und der wiederaufgenommenen Ausbildung unterschieden. Jedoch entzieht sich gerade der wichtige 'weiche' Bereich der informellen Weiterbildung weitgehend einer Definition und statistischen Erfassung, ist aber gleichwohl von großer und im Informationszeitalter eher wachsender Bedeutung.

1. Es besteht der begründete Eindruck, daß Investitionen in Humankapital durch Aufwendungen für die berufliche Weiterbildung nicht im erforderlichen Umfang stattfinden.

Folgt man dem 1996 vom Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie herausgegebenen "Integrierten Gesamtbericht zur Weiterbildungssituation in Deutschland", so hat die Reichweite der beruflichen Weiterbildung in den letzten Jahren zugenommen (von 21% der Deutschen im Alter zwischen 19 und 65 Jahren auf 24%), während gleichzeitig der durchschnittliche Zeitaufwand der Erwerbstätigen für berufliche Weiterbildung, in Stunden/Jahr gerechnet, eine eher negative Entwicklung aufweist.

Der Zeitaufwand für berufliche Weiterbildung pro erwerbstätiger Person ist zwischen 1991 und 1994 im Öffentlichen Dienst und im Handels- und Dienstleistungsbereich zwar angestiegen (von 40 auf 47 bzw. von 34 auf 36 Stunden), in der Industrie aber kräftig von 43 auf 34 Stunden und im Handwerk noch kräftiger von 36 auf 26 Stunden zurückgegangen. Insgesamt hat sich der Umfang der betrieblichen Weiterbildung in den letzten Jahren zurückentwickelt.

Eine Analyse der betrieblichen Weiterbildung liefert der Leiter der Hauptabteilung Weiterbildungsforschung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Er legt mit der Hochrechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft für das Jahr 1992 einen Aufwand von 36,5 Milliarden DM für die betriebliche Weiterbildung zugrunde. Nach der Rechnung des BIBB sind das zu 69 Prozent Ausfallkosten, so daß der betriebliche "Weiterbildungsmarkt" nur ca. 11,3 Milliarden DM umfasse. Der "Weiterbildungsmarkt" der öffentlichen Hand belief sich 1992 nach einer ähnlichen Rechnung auf knapp 3 Milliarden DM. Der individuelle Aufwand von Privatpersonen für die berufliche Weiterbildung ist mit rund 6,2 Milliarden DM daneben keineswegs zu vernachlässigen.

Schließlich gab die Bundesanstalt für Arbeit im gleichen Zeitraum knapp 8 Milliarden DM für die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung aus (ohne Unterhaltsgeld und ohne die Aufwendungen für die berufliche Rehabilitation von Behinderten mitzuzählen). Dieser Betrag war 1992 durch die hohen Aufwendungen in den Neuen Bundesländern mitverursacht und ist inzwischen im Zuge der Sparmaßnahmen und als Folge steigender Aufwendungen für Arbeitslosigkeit fast halbiert worden.

Insgesamt schätzt das BIBB das Geldvolumen, das 1992 auf dem Markt der beruflichen Weiterbildung nachfragewirksam wurde (wobei es sich zum größten Teil um einen captive market handelt), auf etwa 30 Milliarden DM und schreibt: "Betrachtet man die Weiterbildungsaufwendungen als Investitionen in 'Humankapital' und vergleicht sie mit den Sachkapitalinvestitionen (1992: rund 700 Mrd. DM), dann zeigt sich, daß die 'Humankapitalinvestitionen' in Form beruflicher Weiterbildung nur 4,3% der Anlageinvestitionen ausmachen".

Obwohl die bisherigen Betrachtungen aus begrifflichen und statistischen Gründen nicht einer gewissen Willkür entbehren, wird doch deutlich, daß die Forderung nach lebenslangem Lernen, um mit dem sich beschleunigenden Strukturwandel fertig werden zu können, noch nicht voll erfüllt ist. Sie zeigen, daß der Aufwand für "organisiertes Lernen" in der beruflichen Weiterbildung, jedenfalls in der Industrie und im Handwerk seit einigen Jahren rückläufig ist. Nimmt man hinzu, daß die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, die für die berufliche Weiterbildung zur Verfügung stehen, als Folge der wachsenden Arbeitslosigkeit im Schrumpfen begriffen sind, ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß Investitionen in Humankapital derzeit nicht in dem erforderlichen Umfang stattfinden, der sich aus den Umwälzungen unserer Wirtschaft im Zuge der Globalisierung und Informatisierung ergibt.

2. Notwendig ist eine gemeinsame Vision, welche Prioritäten in der beruflichen Weiterbildung gesetzt werden müssen, um mit dem Strukturwandel fertig zu werden und Wachstum und Beschäftigung zu sichern

Der Strukturwandel der Anforderungen an die berufliche Weiterbildung ist außerordentlich komplex. Er ist vor allem charakterisiert durch die Informatisierung der Arbeitswelt. Hinzu kommt die zunehmende Verlagerung der Beschäftigung auf den Dienstleistungssektor und die steigende Verantwortung der Beschäftigten in der privaten Wirtschaft und im öffentlichen Bereich im Rahmen 'fraktaler' Organisationsformen (folgt man einem Begriff des FHG-Präsidenten Professor Warnecke). Schließlich ist die internationale Arbeitsteilung und die Europäisierung der Beschäftigung ein Trend, der auch auf die Anforderungen an die berufliche Weiterbildung durchschlägt.

Der Versuch, den zukünftigen Qualifizierungsbedarf zu ermitteln, stößt naturgemäß auch auf die mit der Laufzeit von Projektionen zunehmende Prognoseunsicherheit. Dabei spielen konjunkturelle Entwicklungen ebenso eine Rolle, wie die Entwicklung der Produktivität einzelner Wirtschaftszweige. Deregulierung und neue Märkte in der Informationsgesellschaft sind schwer abschätzbare Faktoren. Infolgedessen gibt es weder in der Wirtschaft, noch bei der Bundesanstalt für Arbeit eine einigermaßen zuverlässige mittel- bis langfristige Vorstellung darüber, welchen Anforderungen die berufliche Weiterbildung als Ganzes unterworfen sein wird. Es gibt jedoch eine Fülle von einzelnen Regulierungen und speziellen Berufsbildern, die den Markt der beruflichen Weiterbildung beeinflussen. Das Managementprinzip "Go and Correct" ist für die berufliche Weiterbildung charakteristisch.

Demgemäß bedarf es einer Vision über das Zukunftsbild der Ziele, der Organisation und des notwendigen Aufwands beruflicher Weiterbildung. Wie bei der beruflichen Ausbildung (oben Abschnitt C) muß sie in einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten entwickelt werden.

3. Berufliche Weiterbildungspolitik ist aktive Arbeitsmarktpolitik. Sie sollte nicht aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, sondern aus Steuermitteln finanziert und wesentlich erweitert werden. Der Steuerausfall sollte durch eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarkts kompensiert werden.

Die Bundesanstalt für Arbeit verwaltet in diesem Jahr ein Ausgabevolumen von rund 150 Mrd. DM. Das ist der Preis der Arbeitslosigkeit (ohne Einschluß der Sozialhilfe), die sich seit Mitte der siebziger Jahre in Deutschland festgesetzt hat und in diesem Jahr ein Rekordniveau erreicht. Dadurch werden die sogenannten Pflichtleistungen der Arbeitsämter (Arbeitslosengeld) weiter ansteigen. Infolgedessen müssen die Kann-Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik noch weiter zurückgeführt werden, wenn der Zuschuß des Bundes an die Bundesanstalt für Arbeit eingefroren wird.

Ein wesentlicher Teil der beruflichen Weiterbildung mit dem Ziel der Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt entfällt. Die Zahl der Menschen in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung geht aller Voraussicht nach von 500.000 im vergangenen Jahr auf 300.000 zum Ende diesen Jahres zurück. Die Zahlen deuten darauf hin, daß wir uns in einer Abwärtsspirale befinden, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Im Grunde können wir es uns schon aus finanziellen Gründen gar nicht leisten, daß der erste Arbeitsmarkt immer weiter schrumpft, weil dadurch immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Arbeitslose zahlen müssen. Und den zweiten Arbeitsmarkt können wir nicht mehr bezahlen, weil seine Finanzierung aus der Arbeitslosenversicherung die Unternehmen und Erwerbstätigen immer stärker belastet. Im Hinblick auf die Kostenbelastung durch Sozialabgaben sind die Untemehmensteuern eine Größe zweiter Ordnung. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, der nur durch ein grundsätzliches Umsteuern entgegengewirkt werden kann.

Eine konsequente, auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik ist eine notwendige Bedingung, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Dabei geht es nicht um einen Schulstreit zwischen einer angebots- oder nachfrageorientierten Politik, da Angebot und Nachfrage in einem unauflöslichen Rückkopplungsprozeß miteinander verkettet sind, sondern um eine intelligente Kombination aus beidem, die öffentliche und private Investitionen in den Vordergrund stellt.

Ein wesentliches Hindernis im Aufschwung ist die Befürchtung der Unternehmen, im Falle einer zu optimistischen Einschätzung der Entwicklung, ihren Beschäftigungsstand nur unter hohen Kosten wieder nach unten anpassen zu können. Flexible Arbeitszeitregelungen können zwar dazu beitragen, die Risiken für diejenigen zu vermindern, die bereits Arbeit haben. Um den hohen Arbeitslosigkeitssockel wieder abzubauen, ist aber mehr erforderlich, nämlich ein konsequenter Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Rahmen einer zwischen den Tarifparteien und der Politik zu verabredenden Doppelstrategie, die es Unternehmen auf der einen Seite erlaubt, Neueinstellungen vorzunehmen, ohne dadurch hohe finanzielle Risiken auf sich zu nehmen, und zum anderen von Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine faire Chance gibt, durch berufliche Weiterbildung und mit neuen Fähigkeiten ausgestattet eine neue Arbeit zu finden.

Von der Bundesanstalt für Arbeit aus Steuermitteln finanzierte berufliche Weiterbildung sollte an die Stelle von Arbeitslosigkeit treten und als schlechter bezahlte Durchgangsstation zur Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt betrachtet werden. Wem dies im ersten Anlauf nicht gelingt, der muß im zweiten Arbeitsmarkt vorübergehend sein Unterkommen finden und dort Leistungen erbringen, die sozial und volkswirtschaftlich von Nutzen sind.

4. Die Bundesregierung sollte die Entwicklung einer Vielzahl neuer Formen der computer- und kommunikationsgestützten beruflichen Bildung fördern und einen intensiven Informationsaustausch zwischen Unternehmen, Bildungsträgern und Forschungseinrichtungen zur breiten Umsetzung der Ergebnisse in die organisierte und informelle berufliche Bildungslandschaft initiieren.

Telelearning und Computer Based Teaching werden auch in der beruflichen Weiterbildung eine wachsende Rolle spielen und sie von Grund auf verändern. Neue Simulationstechniken auf der Grundlage von Computer Generated Imaging stehen zwar aus Kostengründen noch am Anfang ihrer Entwicklung, aber bereits heute wird deutlich, daß damit eine neue Dimension in Bildung und Training erschlossen werden kann. Der Kostenverfall in der Mikroelektronik wird in wenigen Jahren Virtual Reality-Techniken im Rahmen von Personal Computern ermöglichen. Der enge Zusammenhang mit Computerspielen (Nintendo arbeitet mit Silicon Graphics zusammen) hat zu dem Schlagwort vom Edutainment geführt. Es wird höchste Zeit, daß sich die berufliche Bildungslandschaft in Deutschland auf die damit verbundenen Herausforderungen einstellt.

Die Bereitstellung von Software und Informationen über das Internet bietet neue Möglichkeiten der informellen Weiterbildung, deren Nutzung von entscheidender Bedeutung bei der Bewältigung des Strukturwandels sein wird. Inzwischen beginnt sich ein Generationenkonflikt in der Handhabung und Nutzung neuer Informationstechniken zu entwickeln, dessen nachteilige Folgen nur durch konsequente berufliche Weiterbildung auf der Grundlage dieser Techniken abgefedert werden können.

In einem zeitlich befristeten indirekt spezifischen Förderprogramm des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sollte die Entwicklung einer Vielzahl neuer Formen der computer- und kommunikationsgestützten beruflichen Bildung gefördert und durch einen intensiven Informationsaustausch zwischen Unternehmen, Bildungsträgern und Forschungseinrichtungen zur breiten Umsetzung der Ergebnisse in die organisierte und informelle berufliche Bildungslandschaft beigetragen werden.


©Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1998

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