Nachdem die Landesregierung zunächst die Sperrklausel von 5 % auf 3 % senken wollte, vgl. § 22 Abs. 2 KWG a. F., ist nunmehr die Sperrklausel vollständig wegfallen.

Begründet wird dies seitens der Landesregierung mit der Einführung des Kumulierens und Panaschierens. Hierbei sei nämlich grundsätzlich kein Stimmenquorum erforderlich. Nach den Erfahrungen der anderen Bundesländer, in denen bereits seit Jahren oder Jahrzehnten kumuliert oder panaschiert werden kann, lägen auch keine Erfahrungen vor, daß es durch den Wegfall der Sperrklausel zu einer Gefährdung der kommunalen Selbstverwaltung kommen könne.

In der Begründung zum ursprünglichen Regierungsentwurf wurde demgegenüber noch ausgeführt, daß eine Sperrklausel von 3 % erforderlich sei, um die Arbeitsfähigkeit der Kommunalparlamente zu erhalten. Die Erfahrungen aus Bundesländern, die überhaupt keine Sperrklausel haben, führten hiernach nicht dazu, die Sperrklausel auch in Hessen völlig aufzuheben.

Aufgrund der geringeren Größe der Kommunalparlamente liegt nämlich in Bayern die sogenannte faktische oder mathematische Sperrklausel zur Erreichung eines Sitzes zwischen 7,14 % in der kleinsten Gemeindegrößeklasse und 1,25 % in der größten. In Baden-Württemberg liegt sie zwischen 8,33 % und 1,67 %. In Hessen würde ein vollständiger Wegfall zu einem Mindeststimmenanteil für einen Sitz von zwischen 6,67 % und 0,95 % führen.

Tabelle: Grundsätzlich erforderliche Stimmen für einen Sitz ohne Sperrklausel
 

Einwohnerzahl
Sitze
% pro Sitz
bis 3.000
15
6,67
3.000 bis 5.000
23
4,35
5.000 bis 10.000
31
3,23
10.000 bis 25.000
37
2,7
25.000 bis 50.000
45
2,22
50.000 bis 100.000
59
1,69
100.000 bis 250.000
71
1,41
250.000 bis 500.000
81
1,23
500.000 bis 1.000.000
93
1,08
über 1.000.000
105
0,95

In der Tabelle ist das grundsätzliche faktische Quorum nach einfacher Verhältnisrechnung für die Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen in Hessen aufgeführt. Im Einzelfall kann auch ein geringerer Stimmananteil zur Erlangung eines Sitzes ausreichend sein. Die angegebenen Zahlen können aber durchaus als Orientierungswert dienen.

Die durchweg kleineren Vertretungen bzw. Räte führen also in Baden-Württemberg und Bayern zu einer faktischen Sperrklausel, die sich grundsätzlich in dem genannten Rahmen bewegt. Durch das Zuteilungsverfahren der Sitze nach Hare-Niemeyer werden jedoch Parteien und Listen mit geringem Stimmenanteil begünstigt, so daß im Einzelfall durchaus ein geringerer Stimmenanteil ausreichen kann, um einen Sitz zu erringen. Das faktische Quorum ist dann auch entsprechend niedriger.

Tabelle: Beispiel faktisches Quorum im Einzelfall
 

Partei
Stimmen
Stimmen %
Verhältniszahl
Sitze
CDU
4.764
35, 61
13, 175
13
SPD
5.657
42, 28
15, 645
15 + 1
Grüne
1.101
8, 23
3, 045
3
FDP
1.062
7, 94
2, 937
2 + 1
PDS
159
1, 19
0, 440
0 + 1
APPD
13
0, 10
0, 036
0
BüSO
2
0, 01
0, 006
0
BFB
55
0, 41
0, 152
0
Chance
11
0, 08
0, 030
0
CM
10
0, 07
0, 028
0
DVU
79
0, 59
0, 218
0
Graue
26
0, 19
0, 072
0
REP
202
1,51
0, 559
0 + 1
Frauen
15
0, 11
0, 041
0
Pro DM
88
0, 66
0, 243
0
Tierschutz
47
0, 35
0, 130
0
NPD
62
0, 46
0, 171
0
Naturgesetz
12
0, 09
0, 033
0
ÖDP
3
0, 02
0, 008
0
PBC
11
0, 08
0, 030
0
PSG
0
0, 00
0, 000
0

Zu der vorliegenden Wahl einer Stadtverordnetenversammlung wären 37 Sitze zu vergeben gewesen. Aufgrund der Vielzahl der angetretenen Listen (Beispiel basiert auf der Bundestagswahl 1998) ergibt sich ein kleineres faktisches Quorum, als es an sich errechenbar ist. So erhielte hier sogar die PDS einen Sitz, obwohl sie lediglich 1, 19 % der gültigen Stimmen erlangte, gegenüber 2, 7 % grundsätzlichem faktischen Quorum, vgl. obige Tabelle. Zur Kommunalwahl ist regelmäßig nicht mit einer derartig großen Zahl von Listen zu rechnen, so daß dieses Extrembeispiel nicht überbewertet werden sollte.

In der Stellungnahme des Hessischen Landkreistags wurde vor der Absenkung insoweit gewarnt, als Kleinstfraktionen nach den bisherigen Erfahrungen oft nur eine kurze Lebensdauer und wenig Gemeinsamkeiten mit anderen Fraktionen aufweisen. Oft würden sie sich selbst nicht dem gesamten Aufgabenspektrum einer kommunalen Vertretungskörperschaft verpflichtet sehen und mitunter ”koalitionsfeindlich” agieren. Insbesondere bei Angelegenheiten, deren Erledigung sich über einen längeren Zeitraum und über mehrere Einzelentscheidungen hinweg erstrecken, sind Kreisausschuß und die Verwaltung auf die Berechenbarkeit von Kreistagsentscheidungen angewiesen, um komplexe Zielvorgaben auch umsetzen zu können.

Im Rahmen der Anhörung vor dem Hessischen Landtag bewerteten etliche Verfassungsrechtler demgegenüber eine Sperrklausel als nicht gerechtfertigten Eingriff in die formale Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit. Konkret greifbare Risiken ließen sich in anderen Bundesländern ohne Sperrklausel nicht nachweisen, ein lediglich abstraktes Risikopotential reiche nicht aus.

Hierzu ist aber zu bedenken, daß ausschließlich in Hessen nach § 36 a Abs. 1 S. 4 HGO bzw. § 26 a Abs. 1 S. 4 HKO jede Partei oder Wählergruppe, die durch Wahl in der Vertretungskörperschaft vertreten ist, kraft Gesetzes den Fraktionsstatus erlangt. Ein-Personen-Fraktionen mit den damit zusammenhängenden Rechten kennt man in anderen Bundesländern nicht, so daß einzelne Vertreter dort in einem nur geringeren Umfang als bei uns in die Vertretungsarbeit eingreifen können.

In der öffentlichen Diskussion wird oftmals zur Begründung des Wegfalls der Sperrklausel auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Hierin hatte das Gericht zwar festgestellt, daß der Landtag Nordrhein-Westfalen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien und auf Gleichheit der Wahl dadurch verletzt habe, daß er im Mai 1998 die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz nicht aufgehoben oder abgemildert hat. Jedoch hat es festgestellt, daß die Beibehaltung der Sperrklausel nicht auf einer hinreichenden Begründung ihrer weiteren Erforderlichkeit beruht habe.

Der Verfassungsgerichtshof hatte hierfür dem Landtag ein ”Prüfprogramm” vorgegeben und die Notwendigkeit hervorgehoben, die Erfahrungen zu erheben und auszuwerten, die andere Länder wie Bayern und Baden-Württemberg mit ähnlicher Kommunalverfassung, aber ohne Sperrklausel im Kommunalwahlrecht gemacht haben. Der Landtag habe die Überprüfung der Sperrklausel nicht so vorgenommen, wie es diesen Vorgaben entspreche.
Damit beruht das Urteil eher auf einer formellen Verletzung der Vorgaben des Gerichts als auf materiellen Einwänden gegen eine Sperrklausel.

Im Bundesvergleich wird der Begründungsaufwand für die Beibehaltung einer 5 % Hürde sowohl hierdurch als auch durch die hessische Regelung jedoch immer weiter ausgedehnt, so daß möglicherweise die Regelungen auf kommunaler Ebene auch als Anlaß genommen werden können, die Sperrklauseln auf Bundes- und Landesebene erfolgreich anzugreifen.

Schaubild: Sitzverteilung bei 5 % und 0 % Sperrklausel für die Kommunalwahl 1997

Unter Zugrundelegung der Ergebnisse der Kommunalwahl 1997 hätte ein Wegfall des Quorums bedeutet, daß die SPD hessenweit in allen Kreistagen und Gemeindeparlamenten 6.175 statt 6.322 Mandate errungen hätte (blasser Balken). Ein ähnliches Bild ergäbe sich für die CDU, auch Bündnis 90 / Die Grünen müßten Mandatsverluste hinnehmen. Mandatsgewinne ergäben sich jeweils für die Freien Wählergemeinschaften, für die FDP und insbesondere für Republikaner und NPD.

Schaubild: Gewinne und Verluste von 0 % gegenüber 5 % Sperrklausel für die Kommunalwahl 1997

Ausgedrückt in Gewinnen und Verlusten wird deutlich, daß hauptsächlich bei der FDP Zuwächse aus dem Wegfall der Sperrklausel eingetreten wären. Bei Wegfall des Quorums wäre ein plus von 196 Sitzen bzw. 67, 8 % eingetreten. 
Auch andere kleine Parteien hätten zu Lasten von SPD, CDU und Grünen profitiert.

Wie dargestellt, ist in der Tat die FDP Hauptnutznießerin des Wegfalls der Sperrklausel. Der Verdacht, ein gewisses Eigeninteresse des kleinen Koalitionspartners könnte eine erhebliche Rolle bei der Einführung dieser Regelung gespielt haben, liegt zumindest nahe.
 
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