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[Seite der Druckausg.:25]



6. Mit der Agrarwende verknüpfter entwicklungspolitischer Handlungsbedarf


Die in den Abschnitten 2 bis 5 geführte Diskussion hat gezeigt, daß eine stärkere Ausrichtung der EU-Agrarpolitik an verbraucher-, tier- und umweltschutzpolitischen Zielen sowohl Chancen wie auch Risiken für die Entwicklungsländer mit sich bringt. Aus entwicklungspolitischer Sicht ergeben sich hieraus zwei wichtige Aktionsfelder. Zum einen die Einflußnahme auf die Gestaltung der Agrarwende, um die Chancen für die Entwicklungsländer zu erhöhen und die Risiken zu begrenzen. Zum anderen die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Vertretung ihrer Interessen, z. B. innerhalb der WTO, und bei den notwendigen Anpassungen an die sich verändernden Rahmenbedingungen.

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6.1 Einflußnahme auf die Gestaltung der ökologischen Agrarwende

Der Abbau der klassischen Subventionspolitik im Agrarbereich führt für die Summe der beteiligten Länder zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen. Für die wahrscheinlich von einer Agrarwende besonders betroffenen Produkte der gemäßigten Zone kommt es aufgrund des EU-Produktionsrückgangs tendenziell zu einem Anstieg der Weltmarktpreise. Hiervon sind die Nettoexporteure unter den Entwicklungsländern positiv betroffen. Auch einige der heutigen Nettoimporteure können langfristig positiv betroffen sein, z. B. wenn die höheren Weltmarktpreise dazu beitragen, daß sie eine Nettoexportsituation erreichen. In vielen Entwicklungsländern würde ein höheres Agrarpreisniveau auch zur Armutsbekämpfung beitragen, da Armut häufig besonders in den ländlichen Räumen konzentriert ist. Aus entwicklungspolitischer Sicht sollte der Abbau der Agrarsubventionen deshalb unterstützt werden. Insbesondere sollte bei der Ausgestaltung von Tier- oder Umweltschutzpolitiken darauf geachtet werden, daß sie nicht als versteckte Subventionspolitiken mißbraucht werden. Schon heute sind im Rahmen der Agrarumweltprogramme in einigen Bundesländern viele Maßnahmen so gestaltet, daß die Landwirte Zahlungen für Leistungen erhalten, die sie entweder ohnehin oder aber zumindest auch zu einem wesentlich geringeren Preis erbringen würden. [Vgl. z.B. Zeddies und Doluschitz, 1996 für eine Analyse des MEKA-Programms unter der EU-VO 2078/92.] Bei derartigen Zahlungen handelt es sich streng genommen nicht mehr um Agrarumweltpolitik, sondern um wettbewerbsverzerrende sektorale Einkommenspolitik, die durchaus einen angebotserhöhenden Effekt haben kann. Ähnlich zu bewerten ist vor diesem Hintergrund der Versuch, die gegenwärtigen Direktzahlungen über den Mechanismus der cross-compliance mit der Einhaltung der guten fachlichen Praxis oder nur geringfügig darüber hinausgehender Standards rechtfertigen zu wollen.

Die Nettoimporteure der Produkte der Agrarwende unter den Entwicklungsländern, zu denen viele der AKP-Länder wie auch der LDC gehören, sind von höheren Weltmarktpreisen auf jeden Fall kurzfristig negativ betroffen. In einigen Fällen können heutige Nettoimporteure auch langfristig negativ betroffen sein, z. B. bei fehlendem landwirtschaftlichen Produktionspotential, aber auch bei einer politisch bedingten schwachen Entwicklung des Agrarsektors. Bei einer Absenkung des Preisniveaus in der EU sind es auch die AKP-Länder und die LDC, die aufgrund ihres präferentiellen Zugangs zum EU-Markt Erlöseinbußen hinnehmen müssen. Da ein Abbau der Subventionspolitiken zu erheblichen Einsparungen von EU-Haushaltsmitteln führen

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würde, sollte ein Teil des finanziellen Transfers von der EU in die Entwicklungsländer, der bisher im Rahmen des Agrarhandels implizit stattgefunden hat, in Zukunft für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Mitteln sollten insbesondere die Länder unterstützt werden, die von höheren Weltmarktpreisen unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten besonders negativ betroffen wären. Diese Unterstützung könnte einerseits in der Finanzierung von konkreten und zeitlich befristeten Maßnahmen zur Anpassung an die neue Preissituation bestehen, andererseits sollten aber auch Mittel für die langfristige Aufstockung der Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden.

Eine verstärkte EU-Nachfrage nach Öko-Produkten aus Entwicklungsländern ist aus entwicklungspolitischer Sicht zu begrüßen. Um den Import aus Entwicklungsländern zu erleichtern, sollte das gegenwärtige EU-System der Zertifizierung von ökologischer Drittlandsware im Sinne einer Vereinfachung und Vereinheitlichung weiter entwickelt werden. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Prozeßstandards, nicht nur im Bereich der ökologischen Landwirtschaft, sollten Konzepte für eine internationale Harmonisierung der Zertifizierung erarbeitet werden. Eine zu starke Angebotsförderung für den Öko-Landbau in der EU ist aus Sicht der Entwicklungszusammenarbeit kritisch zu beurteilen, da sie zu Wettbewerbsnachteilen für Drittlandsware führt, die diese Förderung nicht erhält.

Eine Ideologisierung der Diskussion um eine umweltfreundliche Vermarktung wie sie mit dem credo "regional ist die erste Wahl" erfolgt, sollte aus entwicklungspolitischer Sicht abgelehnt werden. Sie schadet den Exportinteressen der Entwicklungsländer und ist außerdem wenig zielgenau, ineffizient und in Teilbereichen sogar kontraproduktiv bei der Verfolgung des Umweltziels.

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6.2 Unterstützung der Entwicklungsländer bei den erforderlichen Anpassungen

Damit möglichst viele Entwicklungsländer von einer Situation höherer Weltmarktpreise für Agrarprodukte profitieren können, sollte die Entwicklungspolitik in denjenigen Entwicklungsländern, in denen die Landwirtschaft durch verzerrende Politiken benachteiligt ist, den Abbau dieser Politiken unterstützen. Außerdem sollte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine bessere Nutzung des landwirtschaftlichen Produktionspotentials durch Verbesserungen von Infrastruktur, Beratung und Ausbildung gefördert werden.

Insbesondere in der WTO, aber auch in anderen internationalen Organisationen, ist es für Entwicklungsländer von essentieller Bedeutung, ihre Interessen, wo immer die Interessenlage es erlaubt, in gebündelter Form zu vertreten. Die Entwicklungszusammenarbeit kann sie hierbei unterstützen. Im Zusammenhang mit der ökologischen Agrarwende sind insbesondere die zukünftige Gestaltung des WTO-Regelwerks in bezug auf Produkt- und Prozeßstandards sowie Regeln für die Kennzeichnung von Produkten von großer Bedeutung. Es besteht die Gefahr, daß Standards bei fortschreitendem Abbau der klassischen Agrarprotektion vermehrt zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden.

Die Implementierung und Verschärfung von Produkt- und Prozeßstandards hat bestimmte institutionelle und finanzielle Voraussetzungen. Die Entwicklungszusammenarbeit kann die Entwicklungsländer dabei unterstützen, sich an die EU-Nachfrage anzupassen.

Bei der Zertifizierung von ökologischer Drittlandsware ist es für die Entwicklungsländer von besonderem Interesse, lokale Zertifizierungsstellen aufzubauen. Zum einen ist die lokale Zertifizierung kostengünstiger als die Zertifizierung durch international tätige Unternehmen, zum anderen entsteht bei der lokalen Zertifizierung mehr lokales know-how. Da zu erwarten ist, daß die Bedeutung der Prozeßzertifizierung aus Gründen des Verbraucher-, Tier-

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und Umweltschutzes auch für konventionelle international gehandelte Produkte zunimmt, ist dieses know-how eine sinnvolle Investition, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden sollte.


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