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Einleitung


Zum gegenwärtigen Stand der Debatte über die deutsche Entwicklungspolitik und die Aktualität eines nationalen und Internationalen Zentrums für die Nord-Süd-Zusammenarbeit.

Grundlegende entwicklungspolitische Überlegungen sind wieder Thema. Lange drehte sich die Diskussion im Kreise und konzentrierte sich auf durchaus auch wichtige, aber Nebenthemen.

Die Beschlüsse des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zur Konzentration der Entwicklungshilfe auf einige Länder und für die Begrenzung der Beiträge für internationale Organisationen, der Vorstoß der SPD zur Integration des Bundesministeriums für wissenschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ins Auswärtige Amt, die Stellungnahme einer Memorandumsgruppe dazu, sowie vor allem eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats beim BMZ mit der Forderung nach einer Umorientierung in der deutschen Entwicklungspolitik, mit einem lebhaften und kritischen Echo, aber auch eine neue, umfassende Konzeption der Bundesregierung zu ihrer Asienpolitik, haben eine neue Diskussion in Gang gebracht. Die alteingefahrenen Selbstverständlichkeiten der Zielsetzung der deutschen Entwicklungspolitik, insbesondere das Konzept der Armutsbekämpfung, werden hinterfragt, aber auch eine schlüssige Synchronisierung von Außen-, Kultur-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit dem übergreifenden Leitziel einer umwelt- und sozialverträglichen internationalen Strukturpolitik angemahnt.

Nicht alle [Anmerkungen zum Sprachgebrauch: Bei personengebundenen Begriffen gilt immer gleichzeitig die männliche und weibliche Fassung ohne besonderen Hinweis (beispielsweise: Professor = Professor/in). Die Begriffe Entwicklungspolitik und Nord-Süd-Politik sind nicht vollständig deckungsgleich. Sie werden hier aber, wie oft auch in der Umgangssprache, synonym oder additiv gebraucht und verweisen immer auf die Globalisierung aller Lebensbereiche (Weltinnenpolitik) und damit auch auf die Entwicklungserfordernisse in den Industrieländern.] beteiligten sich an der Diskussion. Viele, auch größere Institutionen und Organisationen beschränken sich auf das Weitermachen und die Vertretung ihrer engeren Organisationsinteressen.

Während das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und sein Minister sich durchaus einer offenen Diskussion nicht ohne selbstkritische Akzente stellen, sind viele Organisationen vor allem mit ihrem Überleben angesichts etwa des Rückgangs der Spenden und Zuwendungen befaßt, und bei weiterhin interessanten Beiträgen in ihren Publikationen selten geneigt, Grundsatzfragen neu aufzurollen und auch ihre eigene Position zu hinterfragen.

Derweil finden in den Entwicklungsländern dramatische Verschiebungen, aber auch Konsolidierungen statt, und insgesamt eine Differenzierung, die dann auch differenzierte entwicklungspolitische Antworten erforderlich werden läßt.

Vor allem entfernt sich die Situation einiger Schwellenländer, etwa der erfolgreichen Länder Asiens, die in ihrer Region eine energische Entwicklungspolitik vorantreiben, von dem weiterhin kritischen Zustand Afrikas südlich der Sahara und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Lage der ärmsten Länder allgemein. Bei kräftigen Wirtschaftsimpulsen verändern sich die Strukturen und die wirklichen Machtverhältnisse in Lateinamerika zwar hier und dort, aber insgesamt wenig. Die lang vorherzusehende Verschärfung der Entwicklungs- und Machtprobleme am südlichen Mittelmeerrand und die labile Lage der Nachfolgestaaten der Sowjetunion und des Ostblocks kombinieren sich zu einem Nachbarschaftsproblem für Europa, bei dem die jeweils nächstliegenden Staaten die anderen EU-Mitglieder auffordern, ihnen zu helfen. Vieles wird vom Problem des ehemaligen Jugoslawien überschattet, das der Entwicklungspolitik zur Zeit keine Aufgaben stellt, mit Sicherheit aber später.

Es gibt Bedarf an einem neuen intensiven entwicklungspolitischen Dialog zwischen den hauptsächlichen Trägern im Parlaments- und Regierungsbereich, in der Wirtschaft, bei den Medien und den

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Nichtregierungsorganisationen der entwicklungspolitisch interessierten Community.

Es geht nicht nur um Aufmerksamkeitswerbung, die die Öffentlichkeit anregt, sich mit Entwicklungspolitik überhaupt zu befassen und Stellung zu beziehen. Es geht vor allem um die Erarbeitung tragfähiger Konzeptionen und praktikabler Lösungen, um die Neudefinition unserer Rolle in der Nord-Süd- und Entwicklungspolitik auf längere Frist unter Einbezug der außenpolitischen, ökonomischen, sicherheitsrelevanten und kulturellen Aspekte und Interessen, d.h. also, um einen halbwegs verläßlichen Orientierungsrahmen für die Zukunft – auch zur Motivation derer, die über Steuer- und Spendenmittel verfügen. All dies muß im europäischen Zusammenhang erörtert und erarbeitet werden.

Dabei sind weniger Visionen als vielmehr nüchterne Bestandsaufnahmen und machbare Vorschläge gefragt, und, wenn möglich, jene Gemeinsamkeiten über parteipolitische, milieubedingte Grenzen hinweg zu erneuern, die mit enger informeller und offizieller Kooperation von Regierungsstellen, internationalen Einrichtungen und gesellschaftlichen Kräften im eigenen Land und über die Grenzen hinaus die erste Aufbruchphase der Entwicklungspolitik Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre so sehr beflügelt haben.

Hierbei sind die Vorteile gegenüber damals zu nutzen, die im Ausmaß an Erfahrungen, in der Vorsicht gegenüber zu optimistischen Erwartungen und der zweifellos gewachsenen Professionalität der Akteure zu finden sind. Dazu ist Entwicklungspolitik heute eng mit Umweltpolitik, Sicherung der Zivilgesellschaft und einer zukunftsichernden Reformpolitik der Industriestaaten vernetzt, kurz: Teil einer globalen Strukturpolitik.

Gerade rechtzeitig kommt also der Beschluß der verantwortlichen politischen Kräfte, nach der Installation Berlins als Bundeshauptstadt mit den verbliebenen Kräften Bonns durch Verlagerung erfahrener entwicklungspolitischer Institutionen und eine kräftige finanzielle und personelle Stärkung des Bonner Wissenschaftspotentials sowie im Verbund mit Nachbaruniversitäten die Voraussetzungen für einen entwicklungspolitischen Verbund, das Entwicklungszentrum in der Nord-Süd-Stadt Bonn, zu schaffen.

Von einem Nord-Süd-Zentrum Bonn sind Signalwirkungen an die Länder des Südens, vor allem aber an die deutsche Innen-, Außen- und insbesondere die Europa- und UN-Politik zu erwarten und ein wichtiger Impuls, bereit und befähigt zu werden, die Herausforderungen zu meistern, die in fast allen Bereichen unserer Zivilisation – Umwelt, Ressourcenverbrauch, Bevölkerungsentwicklung, Verminderung der Armut, Migration, Sicherheit, Bildung, Verkehr – um nur einige zu nennen – national und regional nicht mehr zu bewältigen sind, sondern eine vernetzte internationale Strukturpolitik erfordern.

Die erwartete Signalwirkung erfordert einen Dialog, an dem sich alle Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Politik offen und konstruktiv beteiligen.

Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zur Konzeption und Orientierung leisten und einige Vorschläge zur Realisierung des Zentrums und zu möglichen Synergieeffekten machen. Im Mittelpunkt steht der Nutzen für die Entwicklungspolitik und danach auch für das Profil Bonns.

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1. Politische und rechtliche Grundlagen

Die deutsche Einigung hat die Verlegung der deutschen Hauptstadt nach Berlin gebracht. Als Folgen des Verlustes des Sitzes von Parlament und Regierung sind Kompensationen des Bundes für die Region Bonn vorgesehen; zu ihnen gehören Ausgleichsmaßnahmen im entwicklungspolitischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich.

Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Damit wurde der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am 31. August 1990 unterzeichnete Einigungsvertrag Bundesrecht. Der Einigungsvertrag bestimmte in Artikel 2 Abs. 1: "Hauptstadt Deutschlands ist Berlin." Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung ließ er noch offen.

Am 20. Juni 1991 nahm der erste aus freien Wahlen im geeinten Deutschland hervorgegangene Deutsche Bundestag mit knapper Mehrheit (338 zu 320 Stimmen) die Entschließung zur "Vollendung der Einheit Deutschlands" an. Nummer 1 dieser Entschließung lautet: "Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin." In Nummer 3 spricht der Deutsche Bundestag die Erwartung aus, "daß die Bundesregierung geeignete Maßnahmen trifft, um ihrer Verantwortung gegenüber dem Parlament in Berlin nachzukommen, und in entsprechender Weise in Berlin ihre politische Präsenz dadurch sichert, daß der Kernbereich der Regierungsfunktionen in Berlin angesiedelt wird."

In seinem Umzugsbeschluß vom 20. Juni hatte der Bundestag dem Bundesrat empfohlen, seinen Sitz in Wahrnehmung seiner föderalen Tradition in Bonn zu belassen. Am 5. Juli entschied daraufhin der Bundesrat mit 38 zu 30 Stimmen, seinen Sitz in Bonn zu behalten; allerdings behielt er sich eine Überprüfung dieser Entscheidung im Lichte der noch zu gewinnenden Erfahrungen sowie der tatsächlichen Entwicklung der föderativen Struktur in späteren Jahren vor.

Der Rat der Stadt Bonn nahm in einer Resolution am 24. August 1991 zum Umzugsbeschluß des Bundestages Stellung und beauftragte in einer Resolution vom 21. Juni 1992 die Verwaltung, in enger Zusammenarbeit mit der Landesregierung Verhandlungen mit dem Bund vorzubereiten, die sich vor allem auf folgende Ausgleichsmaßnahmen erstrecken sollten:

  • Verabschiedung eines besonderen Gesamtkonzeptes für die Region Bonn, um den Strukturwandel und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen.

  • Unterstützung der Ansiedlung hervorragender Einrichtungen und Unternehmen.

  • Bereitstellung der bebauten und unbebauten Liegenschaften, die für Bundeszwecke nicht mehr benötigt werden, zu Sonderkonditionen.

  • Ausbau der Infrastruktur.

  • Zusage über den weiteren Verbleib aller vorhandenen nicht obersten Bundesbehörden und Bundesunternehmen in Bonn,

  • Fertigstellung der begonnenen Entwicklungsmaßnahmen.

In Verwirklichung dieser Ratsbeschlüsse richtete der Oberstadtdirektor eine Arbeitsgruppe ein, die insbesondere die Verhandlungen über die Ausgleichsleistungen vorbereitete.

Erste Überlegungen zu Bonn als einem Nord-Süd-Zentrum

Nach dem Bundestagsbeschluß wurden erste Überlegungen laut, Bonn zu einem Nord-Süd-Zentrum zu machen. So forderte der damalige Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages, Uwe Holtz, Bonn zu einem europäischen Nord-Süd-Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit und des internationalen Dialogs wachsen zu lassen und die Nord-Süd-Problematik zu einem Schwerpunkt bei der Ausgestaltung Bonns zu einer internationalen Wissen-

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schaftsstadt zu machen (vgl. General-Anzeiger vom 9. Juli 1991). Angesichts der internationalen Herausforderungen, zu denen Stichworte wie Welternährung, Verschuldung, Umwelt, Weltbevölkerung und Flüchtlingsströme zählen, würde von einem Nord-Süd-Zentrum eine wichtige Signalwirkung für die Entwicklungsländer ausgehen; zugleich könnten Befürchtungen einer einseitigen Orientierung künftiger deutscher Außenpolitik ausgeräumt werden.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (gemäß Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 22.01.93 mit dem Zusatz: "und Entwicklung"; jeweils als "BMZ" abgekürzt) wandte sich am 1. August 1991 an das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Wirtschaft mit dem Vorschlag, "die Idee eines bereits auch in der Öffentlichkeit diskutierten Nord-Süd-Zentrums Bonn sowohl in Form eines nationalen als auch eines internationalen Standorts von entwicklungspolitischen Institutionen aktiv in die Planungen" der jeweiligen Arbeitsgruppen des Arbeitsstabes Bonn/Berlin aufzunehmen. Dieser Vorschlag war in einer Ressortbesprechung auch von Vertretern des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes, des Innenministeriums und des Forschungsministeriums unterstützt worden. Bei der Ausgestaltung eines solchen Zentrums wurden folgende Möglichkeiten gesehen: Bonn als Zentrum für nationale Durchführungsorganisationen, als entwicklungsländerorientiertes Verwaltungszentrum, als nationales politisches Nord-Süd-Zentrum und als internationales Nord-Süd-Zentrum. Bundeskanzler Helmut Kohl, NRW-Ministerpräsident Johannes Rau und die Stadt Bonn haben schon recht bald erkennen lassen, daß sie derartigen Vorschlägen positiv gegenüberstehen.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch zukünftig In Bonn – Werben um UN-Organisationen

Zur Umsetzung des Parlamentsbeschlusses vom 20. Juni 1991 entschied die Bundesregierung durch Kabinettsbeschluß am 11. Dezember 1991, der am 3. Juni 1992 bestätigt wurde, neben dem Chef des Bundeskanzleramts zehn Ministerien in die Bundeshauptstadt Berlin zu verlagern und acht Bundesministerien, darunter das BMZ, in Bonn zu belassen. Teile der nach Berlin zu verlagernden Bundesministerien, wie des Auswärtigen Amts, sollten – entsprechend dem Sachzusammenhang von Aufgabenbereichen – in Bonn verbleiben. Mit Beschluß vom 12. Oktober 1993 legte die Bundesregierung fest, bis zum Jahre 2000 nach Berlin umzuziehen.

Bereits am 11. Dezember 1991 hatte das Bundeskabinett auch den Beschluß zum Erhalt und zur Förderung des Politikbereichs Entwicklungspolitik und zur Errichtung eines Zentrums für Nord-Süd-Zusammenarbeit in Bonn gefaßt. Mehrfach bekräftigte BMZ-Minister Carl-Dieter Spranger, wie wichtig die Schaffung eines Nord-Süd-Zentrums in Bonn für den dauerhaften Verbleib des BMZ am Rhein sei (vgl. General-Anzeiger vom 19. März 1992). Am 31. März 1992 nahm das Kabinett den Entwurf eines Angebotes an die Vereinten Nationen zustimmend zur Kenntnis, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit seinen zugeordneten Organisationen und dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) für eine Ansiedlung in Deutschland im Jahre 1996 geeignete Gebäude mietfrei in Bonn zur Verfügung zu stellen.

In einer solchen Ansiedlung sah die Bundesregierung – laut Sprechzettel vom 31. März 1992 für den Regierungssprecher – "nicht nur eine einmalige Möglichkeit, der bisherigen Bundeshauptstadt Bonn ein neues, attraktives Profil zu geben." Sie wollte mit dem Angebot "auch Deutschlands mit der Vereinigung gewachsene internationale Verantwortung durch ein verstärktes Engagement in den VN Rechnung tragen." Vor dem Hintergrund drängender Nord-Süd-Probleme biete sich hierfür besonders die multilaterale Technische Zusammenarbeit an.

Im zweiten Zwischenbericht der Konzeptkommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 1992 wird die auch von der Föderalismuskommission vorgesehene Absicht bekräftigt, daß die in Bonn verbleibenden Ressorts mit der Ansiedlung zusätzlicher (Bundes-)Einrichtungen den "Kern geschlossener Politikbereiche" bilden sollen, u.a. in dem Feld "Entwicklungspolitik, nationales und internationales Nord-Süd-Zentrum". Mit der Schaffung der Politikbereiche und dem Verbleib von Ministerien könnten – so die Konzeptkommission – auch die entsprechenden Verbände, Bot-

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schaften und ähnliche Einrichtungen ganz oder in Teilen in Bonn verbleiben. Gemäß dem Bericht des Arbeitsstabes Berlin/Bonn, als Anlage dem zweiten Zwischenbericht beigefügt, beabsichtige die Bundesregierung, Bonn zu einem Zentrum für Nord-Süd-Zusammenarbeit auszubauen. Neben der Zusammenfassung nationaler entwicklungsländerorientierter Institutionen in Bonn richte sie ihre Bemühungen auf die Ansiedlung internationaler Einrichtungen in Bonn, was ausdrücklich von der Konzeptkommission begrüßt wurde.

Berlin/Bonn-Gesetz für Erhalt und Förderung des Politikbereiches "Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen" in der Bundesstadt Bonn

Mit dem Berlin/Bonn-Gesetz vom 26. April 1994, das der Bundestag am 10. März 1994 mit deutlicher Mehrheit angenommen hatte, wird der rechtliche Rahmen zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 20. Juni 1991 sowie seines Beschlusses zum dritten Bericht der Konzeptkommission des Ältestenrates und der darauf aufbauenden Beschlüsse der Bundesregierung vom 11. Dezember 1991, 3. Juni 1992 und 12. Oktober 1992 gesetzt.

Das Berlin/Bonn-Gesetz fordert in § 1 Abs. 2 die "Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung" zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der "Bundesstadt" Bonn. Auf der einen Seite wird fixiert, daß Berlin Sitz des Deutschen Bundestages und des Verfassungsorgans Bundesregierung ist, wobei sich Bundesministerien in Berlin und Bonn befinden. Im Gesetzestext selbst werden keine Ministerien benannt, die in der Bonn verbleiben sollen. Vielmehr wird in § 1 Abs. 3 von "Erhalt und Förderung politischer Funktionen in der Bundesstadt Bonn" in den folgenden Politikbereichen gesprochen:

  • Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie, Telekommunikation,

  • Umwelt und Gesundheit,

  • Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,

  • Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen,

  • Verteidigung.

Nach diesem Funktionsteilungsmodell verbleiben die Zukunftsressorts in Bonn, während nach Berlin – vom Verteidigungsministerium abgesehen – die klassischen Ministerien übersiedeln. Zu den in Bonn verbleibenden Ministerien gehören laut Gesetzesbegründung u.a. das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie das Bundesministerium für Forschung und Technologie. Gemäß § 4 bestimmen im Rahmen ihrer Ressorthoheit die zuständigen Minister jener Ministerien, die nach Berlin verlagert werden sollen, die Teile ihres Bundesministeriums, die in der Bundesstadt Bonn verbleiben. Diese Bestimmung wird z.B. für das Innenministerium und das AA interessant, da beide auch im Bereich der Nord-Süd-Zusammenarbeit tätig sind.

Auf der anderen Seite werden als Folgen des Verlustes des Parlaments- und Regierungssitzes Maßnahmen des Bundes für die Region Bonn ins Auge gefaßt. In § 6 des Berlin/Bonn-Gesetzes wird von einem angemessenen Ausgleich gesprochen, der "durch die Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich sowie durch Unterstützung bei notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen" erfolgen soll. Gemäß § 6 Abs. 2 soll der Ausgleich insbesondere "realisiert werden in den Bereichen:

  1. Bonn als Wissenschaftsstandort,

  2. Bonn als Kulturstandort,

  3. Bonn als Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen,

  4. Entwicklung Bonns zu einer Region mit zukunftsorientierter Wirtschaftsstruktur."

Das Gesetz verlangt, daß eine Reihe von Einrichtungen in die Bundesstadt Bonn verlagert werden. Von entwicklungspolitischer Relevanz ist besonders die Bestimmung von § 7 Abs. 3, in dem die Bemühensverpflichtung der Bundesregierung normiert wird, in Abstimmung mit den betroffenen Ländern dafür zu sorgen, daß die bislang in Berlin angesiedelten Einrichtungen Deutsche Stiftung für interna-

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tionale Entwicklung, Deutscher Entwicklungsdienst und Deutsches Institut für Entwicklungspolitik ihren Sitz in der Bundesstadt Bonn nehmen. Die dadurch zu erzielenden Synergieeffekte werden noch weiter verstärkt durch eine Verklammerung mit den anderen Ausgleichssäulen des Berlin/Bonn-Gesetzes, und zwar Bonn als Wissenschaftsraum, Kulturregion und zukunftsorientierter Wirtschaftsstandort – heißt es im Vorwort zu dem im Frühjahr 1995 erschienenen Institutionenverzeichnis "Bonn: Zentrum für Entwicklungspolitik", das die Unterschriften des Bundesministers Carl-Dieter Spranger, des damaligen Chefs der Staatskanzlei NRW, des heutigen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement, und der Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn, Bärbel Dieckmann, trägt.

Nord-Süd-Maßnahmen im Ausgleichsvertrag

Die nähere Ausgestaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes erfolgte in der "Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn", die am 29. Juni 1994 zwischen dem Bund, den Ländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie der Region Bonn, d.h. der Stadt Bonn, dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Kreis Ahrweiler, geschlossen wurde. Zweck dieses "Ausgleichsvertrags", der einklagbare Ansprüche enthält, ist es laut Art. 1 Abs. 1, "die Folgen des Verlustes des Sitzes von Parlament und Regierung durch die Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich sowie durch Unterstützung bei notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen angemessen auszugleichen." Neben der Verlagerung von Bundeseinrichtungen nach Bonn soll der Ausgleich vor allem in jenen vier Bereichen erfolgen, die bereits in § 6 des Berlin/Bonn-Gesetzes genannt sind (s.o.).

Artikel 3 des Ausgleichsvertrages bestimmt die Grundsätze, die bei Aufteilung und Festlegung der Ausgleichsmaßnahmen zu beachten sind. So müssen die Maßnahmen den in der Region angestrebten Strukturwandel unterstützen und Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten entsprechen; sie sollen grundsätzlich in zeitlicher Parallelität zum Umzug von Parlament und Regierung Wirkung entfalten und sich sowohl an Quantität als auch Qualität der zu verlagernden Arbeitsplätze orientieren. Ausgleichsleistungen stellt der Bund nur für Maßnahmen zur Verfügung, deren Gesamtfinanzierung auf Dauer gesichert ist.

An Ausgleichsleistungen sagt der Bund für die Jahre 1995 bis 2004 insgesamt 2,81 Milliarden DM zu; das Land NRW beteiligt sich mit zusätzlichen Beträgen. Das meiste Geld, nämlich 1,6 Milliarden DM, wird dem Schwerpunktbereich Wissenschaft, Forschung, Technologie und Bildung zugute kommen. Davon sind 685 Millionen DM für das naturwissenschaftlich ausgerichtete Center for Advanced European Studies and Research (CAESAR) und je 60 Millionen DM für das Nord-Süd-Zentrum für Entwicklungsforschung und das Zentrum für Europäische Integrationsforschung, das auch außen- und entwicklungspolitische Fragen der EU zum Gegenstand seiner Arbeit machen wird, vorgesehen.

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2. Stand der Realisierung der bisherigen Beschlüsse

Das Nord-Süd-Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) wurde am 4.5. in der Universität Bonn gegründet.

Wenn auch die Bemühungen, UNDP und UNFPA oder gar die neu geschaffene Welthandelsorganisation WTO nach Bonn zu holen, nicht erfolgreich waren, so haben immerhin die zuständigen UN-Gremien Anfang 1995 entschieden, daß das United Nations Volunteers Programme (UNV – das dem UNDP zugeordnete multilaterale Entwicklungshelferprogramm) und das Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention im Jahre 1996 nach Bonn übersiedeln sollen.

Gemäß dem Ausgleichsvertrag wird sich die Bundesregierung weiterhin für die Ansiedlung internationaler Einrichtungen in Bonn einsetzen. So soll auch ein UN-Informationszentrum (UNIC) möglichst noch im Jahre 1995 seinen Sitz in Bonn nehmen. Erst am 20. Juni 1995 verfügte BMZ-Staatssekretär Wighard Härdtl im Rahmen der administrativen Umsetzung eines dementsprechenden Beschlusses des Kabinetts vom 15. September 1994 "mit sofortiger Wirkung" die Einsetzung einer Arbeitsgruppe "Verlagerung von UNV und anderer internationaler Institutionen nach Bonn" (AG Internationale Institutionen). In der Verfügung wird der Ansiedlung internationaler Institutionen in Bonn eine "sehr hohe politische Priorität" beigemessen und deshalb gefordert, daß alle berührten Einheiten des BMZ die Arbeit dieser Arbeitsgruppe unterstützen mögen. Die AG soll sich nicht nur um die in die Federführung des BMZ fallenden internationalen Institutionen, wie UNV und die Bewerbung um das Sekretariat der UN-Wüstenkonvention, kümmern, sondern sich auch mit der Begleitung der vom Umweltministerium federführend betriebenen Umzüge bzw. Aktivitäten (Sekretariat der Klimarahmenkonvention – KRK – und das bereits seit 1985 in Bonn bestehende Sekretariat der Bonner Konvention zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tiere – CMS/Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals) befassen. Wünschenswert wäre es, wenn das BMZ auch die zur Zeit diskutierte bzw. verhandelte Übersiedlung der Society for International Development (Rom), von Inter Press Service (Rom) und des Instituts für europäisch-lateinamerikanische Beziehungen IRELA (Madrid) nach Bonn unterstützen würde.

Die Einweihung des neuen Dienstgebäudes des BMZ am 26. März 1995 wurde von Minister Spranger dazu genutzt, die Perspektive von Bonn als Standort für nationale und internationale Entwicklungspolitik zu bekräftigen. Dabei wies er auch auf die Notwendigkeit der Vernetzung der Arbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen als unverzichtbare Erfolgsvoraussetzung hin.

Entscheidende Monate für die Schaffung des Nord-Süd-Zentrums Bonn

Nach Auffassung der Studiengruppe – wie auch des Rates der Bundesstadt Bonn, von Nichtregierungsorganisationen wie dem Nord-Süd-Forum oder der Society for International Development (SID) und des Gustav-Stresemann-Instituts – gilt es, konsequenter und rascher als bisher die auf den Erhalt und die Förderung des Politikbereichs Entwicklungspolitik und Nord-Süd abzielenden Leitvorstellungen, Bestimmungen und Möglichkeiten des Berlin/Bonn-Gesetzes und des Ausgleichsvertrages umzusetzen.

Für die Schaffung des Nord-Süd-Zentrums Bonn kommt den nächsten zwölf Monaten eine Schlüsselrolle zu. Alarmierend und schädlich sind Meldungen, die von einer "Rutschbahn" von Bonn nach Berlin, von einer Blockade- und Verzögerungstaktik Berlins hinsichtlich umzusiedelnder entwicklungspolitischer Institutionen nach Bonn und von der offenkundigen Unfähigkeit der Bundesregierung sprechen, für die nach Bonn umzugswilligen UN-Organisationen UNV und KRK termingerecht in der Bundesstadt eine Bleibe zu schaffen. Ebenso ärgerlich ist es, wenn der Bayerische und der Sächsische

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Ministerrat die für Bonn vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen in Frage stellen, weil sie es für problematisch halten, daß der Bund die Region Bonn mit Milliardenbeträgen durch Hochschul- und Forschungseinrichtungen zum Wissenschaftsraum Bonn ausbauen wolle, aber gleichzeitig die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulausbau nicht mit den erforderlichen Mitteln ausstatte.

Deshalb war es gut – auch, um internationalen Irritationen vorzubeugen –, daß sich am 13. Juli 1995 BMZ-Minister Carl-Dieter Spranger und Finanzminister Theo Waigel darauf verständigten, das bundeseigene attraktive Haus Carstanjen am Bad Godesberger Rheinufer der UNO zur Verfügung zu stellen. Das Haus, in dem zur Zeit noch mehr als 300 Beschäftigte der Liegenschaftsabteilung des Finanzministeriums arbeiten, soll Zug um Zug geräumt werden, so daß – wie vorgesehen – UNV zum 1. Juli, KRK zum 1. September 1996 und weitere Nord-Süd-Organisationen zu einem späteren Zeitpunkt dort einziehen können. Die beiden Institutionen UNV und KRK wären dann zusammen mit den UN-Sekretariaten des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tiere (CMS) und der Wüstenkonvention mit insgesamt mehr als 200 Mitarbeitern unter einem Dach vereint. Nachdem Umweltministerin Angela Merkel am 21. Juli 1995 mitteilen konnte, daß die erste Vertragsstaatenkonferenz des Europäischen Abkommens zum Schutz der Fledermäuse beschlossen hat, den Sitz des Internationalen Fledermaussekretariats aus der britischen Stadt Bristol im Jahre 1996 in die Bundesstadt Bonn zu verlegen, wäre es sinnvoll, dieses Sekretariat wegen der notwendigen engen Zusammenarbeit mit dem CMS-Sekretariat ebenfalls in das Haus Carstanjen mitaufzunehmen.

Minister Spranger bekräftigte zugleich in einem Interview die feste Absicht der Bundesregierung, "die im Bonn-Berlin-Gesetz vorgesehenen Schritte zum Ausbau Bonns zu einem nationalen und internationalen Nord-Süd-Zentrum im vollen Umfang zu realisieren." Auch seien die ersten Maßnahmen zur Übersiedlung bislang in Berlin ansässiger Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit nach Bonn in die Wege geleitet (vgl. General-Anzeiger vom 15./16. Juli 1995).

Dennoch gilt es, endlich ein attraktives, schlüssiges Konzept für das in Bonn vorgesehene Nord-Süd-Zentrum vorzulegen – ein Konzept, das sowohl innenpolitisch als auch im Ausland und insbesondere in den Entwicklungsländern überzeugt. Die Bonner CDU, die im November bei einer Kreismitgliederversammlung die Nord-Süd-Rolle Bonns zum Schwerpunktthema machen will, wies in ihrer Ankündigung auf die Notwendigkeit eines stärkeren städtischen Engagements hin, was mit den Worten kommentiert wurde: "Diese Traumrolle kann Bonn nicht aussitzen, die Stadt muß sie spielen!" (lt. "Bonner Rundschau" vom 08./09. Juli 1995). Dies gilt nicht nur für die Stadt, sondern für alle Beteiligten. Das Gutachten will dazu einen Beitrag leisten.

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3. Zur geographischen und politischen Lage Bonns in Geschichte und Gegenwart

Bonn mit seinen 300.000 Einwohnern und 170.000 Arbeitsplätzen, Zentrum einer Stadtregion von 760.000 Einwohnern, hat hervorragende Lagevorteile, ohne die sonst üblichen Ballungsprobleme einer Großstadt. Bonn hat in seiner langjährigen Funktion als Parlaments- und Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland zwei charakteristische Merkmale entwickelt: Ein hohes Maß an administrativer Effizienz und die Qualität eines angenehmen Lebensraumes.

Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, dem geographischen Zentrum Mitteleuropas, bildet die Region zwischen Düsseldorf/Ruhrgebiet und Frankfurt eine zentrale Wirtschaftskraft und Dichte von Städten. In der Mitte dieser Region liegen die beiden nur 25 km voreinander entfernten Nachbarstädte Köln und Bonn. Es gibt ein großes Angebot an Autobahnen und Eisenbahnverbindungen. Der Flughafen Köln/Bonn ist 20 Pkw-Minuten von der Stadtmitte Bonns entfernt. In Verbindung mit den benachbarten Flughäfen Düsseldorf (1 Stunde IC-Zug oder Pkw entfernt) und Frankfurt (1,5 Stunden) sind Städte wie New York, Nairobi oder Delhi innerhalb von rund 8 Stunden erreichbar.

Bonn am Rhein war schon in alten Zeiten ein Kreuzungspunkt zwischen Nord und Süd sowie West und Ost. Als Standort einer römischen Legion weist es eine zweitausendjährige Kulturgeschichte auf und hat seit dieser Zeit eine interkulturelle Atmosphäre des Handels, der Künste und der Wissenschaft entwickelt, an der viele Völker beteiligt sind. Die kulturelle Mischung im Rheintal hat die dort lebende Bevölkerung mit einer besonderen Lebenslust geprägt, zu der viele Feste, insbesondere der Karneval gehören. Die Bonner Bevölkerung ist tolerant, weltoffen und kontaktfreudig.

Bonn hat Erfahrungen mit großen internationalen Konferenzen und verfügt über entsprechende Einrichtungen. In Bonn und Umgebung werden mehr als 6.000 Hotelzimmer mit internationalem Standard angeboten. Für repräsentative Anlässe kann das 1990 erstellte Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg bei Bonn genutzt werden.

Das Mietniveau des Bonner Wohnungsmarktes ist im Vergleich zu anderen internationalen Zentren wie New York, Genf oder Paris günstig. Auch die Lebenshaltungskosten bei einem großen Angebot an Versorgungsgütern aller Art sind in Bonn nicht hoch.

Die Reisezeit bis ins Zentrum der europäischen Kulturmetropole Köln beträgt 20 Bahn-Minuten. Bonn bietet nicht nur als Beethovenstadt viele Konzerte, Opern- und Theateraufführungen, sondern auch eine bedeutende Museumsmeile und ein breites Spektrum kultureller Aktivitäten. Darüber hinaus beherbergt Bonn eine traditionsreiche und hervorragende Universität und viele wissenschaftliche Einrichtungen in Verbindung mit benachbarten Hochschulen.


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