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Gesellschaftliche Transformationsprozesse in unterentwickelten Ländern


Ansätze und Erfahrungen der Demokratieförderung in der Entwicklungszusammenarbeit

Erfried Adam *
[* = Leiter der Projektgruppe Entwicklungspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 1.4.1993 bis 31.1.1999; z. Z. Leiter des Büros Singapur der Friedrich-Ebert-Stiftung.]

1. Die "Globale Expansion der Demokratie"

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, insbesondere aber seit Mitte der 80er Jahre und dem sich beschleunigenden Zusammenbruch der staatssozialistisch-kommunistischen Systeme, haben sich demokratische Regierungsformen auf allen Kontinenten in einer Weise verbreitet, daß von einer "globalen Expansion der Demokratie" (Larry Diamond) gesprochen werden kann. Wenn als operationale Bestimmung von Demokratie eine zivile, verfassungsmäßige Mehrparteienherrschaft mit Wettbewerb durch Wahlen verstanden wird, dann hat sich die Zahl formaler Demokratien seit 1984 auf nunmehr (1994) 114 geradezu verdoppelt. [Vgl. Larry Diamond: Promoting Democracy In The 1990s – Actors And Instruments, Issues And Imperatives, A Report To The Carnegie Commission On Preventing Deadly Conflict, Carnegie Corporation of New York 1995, S. 9.]

Auslöser sind weithin fundamentale ökonomische Krisen, die sich zu Legitimationskrisen der politischen Ordnungen ausweiteten und in manchen Fällen zu Staatszerfall und dem Zerbrechen staatlicher Ordnungen führten. In den meisten Fällen ergab sich eine (positive) Wechselwirkung zwischen der Krise der wirtschaftlichen und staatlichen Leistungsfähigkeit und dem demokratischen Emanzipationsstreben aus der Bevölkerung. Dieses hat in den letzten Jahren zunehmend an Dynamik gewonnen und auch die Staaten erfaßt, in denen autoritäre Herrschaft durch wirtschaftlichen Erfolg und Konsumbeteiligung als vorerst noch akzeptabel er-

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schien. Während die Forderung (und Förderung) von pluralistischer Demokratie bis zum Ende der 80er Jahre im internationalen Kontext eingebettet blieb in die Dimensionen des Ost-West-Konfliktes, haben sich die Bedingungen für Demokratie durch den Wegfall der Systemkonkurrenz deutlich verbessert. Über die großen internationalen Konferenzen der Vereinten Nationen, die Verdichtung der Kommunikation (Internet) und die verstärkte Zusammenarbeit zwischen "zivilgesellschaftlichen" Organisationen, die für Demokratie, Menschenrechte, Umwelt- und Genderpolitik auf nationalen und internationalen Ebenen eintreten, hat sich ein Netzwerk etabliert, das als eine neue Dimension der "Globalisierung" verstanden werden kann und Wirkung zeigt.

Es gibt einen unbestreitbaren und für die Weiterführung und den Erfolg des "Demokratisierungsprojektes" wesentlichen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Entwicklung und den gesellschaftlichen Bestrebungen nach Demokratie: Während etwa im asiatischen Kontext, dessen wirtschaftlicher Erfolg häufig mit autoritärer Politik begründet wurde, zunehmend augenfällig ist, daß wirtschaftlicher Fortschritt und gesellschaftliche Differenzierung auch Veränderungen der politischen Ordnungen in Richtung Partizipation und Demokratie dringlich werden lassen, machten die Stagnation der staatszentralistischen Wirtschaften in Osteuropa und die Krise der autoritären Entwicklungsstaaten unterschiedlicher Provenienz in Afrika den Bruch mit dem bisherigen Wirtschaftsmodell und die Hinwendung zu marktwirtschaftlicher Öffnung und politischen Reformen notwendig. In ähnlicher Weise suchten auch lateinamerikanische Staaten einen Ausweg aus der Verengung und Erfolglosigkeit von importsubstituierenden Industrialisierungsstrategien und oligarchischer Herrschaft. Selbst in der VR China wurde die Begrenzung auf Wirtschaftsreformen zum Aufbau der "sozialistischen Marktwirtschaft" inzwischen durch Strukturreformen im politisch-administrativen System erweitert, deren Folgen für die politischen Machtverhältnisse keineswegs eindeutig absehbar sind. Und auch die artikuliertesten Vertreter der "asiatischen Werte" stellen nicht mehr die Demokratie und die Universalität der Menschenrechte prinzipiell in Frage, sondern problematisieren Zeitperspektive und Geschwindigkeit der Adaption und die kulturelle Akzeptanz (westlicher) politischer Institutionen. Der Premierminister Taiwans, Lien Chan, formulierte explizit auf die Frage, ob die Wirtschaft der Schlüssel zur Demokratie sei: "Ja, ich glaube, zwischen wirtschaftlicher Entwicklung

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und Demokratie besteht ein enger Zusammenhang" [DIE ZEIT Nr. 19, 2.5.97, S. 13.] .Offensichtlich impliziert seine Aussage nicht nur, daß moderne Wirtschaft eine pluralistische politische Ordnung erfordert, sondern daß diese durch demokratische Verhältnisse positiv gefördert wird. Und selbst in dem bisherigen "Sonderfall" der Länder im "islamischen Bogen" zwischen Marokko und Indonesien stellt sich die Frage der Demokratisierung in einer neuen Weise, wie u.a. der Machtkampf im Iran, der Konflikt in Algerien, aber auch die Demokratisierungsansätze in Marokko oder Indonesien belegen.

In der Tat kann diese "dritte Welle der Demokratisierung" (so der Titel der Studie von Samuel Huntington von 1991 [Samuel Huntington: The Third Wave – Democratization In The Late Twentieth Century, University of Oklahoma Press, Norman/London 1991 (Paperback 1993).]) in den letzten beiden Jahrzehnten als ein bemerkenswerter Prozeß des politischen Wandels bezeichnet werden, der die Ideale liberaler Demokratie und der Menschenrechte zu einer universell wirksamen – wenn auch immer wieder in Frage gestellten – Kategorie hat werden lassen.

Trotzdem ist wenig Anlaß zu dem gelegentlich in Erscheinung tretenden "Triumphalismus", der den endgültigen Sieg liberaler Demokratie und Marktwirtschaft verkündet. In der Praxis verbindet sich der Prozeß der politischen Demokratisierung mit ökonomischer Liberalisierung und Internationalisierung ("Globalisierung"), deren Erfolg von zunehmender Disparität der nationalen und internationalen Einkommens- und Vermögensverteilung begleitet wird und von Betroffenen immer stärker als Krise und mangelhafte Leistungsfähigkeit der demokratischen politischen Ordnungen empfunden wird. [Vgl. Erfried Adam: Globalisierung und Armut – Die Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich weltweit und national, in: Werner Fricke (Hrsg.): Jahrbuch Arbeit und Technik 1997 – Globalisierung und institutionelle Reform, Dietz Verlag Bonn 1997, S. 109-121.] Nicht nur vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist dieser Zusammenhang evident. Er bestätigt auch die Erfahrung, daß Demokratie immer wieder neu begründet und erstritten werden muß.

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2. Demokratie und Entwicklung – das entwicklungspolitische Paradigma der 90er

Bereits ein oberflächlicher Vergleich der US-amerikanischen Begründung der Demokratieförderung und der deutschen (europäischen) Position kommt zu einem interessanten Ergebnis: Während dort sicherheitspolitische und globalstrategische Konzeptionen im Vordergrund stehen [Vgl. Diamond, a.a.O. S. 1-8 „Why Promote Democracy".], wird die deutsche Diskussion entscheidend geprägt von entwicklungspolitischen Überlegungen (wobei nicht übersehen werden darf, daß die finanzielle Förderung über das BMZ hier einen besonderen Begründungszusammenhang herstellt).

Ausgangspunkt ist eine kritische Bewertung der mangelnden Entwicklungsfortschritte und des begrenzten Erfolgs bisheriger Entwicklungszusammenarbeit, was auf die knappe Formulierung "die Entwicklungskrise ist eine Partizipationskrise" gebracht werden kann. [Vgl. Erfried Adam: Wie ist wieder Staat zu machen in Afrika? in: Internationale Politik und Gesellschaft, Bonn 4/94, S. 372-384.] In dieser Position verbinden sich die Erfahrungen der Entwicklungspraxis (insbesondere in Afrika) mit denen des Scheiterns staatssozialistischer Systeme in Osteuropa und in einer Reihe von Entwicklungsländern. Gescheitert ist aber nicht nur das sozialistische Entwicklungsmodell, sondern ebenfalls das Konzept des Entwicklungsstaates kapitalistischer Prägung mit seiner Verbindung von zentralstaatlicher Kompetenzanmaßung und autoritärer (oder teilweise auch charismatischer) Herrschaft, ein Modell, das entwicklungstheoretisch und im Gefolge des Ost-West-Konfliktes fast zwei Dekaden der Entwicklungskooperation bestimmte. Die Rolle des Staates im Entwicklungsprozeß, seine Defizite, Schwächen ("soft state") und die Fehler im ökonomischen Management waren bis in die 80er Jahre vorherrschende Themen der entwicklungstheoretischen Diskussion. Erst langsam und verstärkt mit Krise und Zusammenbruch des Sozialismus setzte sich die Einsicht durch, daß der Kern der Entwicklungskrise und der damit einhergehenden Legitimationskrise des Staates aus dem Mangel an demokratischer und sozialer bzw. ökonomischer Partizipation beruht. Mit dem Weltbankbericht "Subsaharan Africa: From Crisis to Sustainable Growth" (1989) erhielt die Betonung von Demokratisierung und "good governance", die neue

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Bewertung politischer Partizipation, demokratischer Legitimation und effizienten Regierungshandelns zunehmendes Gewicht in der entwicklungspolitischen Konzeption [Vgl. Erfried Adam, a.a.O. S. 374, Vgl. Stefan Mair: Internationale Demokratisierungshilfe – Erfahrungen und Aufgaben, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, SWP-AP 3020, Juni 1997, S. 9.].

Dieses Verhältnis von sozio-ökonomischer Entwicklung und politischer Demokratie stellt sich damit in drei Dimensionen:

  1. Als negative Interdependenz: Die sozio-ökonomische Krise resultiert in ihrem Kern aus einer Partizipationskrise; wirtschaftliche Defizite sind Folge von Fehlentwicklungen im gesellschaftlich-politischen Bereich, so daß Maßnahmen zur Behebung wirtschaftlich-sozialer Defizite auch das politische System im Blick behalten müssen
    [Vgl. Grundsätze für die Entwicklungszusammenarbeit in den 90er Jahren: Notwendige Rahmenbedingungen, Eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, BMZ aktuell 004. Juli 1990, S. 5.].

  2. Als positive Korrelation: Sozio-ökonomische Modernisierung führt (wenn auch konflikthaft) zu gesellschaftlicher Differenzierung und demokratischer Beteiligung. Eine moderne Industriegesellschaft ist auf Dauer nur als demokratische denkbar und funktionsfähig.

  3. Als Kausalbeziehung: Demokratisierung ist die Voraussetzung von wirtschaftlicher Freiheit und sozio-ökonomischem Fortschritt. Die Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen durch Demokratisierung, Rechtsstaatsentwicklung und Sicherung der Menschenrechte wird zur Grundbedingung von Entwicklung.

Für die positive Korrelation zwischen wirtschaftlicher Modernisierung und Demokratisierung gibt es gute Gründe und empirische Belege (nicht zuletzt aus der europäischen Geschichte), aber nicht im Sinne eines Automatismus. Die Entwicklung des gesellschaftlich-politischen Systems ergibt sich keineswegs als notwendige Konsequenz von Erfolgen im wirtschaftlichen Bereich, wie der wissenschaftliche Beirat beim BMZ unter Bezug auf Arthur Schlesinger Jr. zu Recht betont: "Democracy is unlikely to last without economic progress, but economic progress does not guarantee democracy." [Ebd.] Damit ergibt sich, daß auch die plausible Kausalbeziehung

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(Demokratie als Voraussetzung von Entwicklung) nicht mechanistisch gedacht werden darf: "Ein eindeutiger Kausalzusammenhang zwischen Demokratie und wirtschaftlichem Wachstum besteht nicht. Demokratie ist ebensowenig ein Garant für wirtschaftliche Entwicklung wie wirtschaftliche Entwicklung als Voraussetzung für Demokratie angesehen werden kann." [Heribert Weiland, Der schwierige Weg zur Demokratie in Afrika: Voraussetzungen, Chancen und Rückschläge, in: Walter A.S. Koch (Hrsg.): Ökonomische Aspekte der Demokratisierung, in Afrika, afrika Studien 123, Weltforum Verlag, München/Köln/London 1994, S. 15-40, S. 32.]

Die Bedeutung der Partizipation ist aus den Erfahrungen der entwicklungspolitischen Praxis auf der Projektebene unübersehbar, wo ein Scheitern unausweichlich ist, wenn die Betroffenen ein Projekt nicht annehmen, in ihre Verantwortung nehmen ("ownership"), und bewegt sich über alle Hierarchieebenen, auf denen nur Beteiligung und Eigenverantwortung den erwünschten Fortschritt bewirken kann.

Für diesen Kontext ist der Zusammenhang von Partizipation und Entwicklung in dem programmatischen Satz der entwicklungspolitischen Konzeption des BMZ vom Oktober 1996 enthalten: "Die aktive Teilnahme der Menschen am Entwicklungsprozeß ist Voraussetzung für einen nachhaltig wirksamen Erfolg. [...] Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist die Teilhabe der Zielgruppe an Auswahl, Planung, Durchführung und Erfolgskontrolle aller Maßnahmen ein übergreifendes Prinzip." [Entwicklungspolitische Konzeption des BMZ, Oktober 1996, 072, BMZ aktuell, S. 5.]

Der 10. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung stellt in dem Kapitel 2.1. "Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit" die Grundelemente von Demokratie in das Zentrum und macht in doppelter Weise die Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit und Gewährleistung von Rechtssicherheit, marktwirtschaftlich und sozial orientierte Wirtschaftsordnung und die Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns zu Aufgabe und Ziel der Kooperation sowie zum Kriterium für die Zusammenarbeit ("Konditionalität") [10. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, BMZ-Entwicklungspolitik-Materialien, Deutscher Bundestag, Drucksache 13/3342, S. 48.]. Als wesentlich wird dort die Anerkennung des

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"Zusammenhang(s) zwischen Demokratie, Entwicklung und der Achtung der Menschenrechte" durch die internationale Staatengemeinschaft auf der Menschenrechts-Weltkonferenz (Wien 1993) hervorgehoben.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird dabei explizit als eine "politische Aufgabe" definiert, in deren "Mittelpunkt [...] die Schaffung entwicklungsfördernder Rahmenbedingungen und die Veränderung von Strukturen" steht. Sie basiert auf der "Einsicht, daß eine am Markt orientierte soziale Wirtschaftsordnung und ein auf die Teilhabe am politischen Prozeß ausgerichtetes Gesellschaftssystem die besten Voraussetzungen für eine menschengerechte Entwicklung bieten [...]"
[BMZ, Entwicklungspolitische Konzeption 1996, S. 10, 1.]
Für die praktische Arbeit wird festgehalten: "Die Stärkung marktwirtschaftlicher Strukturen steht traditionell im Blickpunkt deutscher EU. Volkswirtschaftliche Regierungsberatung, Beteiligung an Strukturanpassungsprogrammen, Maßnahmen der Privatwirtschaftsförderung gehören zu den genutzten Instrumenten. Hinzu kamen Vorhaben in den Bereichen Stärkung und Ausbau demokratischer Institutionen und der Zivilgesellschaft, Dezentralisierung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Während im Rahmen der jüngeren Demokratisierungsbemühungen in Afrika grundlegende Beratung bei Fragen der Verfassungsgebung und Rechtsstaatlichkeit im Vordergrund stehen, zielt die Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen und asiatischen Ländern auf die Dezentralisierung von Verwaltungen, Gemeindeentwicklung sowie die Bereiche Steuer- und Finanzreform und-Verwaltung."
[BMZ, 10. Entwicklungspolitischer Bericht, S. 69.]

Und der Entwicklungsausschuß der OECD stellt in seinen "DAC Orientations on Participatory Development and Good Governance" die Formulierung an den Anfang: "It has become increasingly apparent that there is a vital connection between open, democratic and accountable systems of governance and respect for human rights, and the ability to achieve sustained economic and social development. Although these links are neither simple nor uniform, varying greatly from case to case and with respect to both time and place, DAC Members believe that sustainable development requires a positive interaction between economic and political progress. This connection is so fundamental that participatory development and good governance must be central concerns in the allocation and design of development assistance."
[Development Co-Operation Guidelines Series, OECD, Paris 1995, S. 5.]

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Diese Aussage markiert den offiziellen Konsens der OECD-Mitgliedsstaaten und gilt als Leitlinie für die Entwicklungskooperation und deren Ausrichtung.

Auch bei der Weltbank, deren Politik über Jahrzehnte von marktradikalen und auf Zurückdrängung des Staates gerichteten Konzeptionen geprägt war, zeichnet sich in den letzten Jahren eine Neugewichtung ab. Ein "effektiver Staat" wird als notwendig genannt für die Bereitstellung von "Gütern" und "Dienstleistungen", "Regeln" und "Institutionen", die Marktgeschehen erst ermöglicht: "that the state is central to economic and social development, not as a direct provider of growth but as a partner, catalyst, and facilitator." [The State In A Changing World, World Development Report 1997, S. 1.] Zwar überwiegt ein eher technokratisch und von Politik und Gesellschaft weitgehend abstrahierendes Staatsverständnis. Dennoch zeigen sich in der Bewertung "öffentlicher Institutionen", vom "Ausdruck des Bürgerwillens über Wahlen", einer verbreiterten "Partizipation" und einer "Devolution der Macht" durch Dezentralisierung die Grundelemente eines Demokratiekonzepts, das in der praktischen Arbeit zunehmend Gewicht gewinnt. Es geht in dieser Strategie um die "state capability by reinvigorating public institutions. This means designing effective rules and restraints, to check arbitrary state actions and combat entrenched corruption. It means subjecting state institutions to greater competition, to increase their efficiency. It means increasing the performance of state institutions, improving pay and incentives. And it means making the state more responsive to people's needs, bringing government closer to the people through broader participation and decentralization."
[a.a.O. S. 3.]

Es ist daher nicht falsch, in der Triade der Begriffe demokratische Partizipation, gute Regierungsführung ("good governance") und Marktorientierung das zentrale entwicklungspolitische Paradigma der 90er Jahre zu sehen.

Demokratieförderung, Rechtsstaatsentwicklung und die Befähigung zur sowie Erweiterung der (demokratischen) Partizipation, die aktive Einbeziehung gesellschaftlicher Organisationen und der Ausbau verantwort-

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lieber Institutionen sind damit der Kern entwicklungspolitischen Engagements und in einem breiten politischen Konsens verankert. [Vgl. Gero Erdmann: Demokratie und Demokratieförderung in der Dritten Welt, Bonn 1996, S.113 ff.]

Dies gilt besonders für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, die mit der subsidiären Unterstützung der internationalen Arbeit der politischen Stiftungen, welche als die "international erfahrensten Träger von Demokratisierungshilfe" [Stefan Mair: a.a.O. S. 65; Vgl. Michael Pinto-Duschinsky: Foreign Political Aid: The German Political Foundations and their U.S. Counterparts, in: International Affairs 67/1, 1991, S.33-63.] gelten können, den Kirchen und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen eine hervorragende institutionelle Struktur geschaffen hat. Die Demokratieförderung und die Verbesserung der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für Entwicklung sind damit zum Kern der Entwicklungszusammenarbeit erklärt worden, und auch die bilaterale staatliche Zusammenarbeit (über die GTZ, DSE) ist auf der Basis eines Parlamentsbeschlusses immer stärker an diesen Zielen orientiert. Der Zusammenhang von Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung steht dabei in doppelter Dimension im Zentrum: Demokratie ist Ziel der gesellschaftspolitischen Arbeit und Mittel der gesellschaftlichen Befähigung zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben.

Dieser konzeptionelle Konsens reflektiert sich deutlich in den Positionen wichtiger Akteure der Demokratieförderung in der Entwicklungszusammenarbeit:

Die Friedrich-Ebert-Stiftung setzt sich in einer Selbstdarstellung von 1992 die Aufgabe, "mit Partnern in Entwicklungsländern bei der Herstellung sozial gerechter, pluralistischer und demokratischer Gesellschaften zusammenzuarbeiten", und leistet deshalb Beiträge zu(r) "Verbesserung der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen; politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturreformen zugunsten benachteiligter Bevölkerungsschichten; Demokratisierung politischer und gesellschaftlicher Strukturen; Stärkung freier Gewerkschaften; wirtschaftlichen Selbsthilfe, Selbstorganisation und

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politischer Partizipation benachteiligter Bevölkerungsschichten; Verbesserung von Medien- und Kommunikationsstrukturen."
[Die Friedrich-Ebert-Stiftung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Aufgaben – Ziele – Handlungsfelder, Aktivitäten 1992 Bonn, April 1993, S. 4; Vgl. FES: Internationale Entwicklungszusammenarbeit: Demokratie – Soziale Gerechtigkeit – Internationale Verständigung, Bonn 1995.]

Ähnlich definiert die Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Arbeit als "eigenständigen entwicklungspolitischen Beitrag zur Förderung demokratischer politischer Rahmenbedingungen als Voraussetzung für die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen" [„Für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit – Die Internationale Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung", Sankt Augustin 1996, S. 11.] und auch die anderen politischen Stiftungen könnten mit ähnlichen Kernaussagen zitiert werden.
[Vgl. E+Z Jg. 34. 1993:4: „Demokratisierung – von außen oder von innen?", darin: Erfried Adam: „Friedrich-Ebert-Stiftung – Demokratie und soziale Gerechtigkeit"; Uwe Johannen/Dorothee von Brentano: „Friedrich-Naumann-Stiftung – Das Prinzip Freiheit verwirklichen„; Reimund Sollfrank: „Hanns-Seidel-Stiftung – Demokratisierung von innen„; Silke Krieger: „Konrad-Adenauer-Stiftung – Schwerpunkt Demokratieerziehung„, Günter Chodzinski: „Stiftungsverband Regenbogen – Demokratie braucht ein gesellschaftliches Fundament„ (heute Heinrich-Böll-Stiftung).]

Beispielhaft für die (ev.) Kirche faßt Günter Linnenbrink zusammen: "Seit langem ist es Ziel kirchlicher Entwicklungsarbeit, arme und unterdrückte Bevölkerungsgruppen zu befähigen, sich für ihre Rechte einzusetzen. [...] Seit Anfang der 90er Jahre bilden Programme zur Demokratisierung einen Schwerpunkt in der Förderung der AG KED (Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst). Demokratieförderung ist dabei ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelmaßnahmen. Die Gemeinsamkeiten liegen in den politischen und institutionellen Grundprinzipien, die in den Demokratisierungsprozessen umgesetzt werden. [...] Wichtig sind insbesondere die Bewußtseins-, Bildungs- und Aufklärungsprozesse. Die Ansätze und Inhalte der Aktivitäten unserer Partner sind u.a. Demokratieerziehung, Stärkung der Zivilgesellschaft durch Rechtsberatung und Rechtshilfe, Qualifizierung von Führungskräften, Aktivitäten zur Verbesserung der Beziehungen

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zwischen Staat und Zivilgesellschaft sowie Kommunikations- und Informationsaktivitäten."
[Dr. Günter Linnenbrink: Demokratisierung und Menschenrechte: Handlungsmöglichkeiten, Arbeitsteilung und Kooperation zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit, Beitrag für den entwicklungspolitischen Gedankenaustausch von Bundesminister Carl-Dieter Spranger mit Vertretern von Einrichtungen und Organisationen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sowie der verfaßten Wirtschaft, 28. Oktober 1997, BMZ, Manuskript.]

Auf die Voraussetzungen, Bedingungen und praktischen Ansätze der Demokratieförderung in der Entwicklungszusammenarbeit wird in den folgenden Kapiteln einzugehen sein. Festgehalten werden sollte vorab, daß

  • das komplexe Verhältnis von Demokratie, wirtschaftlichem Fortschritt und sozialem Ausgleich kaum exakt und empirisch stringent bestimmt werden kann;

  • Demokratisierung nicht "Modell"-Übertragung bedeutet, sondern einen langwierigen Prozeß der sozio-kulturellen und strukturell-institutionellen Transformation;

  • ein technokratisch-instrumentelles Verständnis von "Demokratisierung" eher abträglich für die Demokratisierungsprozesse ist;

  • der Zusammenhang zwischen Demokratisierung und wirtschaftlicher Entwicklung in drei Entwicklungsdekaden im Wandel der Entwicklungsstrategien jeweils neu interpretiert wurde und damit eingebettet ist in historische, politisch-strategische und ideologische Konstellationen

  • und daher bei der Frage der Übertragbarkeit der westlichen Demokratie- und Wirtschaftsordnung in der Überheblichkeit des "Sieges des liberalen Modells" nicht vergessen werden sollte, was in der Praxis kritisch gelernt wurde an Notwendigkeiten der Anpassung an die konkreten Bedingungen des jeweiligen Landes und seiner Gesellschaft.

"Jedenfalls nötigt die Besinnung auf die europäische Geschichte zu der Einsicht, daß demokratische Transition ein langwieriger Veränderungsprozeß auf mehreren Ebenen (Wirtschaftswachstum, Gesellschaftsdifferenzierung, Universalisierung von Verhaltensnormen und Kodifizierung neuer Erfahrungen im Rechtssystem) ist und auch nicht durch externe >Demokratiehilfen<

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für Entwicklungsländer allzu rasch manipulativ hervorgerufen werden kann."
[Vgl. Rainer Tetzlaff, Das Demokratieverständnis in Afrika und Asien – Alternativen zur westlichen Norm? Überlegungen zur Universalisierung von Demokratie und Menschenrechten, in: Die Demokratie überdenken, Festschrift für Wilfried Röhrich, Hrsg. Carsten Schlüter-Knauer, Duncker & Humblot, Berlin 1996, S.345-370, S. 369.]

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3. Heterogenität der Ausgangslagen und Grenzen der Systematisierung und "Sequenzialisierung"

Angesichts der gestiegenen Anzahl der Fälle demokratischer Transition liegt der Versuch nahe, diese einer typisierenden Ordnung zu unterziehen und strategische Handlungsperspektiven durch eine "Sequenzialisierung" des Transitionsverlaufes und möglicher Interventionen zu erreichen. Beides hat seine Grenzen in den sehr unterschiedlichen historischen, kulturellen, sozialen, ökonomischen und politischen Ausgangs- und Verlaufsbedingungen der jeweiligen Demokratisierungsprozesse, die zusätzlich durch Veränderungen in den internationalen Rahmenbedingungen (mit-)beeinflußt werden.

Trotzdem lassen sich "drei Grundtypen von politischem Wandel" [Vgl. R. Tetzlaff, a.a.O. S. 352ff.; die Transitionen zur Demokratie in Lateinamerika stellen einen gesonderten Typus dar, insoweit insbesondere die Länder Südamerikas vorherige Erfahrungen demokratischer Herrschaft ausbilden konnten. Dies gilt jedoch nicht für den zentralamerikanischen Fall, bei dem der Übergang von den „Fassadendemokratien" zu anerkannten demokratischen Herrschaftsformen zu leisten war.] ausmachen, auch wenn der Geltungsgrad in der empirischen Praxis immer wieder begrenzt wird:

  1. Der "modernisierungstheoretische Typ" sich wirtschaftlich schnell entwickelnder Länder wie z.B. Taiwan, Südkorea mit raschem sozialem Wandel (Stratifikation, Urbanisierung, Bildung, Kommunikation usw.), in denen neue städtische Mittelklassen, Oppositionsgruppen oder auch Arbeiterbewegungen demokratische Rechte und Mitbestimmung reklamieren und dies durch latente (funktional begründete) Reformbereitschaft in Regierungskreisen beantwortet wird.

  2. Der diesem Modernisierungstyp konträre (und vor allem in Afrika dominante) Typ der Entwicklungs- und Staatskrise (der präsidentiellen Einparteiensysteme). Politischer Wandel ist hier nicht Resultat erfolg-

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    reicher sozio-ökonomischer Modernisierung, sondern Ergebnis von Wirtschafts- und Finanzkrisen, die von politischen Legitimationskrisen und Staatszerfall begleitet sind. Auch hier gilt allerdings, daß als Träger des inneren Wandels neue soziale Gruppen urbaner Mittelschichten in Erscheinung treten.

  3. Der Transformationstyp (ehemals) sozialistischer Staaten vor allem in Osteuropa, der von der Kombination der Wirkfaktoren wirtschaftliche Stagnation und dem Emanzipationsanspruch "patriotischer Dissidenten" (Tetzlaff) bestimmt wird. Der Rüstungs- und Systemwettbewerb hat hier ebenso Bedeutung wie die durch den KSZE-Prozeß (und die deutsche Ostpolitik) bewirkte partielle Öffnung und verbreiterte Kommunikation.

Für die Gruppe der wirtschaftlich (bisher) erfolgreichen "Newly Industrialized Countries" (NICs) stellt sich heute einerseits die Frage, ob die Strukturveränderung in Richtung konsolidierungsfähiger Demokratien tatsächlich "irreversibel" bleibt (Tetzlaff) und warum andererseits eine Reihe von Ländern (z.B. Thailand, Indonesien) erst in der "Asienkrise" einen Durchbruch zur Demokratisierung erreichen konnten? Gleichzeitig ist bemerkenswert, daß gerade eine Reihe ärmerer Länder (wie z.B. Indien) lange Zeit als Ausnahme relativ gut funktionierender Demokratie bestehen oder andere (wie z.B. Mosambik) bereits in der Mitte der 80er Jahre den Weg zur Demokratie aufnehmen konnten.
[Vgl. Mark R. Thompson: Die weltweite Demokratisierungswelle und die Erfahrungen der ASEAN-Länder, KAS/Auslandsinformationen 06/97, S. 80-96; S. 86.]

Für die Mehrheit der Transformationsprozesse kann mit Tetzlaff festgehalten werden, "daß sich der demokratische Wandel nicht primär als bloße Anpassungsreaktion auf internationale Anforderungen ereignet hat, [...] Vielmehr ist die Dominanz interner Faktoren das Besondere an diesem Vorgang: unzufriedene und konfliktfähige Gruppen protestieren gegen Willkürherrschaft und konnten [...] staatliche Schikanen aufheben und Verfassungsänderungen durchsetzen."
[R. Tetzlaff, a.a.O. S. 352.]

Aus dieser Prädominanz interner Wirkfaktoren resultiert die hohe Heterogenität der jeweiligen Strukturelemente und Bedingungen, die eine weitergehende Systematisierung erschwert.

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Samuel Huntington nennt in seiner grundlegenden Studie der "Demokratisierung im späten 20. Jahrhundert" folgende Faktoren ("Why") für die "dritte Welle" der Demokratisierung:

  • "Declining Legitimacy And the Performance Dilemma" (S. 46)

  • "Economic Development And Economic Craw" (S. 59)

  • "Religious Change" (S. 73)

  • "New Policies Of External Actors"1 (S. 85)

  • "Demonstration Effects Or Snowballing" (S. 100)

  • "From Causes To Causers" (die Rolle von Persönlichkeiten) (S. 106),

stellt dem jedoch die grundsätzliche und empirisch begründete Aussage voraus:

    (1) ,,No single factor is sufficient to explain the development of democracy in all countries or in a single country.

    (2) No single factor is necessary to the development of democracy in all countries.

    (3) Democratization in each country is the result of a combination of causes.

    (4) The combination of causes producing democracy varies from country to country.

    (5) The combination of causes generally responsible for one wave of democratization differs from that responsible for other waves.

    (6) The causes responsible for the initial regime changes in a democratization wave are likely to differ from those responsible for later regime changes in that wave." [a.a.O. S. 38.]

Der Versuch der Typologisierung und Sequenzialisierung der Transitionsprozesse steht vor drei weiteren Problemen: Erstens gilt grundsätzlich für die Mehrheit der hier untersuchten Länder, daß sich diese nicht in absoluter Analogie zur sozio-ökonomischen und politischen Entwicklung (West-)Europas und Nordamerikas voranbewegen. Zweitens führen die im Prozeß der "Globalisierung" voranschreitende wirtschaftliche Integration, Arbeitsteilung und Wettbewerb, technologischer Fortschritt, intensivierte Kommunikation und Bildungsexpansion zu historisch völlig neuen und einmaligen internationalen Rahmenbedingungen für politischen Wandel, und drittens manifestiert sich eine aus kulturell-religiösen Wurzeln gespei-

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ste Interpretation oder Perzeption dieser Prozesse mit beträchtlichen Auswirkungen auf die politische Transition.

Die unterschiedlichen Dynamiken in der Entwicklung der für die Gesellschaften konstitutiven Subsysteme, die mangelnde Homogenisierung von Ökonomie und Gesellschaft, bewirken eine "strukturelle Heterogenität" [Dieser Begriff wurde in den 70er Jahren im wesentlichen aus dem lateinamerikanischen Kontext entwickelt. Vgl. u.a. Dieter Senghaas, Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik, edition suhrkamp 856, Frankfurt/M. 1977, S.41ff.; Dieter Nohlen/Roland Sturm: Über das Konzept der strukturellen Heterogenität, in: D. Nohlen/F. Nuscheier (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt, Bd. l, Unterentwicklung und Entwicklung, Theorien-Strategien-Indikatoren, Hoffmann und Campe, Hamburg 1982, S. 92-116.], die im Zusammenwirken mit "synkretistischen" Adaptionen kultureller und politisch-institutioneller Elemente zu Verlaufsformen führt, die einer idealtypischen Stadienentwicklung hin zu Marktwirtschaft und Demokratie nicht entsprechen.

Für die in diesem Kontext untersuchten Länder bedeutet dies, daß sie nicht auf früheren Stadien der Entwicklung zurückgeblieben sind und diese notwendigerweise nachholen müssen, sondern daß sie sich auf einer gemeinsamen Zeitschiene befinden und unter Bedingungen, die historisch einmalig und so nicht dagewesen sind, Schritte tun müssen hin zu einer "Harmonisierung" ihrer Subsysteme (Ökonomie, Gesellschaft, Politik, Rechtsordnung, Bildung etc.), die geeignet sind, die Gesamtgesellschaft zu befähigen, sich den Herausforderungen der "globalisierten" Jetztzeit zu stellen.

Trotzdem hat die mit Sequenzialisierungen verbundene Orientierung an typischen Etappen und Systemzusammenhängen historischer Entwicklungen über den "heuristischen" Zweck hinaus auch einen praktischen Sinn: Sie eröffnet die Möglichkeit, die eigenen historischen Erfahrungen zu systematisieren, auf die jeweiligen empirischen Realitäten zu beziehen und zu überprüfen, ob die Elemente, Institutionen oder Systemkonstellationen, die sich als historisch notwendig oder praktikabel erwiesen haben, auch hier möglich und angepaßt sind. Jede mit Demokratieförderung verbundene Intervention orientiert sich an bekannten Modellen und eigenen Erfahrungen. Und selbstverständlich ist nicht falsch, mögliche Handlungsperspektiven an diesen zu messen, solange prinzipielle Offenheit für andere, angepaßte Lösungen erhalten bleibt.

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4. Grundbedingungen und Grenzen der Demokratieförderung – Anmerkungen aus der Praxis
[Die folgenden Kapitel reflektieren wesentliche Erfahrungen als Auslandsmitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der Leitung des Afrika-Referats und der für Grundsatzfragen der Entwicklungszusammenarbeit zuständigen „Projektgruppe Entwicklungspolitik".]

Angesichts der Differenziertheit und Heterogenität der Situationen und der Komplexität der jeweiligen Verhältnisse lassen sich keine allgemeinen "Rezepte" der Demokratieförderung formulieren. Die praktische Arbeit orientiert sich nicht an einem "Handbuch der Demokratieförderung", sondern verfolgt einen pragmatischen und flexiblen Ansatz, der aus Grundeinsichten und Erfahrungen langjähriger Praxis gewonnen wurde. Im Kern geht es um das analytische Verständnis gesellschaftlicher Reformpotentiale und das prozeßorientierte Kooperationsangebot zum richtigen Zeitpunkt und gegenüber den richtigen Partnern. [Vgl. Erfried Adam: Demokratie läßt sich nicht verordnen – Vom mühsamen Geschäft der Demokratieförderung politischer Stiftungen, in: E+Z 1996:3, S. 82-84.]

4.1 Partnerbeziehungen

Was grundsätzlich gilt für die Entwicklungszusammenarbeit, gilt in noch höherem Maße für Demokratieförderung und die Verbesserung der Rahmenbedingungen: Sie muß von gesellschaftlichen Kräften im Land gewollt sein, sie muß ihren Interessen entsprechen und von ihnen selbst verantwortet und gemacht werden. Druck von außen und interventionistische Programme mögen in Regimewechseln und vordergründig-formaler Institutionalisierung resultieren. Die Verankerung von Demokratie aber benötigt Partner, die selbst an der Veränderung und an gesellschaftspolitischer Kooperation interessiert sind. In manchen Fällen setzt dies den mühsamen Prozeß voraus, Partner zunächst handlungs- und kooperationsfähig zu machen.

4.2 Langfristigkeit

Demokratieförderung muß daher langfristig angelegt sein. Sie ist Instrument, Motor und Ziel eines umfassenden Prozesses gesellschaftlicher Ver-

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änderung und eine andauernde Aufgabe. Partnerschaftliche Unterstützung dieses Prozesses ist nur möglich, wenn ein Mindestmaß an Vertrauen und politischer Übereinstimmung in den Zielen und Methoden gegeben ist, das in der Regel nur in einem langwierigen Prozeß der Vertrauensbildung und des Kompetenznachweises gefunden werden kann.

Gesellschaftspolitische Beratung zur Umgestaltung und Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen ist ein mühsames Geschäft, dessen Erfolg von Konstellationen abhängig ist, die nur begrenzt beeinflußbar sind und die sich gelegentlich "wie ein Fenster" ("Windows of opportunity") für begrenzte Zeit öffnen. Wesentlich für einen Erfolg ist daher die längerfristige Präsenz vor Ort sowie die analytische und kommunikative Qualifikation von Mitarbeitern und ihre Fähigkeit, Veränderungspotentiale zu erkennen und mit einem flexiblen Angebot relativ kurzfristig zu reagieren. Allerdings muß diese Flexibilität begleitet sein von den ebenso mühsamen, langfristigen Programmen des Aufbaus von Organisationen ("institution building") und der Sicherung ihrer Arbeitsfähigkeit ("capacity building").

4.3 Pluralismus und "Optionen" – nicht "Modell"-Übertragung

Demokratie bedeutet Pluralismus. Dies impliziert Wertorientierungen, politische Ideen und Ziele. Beratung muß daher nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch von den Anbietern her grundsätzlich pluralistisch und als Angebot von Ideen zur Gestaltung von politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ordnungen angelegt sein. Die häufig kritisierte Pluralität und mangelnde Koordination der Angebote besonders in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit [Vgl. Stefan Mair, a.a.O. S. 24ff.] macht hier ihren Sinn: Sie ist Angebot an unterschiedliche Zielgruppen, zielgenauer und eingebunden in eine offengelegte Wertorientierung.

Politische Beratung in diesem Feld muß mehr sein als die Übertragung eines fixierten "Modells" oder eines "Sets von Grundelementen"; sie kann nicht neutral sein, sondern nur wertorientiert und prinzipiell offen für die eigenverantwortliche Gestaltung. Dieses offene Angebot an Handlungsoptionen ohne den Anspruch "objektiver" Handlungsanweisungen hat

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sich in Partnerbeziehungen in besonderem Maße als vertrauensbildend und erfolgreich erwiesen. Allerdings stellt sich eine doppelte Problematik: Einerseits orientieren sich Partner an Leitbildern funktionierender konsolidierter Demokratien und sind häufig an einer direkten Übertragung erfolgreicher (deutscher) Lösungen interessiert, ohne deren Angepaßtheit und Folgewirkungen im Gesamtsystem überprüfen zu wollen und zu können. Andererseits basiert jede Beratung durch deutsche Experten auf deren Kenntnis und Erfahrung mit der in Deutschland gefundenen Ausprägung demokratischer Institutionen und Verfahren (Parlamentarismus, Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Verfassungsgerichtsbarkeit etc.), woraus sich Limitationen im Verständnis anderer politischer Systeme (z.B. Präsidentialismus) oder bei der Suche nach neuen, angepaßten Lösungen ergeben können, wenn dieser doppelte Zusammenhang nicht bewußt und kritisch reflektiert wird. [In einem Bericht des BMZ an den deutschen Bundestag aus dem Jahre 1969 heißt es: „Die gesellschaftspolitische Bildungsarbeit ist vornehmlich eine Orientierungshilfe. Daher sollen die Bildungskurse und die Maßnahmen der Beratung nach Inhalt und Methode so gestaltet sein, daß unabhängig von der jeweiligen eigenen politischen Einstellung des deutschen Trägers und der von ihm entsandten Dozenten und Berater in objektiver Weise die verschiedenen freiheitlichen gesellschaftspolitischen Modelle und Lösungsmöglichkeiten zur Diskussion gestellt werden".]

4.4 Demokratisierung in Schritten

Demokratisierung ist ein komplexer Prozeß der Institutionalisierung, Etablierung von Verfahren und der politisch-kulturellen Orientierung und Fundamentierung. Sie ist kaum vorstellbar als unmittelbarer Sprung in eine neue Qualität. Auch bei revolutionären Brüchen bleibt die Notwendigkeit der institutionellen Strukturierung und der politisch-kulturellen Verankerung. Und dies ist das mühsame Zusammenfügen von Elementen und das "Testen" und Anpassen in der Praxis. Wieweit revolutionäre Umbrüche, gradualistisch-evolutionäre Weiterentwicklung oder strukturelle Anpassungen die Basis einer Politik demokratischer Transformation bieten, läßt sich nicht allgemein, sondern nur im Bezug auf konkrete Kontexte bestimmen. Die Notwendigkeit struktureller Anpassungen stellt sich auch konsolidierten Demokratien; autoritär-diktatorische Regime sind in vielen Fällen nur über revolutionär-radikale Umbrüche (und externen

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Druck oder Intervention) zu überwinden. Aber es ist nicht ohne Signifikanz, daß nicht nur im afrikanischen Kontext gradualistisch-evolutionäre Transformationen, die den institutionellen Rahmen der Politik weitgehend erhalten haben (wie z.B. Mosambik, Ghana, Uganda), in der zurückliegenden Phase in besonderem Maße erfolgreich gewesen sind. Kaum jemand würde der VR China nach den in Rußland gemachten Erfahrungen heute eine entsprechende "Radikalkur" verordnen. [Vgl. Helmut Schmidt: „Dank Deng Xiaoping und heute dank Zhu Rongji ist die Umstellung der Wirtschaft im gigantischen Entwicklungsland China bisher ungleich erfolgreicher verlaufen als in Rußland – weil man schrittweise vorgeht und weil man ein innenpolitisches Chaos vermieden hat", DIE ZEIT Nr. 37, 3.9.98.]

Demokratische Wahlen haben im Verfahren demokratischer Herrschaft einen zentralen Stellenwert. Und doch gibt es eine vordergründige Fixierung auf Wahlverfahren und Machtwechsel, die gefährlich werden kann für die langwierige Verankerung von Demokratie. Die Frage nach der Funktionsfähigkeit und Stabilität demokratischer Institutionen und Verfahren ist in Beziehung zu setzen zu den Fähigkeiten, Ressourcen und Voraussetzungen einer Gesellschaft. Was die Weltbank allgemein für das Handeln und die Rolle des Staates festgehalten hat, nämlich die Aufgaben an den Fähigkeiten zu orientieren [a.a.O. S.3: „For human welfare to be advanced, the state's capability – defined as the ability to undertake und promote collective actions efficiently – must be increased. [...] Matching the state's role to its capability is the first element in this strategy. Where state capability is weak, how the state intervenes – and where – should be carefully assessed. Many states try to do too much with few resources and little capability, and often do more harm than good."], gilt im Grundsatz auch für Demokratie und Politik.

Angemessen sein kann daher ein Stufenmodell (wie es z.B. der Wissenschaftliche Beirat beim BMZ vorschlägt) [a.a.O. S. 14: 1) Rechtssicherheit (der Staat ist einziger Träger von legitimer Gewalt) 2) Souveränität der Regierung nach innen (faktische Machtausübung, Kontrolle über die Allokation von Mitteln und Ressourcen) 3) individuelle Grundrechte 4) Aggregierung von Interessen i.S. von kollektiven Grundrechten 5) kritische Öffentlichkeit/öffentliche Kommunikation 6) politische Partizipation (Selbstverwaltung und Dezentralisierung) 7) Rechtsstaatlichkeit.], das zunächst auf die Grundvoraussetzungen, Institutionen und Verfahren abhebt. Hier sind begrenzt-abgeschlossene Programme wie Aufbau der Justiz, Verwaltungsreform oder Medienförderung sinnvoll und möglich. Aber das gelegentlich auf-

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scheinende technisch-instrumentelle Verständnis ("building democracy") ist angesichts des Prozeßcharakters von Demokratie doch eher kontraproduktiv und gefährlich.

4.5 Institutionen und Zivilgesellschaft

Das, was gelegentlich abschätzig als "formale Demokratie" bezeichnet wird (Verfassungsordnung, Parteienwettbewerb und Wahlen, Institutionen) ist die wesentliche Voraussetzung und das Medium des demokratischen Prozesses und hat insofern Wert an sich. Ohne die Fundamentierung durch zivilgesellschaftliche Strukturen, das Wechselspiel zwischen Staat, Politik und gesellschaftlichen Vertretungen sowie die Grundelemente einer politischen Kultur (Gewaltfreiheit, Akzeptanz der Verfahrensregeln, Toleranz) bleibt sie nicht lebensfähig und dauerhaft. Demokratie braucht Akteure (wie politische Parteien) und Mitstreiter in der Gesellschaft. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft und ihrer Strukturen (Interessenvertretungen wie Gewerkschaften und Verbände, Frauen-, Bauern- oder Jugendorganisationen, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Religionsvereinigungen, Wissenschaft und Medien) ist daher gesellschaftspolitisch von strategischer Bedeutung. Der notwendige "staatsfreie Raum" ist in vielen Staaten bisher nicht gegeben. Andererseits aber finden sich in manchen Kulturen Anknüpfungspunkte für das spezifische Verhältnis von Konfliktartikulation und Interessenausgleich, das zivilgesellschaftliche Aktion zu einem guten Teil bestimmt. Demokratie ist nicht nur (Parteien-) Wettbewerb, sondern ebenso Konsensbildung und Orientierung der Gesellschaft auf akzeptierte gemeinsame Ziele.

Demokratische Politik darf sich aber nicht in "zivilgesellschaftlichem Partikularismus" auflösen. Sie hat eine Verpflichtung auf das Gemeinwohl und die Bereitstellung der "common goods". Während zivilgesellschaftliche Aktion in unterschiedlichen Phasen demokatischer Transformation [Vgl. Wolfgang Merkel/Hans-Joachim Lauth: Systemwechsel und Zivilgesellschaft: Welche Zivilgesellschaft braucht die Demokratie?" in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B6-7/98, 30. Januar 1998, S. 3-19.] von außerordentlicher Bedeutung sein kann für eine Neuorientierung und "Wiedergewinnung" der Politik, die in ihrem Bedeutungswandel sich

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zunehmend als Kommunikationsprozeß zwischen gesellschaftlichen Akteuren darstellt, sind in letzter Konsequenz politische Entscheidungen mit Konfliktdimension nur von demokratisch legitimierten Institutionen zu treffen.

4.6 Konflikt und Veränderung gesellschaftlicher Ordnung

Der Prozeß der Demokratisierung und die Verfahren der Demokratie sind daher keine "Idylle", sondern in der Regel konflikthafte Transformation und Exekution von Entscheidungen. Entwicklungszusammenarbeit zielt auf Veränderung. Sie dynamisiert und modifiziert bestehende Machtverhältnisse, gesellschaftliche Ordnungen und soziale Beziehungen. In der Regel gibt es Gewinner und Verlierer. Im Unterschied zu manchmal naiven Vorstellungen ("gibt es Probleme, machen wir Entwicklung!") vollzieht sie sich einerseits konflikthaft und ist ihr andererseits ein Element der Intervention immanent. Für die gesellschaftspolitische Beratung bedeutet dies ein Doppeltes: Partner sollten nicht in Konflikte getrieben werden, die sie nicht wollen oder durchstehen können; sie sollten mit ihren Risiken nicht allein gelassen werden, sie haben Anspruch auf andauernde Solidarität. Internationale Netzwerke von Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften u.a. sowie eine konsistente Außenpolitik und die Stärkung multilateraler Verantwortung (UN) können hier eine besondere Bedeutung gewinnen. Zum anderen ist alles daran zu setzen, tatsächlich Unterstützung für Lösungen zu suchen, die den jeweiligen politischen, historischen, kulturellen Voraussetzungen und ökonomisch-materiellen Bedingungen angepaßt sind und von den Menschen akzeptiert werden. Demokratie bedeutet nicht die Übertragung eines fixierten institutionellen Arrangements, sondern die Institutionalisierung von Verfahren der Parti-zipation und des (im Idealfall: friedlichen) Interessenausgleichs.

4.7 Wirtschaftliche Entwicklung, Marktwirtschaft und Demokratie

Eine positive Korrelation zwischen Demokratie und sozio-ökonomischer Entwicklung erscheint evident und seit dem klassischen Aufsatz von Seymor Martin Lipset "Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy" (1959) ist dieser Zusammenhang

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immer wieder thematisiert worden. [Eine gute Zusammenfassung der Debatte bietet Gero Erdmann, a.a.O. S.14ff.; Vgl. Heribert Weiland, a.a.O. S. 31 ff.] Während sicher nicht zu bestreiten ist, daß höhere und wachsende Einkommen, soziale Sicherheit, zunehmende und integrierte Mittelklassen, wirtschaftliche Beteiligung (Beschäftigung, Eigentum) als positive Faktoren gelten können, ist der Umkehrschluß, der ein bestimmtes Wirtschafts- bzw. Einkommensniveau zur Voraussetzung für Demokratie erhebt, so nicht zulässig (und von Lipset oder Larry Diamond [Larry Diamond: Economic Development and Democracy Reconsidered. in: Marks, G./ ders.: Reexamining Democracy, Newburry 1992 (zit. G. Erdmann, S. 15/16).] so nicht behauptet) – es sei denn in der geradezu "tautologischen" Beziehung, daß günstige sozio-ökonomische oder politischkulturelle Bedingungen vorteilhaft für Demokratie sind. Die Frage ist aber, ob und wie Demokratie möglich und gefördert werden kann, wenn diese Voraussetzungen nicht oder unzureichend vorliegen.

Zweifellos ist existentielle Armut das größte Hindernis für Demokratie (neben der bewußten Manipulation oder Instrumentalisierung von nationalistischen, religiösen oder primordialen Tendenzen in partikularistischem Machtinteresse). Erfahrungen gerade in armen Ländern lassen die Aussage zu, daß die subjektive Einschätzung von Zukunftsperspektiven, die erweiterten Chancen der politischen und ökonomischen Beteiligung mit der Erwartung (begrenzten) wirtschaftlichen Erfolgs eine hohe Legitimations- und Bindewirkung haben können. Soziale und ökonomische Beteiligung vermittelt Vertrauen in das politische System, das allerdings ohne Ausweitung politischer Beteiligung auf Dauer nicht durch Konsumangebote (z.B. VR China) wird gesichert werden können. Politische Sprengkraft erwächst aus einer (kulturell relativierten) Zunahme sozialer Ungleichheit oder ökonomischer Krise, da diese unmittelbar als Versagen von Demokratie und Marktwirtschaft interpretiert werden kann.
[Die Gefährdung der Demokratie durch wirtschaftlich-soziale Krisen und der Umschlag sozialer Krisen in politische Legitimations- und Systemkrisen ist gerade vor der deutschen Geschichte und in den derzeitigen Finanz- und Wirtschaftszusammenbrüchen (wie z.B. in Rußland) evident.]

Die völlige Deckungsgleichheit von politischer Demokratie und marktwirtschaftlicher Ordnung mag abwegig erscheinen. Dennoch gibt es einen positiven Bezug: Demokratie und Kommandowirtschaft schließen sich

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aus. Rechtsgarantien und Freiheit der Wirtschaftstätigkeit, der Vereinigung und Interessenvertretung korrespondieren mit den Grundstrukturen von Demokratie. Ökonomischer Pluralismus und die damit einhergehende soziale Differenzierung bieten die Voraussetzung für politischen Pluralismus. Ohne wirtschaftliche Beteiligung der Bevölkerungsmehrheit und sozialen Ausgleich bleibt Demokratie bruchstückhaft und gefährdet. Und ohne die Erweiterung politischer Repräsentation und Rechtsstaatsentwicklung bleibt durch autoritäre Staatsintervention gewonnener wirtschaftlicher Fortschritt gefährdet, wie in der "Asienkrise" deutlich geworden ist. [Vgl. Erfried Adam: Politische Modernisierung – der notwendige Ordnungsrahmen für marktwirtschaftliche Integration, in: Rolf Eschenburg/Martin Dabrowski (Hrsg.): Konsequenzen der Globalisierung – Perspektiven für Lateinamerika und Europa, LIT Verlag Münster 1998, S. 289-298.] Insofern sind politische Demokratie und wirtschaftlich-soziale Ordnung durchaus konstitutiv verbunden: "Marktwirtschaftliche Orientierung" verbessert die Chancen politischer Demokratie, stellt diese aber wiederum in Frage, wenn die wirtschaftliche und soziale Teilhabe nicht gelingt. Deshalb sind Programme der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr wohl auch Element der Demokratieförderung. Marktwirtschaft ohne sozialen Ausgleich ("Soziale Marktwirtschaft") hat demokratiegefährdende Dimensionen. Es bedarf einer Rechtsordnung, die nicht nur Freiheitsrechte, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle (Menschen-) Rechte garantiert und ökonomische Vertretungs- und Mitbestimmungsinstitutionen fördert.

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5. Handlungsebenen und praktische Ansätze der Demokratieförderung – aus der Praxis der Friedrich-Ebert-Stiftung

5.1 Beratungsansätze, Zielorientierung und Projektsteuerung

Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist in ihrem Kern eine Institution der Demokratieförderung, die sich an den Werten und Zielen "sozialer Demokratie" orientiert. Der Ausgangspunkt ihrer Arbeit im In- und Ausland ist die "politische und gesellschaftliche Bildung im Geiste von Demokratie und Pluralismus". Daraus resultiert ein Demokratie- und Menschenrechtskon-

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zept, das "über die klassischen individuellen Schutzrechte und eingeschränkt liberalen Demokratievorstellungen hinausgeht und auch soziale und wirtschaftliche Partizipationsrechte umfaßt" [Vgl. Gero Erdmann, a.a.O. S. 151.] und folgende Kernelemente hervorhebt:

  • Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Beteiligung (Gerechtigkeit) sind wesentlich voneinander bedingt und daher nicht getrennt möglich.

  • Parteienpluralismus, das heißt Mehrparteienwettbewerb ist ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Element demokratischer Herrschaft.

  • Entscheidende Grundlage von Demokratie sind Rechtsstaatlichkeit und daraus abgeleitete Verfahren der Machtkontrolle und Machtteilung.

  • Politische Parteien sind wichtige, aber nicht exklusive Partner gesellschaftspolitischer Zusammenarbeit, wobei Dialogbereitschaft und -fähigkeit, nicht aber eine formal sozialdemokratische Programmatik ein Kooperationsverhältnis begründen kann. [Vgl. Erfried Adam: Demokratie und soziale Gerechtigkeit, in: E+Z 34, 4, 1993, S. 92-93.]

  • Aus Sicht der Stiftung umfaßt Demokratieförderung daher einen Gesamtkomplex von gesellschaftspolitischer sowie wirtschafts- und sozialpolitischer Beratung, die Förderung und Einbeziehung von Interessenvertretungen (insbesondere Gewerkschaften) und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit (unabhängige Medien, Bildungseinrichtungen) sowie die besondere Förderung der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung von Frauen (Genderansatz). Sie ist ein kontinuierlicher Prozeß des Dialogs mit und der Beratung und Förderung von gesellschaftlichen Kräften in den Partnerländern, die an einer Stärkung und Weiterentwicklung von Demokratie interessiert sind und damit in der Regel keine einmalige und begrenzte Intervention.

Bei diesem auf Langfristigkeit und Prozeßorientierung basierenden Beratungsansatz werden in unterschiedlichen Phasen der Transformation und Demokratisierung zwar Inhalte und "Mischverhältnis" der Programmangebote modifiziert und angepaßt; sie sind aber nicht grundsätzlich unterscheidbar.

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Vor dem Hintergrund einer in der Mehrzahl der Partnerländer langfristigen Präsenz und differenzierter Beziehungsstrukturen verfolgt die Stiftung in ihrer Demokratieförderung eine "Angebotsorientierung" [Vgl. zur Problematik: Stefan Mair, a.a.O. S. 50.], die in einem komplexen Netz von Partnerbeziehungen versucht, den Prozeß der Demokratisierung unter der Perspektive der Kohärenz und Komplementarität voranzubringen, d.h. sie beschränkt sich nicht auf einen Aspekt der Demokratieentwicklung, sondern setzt auf eine "systemische" Vernetzung verschiedener Programmansätze, die Förderung von aufeinander abgestimmten Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen (Beispiel: Die Förderung von Kleinunternehmen wird durch Zusammenarbeit und Stärkung parlamentarischer Beratung von Investitions- und Eigentumsgesetzen ergänzt und abgesichert o.ä.).

Die Präsenz vor Ort ist daher weniger von andauernden Partnerbindungen und größeren Projekten bestimmt, sondern hat den Charakter einer politischen "Consultancy". Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten könnten Arbeit und Angebot der Stiftung als "gesellschaftspolitische Dienstleistung" beschrieben werden, die in besonderer Weise auf einen direkten und systematischen "Kundenkontakt", die ständige Qualitätssicherung und Anpassung des Angebots, die Weiterentwicklung der Instrumente und Verfahren der Programmsteuerung sowie den konzeptionellen Erfahrungsaustausch angewiesen ist.

Das "Angebot" der Stiftung basiert auf einem Landeskonzept, in das die Analysen und das Erfahrungswissen von Mitarbeitern, einheimischen Fachkräften, von wissenschaftlichen Beratern und Experten und aus dem Partnernetz eingeflossen sind. Dieses umfaßt die Festlegung der Rahmenbedingungen und (mittelfristigen) Oberziele, der Partner- und Handlungsebenen und die Anpassung des Programmangebotes an Veränderungen der Rahmenbedingungen und des politischen Umfeldes. Die Abstimmung der Ziele, Maßnahmen und Indikatoren erfolgt jährlich in einer "Kursbogen" genannten zielorientierten Planung. Kontroll- und Berichterstattungsreisen, bewertende Berichterstattung (Halbjahres- und Jahresberichte) sowie regionale Koordinationstreffen, themenspezifische Fachkonferenzen und Aus- und Fortbildungsprogramme dienen der Überprüfung und Weiterentwicklung des Programmangebots, der Sicherung des "insti-

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tutionellen Gedächtnisses" und der fachlichen Weiterbildung ("best practices"). Zusätzlich wurde in den letzten Jahren die "Erfolgskontrolle" durch externe Evaluierungen der Landesprogramme intensiviert. Die gesellschaftspolitische Arbeit lebt von der Fähigkeit der Mitarbeiter zur politischen Analyse, dem Erkennen von Veränderungspotentialen und der Entwicklung vertrauensvoller Partnerbeziehungen. Durch den Aufbau einer Struktur von professionellen, längerfristig verpflichteten Mitarbeitern, deren ständige Fort- und Weiterbildung und einen systematischen Erfahrungsaustausch unter Regional- und Sektorgesichtspunkten versucht die Stiftung, dieser Anforderung nachzukommen.

5.2 Politische Bildung, Elitenförderung und politischer Dialog

Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten. Politische Bildung zur Förderung demokratischen Bewußtseins und demokratischer Kultur war daher das Grundanliegen der Politischen Stiftungen beim Aufbau der Demokratie in Deutschland nach dem Kriege und in der seit 1962 seitens der Bundesregierung geförderten "Gesellschaftspolitischen Bildung in Entwicklungsländern". In einem Bericht an das Parlament aus dem Jahr 1969 wird dazu festgestellt: "Die Entscheidung, den Bereich der gesellschaftspolitischen Bildung in das Entwicklungshilfe-Programm der Bundesregierung einzubeziehen, entsprang der Überzeugung, daß ein wirksamer Beitrag zur Entwicklung wirtschaftlich gesunder und politisch stabiler Gemeinwesen in den Ländern der Dritten Welt sich nicht auf eine Unterstützung im rein ökonomischen Bereich beschränken könne, sondern daß darüber hinaus Hilfestellungen erforderlich seien, die es diesen Ländern erleichtern sollen, freiheitliche und auf sozialer Gerechtigkeit aufbauende Lösungen ihrer gesellschaftspolitischen Probleme zu finden." Dem wurde das Ziel zugeordnet, "durch Bildungsmaßnahmen für Führungskräfte sowie durch Beratung zur Entwicklung freiheitlicher und leistungsorientierter gesellschaftlicher Strukturen und gerechter sozialer Verhältnisse beizutragen und die notwendige gesellschaftliche Integration dieser Länder zu fördern".
[Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bericht über die Förderung der gesellschaftspolitischen Bildung in Entwicklungsländern, (vertraulich) II B/3 – T 8100 – 44/69, S. 1/2.]

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Während in den Anfangsjahren politische Bildung durchaus noch Elemente der Breitenbildung haben konnte und die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Reihe von Ländern Bildungseinrichtungen aufbaute, die dem Modell der deutschen "Heimvolkshochschulen" (heute: Akademien der Politischen Bildung) entsprachen, hat sich diese in den letzten 20 Jahren zu einem Beratungs- und Dialogprogramm entwickelt, dessen Zielgruppen primär politische Entscheidungsträger, Vertreter gesellschaftspolitischer Gruppen und Akteure von Interessenvertretungen und Nichtregierungsorganisationen sind. Die Programme dienen damit der Beratung und Ausbildung von politischen Eliten, von strategischen und konfliktfähigen Gruppen, die ihrerseits am Aufbau von demokratischen Strukturen, Partizipationsverfahren und an Prozessen der sozio-ökonomischen Interessenartikulation beteiligt sind. Ein wesentlicher Arbeitsbereich ist die Bereitstellung von "Dialogplattformen" zur Diskussion kontroverser Fragen und zur Konsensbildung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Die Dominanz des politischen Austausches mit entsprechenden Institutionen und Organisationen in Deutschland, die damit verbundene Bereitstellung fachlicher Informationen und Ausbildungen sind längst einem regional und international differenzierten und themenorientierten Dialog gewichen, der den Erfahrungsaustausch zwischen vergleichbaren Situationen und die Suche nach angepaßten Lösungen ins Zentrum stellt. Zunehmendes Gewicht gewinnen dabei Fragen einer "Weltordnungspolitik" und die Berücksichtigung kulturell-religiöser Faktoren in der Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat, die einer gemeinsamen demokratischen und sozialen Wertorientierung im Wege stehen können.

5.3 Institutionalisierung der Demokratie

Demokratie bedarf der Institutionalisierung genauso sehr wie der Demokraten. Auch wenn Demokratisierung als Prozeß verstanden wird, kann sich dieser nicht auf öffentliche Aktion oder Diskurs beschränken. Demokratie benötigt ein gesellschaftlich akzeptiertes Werteverständnis, Verfassungs- und Rechtsordnung, Verfahren und Organisationsstrukturen. Dies in der Praxis zu sichern ist die demokratische Herausforderung jeder Gesellschaft, auch konsolidierter Demokratien. Schwieriger gestaltet sich dies in Transformationsländern, in denen häufig vorhandene Institutionen einen völlig neuen Inhalt und Charakter erhalten. Sieht man von offenen

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Diktaturen oder Militärregimen ab, verfügt die Mehrzahl sich demokratisierender Länder über Institutionen wie Verfassung, Wahlen, Parlamente usw., ohne daß diese allerdings als demokratische hätten funktionieren können. Externe Beratung steht hier vor dem Problem, daß sie Gefahr läuft, Institutionen zu schaffen, die "ein Entwicklungsland weder materiell noch prozedural mit Leben erfüllen kann" [Stefan Mair, a.a.O. S. 31.] und die politisch-kulturell unzureichend in der Bevölkerung verankert sind. Gerade deshalb hat verfassungspolitische Beratung in den "Demokratisierungswellen" der letzten Jahre einen besonderen Stellenwert eingenommen, wobei in manchen Fällen (wie z.B. Südafrika) eine Reihe von Verfassungselementen (Grundrechte, Verfassungsgerichtsbarkeit, Föderalismus) sich deutlich an dem deutschen Beispiel orientierten. Die Durchsetzung der entsprechenden Verfassungswirklichkeit ist eine langfristige Ausgabe, zu der mit den Mitteln politischer Stiftungen nur begrenzt durch politische Beratung beigetragen werden kann. Zwar sind Programme der Rechtsentwicklung, der Rechtsberatung und der Fort- und Weiterbildung von Juristen möglich und sinnvoll, aber der Auf- oder Ausbau von Justizsystemen übersteigt die Möglichkeiten politischer Stiftungen und fällt weitgehend in den Bereich der bilateralen staatlichen Zusammenarbeit. Von großer Bedeutung sind allerdings Programme der demokratie- und verfassungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit zur Information und Einbindung der Bürger. Hier haben spezielle Medienprogramme wie z.B. Rundfunksendungen in Landes- oder Regionalsprachen eine besondere Bedeutung erhalten. Mit Erfolg wurden in verschiedenen Ländern (z.B. Mosambik, Côte d’Ivoire) Programme von Tanz- und Kulturgruppen gefördert, die mit diesem Medium ansonsten nahezu unzugängliche Bevölkerungssektoren erreichen konnten.

Freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen sind das adäquate Medium demokratischer Entscheidungen und auch des Machtwechsels (die Problematik externer Interventionen oder gewaltsamer Machtwechsel ist inzwischen offenkundig) und damit zentrale Institution der Demokratie. In diesen Phasen des Übergangs hat Beratung bei Wahl-, Parteien- und Mediengesetzgebung einen hohen Stellenwert. Die Beratung von Wahlsystemen stellt dabei eine besonders komplexe Herausforderung dar und erfordert besondere Zurückhaltung bei einer möglichen Anlehnung an das deutsche Verhältniswahlrecht. In jedem Einzelfall ist unter den besonde-

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ren politischen Verhältnissen abzuwägen, ob klare Mehrheitsverhältnisse, umfassende Repräsentanz politischer (oder ethnischer) Gruppierungen und politische Integration besondere Berücksichtigung finden sollen. Für die Phase der Institutionalisierung der Demokratie liegt in einer Überbetonung des Konfliktmodells des Parteienwettbewerbs eine eher destabilisierende und die Verankerung der Demokratie gefährdende Dimension.

Es ist nicht insignifikant, daß in Transformationen (z.T. auch unter externem Einfluß) nach "konsensdemokratischen" Lösungen oder nach Machtteilung durch "Pakte" in einer Regierung der "nationalen Einheit" gesucht wurde. Gerade in Transformationsphasen darf die Bedeutung von Konsensdemokratie zur Etablierung anerkannter Grundwerte und Verfahrensregeln nicht unterschätzt werden. Der Ausbau der Basis von Demokratie, Rechtsstaat, transparentem und unparteiischem Regierungshandeln, die sukzessive Ausweitung von bürgerlichen Rechten und Freiheiten und der Ausbau der Partizipation durch zivilgesellschaftliche Beteiligung haben hier Vorrang. Die radikale Durchsetzung von Mehrheitsmacht ("winner takes all") kann, auch wenn diese sich demokratischen Wahlen verdankt, demokratiegefährdend sein. Bereits auf der Ebene der Verfassungsordnung sollte dies Berücksichtigung finden, denn ein eingegrenzter Spielraum für die parlamentarische Opposition kann bei demokratischem Wechsel den Handlungsraum der bisherigen Regierungspartei(en) entscheidend begrenzen. Allerdings ist das Konzept einer "systemloyalen" politischen Opposition noch weithin unbekannt und die Durchsetzung einer entsprechenden verfassungsmäßigen und praktischen Balance schwierig.

Offensichtlich gibt es in politischen Konfliktsituationen einen Entscheidungsmoment, in dem die Konfliktparteien (oder deren politische Eliten) in rationalem Kostenkalkül eher Vorteile durch Reform, Transformation oder Kompromiß erwarten als aus der Fortsetzung bestehender Konfrontation. Angebote der politischen, aber auch der sozio-ökonomischen Integration (z.B. ehemaliger "Kombattanten") haben in dieser Phase eine stabilisierende Wirkung. Vieles spricht hier für den gradualistischen Übergang, denn die Mehrzahl der Länder verfügt (allenfalls begrenzt) über wirklich alternative politische Eliten: Demokratie muß häufig auch mit Teilen der bisherigen Machteliten gemacht werden.

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Die technische Vorbereitung und Durchführung von Wahlen fällt nicht in das eigentliche Arbeitsgebiet einer politischen Stiftung. Trotzdem hat es in Einzelfällen die Beteiligung an Wahlvorbereitung gegeben (z.B. in der Umsetzung von EU-Programmen). Ansonsten liegt der Schwerpunkt bei der öffentlichen Wahlvorbereitung und Mobilisierung der Bevölkerung für die Beteiligung an dem demokratischen Entscheidungsverfahren – nicht aber bei der direkten Unterstützung einer politischen Partei. Auf eine direkte Beteiligung an Wahlbeobachtung hat die Stiftung aus grundsätzlichen Erwägungen verzichtet, da sie weder die Kompetenz zu einer objektiven Bewertung beanspruchen kann, noch diese unter dem Interesse fortdauernder gesellschaftspolitischer Arbeit für opportun erachtet. Davon unbenommen wurde aber Unterstützung für externe Wahlbeobachtung geleistet und der Aufbau von internen Strukturen der (längerfristigen) Wahlbeobachtung gefördert.

Die Zusammenarbeit mit politischen Parteien hat in den letzten beiden Dekaden einen deutlichen Wandel erfahren: Einerseits wurde Parteiarbeit durch die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen erweitert, zum anderen hat sich die Zusammenarbeit von einer (eher ideologisch motivierten) direkten Unterstützung von Bildungsarbeit zu einer politisch-thematischen Zusammenarbeit entwickelt, die stärker die Kooperationsfähigkeit und politische Relevanz der Partei(en) gewichtet als die vordergründige ideologische Affinität. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen mehrere, auch konkurrierende, Parteien in Beratungsprogramme einbezogen sind und die Herausbildung funktionsfähiger, pluralistischer Parteiensysteme im Zentrum steht.

Diese Form der Zusammenarbeit verbindet sich mit der zunehmenden Bedeutung der Parlamentskooperation. Diese reicht von Beratungs- und Unterstützungsleistungen gegenüber Parlamentsverwaltungen und (zumeist rudimentären) parlamentarischen Diensten bis hin zur Beratung von Parlamentsausschüssen in Verfassungs- und Rechtsfragen, bei Wirtschafts- und Sozialpolitik, bei Gesetzgebungsverfahren im Rahmen von Dezentralisierungspolitiken bis hin zu den Themen der Steuer- und Finanzpolitik und der regionalen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Besondere Unterstützung benötigt in der Regel die parlamentarische Opposition, deren Tätigkeit nicht in einem ausreichenden Rollenkonsens abgesichert ist, die ihre Kontrollfunktion nicht effektiv wahrnehmen kann

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und noch stärker als die Regierung Schwierigkeiten hat, die Kommunikation mit den Wählern zu halten. In vielen Fällen sind die Parlamente (und häufig auch die Regierungsfraktionen) aktive Kooperationspartner, da sie selbst daran interessiert sind, aus ihrer häufig überkommenen rein "affirmativen" Rolle sich zu einem demokratischen Entscheidungsorgan zu entwickeln. Machtkonflikte zwischen Parlamenten und exekutiver Ebene sind – insbesondere in präsidentiellen Systemen – eher die Regel als die Ausnahme, häufig allerdings verbunden mit öffentlicher Kritik oder Ignoranz gegenüber der parlamentarischen Wirklichkeit, was wiederum der Verankerung von Demokratie wenig förderlich ist.

5.4 Rechtsstaatsentwicklung und "good governance"

Die Entwicklung rechtsstaatlicher Verhältnisse und eines effizienten, transparenten Regierungshandelns sind Kernaufgaben in der Etablierung demokratischer Ordnung in Transformationsprozessen. Dies gilt insbesonders für die komplexen Veränderungen der politischen und sozio-ökonomischen Ordnungen, die im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen und Liberalisierungspolitiken mit demokratischen Transformationen verbunden sind. Legitimation durch Leistung ist hier ein wesentlicher Erfolgsgarant. Politische Beratung in zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen hat eine demokratiefördernde Dimension. Neben dem Angebot von Expertise und der Einbindung in internationale Austauschs- und Beratungsprogramme hat die Organisation nationaler Beratungs- und Dialogforen eine besonderen Stellenwert sowohl im Blick auf Problemlösungen als auch für die Entwicklung einer anerkannten politischen Kultur. Die Einbeziehung von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, anderen Interessenvertretungen, von Nichtregierungs-, Menschenrechts- oder Frauenorganisationen in Prozesse der Politikformulierung vermittelt neue, konfliktmindernde Verfahren und trägt zur demokratischen Integration bei.

Der Ausbau von Rechtsordnung und Justizsystemen steht in den meisten Fällen unter der doppelten Herausforderung, den rechtlichen Rahmen für demokratische Verfahren und die Durchsetzung der Menschenrechte zu sichern sowie den neuen Bedingungen einer auf Marktwirtschaft und Weltmarktintegration gerichteten Wirtschaftsreform gerecht zu werden.

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Rechtsberatung umfaßt daher nicht nur die Bereiche von Wahl- und Parteiengesetzgebung oder die Neuregelung des Medienrechts, sondern beispielsweise auch Wirtschafts-, Investitions- und Handelsrecht. Arbeits- und sozialrechtliche Themen sind für die FES von grundsätzlicher Bedeutung. In diesen Bereichen bieten sich Kooperationsmöglichkeiten auch in Ländern (wie z.B. der VR China, Vietnam), deren Transformation sich bisher wesentlich auf Wirtschaftsreformen begrenzte, wo Bemühungen um Verrechtlichung aber als Beginn oder erster Schritt zu einer weitergehenden demokratischen Öffnung verstanden werden können.

5.5 Interessenvertretungen und zivilgesellschaftliche Beteiligung

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat traditionell ein enges Verhältnis zur Gewerkschaftsbewegung und erfüllt Aufgaben der internationalen Gewerkschaftskooperation in enger Abstimmung mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), seinen Mitgliedsgewerkschaften, den internationalen Berufssekretariaten und dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (Brüssel). Die Interessenvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Gewerkschaften ist eine Grundvoraussetzung einer demokratischen Entwicklung und Kernelement einer offenen, sozial verantwortlichen Marktwirtschaftsordnung. In vielen Ländern haben Gewerkschaften an der Demokratisierung politischer Systeme mitgewirkt und müssen nun ihre eigene Arbeits- und Organisationsstruktur entsprechend anpassen. Die vielfältigen wirtschaftlichen Strukturveränderungen (Technologieentwicklung, internationale Arbeitsteilung, internationaler Kapital- und Finanzverkehr) sind weiterhin eine große Herausforderung für alle Gewerkschaften. Interessenvertretung ist überall schwieriger geworden. Die relativ kleinen Gewerkschaftsorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika werden bei ihren Bemühungen unterstützt, ihre politische und wirtschaftspolitische Kompetenz zu stärken und ihre Rolle als gesellschaftspolitischer Dialogpartner wahrzunehmen. Die Beteiligung an nationalen und internationalen politischen Diskussionen und die Zusammenarbeit in und mit internationalen Gewerkschaftsorganisationen gewinnt im Kontext der "Globalisierung" an zunehmender Bedeutung angesichts der engen Kooperation in einzelnen Industriezweigen und Verflechtung international tätiger Unternehmen. Bei der Förderung der Kompetenz gewerkschaftlicher Führungskräfte stehen folgende Themen im

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Zentrum: Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik bei wirtschaftlichem Strukturwandel, Beachtung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten, Verbesserung von Arbeitssicherheit und Unfallschutz, Arbeitsrecht, Mitgliedermobilisierung, Stärkung der Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen von Gewerkschaften. Die Erfahrungen im internationalen Vergleich haben bestätigt, daß aktive und gut funktionierende Gewerkschaften und geregelte Arbeitsbeziehungen einen positiven Produktionsfaktor und eine Stärkung der Demokratie darstellen. In den letzten Jahren hat sich zusätzlich eine engere Kooperation zwischen Gewerkschaften und Demokratie-, Menschenrechts- und Frauenbewegungen ergeben, die Übereinstimmungen bei der Durchsetzung der Menschenrechte oder bei zentralen ILO-Konventionen (z.B. Kinderarbeit) festgestellt und ursprüngliche Berührungsängste abgebaut haben. Die Arbeit der Stiftung hat hier zum Brückenbau beigetragen.

Aus Projekten der Sozialstrukturhilfe und Wirtschaftsförderung (Klein- und Mittelindustrie) haben sich in zahlreichen Ländern Kooperationsprogramme mit Wirtschaftsverbänden, Handelskammern oder anderen Interessenvertretungen (wie z.B. Kleinbauern) ergeben. Ihre Einbeziehung in einen wirtschaftspolitischen Dialog und in die Demokratisierung politischer Entscheidungen ist dabei vorrangiges Ziel. Moderne Wirtschaft und Demokratie sind auf das Zusammenspiel von in der Gesellschaft verankerten Organisationen, deren fachliche Kompetenz und (in der Konsequenz) auch Konfliktfähigkeit angewiesen. Wettbewerb ist ein Grundelement von Marktwirtschaft und Demokratie und die Förderung eines entsprechenden organisatorischen Pluralismus notwendig für den "Unterbau" der Demokratie.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat daher seit Mitte der 80er Jahre verstärkt und systematisch die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, "advocacy groups", Lobbyorganisationen oder anderen "zivilgesellschaftlichen" Gruppierungen aufgenommen. Auf die Definition und Abgrenzung sowie eine eingehende Diskussion der mit dem Konzept verbundenen Problemstellungen muß in diesem Kontext weitgehend verzichtet werden. [Vgl. Stefan Mair, a.a.O. S. 36ff.] Zweifellos gibt es eine Überhöhung zivilgesellschaftlicher Bewegungen, die geradezu als zivile Alternative zum Staat gesehen werden. Hier

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ist "Entmystifizierung" [Dirk Messner: Das Modernisierungspotential der NGOs und die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit, in: Barfuß Auf Diplomatischem Parkett – Die Nichtregierungsorganisationen in der Weltpolitik, Evangelische Akademie Loccum, Loccumer Protokolle 9/97, S. 263-290, 272.] und eine nüchterne Prüfung der gesellschaftlichen Verankerung, der Ziele und der internen Entscheidungsstrukturen (Demokratie?) angebracht. Die verbreitete Dichotomisierung von Zivilgesellschaft und Staat verbindet sich mit der Position einer weitestgehenden Zurückdrängung des Staates durch den Markt, so daß Stärkung der Zivilgesellschaft nichts anderes heißt als Stärkung der Marktgesellschaft. "Der Ruf nach einer staatsbürgerlichen Zivilgesellschaft wird so zu einem unverantwortlichen Angriff auf die demokratischen Institutionen. Insbesondere auf das Parteiensystem. Die Gegenüberstellung von Zivilgesellschaft und Staat leistet der Entleerung der politischen Sphäre Vorschub. Der Anspruch, diese Beziehungen unvermittelt, unter Ausschluß politischer Institutionen zu gestalten, führt zu einer Delegitimierung des demokratischen Institutionengefüges im Namen der Demokratie". [Norbert Lechner: Lateinamerika zwischen Demokratisierung und Modernisierung, in: IPG 4/96, Bonn, S. 378-388; Kurzfassung E+Z 1997:3.] Tatsächlich läßt sich aber aus der Genese zivilgesellschaftlicher Organisationen begründen, daß diese nicht aus Politikferne oder absoluter Gegnerschaft gegen den Staat entstanden, sondern in Reaktion auf Handlungsdefizite der Politik, häufig auch den Mangel an Demokratie und Legitimation staatlicher Macht. Dies gilt auch für Selbsthilfeorganisationen, die weitergehende politische Ziele nicht verfolgen. Zivilgesellschaft hat sich nicht konstituiert mit dem Ziel, Alternative zu sein oder den Staat zu ersetzen, sondern mit dem Interesse, zur Wiedergewinnung von Politik beizutragen unter den Bedingungen tiefgreifender Transformationen von Staat und Politik. Statt des dichotomischen Nebeneinanders oder des Antagonismus’ zwischen Staat und ziviler Gesellschaft wird eher die aktive Interaktion von Zivilgesellschaft und Staat (Politik) intendiert, die kritisch-konstruktive Beziehung, die in der Konsequenz zu einer Komplementarität von Zivilgesellschaft und politisch-institutionellem System zur Einbindung und zur Gestaltung des Marktes in einen Ordnungsrahmen heranwachsen kann. [Vgl. Erfried Adam: Die ganze Welt ist eine Bühne (Shakespeare) – Und auf welcher Ebene wird was gespielt? In: Loccumer Protokolle 9/97, a.a.O. S. 223-240, 230.] NGOs tragen damit zu einer "Verbreiterung" und Demokratisierung des politischen Prozesses bei. Als Hauptfunktionen können genannt werden:

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  • Sie agieren als Lobby/Advocacy (über die Eigeninteressen hinaus).

  • Sie organisieren sich als Interessenvertretung (einer bestimmten Gruppe).

  • Sie bieten ein (subsidiäres) Leistungsangebot (im sozialen oder Entwicklungsbereich).

  • Sie können in Problemfeldern tätig sein, die der Staat nicht adäquat oder noch gar nicht aufgegriffen hat.

  • Sie können aktiv werden, um den Staat aus bestimmten Problemfeldern herauszuhalten.

  • Sie haben eine Kontroll- und Korrektivfunktion gegenüber staatlichen Steuerungsansprüchen.

  • Sie dienen der Herausbildung einer internationalen Öffentlichkeit in Richtung Weltgesellschaft.
    [Vgl. Dirk Messner/Franz Nuscheler: Global Governance – Herausforderungen an die deutsche Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Policy Paper 2, Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 1996.]

Trotzdem ist keine Idealisierung angebracht. Die NGOs oder CSOs (civil society organisations) des "Südens" (oder auch des "Ostens") leiden unter tiefen strukturellen Defiziten:

  • Es fehlen in vielen Fällen die politischen Rahmenbedingungen (Demokratie, Rechtsstaat) für ihre Aktionsfähigkeit.

  • Fehlende gesellschaftliche Voraussetzungen (mangelnde soziale Differenzierung; ethnische oder religiöse Spaltung der Gesellschaft) limitieren ihre Existenz.

  • Sie sind in ihrer Abhängigkeit von Außenfinanzierung und Förderung (elitärer) Teil der "development industry" und ihres Wachstumsmarktes.

  • Soziale Isolation und mangelnde Verwurzelung oder Mißbrauch für Partikularinteressen geht damit einher ebenso wie

  • materielle und konzeptionelle Abhängigkeit von "Nordpartnern", deren "Imitation" sie werden.

  • Feststellbar ist die Benachteiligung "traditioneller" Interessenvertretungen (z.B. Gewerkschaften, Bauernverbände etc.) zugunsten "moderner" NGOs (Umwelt, Menschenrechte, Frauen), die den Terminologien und Paradigmen des Westens am ehesten entsprechen.

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  • Die Außenabhängigkeit führt zur Projektlimitation (für die Finanzierung zu erhalten ist) gegenüber politischer Prozeßorientierung, die konflikthaft ist und Risiken für den externen Partner impliziert.

  • Bei Gebern und Regierungen findet sich zumeist ein rein "instrumentelles" Verhältnis zu den NGOs, die genutzt werden ("to deliver the goods") aufgrund ihrer Basisnähe und Kostengünstigkeit, nicht aber als Partner im politischen Prozeß und bei der Neukonstituierung des Verhältnisses zwischen Staat – Gesellschaft – Markt.
    [Vgl. Erfried Adam, a.a.O. S. 238f.]

Diese Neukonstituierung des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Markt sowie die prozeßorientierte Strukturierung und Demokratisierung dieser Beziehungen und ihre Verankerung in einem gesellschaftlichen Konsens ist das wesentliche Anliegen gesellschaftspolitischen Engagements, das die Konflikte nicht ausblenden darf, die für Gesellschaften konstitutiv sind, möglicherweise aber zu einer geregelten und friedlichen Austragung beitragen kann.

5.6 Dezentralisierung und lokale Politik

"Decentralizing governance is one of the best means of promoting participation and efficiency". [Human Development Report 1993. UNDP, S. 66.] Diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt, nachdem sich allzu lange die Vorstellung gehalten hatte, daß Entwicklung von oben machbar und die unmittelbare Verantwortung des Staates sei. Das Zerbrechen des Staatssozialismus, das Scheitern von "autoritäten Entwicklungsstaaten" und die Schwäche und mangelnde Reichweite wirtschaftlicher Liberalisierung hat bei vielen die Erkenntnis bewirkt: Demokratie muß auch "von unten" aufgebaut werden, Entwicklung ist ohne direkte Beteiligung, ohne Partizipation der Menschen nicht möglich. Für die Position, daß damit den dezentralen staatlichen Ebenen und der kommunalen oder lokalen Selbstverwaltung ein besonderer Stellenwert in der Entwicklungszusammenarbeit zukommen muß, läßt sich ein breiter Konsens unter den politischen Parteien und zwischen Entwicklungsorganisationen ausmachen.
[Vgl. z.B. die dem Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorliegenden Anträge der CDU/CSU und der SPD-Fraktion sowie die Stellungnahmen u.a. der politischen Stiftungen während eines „Workshops" am 2.4.94.]

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Vor den Hintergrund der eigenen (deutschen) Erfahrung mit kommunaler Selbstverwaltung hat die FES bereits in den 70er Jahren begonnen, den Aufbau demokratischer Strukturen und wirtschaftlicher Selbsthilfe unterhalb der zentralstaatlichen zu unterstützen. Das Streben nach Demokratisierung und Wirtschaftsreform hat in vielen Ländern dieses Feld zu einem Schwerpunkt der Arbeit werden lassen. Weder ist die FES damit zu einer spezialisierten kommunalpolitischen Organisation geworden, noch wird die Politik der Dezentralisierung als ein rein technisches Instrument zur Effizienzsteigerung des Staates verstanden: Im Kern geht es um Demokratieförderung durch Teilung der politischen Macht – sowohl auf vertikaler wie horizontaler Ebene –, das Lernen und Praktizieren demokratischen Miteinanders im überschaubaren Lebensfeld und die Übertragung und Übernahme von Kompetenz und Verantwortung.

In der praktischen Projektarbeit wird nicht die Umsetzung von "Modellen" versucht, sondern mit den Partnern nach angepaßten Lösungen gesucht, die den Entwicklungsbedingungen und politischen Voraussetzungen der einzelnen Länder angemessen sind. In durchaus unterschiedlicher Weise können sich daher drei Zielebenen miteinander verbinden:

  • Demokratisierung (z.B. verfassungspolitische Beratung, Ratsarbeit, kommunale Verbände),

  • Dezentralisierung (z.B. Struktur-, Organisations- und Finanzberatung) und

  • Sektor- und Fachberatung in der Kommunalpolitik (z.B. kommunale Wirtschaftsförderung, kommunale Dienstleistungen, Umweltpolitik, lokale Medien u.a.).

Ansatzpunkt ist dabei die Suche nach eigener Legitimität für die lokale oder dezentrale Ebene im Sinne der Devolution von Demokratie, nicht aber nur "Dekonzentration" oder "Extension" zentralstaatlicher Institutionen oder bestenfalls die Delegation abgeleiteter Aufgaben.

Mit seiner richtungsweisenden Veröffentlichung "The Failure of the Centralized State" hat der nigerianische Sozialwissenschaftler Dele Olowu noch einmal auf den Punkt gebracht, was auch in der entwicklungspolitischen Diskussion bereits seit längerer Zeit als grundsätzliches Entwicklungshindernis afrikanischer Gesellschaften identifiziert worden ist: Die Existenz eines überzentralisierten Staatswesens, in dem eine einseitige Res-

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sourcenallokation zugunsten der städtischen Zentren, meist sogar nur der Hauptstädte, stattfindet und die ländlichen Gebiete völlig vernachlässigt. Das Vorhandensein einer aufgeblähten und wenig effizienten Staatsbürokratie, die streng hierarchisch funktioniert und dem Prinzip eigenverantwortlicher Entscheidungen praktisch überhaupt keinen Raum bietet, sowie das völlige Fehlen von Entscheidungsbefugnissen auf Ebenen der unteren Gebietskörperschaften. Dies hat in vielen Fällen mit einem grundsätzlichen Mangel an Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Willensbildung korreliert. Mit den politischen Reformbewegungen und Demokratieentwicklungen, die zu Beginn der 90er Jahre in zahlreichen Ländern Afrikas das Ende diktatorischer Systeme oder von autoritären Einparteienherrschaften einleiteten, sind mittlerweile günstige Voraussetzungen für eine ernstgemeinte Dezentralisierung geschaffen. Auch die in ihren Auswirkungen z.T. sehr schmerzhaften Strukturanpassungsprogramme üben in gewisser Hinsicht einen heilsamen Zwang zu einer verstärkten Dezentralisierung aus. Denn neben der Bereitschaft, auf der politischen Ebene Macht von der Zentralregierung an die Provinzen/Regionen und an Kommunen/Distrikte abzugeben, ist es auf der ökonomischen Ebene gar nicht mehr anders machbar, als durch eine an Effizienzkriterien und Subsidiaritätsgesichtspunkten orientierte Dezentralisierung und Reduzierung von Staatsfunktionen das Überleben des Gesamtstaates sicherzustellen.
[Vgl. Martin Gräfe/Thomas Hamer, Dezentralisierungs- und Local Government-Ansätze als Bestandteil der Projektarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afrika, FES-internes Papier, 22.8.94.]

Für den von Staatsversagen und Staatszerfall betroffenen afrikanischen Kontext stellt sich damit die Aufgabe, handlungsfähige Strukturen "von unten" aufzubauen und in der Anknüpfung an möglicherweise noch vorhandene lokale politische Kooperationsformen über einen Neuaufbau dezentraler oder föderaler staatlicher Ebenen zu einer "Wiedergewinnung" des Staates und demokratischer Politik beizutragen. [Vgl. Erfried Adam: Wie ist wieder Staat zu machen in Afrika? In: IPG 4/94, S. 373-384; unter dem Titel: Demokratie und Entwicklung zwischen Staat und Gesellschaft – Plädoyer für eine Politik „von unten": Subsidiarität, lokale Selbstverwaltung und Zivilgesellschaft, in: Walter A.S. Koch (Hrsg.) a.a.O. S. 41-64.] Die Vorstellung, daß die Verlagerung von politischen Entscheidungsprozessen auf dezentrale Ebenen auch zu einer Reduktion des Wettbewerbes um die zentralstaatliche Macht und einer adäquateren Berücksichtigung ethnisch-kultureller

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Faktoren beitragen könnte, ist weit verbreitet. Entwicklungspolitisch sind der Aufbau kommunaler Strukturen und der Aufbau von Selbsthilfeeinrichtungen eng verzahnt. Da einer politischen Stiftung in diesem Feld eine Aktion in der Fläche nicht möglich ist, konzentriert sich die Arbeit wesentlich auf die Begleitung und Beratung von Dezentralisierungsprogrammen (der zentralstaatlichen Ebenen), die Zusammenarbeit mit Gemeinde- oder Landkreisverbänden und Ausbildungseinrichtungen sowie die Kooperation mit Organisationen der kommunalen Wirtschaftsberatung und -förderung. In Einzelfällen sind Projekte mit "Modellfunktion" auf anderen Ebenen möglich.

Auch in Lateinamerika [Vgl. zum folgenden Joachim Knoop: Die Wiedergewinnung des Bürgers – Bausteine für die kommunalpolitische Kooperation der Friedrich-Ebert-Stiftung in Lateinamerika, Materialien zur Praxis der Entwicklungszusammenarbeit 2, Bonn 1996.] führte die Krise des zentralistischen Planungsmodells der importsubstitutierenden Industrialisierung mit ihrem Druck auf die Staatshaushalte zu immer häufigeren und gewalttätigen Protesten in den Regionen, zu völlig unzureichender Ressourcenausstattung auf allen Ebenen und in der Konsequenz zu einer Erosion der politischen Legitimität. Die in nahezu allen Ländern eingeleitete Staatsreform ist damit auch ein Versuch zur Relegitimierung des – von teuren und problematischen Funktionen entlasteten, schlankeren, effizienteren und dezentralisierten – Staates. Trotz der bereits in den 60er und 70er Jahren verfolgten Dezentralisierungspolitiken stehen lateinamerikanische Kommunalverwaltungen vor erheblichen Problemen:

  • "aufgeblähte, politisierte Verwaltungen ohne fachliche Kompetenz, vielfach reine Beschäftigungsagenturen für die politische Klientel regionaler oder lokaler Kaziken;

  • ineffiziente Eigenbetriebe, ebenfalls mit hohem Personalüberhang und oft verrotteten Installationen und obsoletem Maschinenpark;

  • aufgestaute Defizite in fast allen Bereichen der urbanen und ländlichen Infrastruktur...

  • im Zuge der Dezentralisierung: Der Rückzug des Zentralstaates aus früher von ihm übernommenen oder finanzierten Aufgaben;

  • und schließlich eine gegenüber der Bevölkerung diskreditierte kommunale Verwaltung ohne Glaubwürdigkeit und daher auch vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber neuen Reform versprechen."
    [a.a.O. S. 22.]

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Verschiedene Projekte der FES in Lateinamerika haben sich je nach den Gegebenheiten vor Ort auf diese Entwicklungen eingestellt und dabei ihre Prioritäten je nach Positionierung ihrer Partner in diesem komplexen Prozeß bzw. entsprechend der politischen Konjunktur vor Ort gewählt. Schwerpunkte der Kooperation sind:

  • die Unterstützung zentralstaatlicher oder nationaler Instanzen bei der Formulierung der Dezentralisierungspolitiken als Teil der Staatsreform;

  • die Förderung von Gemeindeverbänden als Interessenvertretung der Kommunen gegenüber den Zentralregierungen und als "Dienstleistungszentren" gegenüber ihren Mitgliedern;

  • die Beratung von Kommunalverwaltungen und/oder Bürgerinitiativen, NROs und anderen sozialen Organisationen bei der Lösung von Problemen durch Methoden partizipativer Planung;

  • die Unterstützung politischer Partner bei der Formulierung und Implementierung innovativer – d.h. in der Regel partizipativer – kommunalpolitischer Ansätze auf Parteiebene oder in konkreten Gemeinden;

  • die Unterstützung der Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, auch als Beitrag zur Herausbildung einer Kultur der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Instanzen;

  • themenspezifische Maßnahmen (Umweltschutz, Frauenförderung, Kommunikation) in Form von Seminaren und Studien;

  • die Förderung des Erfahrungsaustauschs über erfolgreiche und/oder innovative Projekte unter Gemeinden.

Der Bereich der kommunalen Wirtschaftsförderung hat zunehmendes Gewicht, da im Prozeß der wirtschaftspolitischen Transformationen die unmittelbare wirtschaftliche Interventionsfähigkeit des Staates sich verringert und die lokalen "Standortfaktoren" und die Investitionsfähigkeit der Gemeinden an Bedeutung gewinnt.

Die wesentlichen bisher genannten Kooperationsfelder finden sich auch im asiatischen Kontext. Für eine Staats- oder demokratietheoretische Debatte von Dezentralisierungs- und kommunalen Politiken boten sich in Asien vergleichsweise geringere Zugangsmöglichkeiten. Aber selbst in der VR China oder der VR Vietnam hat sich wachsendes Interesse an Fragen der Dezentralisierung, des Funktionierens föderaler Strukturen oder der Koordinierungspraxis zwischen Bund und Land, z.B. dem Finanzaus-

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gleich, manifestiert. In Asien steht im Vordergrund das Interesse an Informationsaustausch und einem sorgfältigen Studieren und Prüfen deutscher (europäischer) Lösungen. Die Probleme der "Megastädte", Umweltfragen oder Fragen der Ressourcenkonflikte im Verlauf beschleunigter Wirtschaftsentwicklung spielen eine zunehmende Rolle. Mit der für viele Bereiche Asiens katastrophalen Wirtschaftskrise haben sich Themen der sozialen Sicherung oder sozialer (auch kommunaler) Dienstleistungen in einer neuen Weise und mit wachsendem Kooperationsinteresse gestellt.

Insgesamt ist die Stiftung gerade in diesem Arbeitsfeld um eine nüchternabwägende Vorgehensweise bemüht. Fragen staatlicher Neugliederung und der Devolution der Macht sind Machtfragen, die in der Regel nicht ohne Konflikte und Kompromisse gelöst werden können. [Die Schwierigkeit zeigt sich bei der Diskussion in Deutschland um eine Länder-Neugliederung oder die Anpassung des Länderfinanzausgleiches; nicht zuletzt in der Volksabstimmung Berlin-Brandenburg.] Viele der auf zentralstaatlicher Ebene virulenten Probleme (Finanz- und Ressourcenknappheit, Bürokratie, Ineffizienz, Korruption, Nepotismus usw.) finden sich ebenso auf unteren Ebenen, und häufig ist die Manipulation demokratischer Verfahren unter dem Gewicht traditionell-kultureller Faktoren noch eher möglich. Trotzdem finden sich aus der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit und vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrungen mit kommunaler Selbstverwaltung und dezentralen Strukturen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft gute Begründungen für das Gewicht demokratiefördernder Arbeit auf diesen Ebenen.

5.7 Wirtschafts- und Sozialpolitische Beratung

Historisch hat sich die wirtschafts- und sozialpolitische Kooperation aus dem ersten Arbeitsfeld der Stiftung, der Gewerkschaftsberatung, sowie aus der Sozialstrukturförderung mit ihren Schwerpunkten Selbsthilfe-, Wirtschafts- und Verbandsförderung entwickelt. Dabei stand immer der Grundgedanke im Vordergrund: Der Hauptauftrag der Stiftung, Demokratieförderung, bedarf einer Ergänzung im Wirtschafts- und Sozialbereich. Auch demokratische Systeme bleiben – wie bereits mehrfach betont wurde – gefährdet, wenn die Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevöl-

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kerung keine Besserung erfahren. Dabei [Vgl. dazu: „Die Soziale Dimension der Marktwirtschaft – Ein Beratungsmanual für die internationale Entwicklungszusammenarbeit", Vorwort: Manfred Bardeleben, Einführung: Peter Oesterdiekhoff, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1994.] geht es nicht um eine verbesserte unmittelbare Regierungsberatung – obgleich diese nicht ausgeschlossen wird; vielmehr richtet sich das Beratungsangebot primär an alte und neue Partner im nichtstaatlichen Bereich. Sie sollen unterstützt werden, ihre Interessen in einem ökonomisch rationalen Diskurs vorzutragen und sozialen Belangen auch in originär wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozessen Gehör zu verschaffen.

Eine zeitgemäße wirtschaftspolitische Beratungshilfe muß Bezug nehmen auf den wirtschaftlichen und politischen Wandel, der in den Volkswirtschaften in "Süd" und "Ost" stattfindet. Sowohl der Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften wie die Dauerkrise interventionistischer Systeme haben den Glauben an die Allmacht des planenden Staates erschüttert. Seine Rolle als zentraler Akteur der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik wurde relativiert durch die wachsende Einsicht in die fundamentale Bedeutung, die der zivilen Gesellschaft im Entwicklungsprozeß zukommt. Es kommt daher nicht nur darauf an, im Entwicklungs- und Transformationsprozeß die wirtschaftspolitischen Instrumente richtig einzusetzen und zu dosieren; mindestens ebenso wichtig ist eine Ordnungs- und Institutionenpolitik, die langfristig glaubwürdig ist und politische Akzeptanz findet. Dies setzt voraus, daß sie der wachsenden Bedeutung, die nichtstaatliche Instanzen als wirtschaftspolitische Einfluß- und Entscheidungsträger erlangen, Rechnung trägt und entsprechende Anpassungen im politisch-institutionellen Rahmen zuläßt. Die aus der radikalen Kritik am "Staatsversagen" resultierende Begrenzung der Rolle des Staates in einem "marktfreundlichen" Konzept auf die Gewährleistung des rechtlichen Rahmens, die Bereitstellung öffentlicher Güter, die Entwicklung von Humankapital und den Schutz der Umwelt, d.h. die klassischen Bereiche des "Marktversagens" (was bereits mehr ist, als die meisten Staaten zu leisten in der Lage sind), beinhaltet keine explizite Berücksichtigung der sozialen Qualität des angestrebten Ordnungsrahmens. Ihre einseitige Orientierung an Effizienz- und Wachstumszielen verdrängt die Frage der Verteilung und reduziert den Spielraum für eine politische Gestaltung im Sinne sozialer Gerechtigkeit und

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sozialen Ausgleichs. Ein Spezifikum der "sozialen Marktwirtschaft" liegt im wirtschaftspolitischen Imperativ, allen Gruppen der Gesellschaft den Zugang zu produktiver Tätigkeit oder Beschäftigung zu erleichtern und bereits in der Einwirkung auf Produktions- und Marktprozesse sozialen Gesichtspunkten Nachdruck zu verleihen. Zudem soll ein Rahmen für das Handeln von Staat, Unternehmer- und Arbeitnehmerschaft gesetzt werden, der die regulativen Grenzen für alle Akteure eindeutig sichtbar werden läßt. Die soziale Dimension der Marktwirtschaft beruht im Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" daher nicht nur auf sozialpolitischer Korrektur des Marktergebnisses, sie weist weit darüber hinaus, indem sie auch die Wirtschaftspolitik auf soziale Ziele verpflichtet. Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität, die Eigeninitiative und Selbsthilfe allen anderen Formen der Problemlösung überordnet, ist die Wirtschaftspolitik sogar das Feld, auf dem sich die soziale Qualität einer Gesellschaftsordnung entscheidet.

Es gibt keinen Zweifel daran, daß eine zivile Gesellschaft nur auf der Grundlage eines allgemeinen Konsenses über die wesentlichen Elemente der Wirtschafts- und Sozialordnung Bestand haben kann. Ein ausschließlich auf Effizienz ausgerichtetes Wirtschaftskonzept läuft Gefahr, diesen notwendigen Grundkonsens zu verhindern. Individuen und Gruppen, die von Liberalisierungsmaßnahmen zumindest kurzfristig Nachteile zu erwarten haben, treten in Opposition, da sie nicht auf sozialen Ausgleich und Kompensation ihrer Verluste vertrauen können, wenn die Anpassungslasten ungleich verteilt sind und die versprochenen Wachstumsgewinne einer Ungewissen Zukunft angehören.

In dieser Situation entstehen für die Arbeit der Stiftung neue Aufgaben und Herausforderungen. Vor dem allgemeinen historischen Hintergrund einer explizit auf sozialen Ausgleich konzipierten Wirtschaftsordnung, der sozialen Marktwirtschaft, und der besonderen Verbundenheit mit der Tradition sozialer Demokratie kann die Stiftung ihre komparativen Vorteile in der wirtschaftspolitischen Beratung zum Einsatz bringen. In Übereinstimmung mit dieser Grundorientierung wird daran gearbeitet, die entstehende Pluralität von staatlichen und nichtstaatlichen Trägern der Wirtschaftspolitik in den Entwicklungsländern mit Konzepten zu unterstützen, die sozialem Ausgleich Rechnung tragen, ohne die Dynamik des Marktes unnötig zu strangulieren.

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Die Aktualität dieser von der Stiftung seit langem verfolgten Konzeption wird in Aussagen bestätigt, die das HANDELSBLATT so zusammenfaßt: "Führende Ökonomen ringen sich deshalb mehr und mehr zu der Erkenntnis durch, daß sich der alte Grundsatz, Demokratie erschwere, ja verzögere wirtschaftliche Entwicklung, als falsch erwiesen hat. [...] Jüngste Analysen zeigen nach Ansicht des Havard-Ökonomen Dani Rodrik, daß nicht demokratische Mitbestimmung Reformen und Entwicklung hemmt, sondern >Machteliten<, die sich keiner Rechenschaft unterziehen müssen und oft zugunsten ihrer eigenen Interessen Reformprozesse verlangsamen oder blockieren." [HANDELSBLATT. Nr. 173, 9.9.1998, S. 10.]

Neben diesem wirtschaftspolitischen Konzept, das eine neue, an einem sozialen Konsens orientierte, Interaktion von Staat, Markt und sozialen Gruppen intendiert, haben Fragen der sozialen Sicherung in Industrie- und Entwicklungsländern in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung zugenommen. [Vgl. dazu: Soziale Sicherung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Hrsg.: Manfred Bardeleben, Friedrich-Ebert-Stiftung 1996.] Dies gilt in besonderer Weise für die von ökonomischen und sozialen Krisen betroffenen Transformationsländer wie auch die jungen "Tiger" Asiens. Wenngleich die Ausgangslage, dem Entwicklungsniveau entsprechend, sehr unterschiedlich ist, im einen Fall die Krise des Sozialstaates und ein Umbau des Systems der sozialen Sicherung diskutiert wird, während in dem anderen Fall der Ausbau sozialer Sicherungssysteme als Teil einer Strategie der Armutsbekämpfung und der Reaktion auf drastische soziale Umbrüche im Vordergrund steht, haben beide Szenarien eines gemeinsam: Gefordert sind zukunftsorientierte Konzepte, die ökonomische, finanzpolitische und sozialpolitische Ziele berücksichtigen und den wirtschaftspolitischen Imperativen "sozialer Marktwirtschaft" entsprechen.

In der entwicklungspolitischen Diskussion besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß Modelle aus Industrieländern nicht oder nur entsprechend angepaßt auf Entwicklungs- oder Schwellenländer übertragbar sind. Gleichzeitig gilt aber auch, daß sich soziale Sicherung, soweit sie durch aktives politisches Handeln gestaltet werden kann, an Formen und Prinzipien zu orientieren hat, mit denen in Industrieländern Erfahrungen gemacht wurden. Dazu gehört auch, daß soziale Sicherungssysteme im

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Kontext anderer Politiken (wie Haushalts-, Steuer-, Finanz-, Rechtspolitik) gestaltet werden, die häufig externen Einflüssen unterliegen.

Für die Stiftung ergibt sich daraus häufig der komplexe "Spagat", gegenüber marktradikalen Positionen die "soziale Dimension der Marktwirtschaft" betonen zu müssen und gleichzeitig zu versuchen, traditionelle Partner von unrealistischen sozialpolitischen oder wohlfahrtsstaatlichen Erwartungen abzubringen. Dabei bewegt sie sich in einem Kontext, den der Weltbankpräsident Wolfensohn als eine notwendige " Vierer-Partnerschaft zwischen internationalen Institutionen, der Geschäftswelt und dem Privatsektor, der Bürgergesellschaft und gewählten Regierungen" beschrieben hat.
[Vgl. HANDESLBLATT, 9.9.98, S. 10.]

5.8 Medien
[Auszug aus: Reinhard Keune: Medien für Entwicklung – Entwicklung von Medien, Die Rolle von Medien und Kommunikation in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit der FES, Arbeitspapier, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1998.]

Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit sind ohne unabhängige Medien nicht denkbar. Pluralismus und friedliches Miteinander lassen sich in Entwicklungsgesellschaften nur dann dauerhaft verankern, wenn sich Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ungehindert über Medien austauschen können. Diese Medien – Presse, Hörfunk, Fernsehen, Film, Telekommunikation und neue Kommunikationstechniken – sollten möglichst staatsfern, möglichst wirtschaftlich unabhängig und möglichst offen für alle Gruppen der Zivilgesellschaft sein. Um dies zu erreichen, kann das Mediensystem eines Entwicklungslandes nicht einfach dem freien Spiel der (Markt-)Kräfte überlassen bleiben, sondern benötigt – ebenso wie in Industrieländern – ein Minimum an rechtlicher und administrativer Reglementierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Das Verhältnis zwischen Regierung und Medien, zwischen Medienmachern und Medienkonsumenten und zwischen Medien und der Zivilgesellschaft sollte fair determiniert und in Zweifels- und Streitfällen durch unabhängige Institutionen oder zumindest durch ein unabhängiges

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Rechtswesen geregelt werden. Die Medien selbst müssen über technische, finanzielle und personelle Mindestvoraussetzungen verfügen, um im nationalen wie internationalen Rahmen bestehen und mithalten zu können. Ihre Macher sollten von ethischen Grundsätzen geleitet, fachlich qualifiziert und weitgehend gegen Korruption gefeit sein.

Die verschiedenen Akteure der Zivilgesellschaft sollten freien Zugang zu allen Informationen haben und sich ungehindert selbst artikulieren können. Der Vergleich eines solchen idealtypischen Modells mit der Wirklichkeit in vielen Entwicklungsländern macht überdeutlich, daß noch viel zu tun bleibt, ehe solche Grundstrukturen hergestellt und auf Dauer gesichert werden können. An solchen Überlegungen wird auch klar, daß Medienförderung von außen nicht nur auf handwerkliche Ausbildung, finanzielle oder technische Hilfe ausgerichtet sein darf, sondern ein komplexes gesellschaftspolitisches Arbeitsfeld darstellt, das vom außenstehenden Partner ein Maximum an kulturellem und gesellschaftlichem Verständnis und ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Diskussionsbereitschaft verlangt, größtmögliche Professionalität immer vorausgesetzt.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung betätigt sich auf diesem schwierigen Gebiet seit mehr als 30 Jahren. Sie hat dabei auch gelegentlich Niederlagen und Rückschläge erlitten, Fehler gemacht oder auf "falsche Pferde" gesetzt. Medienförderung in Entwicklungsgesellschaften, auch solchen Gesellschaften im Übergang, die aus kommunistischen Systemen hervorgegangen sind, ist wichtiger denn je, weil

  • autoritäre, diktatorische und zensurbestimmte Strukturen vielfach noch nicht überwunden sind und ohne Hilfestellung von außen auch nicht schnell überwunden werden können. Modelle für eine demokratische Mediengesetzgebung, die wichtige Dienstleistungen der Medien für die Gesellschaft ermöglichen, müssen vorgestellt, eingeübt und akzeptiert werden. Beratung bei der Erarbeitung von demokratischen Mediengesetzen, Kennenlernen der Medienwirklichkeit in etablierten Demokratien, Austauschprogramme für und Ideenaustausch mit Journalisten, Aus- und Fortbildung in objektiver und sachkundiger Berichterstattung und Förderung der Eigenverantwortlichkeit von Medienvertretern sind einige der dazu anzuwendenden Instrumente.

  • Globalisierung und totale Kommerzialisierung der Medien in wirtschaftlich schwachen und demokratisch ungefestigten Gesellschaften

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    verhindern, daß die Medien ihre zentrale Funktion als Forum der Zivilgesellschaft und vierte Gewalt in einem demokratischen Zusammenspiel der Kräfte erfüllen können. Erforderlich für den Dialog der Zivilgesellschaft sind Maßnahmen, die Gruppen der Zivilgesellschaft im Umgang mit den Medien schulen, Hilfestellung beim Aufbau von lokalen und nationalen Medien mit einer Servicefunktion für die Gesellschaft geben, Diversifizierung von Programm- und Druckangeboten und Alternativen zu einer von multinationalen Konzernen beherrschten Medienwelt ermöglichen.

  • eine weitere Erosion der kulturellen und gesellschaftlichen Funktionen nationaler Mediensysteme droht. Diese kann nur dann aufgehalten werden, wenn Deutschland und die EU in engster Abstimmung mit maßgeblichen Vertretern aus Partnerländern eigene Strategien für bessere Rahmenbedingungen im Informations- und Kommunikationssektor entwickeln und diese aktiv in regionalen wie globalen Gremien wie der WTO, der UNO, dem UN Committee on Information, der UNESCO, der ITU, den Broadcasting Unions, der EU, ASEAN oder NAFTA vertreten. Dies gilt sowohl für den Medienbereich wie für die Telekommunikation, das Internet und andere neue Technologien.

  • die technische Revolution mit Digitalisierung und Komprimierung zahlreiche ärmere Länder vor die fast unlösbare Aufgabe stellt, ihre Bevölkerung in der neuen Konkurrenzsituation mit adäquaten Programmen zu versorgen. In einem mühsamen und kostenträchtigen Aufholprozess hatten viele Entwicklungsländer – teils aus eigener Kraft, teils mit der Hilfe von Geberländern und -Institutionen – den medien-technischen Anschluß an die Industrienationen gefunden. Die Digitalisierung von Hörfunk und Fernsehen läßt sie erneut ins Hintertreffen geraten, weil die Kosten für diese technische Innovation ihre Möglichkeiten übersteigen. Wie die technologische Lücke geschlossen werden kann, ist offen.

  • weiterhin Defizite in der Aus- und Fortbildung von Medienfachleuten vorhanden sind. Neben der allgemeinen journalistischen Aus- und Fortbildung gewinnt die Ausbildung von Medienmanagern an Bedeutung. Es geht darum, wirtschaftlich tragfähige Alternativmodelle für früher staatlich kontrollierte Medien (Staatsfernsehen, staatliche Nachrichtenagenturen etc.) zu entwickeln oder Marketing-Konzepte für das wirtschaftliche Überleben anderer Medien zu durchdenken.

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  • die Entfaltung freier und unabhängiger Medien noch vielfach behindert wird. Dies gilt insbesondere für Basisradios, lokales Fernsehen oder kleine Zeitungen für einen begrenzten Einzugsbereich. Gerade diese Medien tragen zur Pluralisierung der Zivilgesellschaft bei, sind aber mit vielfachen Zwängen konfrontiert: Ihnen werden Lizenzen verweigert, Frequenzen entzogen, Sendeleistungen unzulässig begrenzt, Papier kontingentiert oder Werbemärkte versperrt. Gezielte Förderung und eine internationale Konvention zum Schutz von Kleinmedien könnten Abhilfe schaffen, für mehr Chancengleichheit sorgen und Mediensysteme in Entwicklungsgesellschaften deutlich beleben.

5.9 Genderpolitik und Frauenförderung

Demokratie ist ohne die gleichberechtigte und umfassende Beteiligung der Frauen Stückwerk. Dies gilt für alle Länder gleichermaßen, stellt aber ein besonderes Problem dar in den Gesellschaften, in denen Frauen durch politische Bedingungen, soziale Verhältnisse oder auch traditionelle, kulturelle oder religiöse Faktoren in der Wahrnehmung ihrer Rechte diskriminiert sind. Statistiken der Vereinten Nationen belegen:

  • Frauen sind die Hälfte der Weltbevölkerung;

  • Sie verrichten zwei Drittel der Weltarbeitsstunden;

  • Sie erhalten ein Zehntel des Welteinkommens;

  • Sie besitzen weniger als ein Hundertstel des Welteigentums;

  • Sie machen 70% der absolut Armen aus und

  • Sie verfügen weltweit über weniger als 10% der hohen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsämter.

Die Beseitigung dieses Ungleichgewichts ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Frauen verfügen in vielen Fällen über ein unverzichtbares Potential für die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklungspolitik. Die Stärkung (engl. empowerment) der Frau ist eine grundlegende Voraussetzung für Entwicklung. Ein wesentlicher Bestandteil des Gender-Ansatzes ist dementsprechend die gezielte Frauenförderung.

Übergreifendes Ziel des Gender-Ansatzes ist die Verbesserung der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, damit Frauen und Männer gleichberechtigt an der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Entwick-

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lung ihrer Länder teilhaben können. Die Friedrich-Ebert-Stiftung konzentriert sich dabei im Rahmen ihrer Gender- und Frauenförderung auf:

  • Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungen;

  • Förderung der Organisationsfähigkeit und Interessenvertretung von Frauen;

  • Stärkung der Rechtsstellung von Frauen;

  • Abbau der Diskriminierung von Frauen im Betrieb und am Arbeitsplatz;

  • Verbesserung der Beschäftigungs- und Einkommenssituation von Frauen;

  • Zugang von Frauen zu sozialer Sicherung;

  • Förderung einer frauengerechten Medienberichterstattung;

Frauenpolitische Aktivitäten waren immer Teil der Projektarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Darüber hinaus wurden Frauen ab Mitte der 80er Jahre in zahlreichen Pilotprojekten erstmalig zur ausschließlichen Zielgruppe in der Entwicklungszusammenarbeit der Stiftung. Innerhalb eines breit gefächerten Themenspektrums wie Einkommenserwirtschaftung, Rechtsberatung, Gewerkschaftsarbeit und Stärkung von Führungsqualifikationen von Frauen wurden in der Projektarbeit vielfältige Erfahrungen gesammelt.
[Vgl.: Förderung von Frauen – Leitlinien der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der FES, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1994.]

Seit 1995 ist es explizites Ziel, die Belange von Frauen nicht gesondert zu behandeln, sondern den Gender-Ansatz in jedes einzelne Projekt zu integrieren, d.h. die Rahmenbedingungen eines jeden Landes geschlechtsspezifisch auszuwerten und die Interessen beider Geschlechter in die Projektarbeit zu integrieren. Durch interne Ausbildungsprogramme und Studiengruppen mit internationaler Beteiligung wird seither der Versuch unternommen, Gender-Politik in allen Kooperations- und Programmbereichen wirksam werden zu lassen.
[Christiane Kesper (Hrsg.): Gender in Trade Union Work – Experiences and Challenges, „Gender" in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit, No. 1; Women in Politics: Limits and Possibilities – The Philippine Case, No. 2; Women and Trade Unions, The Context, the Gains and the Road Ahead – The Philippine Experience, No. 3, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1998.]

[Seite der Druckausg.: 62]

5.10 Internationale Demokratiekooperation

Die mit dem Prozeß der "Globalisierung" einhergehende zunehmende Interdependenz der Staaten hat einen Bedeutungswandel "nationaler Politik" bewirkt, ohne damit aber staatliche Politik obsolet werden zu lassen. Demokratie verwirklicht sich nicht ausschließlich im Rahmen und unter den Bedingungen nationaler Politik. Regionale Gemeinschaften oder Bündnisse, internationale Organisationen und Regime bestimmen zunehmend den Rahmen für nationale Politik. Sie unterliegen Gestaltungsnotwendigkeiten und eröffnen politische Möglichkeiten, die demokratische Beteiligung erfordern. Die Begrenzung der Reichweite und Problemlösungskapazität nationaler Politiken hat die Bedeutung internationaler Handlungsebenen und Kooperationsverfahren verstärkt ("global governance"), die sich im wesentlichen in drei Bereichen vollzieht:

  • durch verstärkte zwischenstaatliche Kommunikation und Kooperation,

  • durch die Definition von (verbindlichen) Normen, Werten und Zielen für internationale Politik,

  • durch die Entwicklung von "Regimen" und Institutionen der globalen Politik.

Alle drei Ebenen sind auf funktionsfähige, demokratisch verfaßte nationale Politik angewiesen, denn "global governance" intendiert nicht eine "Weltregierung" mit einem entsprechenden Erzwingungspotential, sondern basiert auf partizipativen und kooperativen "Netzwerken" zwischen Staaten, an denen neben staatlichen Institutionen zunehmend nichtstaatliche Akteure (Wirtschaft/NGO, Bürgerbewegungen, Verbände/internationale Organisationen etc.) beteiligt sind, die dieser Form internationaler Politik eine neue Qualität vermitteln und die "andere Seite der Globalisierung" darstellen.

Die Ermöglichung demokratischer Politik auf den jeweils nationalen Ebenen und die Ausweitung der (zivil-)gesellschaftlichen Partizipation bleibt damit Schwerpunkt der Stiftungstätigkeit, die aber notwendigerweise ihre Erweiterung erfahren muß durch Kooperationen zwischen Staaten und gesellschaftlichen Organisationen im regionalen und internationalen Kontext. Staaten und gesellschaftliche Organisationen zu befähigen, nicht nur nach innen demokratisches Zusammenleben zu gestalten, sondern sich an den Prozessen einer "globalen Politik" zu beteiligen, wird daher zu einer immer wichtigeren Aufgabe.

[Seite der Druckausg.: 63]

Die Stärke der Stiftung liegt in ihrer Fähigkeit, auf der Basis des dichten internationalen Vertretungsnetzes und der jeweiligen Kooperationsbeziehungen die nationalen Handlungsebenen mit regionalen und internationalen zu verbinden und damit Beiträge zu einer neuen Qualität verdichteter Beziehungen zu leisten, die geeignet sind, einen Ordnungsrahmen für die globalisierte Wirtschaft, den Interessenausgleich zwischen den Staaten und Regionen und zur Lösung globaler Zukunftsfragen zu bieten. Für die FES ergeben sich vor dem Hintergrund ihres internationalen Vertretungsnetzes und der langjährigen Erfahrungen folgende Aufgabenstellungen:

  • Umsetzung internationaler Pakte, Vereinbarungen und Normen in die jeweilige nationale Politik. Zusammenarbeit mit Parlamenten, gesellschaftlichen Akteuren, Gewerkschaften, NGOs und Verbänden bei der Information, Verbreitung und rechtlichen Ausgestaltung internationaler Verpflichtungen. Unterstützung bei der Wahrnehmung internationaler Vertretungsaufgaben.

  • Behandlung zentraler Themen der internationalen Kooperation auf regionaler Ebene (z.B. SADC, ASEAN, SAARC, MERCOSUR etc.) und die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure. Beiträge zur Umsetzung universeller Normen und internationaler Vereinbarungen auf die konkreten Bedingungen sozio-ökonomisch, kulturell und politisch nahestehender und aktionsfähiger Räume.

  • Unterstützung von internationalen, regionalen und sektoralen Organisationen und Netzwerken, die dem Partnerspektrum angehören oder dem Auftrag der Stiftung zugänglich oder verbunden sind. Beiträge zur Arbeits- und Aktionsfähigkeit von Partnerorganisationen auf internationalen oder regionalen Ebenen. Behandlung zentraler Themen im internationalen "FES-Netzwerk" und Kooperation mit internationalen Organisationen (z.B. Beteiligung bei der Umsetzung von UN-Gipfeln, ILO-Konventionen, Agenda 21 etc.).

  • Beteiligung der Stiftung als deutscher Organisation mit internationaler Kompetenz bei der Wahrnehmung der deutschen Verantwortung und Interessen auf internationaler Ebene. Die staatlich wahrgenommene internationale Politik benötigt die Ergänzung und Erweiterung durch Beiträge zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die Kooperationsmöglichkeiten mit nationalen staatlichen Akteuren haben in den letzten Jahren zugenommen. Hier, in Einbeziehung und unter Nutzung des internationalen FES-Netzwerkes und der Kontakte der Stiftung zu internationalen Organisationen, bietet sich die Möglichkeit, an der

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    Ausgestaltung von Politik auf internationalen Ebenen in den für die Stiftung und ihr nationales und internationales Partnerschaftsnetz wichtigen Themenfeldern mitzuwirken.

Die Unterstützung internationaler zwischenstaatlicher Kooperation und insbesondere von arbeitsfähigen Netzwerken zivilgesellschaftlicher Organisationen hat einen eigenständigen Stellenwert. Die Stiftung bleibt im Kern in diesem Bereich weitgehend auf die Partnerstrukturen begrenzt, mit denen auf den nationalen Ebenen die Schwerpunkte der Programmarbeit stattfinden. Allerdings ergeben sich zunehmend neue Allianzen in Reaktion auf die globalen Herausforderungen und in der Umsetzung internationaler Vereinbarungen auf den nationalen Ebenen (z.B. in einer Annäherung von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen bei wirtschaftlichen und sozialen Rechten), die seitens der FES gefördert werden kann. Gewerkschaften, politische Parteien und gesellschaftspolitische Organisationen (Menschenrechte, Frauen, Sozialpolitik, Umwelt), Interessenvertretungen und Verbände, Kommunalorganisationen, Medien/Journalisten, aber auch politik- und wirtschaftswissenschaftliche Institute und Vereinigungen machen diesen Kern des FES-Partnernetzes aus. Sie verfügen teilweise bereits über regionale und/oder internationale Kooperationsstrukturen, in deren Rahmen die Arbeit im FES-Auslandsbüro- und Partnernetz intensiviert werden kann. Internationale Demokratieförderung ist auf diese Zusammenarbeit von Demokraten und demokratischen Organisationen in internationalen Netzwerken angewiesen, nur hier findet sie ihre Begründung, wenn sie mehr sein soll als interessengeleitete Intervention.

[Seite der Druckausg.: 65]

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6. Arbeitsteilung der EZ-Organisationen

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist dezentral, subsidiär und pluralistisch organisiert. Dies gibt ihr einerseits eine besondere Qualität und Zielgenauigkeit, wird gleichzeitig aber häufig als ineffizient, unkoordiniert und konzeptionslos kritisiert. Im Bereich der Demokratieförderung gibt es bereits heute in der Praxis positive Beispiele der Kooperation und Arbeitsteilung zwischen politischen Stiftungen und staatlichen Trägern (wie GTZ, KfW, DSE u.a.). Diese erfolgt in "sequentieller" oder "paralleler Komplementarität", d.h., entweder werden unterschiedliche Phasen eines Programms von verschiedenen Trägern begleitet, oder es werden gleichzeitige und abgestimmte Maßnahmen durchgeführt, die einem gemeinsamen Ziel dienen. Zwischen den (5) politischen Stiftungen und der GTZ wurde eine kooperative Zusammenarbeit verabredet und (1996) entsprechende Vereinbarungen getroffen.

Stiftungen können in Politikbereichen tätig werden, die staatlichen Trägern in der Regel nicht in gleicher Weise zugänglich sind; sie können Politiken anstoßen und vorbereiten, während die Umsetzung in der Regel Ressourcen voraussetzt, welche die Möglichkeiten der Stiftungen weit übersteigen. Diese sind in manchem flexibler, schneller handlungsfähig und können in bestimmten Konstellationen auch risiko- und konfliktbereiter sein als staatliche Träger, die an zwischenstaatliche Vereinbarungen gebunden sind und in direkter Weise dem außenpolitischen Beziehungsgeflecht zugerechnet werden.

Die Arbeitsteilung kann dabei nicht rein formal oder funktional vorgenommen werden. Notwendig ist die möglichst praxisnahe, die konkreten Bedingungen und komparativen Möglichkeiten berücksichtigende Abstimmung und Koordination. Koordination kann angesichts des zur Demokratieförderung notwendigen Pluralismus nicht zentrale Steuerung oder Umsetzung eines "Drehbuches" bedeuten. Es geht um einen komplexen Beratungs- und Abstimmungsprozeß, um einen offenen Informationsaustausch, der den politischen Stiftungen den notwendigen Freiraum für ihre originären Aufgaben sichert und ihre Tätigkeit in den politisch sensiblen Bereichen nicht gefährdet. Die für die Stiftungen wichtige Partnerorientierung macht es erforderlich, daß die Eigenverantwortung der Partner respektiert wird und diese nicht in die Gefahr der Kompromittierung

[Seite der Druckausg.: 66]

durch Einbindung in staatliche Programme gebracht werden. Aus Sicht der Stiftungen muß das Subsidiaritätsprinzip zur Leitlinie der Abstimmung und Arbeitsteilung gemacht werden, das den grundsätzlichen Vorrang der nichtstaatlichen Organisationen für den Bereich des pluralistischen Angebots gesellschafts- und sozialpolitischer Beratung bekräftigt und die Verpflichtung enthält, vor Aufnahme neuen Projektengagements die Zustimmung bereits tätiger Träger sicherzustellen. Dabei sind Verdrängungswettbewerb und materielle Konkurrenz zu vermeiden.

Die Grenzen und Risiken direkter Intervention zur Durchsetzung von Demokratie sind unübersehbar. Feststellbar ist aus der Arbeit der Stiftungen, daß in den letzten Jahren bei den Partnern die Empfindlichkeit gegenüber ausländischer Beteiligung in diesen sensiblen Feldern, die zentrale Bereiche der Innenpolitik betreffen, eher zugenommen hat – nicht nur in Asien oder islamischen Ländern und jenseits von allgemeinen Bekenntnissen zu Demokratie und Pluralismus. Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrisen haben diese Reaktion verschärft, da sie häufig als systematische und gezielte Ausübung wirtschaftlicher und politischer Macht seitens des "Westens" interpretiert werden und positive Erfahrungen mit marktwirtschaftlicher Ordnung und pluralistischer Demokratie weithin für die Mehrzahl der Menschen ausgeblieben sind.

Realistischerweise darf man daher erwarten, daß sich für die staatliche Entwicklungsarbeit bedeutende, gleichzeitig jedoch begrenzte Arbeitsfelder in solchen Ländern eröffnen, die dies ausdrücklich zum Thema bilateraler Entwicklungszusammenarbeit machen. Sie werden in der Regel eher in der Nähe der Ebene des Regierungshandelns als in der direkten gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit angesiedelt sein – und hier ihren positiven Beitrag leisten für die Funktionsfähigkeit der Institutionen und Verfahren, die den Rahmen des demokratischen Prozesses abgeben.

Zwischen den aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finanzierten oder geförderten staatlichen und privaten Trägern, den Nichtregierungsorganisationen, kirchlichen Werken und parteinahen politischen Stiftungen besteht in Grundfragen der Demokratieförderung ein tragfähiger Konsens über die Ziele und Verfahren, der ohne direkte Lenkung, in offener Kommunikation und Koordination ein qualitativ angemessenes und effektives Angebot einer pluralistischen Kooperation bereithält. Aber sie

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sind in diesem Feld nicht die einzigen. Demokratieförderung ist "modern" und wird international in einer Vielzahl unterschiedlicher Modalitäten und Wertvorstellungen betrieben. Hier sind Belastungen und negative Reaktionen zu erwarten, auch wenn richtig sein kann, daß Wettbewerb zwischen den Trägern der Demokratisierungshilfe eher "ein effizienzsteigerndes Element sein wird, wenn die gegenwärtige Expansionsphase vorüber ist, Dann werden ineffiziente Träger der Demokratisierungshilfe dem Wettbewerb mit anderen Institutionen nicht standhalten können."
[Vgl. Stefan Mair.]

Demokratisierungshilfe bleibt jedoch begrenzt in ihrer Wirksamkeit. Sie ist wesentlich indirekt, unterstützend und vermittelt und von Rahmenbedingungen abhängig, auf die ein direkter Einfluß kaum gegeben ist. Wirtschaftliche und politische Faktoren und Konflikte haben ihr Eigengewicht, auch nationale und politische Konkurrenz. Aber ohne den Versuch einer internationalen Abstimmung kohärenter Politiken und ohne wirtschaftliche und soziale Beteiligung und den Interessenausgleich zwischen den und innerhalb der Staaten bleiben Entwicklung und Demokratie gefährdet – und Demokratieförderung eine "Sisyphusarbeit".

[Seite der Druckausg.: 68 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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