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TEILDOKUMENT:




Demokratisierung und Menschenrechte: Handlungsmöglichkeiten, Arbeitsteilung und Kooperation zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit *
Ernst-J. Kerbusch**

[* = Kurzreferat am 28.10.1997 im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bonn.]
[** = Leiter der Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung.]

[Seite der Druckausg.: 7]

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Förderung von Demokratie – Aufgabe der politischen Stiftungen

Zentrale entwicklungspolitische Aufgabe der politischen Stiftungen ist Demokratieförderung. Alle entwicklungspolitischen Aktivitäten müssen sich an dem hohen Anspruch dieser Zielsetzung messen lassen. Dabei haben wir im Verlauf der jetzt mehr als 35-jährigen Erfahrung mit diesem Arbeitsbereich gelernt, daß Demokratieförderung nicht Modell-Übertragung sein kann, schon weil es keine Modell-Demokratie und noch weniger ein allgemein gültiges Demokratiemodell gibt.

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Zum Inhalt der Demokratieförderung

Demokratisierung ist immer ein langwieriger Prozeß soziokultureller und strukurell-institutioneller Transformation. Beide Elemente bedürfen der eigenverantwortlichen Gestaltung in den im Entwicklungsprozeß stehenden Ländern selbst. Aus dieser Erkenntnis heraus bestimmt sich das Partnerverständnis der politischen Stiftungen in ihrer internationalen Arbeit: Demokratie kann man nicht verordnen – das ist übrigens der Titel eines Beitrages zur Demokratieförderungsarbeit, den mein Kollege Erfried Adam Mitte des Jahres 1996 in E+Z veröffentlicht hat und in dem er in etwas ausführlicherer Form "das mühsame Geschäft der Demokratieförderung politischer Stiftungen" beschrieben hat.

[Seite der Druckausg.: 8]

Um dem hehren Anspruch internationaler Demokratieförderung in der praktischen Projektarbeit gerecht werden zu können, ist es erforderlich, das Gesamtkonzept Demokratie auf seine wesentlichen Bestandteile herunterzubrechen: Partizipation, Pluralismus, Rechtssicherheit, die Einhaltung der Menschenrechte, aber auch die Freiheitsrechte, ohne die sie nicht zu verwirklichen sind: Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit, um nur einige zu nennen.

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Zur Rolle des Staates

Diese wenigen Bestandteile von Demokratie machen bereits deutlich, daß Demokratie nicht schon durch das Abhalten von Wahlen entsteht, und seien sie noch so allgemein, frei und fair. Sie ist auch nicht durch den Staat allein zu gewährleisten, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Damit will ich die Rolle des Staates keineswegs gering bewerten. Es ist meine feste Überzeugung, daß nur ein starker Staat die Voraussetzungen für Demokratie und good governance für seine Bürger gewährleisten und sichern kann. Im Weltbankbericht 1997 zur Rolle des Staates steht dazu viel Richtungweisendes. Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist der Nachtwächterstaat radikalliberaler ordnungspolitischer Vorstellungen out. Übrigens ist nach aller Erfahrung auch nur ein starker Staat in der Lage, sich da zurückzunehmen, wo er nicht gebraucht wird. Ein schwacher Staat ist auch dazu zu schwach.

Stark kann ein Staat zwar auch als totalitäre oder autoritäre Diktatur allein aufgrund des Machtmonopols sein. Verläßliche und dauerhafte Stärke verleiht nach aller Erfahrung aber nur die Zustimmung der Bürger. Gesellschaftlich und institutionell funktionierende Demokratie ist am ehesten in der Lage, die unverzichtbaren Staatsfunktionen erfolgreich auszufüllen und auf die verzichtbaren zu verzichten.

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Zur Rolle der Zivilgesellschaft

Die wesentlichen Elemente von Demokratie müssen sich jedoch in der zivilen Gesellschaft entwickeln. Partizipation bedeutet nicht nur Wahlbeteiligung, sondern auch Beteiligung am sozialen, kulturellen und Wirtschaft-

[Seite der Druckausg.: 9]

liehen Leben – Armutsbekämpfung, Beiträge zu Grundbildung sowie Aus- und Fortbildung, Förderung wirtschaftlicher Aktivitäten in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, Kleinindustrieförderung, Maßnahmen zur gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen. Beiträge zur Entwicklung unabhängiger Medien, Forschungsinstitute, Kammern und Verbänden als Interessenvertretungen fördern den Pluralismus. Erst kodifiziertes Recht gibt Rechtssicherheit, erst das Vorhandensein von Institutionen der Rechtspflege in erreichbarer Nähe schafft Rechtswegegarantien für alle.

Es versteht sich von selbst, daß sich die zivile Gesellschaft mit Instrumenten der Interessenvertretung ausstatten muß, um praktische Demokratie – vor allem nichtgewaltsame Verfahren zur Austragung von gesellschaftlichen Konflikten – verwirklichen und umsetzen zu können: Parteien, Gewerkschaften, Verbände sind hier die Stichworte. Auch für diese Institutionen gilt, daß nicht Modelle, sondern die Verhältnisse vor Ort den Lösungsweg vorgeben müssen. Ethnische, religiöse, traditionelle Differenzierungen in der Bevölkerung können ganz andere Antworten erfordern als sie die klassischen europäischen Demokratien geben (obwohl wir, wenn wir z.B. nach Nordirland schauen – vom ehemaligen Jugoslawien ganz zu schweigen – manchmal zur Kenntnis nehmen müssen, daß Afrika ganz nah ist!)

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Zur Rolle der Wirtschaft

Wirtschaft ist in besonderer Weise durch Interessengegensätze gekennzeichnet. Wie bei der politischen Auseinandersetzung ist der Königsweg der immer wieder neu auszuhandelnde Kompromiß. Soziale Marktwirtschaft, gestaltet durch die Sozialpartner bei durch den handlungsfähigen Staat gesetzten entwicklungsfördernden aber gleichzeitig die Schwachen vor der Marginalisierung schützenden Rahmenbedingungen, hat sich als besonders erfolgreich erwiesen. Das gilt sogar für politisch nicht demokratisch verfaßte Staaten. Wirtschaftliche Freiheiten fördern das Verlangen nach politischen Freiheiten. Eine Garantie für politische Demokratisierung sind sie nicht.

Marktwirtschaftliche Orientierung verbessert somit die Chancen der politischen Demokratie – sie kann diese aber auch wieder in Frage stellen, wenn

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die wirtschaftliche und soziale Teilhabe nicht gelingt. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind damit bedeutende Elemente der Demokratieförderung.

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Zu den Themen und Akteuren

Die Vielzahl der Themen, die ich als unverzichtbare Bestandteile der Demokratieförderung hier ausgebreitet habe – ohne daß ein Anspruch auf auch nur ansatzweise Vollständigkeit bestünde – machen eines deutlich: Der größte Teil unserer Entwicklungszusammenarbeit – und mit unserer meine ich alle staatliche und nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit insgesamt – steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept der Demokratieförderung. An gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Entwicklung hohe Anforderungen zu stellen ist so gesehen Teil einer arbeitsteiligen Demokratieförderung: Bildung und Emanzipationsbemühungen an der Basis machen die Menschen demokratiefähig; der Aufbau von Gewerkschaften, Parteien und sonstigen Interessenverbänden ermöglicht Pluralismus, Verwaltungsförderung bis hin zu Budgethilfen können "good governance" bewirken. Da ist von der kleinsten "one issue NGO" bis zur staatlichen oder gar multilateralen Kooperation jeder mitverantwortlich dafür, daß nicht autoritäre oder gar totalitäre Tendenzen gefördert werden, sondern der Weg zu mehr Öffnung und Demokratie. Die Vielzahl der Verantwortlichkeiten erfordert ein Mindestmaß an Abstimmung insbesondere zwischen den großen Organisationen. Die gelegentlich vorgebrachte Forderung nach Koordinierung halte ich wegen der ungeheuren Breite und Vielschichtigkeit der Aufgabe nicht für angemessen. Eine Aufgabenverteilung nach exklusiven Zuständigkeiten ist auch gar nicht möglich – zu sehr überlappen und verwischen sich die Ziele und Inhalte der verschiedenen Ansätze. Aber es gibt natürlich komparative Vorteile einzelner Organisationen: Flächendeckende Großprojekte können nur von staatlichen (oder multilateralen) Organisationen betrieben werden, denen dafür in der Regel das Wirken an der Basis (bei den Ärmsten der Armen) nicht oder nur mittelbar möglich ist. Das ist also NGO-Terrain.

Kirchliche Organisationen und politische Stiftungen andererseits können oft flexibel auf Anforderungen aus der Zivilgesellschaft heraus reagieren. Sie müssen nicht auf die Interessen staatlicher Stellen Rücksicht nehmen, was staatliche Zusammenarbeit in der Regel tun muß.

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Einmischung ist für die politischen Stiftungen geradezu Teil ihres Auftrags. Und wo es um die Auseinandersetzung, um verschiedenartige Wertvorstellungen und daraus folgend letztlich auch um Machtfragen in Gesellschaften geht, ist staatlicher Zusammenarbeit endgültig eine Grenze gesetzt, will sie nicht den Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten riskieren.

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Zu den Abstimmungsverfahren

Um die richtigen (und dann am Ende in den Ländern, in denen wir arbeiten, auch funktionierenden) Abstimmungsverfahren ist in der Bundesrepublik ja seit langem diskutiert und gelegentlich auch heftig gestritten worden. Ich halte das für einen positiven Aspekt gerade der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Es ist doch allemal besser (auch partizipativer, pluralistischer und freier), über Streit, Debatte und Kompromiß zu guten Lösungen zu kommen, als über "ex-cathedra Entscheidungen" sogenannter höherer Instanzen mit Koordinierungsauftrag.

Zugegeben – auch zwischen den politischen Stiftungen und der GTZ knirscht es gelegentlich noch, aber eben nur gelegentlich. In Dutzenden von Fällen (oft wissen die Zentralen nicht einmal im Detail davon) funktioniert die Zusammenarbeit glänzend.

Ich darf an dieser Stelle den jeweils zuständigen Stellen im BMZ ein Kompliment machen: Den Streit geduldig moderiert zu haben war vom Ergebnis her viel besser, als wenn man nach dem Motto "wer zahlt, entscheidet" jedem seine Spielwiese zugeordnet hätte.

Aber das bleibt natürlich eine dauernde Aufgabe: Wo die Finanzvolumina so ungleich sind, richtet der Markt eben nicht alles, und da muß gelegentlich auch bei uns auf die Rahmenbedingungen Rücksicht genommen werden.

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Zum Begriff

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Begriff der Demokratieförderung. Trotz des Herunterbrechens auf leichter konkretisierbare Ziele

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(Partizipation, Pluralismus, Rechtlichkeit, Freiheiten u.s.w.) bedarf unsere Beurteilung des Wandels einer angemessenen Bescheidenheit. Jeder Ansatz, der ein wenig mehr Partizipation ermöglicht, dem Pluralismus ein wenig mehr zum Durchbruch verhilft, Minderheiten schützt, den Weg zur Einforderung von Rechten ebnet, ist ein Stück Demokratieförderung und bleibt es übrigens auch, wenn es gelegentlich Rückschläge geben sollte: China 1989, Kenia heute, das wie kein anderes Land der Welt von Krieg, Gewalt und Unterdrückung gebeutelte Kambodscha mögen hier als Beispiele genügen.

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Zu den Kriterien

Und eine allerletzte Bemerkung betrifft die Kriterien, die Selektivität und nicht selten auch den Opportunismus, mit dem wir Demokratieförderung bewerten. Außenpolitik ist im guten wie im schlechten Sinne die Vertretung der Interessen von Nationen – und daß Entwicklungspolitik auch Außenpolitik ist, kann wohl niemand in Zweifel ziehen.

Wir werden deshalb immer – egal, wer hier regiert – auf Menschenrechtsverletzungen und andere Verstöße gegen demokratische Regeln anders reagieren, wenn sie von politisch und ökonomisch starken und wichtigen Ländern begangen werden, als wenn sie in kleinen und schwachen geschehen. Guatemala abzustrafen ist allemal leichter als Indonesien oder gar China.

Dies zu verstehen würde den Rahmen des Beitrags sprengen – man muß das nur immer im Hinterkopf behalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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