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TEILDOKUMENT:
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Frau Enriquez begann mit einer Schilderung der ökonomischen Probleme in Asien, wie sie sich aus der Sicht der Frauen in den letzten Monaten darstellt. Sie legte Wert auf die Feststellung, daß die momentane Asienkrise mehr sei als nur eine finanzielle Störung. Es handele sich vielmehr um eine Krise des gesamten ökonomischen Modells des globalisierten Systems offener Märkte. Die Krise erstrecke sich weit über die Auswirkungen von spekulativen Geschäften hinaus. Die derzeit praktizierte Wirtschaftspolitik habe sich als äußerst verletzlich und gleichzeitig als hohl in Bezug auf die landwirtschaftliche und lokale Produktion erwiesen. Gerade die Tatsache, daß die asiatischen Ökonomien stark auf den Zufluß von ausländischem Kapital angewiesen seien, verursache diese Verletzlichkeit. Jetzt sei auf den Philippinen eine Debatte entstanden, in der es um die Frage gehe, ob die derzeitige Politik fortgesetzt werden solle. Solle man weiter auf ausländische Direktinvestitionen setzen oder auf ein Wirtschaftswachstum, daß von den lokalen Ressourcen gespeist werde. Auch die radikale Option", den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr zu limitieren, werde diskutiert. Diese Option rufe natürlich den Internationalen Währungsfonds (IWF) auf den Plan. Im Verlaufe der Diskussion habe sich dieses Problem als eine ideologischen Frage erwiesen.
Für die Frauen stellten sich die Auswirkungen der derzeitigen Krise als besonders gravierend heraus. Der neoliberale Diskurs habe sowieso nie zwischen dem verschiedenen Status von Männern und Frauen differenziert. Das gelte sowohl für die innerhalb des Marktes, wie für die in der informellen Ökonomie agierenden Menschen. Die ökonomische Diskus- [Seite der Druckausg.: 22 ] sion sei blind für die historische Tatsache, daß die Frauen immer der sozialen Sicherheit gedient haben. Sie arbeiteten auf den Feldern anstatt in einem bezahlten Job. Wenn sie im formellen Sektor Beschäftigung fänden, würden sie gezwungen, ohne die üblichen Sozialleistungen und zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Viele würden auch dazu getrieben, in Übersee zu arbeiten - nicht nur, um das Familieneinkommen zu steigern, sondern auch, um den stetigen Fluß harter ausländischer Währungen in die Philippinen zu sichern. Frauen arbeiteten nach wie vor im Gesundheits- und Erziehungswesen, obwohl die Regierung - in Übereinstimmung mit dem IWF - die entsprechenden Budgets ständig kürze. Viele philippinische Frauen seien - nicht nur, aber auch im Ergebnis der Krise - gezwungen, das Land als nicht registrierte Arbeitskräfte zu verlassen. Menschenhändler und illegale Anwerber nützten diese Situation als fruchtbaren Boden für ihre Aktivitäten. Bis heute seien 94 % aller philippinischen Arbeiter in Japan Frauen. Die meisten arbeiteten in der Unterhaltungsindustrie. Seit Juli 1997 hat die australische Botschaft in den Philippinen 690 Visa für Ehegattinnen oder Verlobte ausgestellt. Auch nach Deutschland kämen viele philippinische Frauen auf diesem Wege. Bestellfirmen für diese Frauen seien in das Internet ausgewichen. Dies liege auch daran, daß die Philippinen 1990 die den Frauenhandel und sexuelle Dienstleistungen betreffenden Gesetze verschärft haben.
Erfahrungen aus landesweiten Kampagnen haben gezeigt, daß die beliebteste Exportroute über Malaysia verlaufe. Das Einzige, was die Mädchen können müssen, sei schwimmen, um vom Schiff ans Ufer gelangen zu können. Auch die Erfahrungen von Sozialarbeitern in Manila haben erwiesen, daß - unabhängig von der Wirtschaftskrise - die Nachfrage der Männer nach sexuellen Dienstleistungen konstant sei. Sie komme hauptsächlich, aber nicht ausschließlich aus der Mittelklasse. [Seite der Druckausg.: 23 ]
In diesem Zusammenhang müsse auch an die 22 philippinischen Häfen erinnert werden, die der US-Marine zur Zeit für Manöver, aber auch für Rest and Recreation" zur Verfügung stehen. Die philippinische Regierung habe scheinbar vergessen, wie viele Tausende von sexuell ausgebeuteten Frauen von der ehemaligen Militärpräsenz der Vereinigten Staaten auf den Philippinen betroffen gewesen seien. Seit dem Abzug der regulären US-Truppen im Jahre 1992 habe die Prostitution in anderen Teilen des Landes zugenommen. Besonders die Boomtowns, wo die Industrialisierungspolitik rasch gegriffen habe, seien betroffen. Diese Städte verfügen heute über eigene internationale Flughäfen. Die Geschäftsleute flögen dorthin, um Geschäfte zu machen, aber auch, um sich zu ,erholen'. Diese Städte seien auch die größten Rekrutierungsorte für junge Frauen und Mädchen, die dann in der japanischen Unterhaltungsindustrie arbeiteten.
Schätzungen liefen darauf hinaus, daß es zur Zeit 400.000 Prostituierte auf den Philippinen gebe, davon 75.000 Kinder. Zum Glück wiesen die Diskussionen über die Prostitution auf den Philippinen mittlerweile über rein gesundheitspolitische, ordnungsrechtliche oder moralische Fragen hinaus. Es werde immer deutlicher, daß es einen Wirkungszusammenhang gebe, der Frauen in die Prostitution treibe. Dieser sei vor allem ökonomischer Natur und begründe sich in der Armut der Betroffenen. Normalerweise stammten diese aus ländlichen Gegenden, seien schlecht oder gar nicht ausgebildet und meist sehr jung. Für diese Argumentation sprächen auch die vielfältigen Beziehungen zwischen der formalen Ökonomie und der Prostitution. [Seite der Druckausg.: 24 ]
Die Empfehlungen, die sich aus dieser wirtschaftlich orientierten Argumentation ableiteten, seien vielfältig. Am wichtigsten sei jedoch:
Solange jedoch die männliche Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen weiter bestehe, werde das Problem im Prinzip weiter existieren. Wesentlich sei in diesem Zusammenhang auch die männliche Sichtweise, die die Frauen instrumentalisiere.
Solange das sexuell aktive, aggressive männliche Verhalten als natürlich definiert werde, können sich die Verhältnisse nicht nachhaltig ändern. Prostitution sei eine extreme Form weiblicher Diskriminierung. Prostitution sei eine Industrie mit Umsätzen von vielen Millionen Dollars. Sie stimuliere die männliche Sexualität und bestätige den Mann in seinem Selbstverständnis, ein Recht auf Sex zu haben. Auf den Philippinen verdiene eine Straßenarbeiterin 500 Pesos und müsse davon 200 für die Miete ausgeben. Solange dies so bleibe, hätten die 50 Prozent der Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollten, kaum eine Chance dazu.
[Seite der Druckausg.: 25 ] Enriquez schloß mit einigen Bemerkungen über die unzulänglichen Strategien, die der philippinische Staat derzeit verfolgt, um die Prostitution einzudämmen. Die Programme griffen nicht nur im Bereich der Legislative zu kurz. So kriminalisiere die philippinische Prostitutionsgesetzgebung nur die Frauen. Die Kriseninterventionsprogramme und andere Serviceleistungen für ausstiegswillige Prostituierte seien nicht nur im materiellen Sinne sehr beschränkt. Es fehle zudem an gut ausgebildeten Sozialarbeitern. Auch fehle der derzeitigen Politik die Verzahnung von mittel- und langfristigen Strategien. Die Interventionsprogramme würden nicht mit langfristig angelegten Maßnahmen unterstützt. Eine vorbeugende Politik sei dringend geboten. Die Prostitution müsse dringend legalisiert werden, um die Arbeitsbedingungen der Frauen zu verbessern und sie vor Gewalt zu schützen. Statt dessen müsse sich die Strafverfolgung auf die Menschenhändler, Barbesitzer und Zuhälter, aber auch auf die Freier konzentrieren. Wichtig seien darüber hinaus Erziehungsmaßnahmen, die auf eine langfristige Veränderung der Geschlechterbeziehungen zielen und den gegenseitigen Respekt von Männern und Frauen fördern. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2000 |