FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 16 ]


2.1. Die Sexindustrie in Thailand

Chantawipa Noi Apisuk


Frau Chantawipa Noi Apisuk aus Thailand machte anhand einiger historischer Bemerkungen deutlich, wie selbstverständlich es mittlerweile geworden ist, Thailand als weltweites Zentrum von Prostitution zu begreifen. Sie ist Mitglied in einer thailändischen Nichtregierungsorganisation (NRO) namens „EMPOWER" (Education Means Protection Of Women Engaged in Recreation )- zu Deutsch etwa: Erziehung bedeutet Schutz der Frauen, die in der Unterhaltungsbranche tätig sind. Diese Basisorganisation mit Sitz in Bangkok und Chiangmai bildet Frauen in Lesen und Schreiben, aber auch in den wichtigsten Fremdsprachen aus oder sorgt für Begegnungen zwischen ihnen und der Polizei, um sie über ihre grundlegenden Rechte aufzuklären. Doch werden zum Beispiel auch Treffen mit Medizinstudenten arrangiert, damit sich beide Seiten besser verstehen. Darüber hinaus ist EMPOWER auch in einkommensschaffenden Maßnahmen engagiert.


Erläuterung eines englischen Wörterbuches zu Bangkok:
„Dort gibt es viele Prostituierte"

Apisuk begann mit einem Beispiel. 1993 sei das englische Wörterbuch von „Longman" mit folgender Erläuterung zur Stadt Bangkok erschienen: „Die Hauptstadt und der wichtigste Hafen Thailands.

Hinweis
Das Foto der Druckausgabe (Seite 16) kann leider
in der Online-Version nicht wiedergegeben werden.


Die Stadt ist berühmt für ihre Tempel und

[Seite der Druckausg.: 17 ]

andere schöne Gebäude und wird auch oft als ein Platz erwähnt, wo es viele Prostituierte gibt." Die thailändische Regierung sei darüber so erzürnt gewesen, daß sie eine Protestnote an die britische Botschaft gesandt habe, in der die Entfernung der Passage aus dem Wörterbuch gefordert wurde, da sie die thailändische Nation beleidige. Dennoch „kann niemand eine klarere Definition davon geben, was Bangkok ist".

Bereits drei Jahre vorher - 1990 - sei in einem von der BBC verbreiteten Film namens „Fremder Körper" bestätigt worden, daß Thailand ein großer Markt für den Verkauf von Sex in diesem Jahrhundert sei. Der Film habe das Land darüber hinaus auch als einen Ort bekannt gemacht, wo Kinderprostitution und Kinderhandel üblich seien. Auch Lieder wie der 1986 entstandene Song „One Night in Bangkok" hätten die thailändische Regierung aus der Fassung gebracht. Der Popsong habe sich auf die Kampagne der Regierung zur Förderung des Tourismus bezogen. Während der Name dieser Aktion „Jahr des Thailand-Besuchs" gelautet habe, sage das Lied, es reiche eine Nacht in Bangkok, um es kennenzulernen.


Mehrere Generationen von Bediensteten im amerikanischen R&R-Programm

Im Weiteren wandte sich Frau Apisuk der Frage zu, wann die Sexindustrie in Thailand entstanden sei. Sie grenzte diesen Begriff sorgfältig von der Prostitution ab, die es nach Aussage vieler Thailänder „schon sehr lange" gebe. Doch die Entstehung einer regelrechten Industrie datierte sie auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Während des Vietnam-Krieges von 1962 bis 1976 betrieben die US-Amerikaner ihr „R&R-Programm" (Rest and Recreation; übersetzt etwa Ruhe und Erholung) in dem südost-asiatischen Land. In dieser Zeit verdienten, so Apisuk, „Tausende von Dörfern" ihren Lebensunterhalt mit der Arbeit für die US-Soldaten.

[Seite der Druckausg.: 18 ]

Um die Entstehung der thailändischen Unterhaltungsindustrie greifbarer zu machen, bediente sich Apisuk der Geschichte eines beispielhaften Einzelfalles:

„Die junge Dao war stolz auf ihre Tante Porn. Immer wenn die Tante von der Arbeit nach Hause kam, hatte sie etwas Geld, das sie der Familie geben konnte. Heute abend waren es 2000 Bath, was damals einem Betrag von etwa 100 US-Dollar entsprach. Das Geld wurde dringend gebraucht, um das Dach des Hauses zu reparieren und es so auf die bevor stehende Regenzeit vorzubereiten. Porn erzählte allen, daß sie einen guten Job bei den Fremden auf dem Luftwaffenstützpunkt gefunden habe.

1965 wurde Dao 15 Jahre alt und die Tante sagte ihr, daß sie noch ein paar Jahre warten müsse, bis sie mit ihr zur Arbeit kommen könne. Ab 1970 ging Dao zusammen mit Porn zur Arbeit auf dem Luftwaffenstützpunkt. Später waren ihre Freundinnen, Nachbarn, der Onkel und sogar die Tochter des Dorfvorsitzenden auf der Basis beschäftigt. Viele aus Daos Heimatort waren dorthin gezogen, um zu arbeiten. Sie verdingten sich als Tellerwäscher, Putzfrauen, Bauarbeiter, Tänzerinnen, Sängerinnen, Kellner und Kellnerinnen, Barmänner, Fahrer, Gärtner, Hausmeister und Hausfrauen - gemietete Ehefrauen.

Dao kehrte 1973 nach Hause zurück und kaufte der Familie ein Stück Land von 15 Rai (rund 1,5 Hektar), gab ihrem jüngeren Bruder einiges ihrer Ersparnisse, damit er zur Schule gehen konnte. Einen weiteren Teil hielt sie zurück, damit sich die Familie kein Geld vom Dorfchef leihen müsse, falls jemand krank würde. So weit die Geschichte von Dao."


Entstehung der Sex-Industrie mit dem Ende des Vietnam-Krieges

Als der Vietnam Krieg im Jahr 1975 endete, seien die Militärstützpunkte in Thailand jedoch ausnahmslos geschlossen worden, was rund 70.000 Menschen arbeitslos machte. Mehr als die Hälfte von ihnen seien Frauen gewesen, die im Unterhaltungsgeschäft tätig gewesen seien. Diese als R & R-Pro-

[Seite der Druckausg.: 19 ]

gramm bekannte Industrie sei von der thailändischen Regierung unterstützt worden. Und 1979, so Apisuk, sei dann das „Jahr des Tourismus" ausgerufen worden, um das R & R-Geschäft zu erhalten. Doch die Branche habe sich in den folgenden Jahren zu einer riesigen, landesweit tätigen Industrie ausgewachsen. Nach wie vor bestände die staatliche Politik darin, die Deviseneinkünfte zu erhöhen, indem dieser Geschäftszweig unterstützt werde.

Nicht zuletzt deshalb seien sofort nach dem Abzug der US-Truppen „riesige Gruppen" vor allem deutscher und japanischer Touristen angereist, die einen lukrativen Ersatz für das R & R-Geschäft geboten haben. In den folgenden Jahren entstanden neue Teehäuser, Go-Go-Bars, Massage-Häuser, Friseurläden und Restaurants. Das Geschäft hatte sich von den Luftwaffenstützpunkten weg hinaus nach Bangkok verlagert.


Sexuell übertragbare Krankheiten nehmen stark zu

Eine zehnjährige Studie des „Kontrollzentrums für Infektiöse Krankheiten" in den Jahren 1966-76 habe ergeben, daß sich die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen in diesem Zeitraum verdoppelt hatte. 1979 sei deren Zahl in Thailand auf fünf Millionen angestiegen - bei einer Bevölkerung von damals 60 Millionen Menschen.

Im Juni 1980 habe Thai Rai, die größte Zeitung des Landes berichtet, daß das Land sich zum Welt-Vergnügungspark gewandelt habe. Die Hälfte aller Kunden in Thailand stellten die Touristen, die andere Hälfte Einheimische. 30 Prozent der Kunden seien thailändische Geschäftsleute und 15 Prozent Regierungsangestellte.

An dieser Stelle fuhr Apisuk mit der Geschichte von Dao fort: „Dao weiß, daß Prostitution in Thailand illegal ist. Jeder weiß das, denn Prostitution war schon immer illegal. Dennoch hat Dao ihren Freunden und Nachbarn geholfen, Jobs in der Sexindustrie zu bekommen, damit auch sie ein besseres Leben führen können.

[Seite der Druckausg.: 20 ]


Regierung muß die Unterhaltungsindustrie subventionieren

Jetzt ist das Land in eine tiefe wirtschaftliche Krise gestürzt. Tausende von Sex-Arbeitern verloren ihre Jobs. Dao, die heute eine Bar besitzt, ist über dieses ernste Problem durchaus unterrichtet. Ihr ist auch klar, daß die Regierung es bitter bereuen würde, wenn sie ihre Subventionen für Konferenzen, Unterhaltungsprogramme, Hoteliers und Restaurantbesitzer kürzt. Denn auch die Regierung ist sich über die kritische Lage im klaren: Wenn sie dies tut, fallen genau die Deviseneinkünfte aus, mit denen sie versuchen wollte, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Zu allem Überfluß bleiben aufgrund der Wirtschaftskrise nun auch noch die Einheimischen Kunden mehr und mehr aus - was das Problem zusätzlich verschärft.

Aber was sollen Dao und ihre Freunde tun, um zu überleben? Welche Unterstützung können sie schon erwarten, da Prostituierte und Sex-Arbeiterinnen sowieso immer die Letzten sind, für die soziale Dienste zur Verfügung gestellt werden. Da niemand in Thailand Sex-Arbeiterinnen akzeptiert, gibt es keine Sexindustrie im Land. Die staatliche Politik unterstützt den Tourismus, sie hat die Sexindustrie nie gefördert."


Asienkrise bedroht soziale Grunddienste

Apisuk schloß ihre Ausführungen mit einigen Bemerkungen zu den Budgetkürzungen der Regierung aufgrund der Asienkrise. 1998/99 werde es in Thailand kein Gesundheitsprogramm geben, keine frei erhältlichen Arzneimittel, aber auch keine freie Grundschulerziehung für alle. Kondome seien teuer, AIDS-Patienten bekämen keine kostenfreie Behandlung mehr und Abtreibung bleibe nach wie vor ein Verbrechen. An eine Unterstützung der Arbeitslosen sei erst gar nicht zu denken.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2000

Previous Page TOC Next Page