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Verstümmelung als grenzüberschreitendes Problem - warum wir uns einmischen




Ines Laufer

Als ich vor vier Jahren auf das Thema Genitalverstümmelung gestoßen bin, kursierte die Zahl von 100 Millionen Frauen vor allem in Afrika, die durch das Herausschneiden ihrer Klitoris und Labien verstümmelt werden. Es ist erschreckend, daß solche Praktiken existieren und noch erschreckender, daß in allen Berichten über Hunger, Unterentwicklung, Armut und andere Katastrophen auf dem afrikanischen Kontinent die Existenz dieser Praktiken geflissentlich verschwiegen wurde.

Bei den Reaktionen auf dieses Thema war immer wieder das Stichwort Kultur zu hören. Hier handele es sich um kulturelle Gegebenheiten, in die wir uns nicht einmischen könnten, so die Meinung von Institutionen, Organisationen bis hin zu Wissenschaftlern. Das zeigt, wie heikel dieses Thema ist und wie tief es kulturell und traditionell verankert ist. Erst bei TERRE DES FEMMES gab es Mitstreiterinnen, die couragiert genug waren, das Thema anzufassen. TERRE DES FEMMES hat bereits in den frühen achtziger Jahren Kampagnen durchgeführt, um auf Genitalverstümmelung als Menschenrechtsverletzung hinzuweisen und Handlungsbereitschaft auch hier in Deutschland herzustellen. Das wurde immer wieder heftig - mit dem Verweis auf die andere Kultur - kritisiert. Es gab Vorwürfe wie Rassismus, Kulturimperialismus und Eurozentrismus. Obwohl inzwischen Genitalverstümmelung eindeutig als Gewalt gegen Frauen und damit als Menschenrechtsverletzung charakterisiert ist, gibt es immer noch die Diskussion, ob wir uns einmischen dürfen.

100 Millionen betroffene Mädchen und Frauen

Es hat sicher eine Integration von Genitalverstümmelung in die Kultur, bzw. in die Tradition stattgefunden. Das trägt aber nur einen kleinen Teil dazu bei, daß Genitalverstümmelung beibehalten wird

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und die gesamte weibliche Bevölkerung diesen Praktiken zu unterwerfen. Ich glaube, daß ein sehr perfides System dafür verantwortlich ist. Es fällt auf, daß das Motiv unabhängig von den Ländern identisch ist: Die Jungfräulichkeit der Mädchen und die Treue der zukünftigen Ehefrauen soll bewahrt werden. Jungfräulichkeit und Keuschheit sind für mich Begriffe, die als Synonyme für männliche Herrschaftsansprüche stehen. Sie dienen der Unterdrückung weiblicher Sexualität und dazu, die Fruchtbarkeit von Frauen durch Männer zu kontrollieren. Dieses Motiv allein berechtigt meines Erachtens schon eine Einmischung, weil es genauso inakzeptabel ist wie die Praktiken selber. Die Vorstellung bei der Beschneidung ist, die männliche Vorhaut als weiblichen Teil und die Klitoris als männlichen Teil zu entfernen, um das Geschlecht eindeutig zu definieren. Dabei interessiert mich, was diesen Aspekt der Klitoris ausmacht und komme dabei notwendigerweise auf ihre Funktion, nämlich der Frau sexuelle Lust zu verschaffen und zwar auch unabhängig von ihren Ehemännern. Frauen sollen offensichtlich ausschließlich Nachkommen produzieren.

Vielfältige Repressionen

Durch diese Begründungen, die ganz offiziell genannt werden, wird bereits ein erheblicher Druck auf die Frauen ausgeübt, der sie dazu bringt, ihrer Verstümmelung zuzustimmen. Aber ich glaube, daß allein mit diesen Begründungen eine solche Praxis nicht aufrecht erhalten werden könnte. Die ist vielmehr auf vielfältige Repressionen zurückzuführen, die bei Genitalverstümmelung und andere Gewaltformen angewendet werden. Diese sind sehr effektiv, weil den Frauen permanent gedroht wird, ihnen die Existenzgrundlage wegzunehmen - in Form von sozialer Ächtung, Isolation, Ent-

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zug des Erb- oder Landrechts. Hinzu kommt die Drohung, nicht geheiratet zu werden, wenn sie nicht verstümmelt sind. Dieses extreme Machtgefälle von Männern und Frauen ist zudem gesetzlich verankert und wird mit frauenfeindlichen Ideologien gestützt. Diese definieren Frauen sowohl als minderwertig als auch gefährlich. Auch die Auslegung der Religionen und die daraus abgeleiteten Normen tragen ihren Teil dazu bei, daß so etwas möglich wird. Außerdem werden Frauen aufgewertet, wenn sie sich diesem System unterwerfen oder aktiv an der Aufrechterhaltung beteiligen. Diesem Teufelskreis aus Abhängigkeiten und damit konstruiertem Gewaltpotential begegnen wir im Kontext von Gewalt gegen Frauen immer wieder und ich halte sie für kulturübergreifend und global relevant.

Daß diese Gewalt dann nachträglich in die Kultur eingefügt wird, dient als wesentliche Strategie, das Hinterfragen durch die Opfer zu verhindern.

Schließlich ist die Tabuisierung ein weiterer Faktor, der verhindert, daß die Opfer sich mit ihrer Gewalterfahrung auseinandersetzen und ihre Unterdrückung zu erkennen - was der erste Schritt wäre, sie zu beseitigen. Löst man die Genitalverstümmelung aus diesem pseudokulturellen Kontext heraus, erübrigt sich die Frage nach der Einmischung.

Folgen der Verstümmelung

Was dabei allzu oft übersehen wird, ist die Traumatisierung der Opfer - wie man sie auch im Zusammenhang mit Folter festgestellt hat. Das führt dazu, daß Frauen, die selbst Opfer sind, massiv an den genannten Rechtfertigungen und Begründungen hängen. Das ist eine Überlebensstrategie, die es ermöglicht, dieses persönliche Leid verdrängen zu können. Die Folgen an Gesundheit und Lebensqualität beeinflussen auch die gesamte Entwicklung dieser Länder: Bis zu 30% der Mädchen überleben diese Verstümmelung nicht, sie sterben an Blutverlust, an neurogenem Schock aufgrund der Schmerzen oder an Infektionen. Diejenigen, die überleben, tragen lebens-

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lang an den Folgen: Zysten, Abszesse, chronische Infektionen, die zu Unfruchtbarkeit führen können und Schmerzen bei sexuellem Verkehr.

Ein direkter Zusammenhang zwischen der hohen Müttersterblichkeit in Afrika und Genitalverstümmelung ist bislang noch nicht untersucht worden. Es wäre aber an der Zeit. Ein Vergleich zwischen den afrikanischen Ländern, die diese Praktiken nicht ausführen, das nördliche und südliche Afrika, und den Ländern, die Genitalverstümmelung praktizieren, zeigt, daß die Müttersterblichkeit dieser Länder zwischen 35 und 54% höher ist als in den anderen Ländern. Mehr als zwei Millionen Frauen in Afrika leiden an Fisteln, die sie inkontinent machen, was soziale Folgen hat: Sie werden isoliert, sie sind nicht gemeinschaftsfähig. Man schätzt, daß 50 000 bis 100.000 Mädchen Opfer dieser Fisteln im Zusammenhang mit Geburten werden. Von Nigeria und Äthiopien weiß man, daß dieses Problem sich so ausgeweitet hat, daß spezielle Kliniken dafür eingerichtet wurden.

Außerdem gibt es auch Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Genitalverstümmelung und Aids, weil nicht mit sauberen Instrumenten operiert wird, und weil die immer wieder aufbrechenden Vernarbungen beim Geschlechtsverkehr eine Übertragung von Aids möglich machen.

FGM verhindert Entwicklung

Unter diesen Voraussetzungen ist eine nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern nicht möglich, und deshalb müssen alle Möglichkeiten wahrgenommen werden, um gegen diese Praktiken zu kämpfen.

Und noch ein letzter Aspekt: In allen diesen Ländern gibt es inzwischen Komitees, die sich dafür einsetzen, daß diese Praktiken abgeschafft werden. Wir haben heute selbst drei dieser Frauen als Referentinnen hier.

Es liegt ganz bei uns, diesen Frauen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen und wünschen. Wir haben nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht, logistische, materielle und politische Mittel dafür einzusetzen, daß diese Unterdrückung endlich ein Ende findet.

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Christa Müller

Warum wir uns einmischen? Wir mischen uns ein, weil wir gefragt worden sind. Diese Frage der Einmischung wird übrigens nur in Deutschland gestellt, in unserer Zusammenarbeit mit Afrikanern und Afrikanerinnen hat sie nie eine Rolle gespielt. Es war immer klar, daß unsere Partnerinnen an einer Zusammenarbeit interessiert sind.

Anfrage aus Benin

Ich möchte hier kurz schildern, wie ich zu diesem Thema gekommen bin und warum wir den Verein vor circa zweieinhalb Jahren gegründet haben:

Bei einem Staatsbesuch mit meinem Mann vor viereinhalb Jahren in dem westafrikanischen Land Benin nahm die Frau des damaligen Präsidenten Frau Vyiera Soglo Kontakt zu mir auf. Sie bat um ein Vier-Augen-Gespräch und erzählte mir von den Beschneidungspraktiken in ihrem Land - nicht wissend, daß ich bereits darüber informiert war, daß es sich dabei um einen schweren Eingriff handelt, bei dem viele junge Mädchen sterben. Sie hat mich konkret um finanzielle und organisatorische Unterstützung bei der Durchführung von Aufklärungsarbeit im nördlichen Benin gebeten. Eigentlich wollte sie, daß wir das Aufklärungsmaterial vollständig finanzieren und auch die Durchführung organisatorisch unterstützen.

Im Norden Benins gab es unter den Müttern bereits den Wunsch, von der Beschneidung wegzukommen. Doch sie

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wußten nicht, wie sie sich durchsetzen können. Es gab ein Unwohlsein darüber, daß die Verstümmelung der Töchter nicht gut ist und daß man den eigenen Kindern diesen Schmerz nicht zufügen will, aber es gab einen Bedarf an argumentativer Hilfestellung. Ich sagte diese Hilfe zu.

Finanzielle Hilfe nötig

Zurück in Deutschland habe ich mich zunächst eingehend mit diesem Thema beschäftigt und habe dabei erst das Ausmaß dieser Praktiken erfahren, was mich berührt und geschockt hat. Das hat mich dazu gebracht, dieses Thema gewissermaßen zum „Engagement meines Lebens" zu machen. Wir haben dann ein Jahr Spenden für Benin gesammelt und konnten viel mehr Geld zusammenbekommen als erwartet. Im Laufe dieser Zeit lernten wir, daß es weibliche Genitalverstümmelung auch in anderen Ländern gibt, und daß bereits Organisationen existieren, die sich mit diesem Thema befassen und die in der Regel kein Geld und keine Unterstützung bekommen, um ihre Maßnahmen durchzuführen - selbst dann nicht, wenn die jeweilige Regierung es als sinnvoll ansieht.

An der Geschichte der Anti-FGM-Bewegung kann man leicht ersehen, daß finanzielle Hilfe aus dem Ausland notwendig ist. Zunächst haben die christlichen Missionare versucht, diese Praktiken zu bekämpfen und haben dabei relativ schnell Schiffbruch erlitten, dann die Kolonialmächte, die ebenfalls keinen Erfolg hatten. Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung wurde dieses Thema dann immer wieder politisch instrumentalisiert: Beschneidung gehöre zur kulturellen Identität und Tradition des Landes, weshalb diese Praktiken nicht abgeschafft werden könnten. Die Unabhängigkeitsbewegungen haben - in Opposition zu den Kolonialherren, die die Beschneidung abschaffen wollten - dieses Thema teilweise unter dem Stichwort der selbstbestimmten Identität wieder besonders betont. Später haben überwiegend Frauen aus der Gesundheitsversorgung - Ärztinnen, Gynäkologinnen, Krankenschwestern - das Thema aufgegriffen und versucht, diese Tradition zu bekämpfen. Aber es fehlte an finanzieller und politischer Unterstützung.

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So kam es, daß diese Frauen dieses Thema auf eine internationale Ebene brachten, um mit der politischen und materiellen Hilfe der westlichen Länder diesen Kampf wirksam fortzusetzen. In dieser Hinsicht wurde ich in der Vergangenheit mehrfach von Afrikanerinnen angesprochen.

Einmischung auf finanzielle Unterstützung beschränkt

Ich möchte jetzt kurz etwas zu unserem Verein und unserer Arbeitsweise sagen und noch einmal auf das Thema der Einmischung zurückkommen. Natürlich mischen wir uns ein, indem wir Geld für die Bekämpfung der Beschneidung ausgeben. Aber wir mischen uns nicht konkret ein, das heißt, wir konzipieren keine Maßnahmen gegen die weibliche Genitalverstümmelung, sondern wir reagieren nur auf Projektanfragen. Es gibt, wie schon erwähnt, Nichtregierungsorganisationen und Komitees gegen gesundheitsschädigende traditionelle Praktiken, die wir unterstützen. Die Konzepte kommen aus den Ländern selbst, es werden Projektanträge gestellt, die wir genau prüfen. Manchmal dauert es Wochen und Monate, bis der Antrag so formuliert ist, daß wir ihn auch unterstützen können. Dabei schauen wir uns auch die Projekte vor Ort an, sowie die Menschen, die dahinter stehen. Hier in Deutschland gibt es zudem eine einsehbare Rechnungslegung.

So stellt sich unsere Arbeit als Hilfe zur Selbsthilfe dar. Wir versuchen unsere Einmischung so gering wie möglich zu halten, weil wir der Meinung sind, daß wir das aufgrund mangelnder Kenntnis der Länder gar nicht können. Gerade bei den Konzepten über die Aufklärungskampagnen können wir nicht mitreden, weil wir uns in die fremde Mentalität nicht einfinden und von daher nicht wissen können, wie Aufklärung in diesen Ländern aussehen muß, um wirksam zu sein. Wir gehen davon aus, daß es vor Ort genug qualifiziertes Personal gibt - und wenn nicht, kann man es ausbilden. Aber die Initiative muß von den betroffenen Ländern selbst ausgehen. Unsere Aufgabe sehen wir darin, die angefragte Hilfe anzubieten und dafür zu sorgen, daß dieses Geld auch dementsprechend eingesetzt wird.

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Aktivitäten auf ein Land konzentrieren

Der schwierigste Part unserer Arbeit ist nicht das Auftreiben der Gelder, sondern die Recherche nach entsprechenden Projekten in den afrikanischen Ländern und deren Betreuung - was sehr kostenintensiv ist. Wir wollen ja in erster Linie das Geld für die dortige Arbeit einsetzen. Deshalb gibt es jetzt die Überlegung, uns auf ein Land zu konzentrieren und eine langfristige Aufklärungskampagne möglichst auch landesweit in Gang zu setzen. Dazu haben wir ein Konzept erarbeitet und verhandeln mit anderen Institutionen in Deutschland, die sich daran beteiligen sollen. Dabei muß man sich auf das Land einigen, mit der dortigen Regierung und den religiösen Führern Kontakt aufnehmen und sich klar darüber sein, daß diese Kampagne ein langfristiges Projekt wird.

Zum Stichwort Einmischung noch folgendes: Selbst wenn wir nicht gefragt würden, müßte Einmischung aufgrund der Menschenrechtsverletzung akzeptiert sein. Alle betroffenen Länder haben die Menschenrechtscharta unterschrieben und sich damit verpflichtet, gesundheitliche Schädigungen von Mädchen und Frauen zu bekämpfen. Das war in den 50er Jahren, ich glaube 1956, und es ist legitim, sie von außen - auch aus einer anderen Kultur heraus - daran zu erinnern, diese Zusagen endlich umzusetzen.

Dies können wir fordern, wenn auch wir bereit sind, anderen zuzuhören, die sich aus einer für uns fremden Kultur heraus bei uns einmischen. Dabei möchte ich auf das Buch „Wüstenblume" von Waris Dirie hinweisen, die zwar die Geschichte ihrer Verstümmelung beschreibt, aber auch die Warmherzigkeit in ihrer Familie und dann ihre Kritik gegenüber den USA formuliert. Inzwischen lebt sie dort, und ihre Kritik ist meines Erachtens auch auf Europa übertragbar: der Mangel an Warmherzigkeit im Umgang mit Kindern, Familien, die oft nicht intakt sind. Waris Dirie hat ihr Land selbstbewußt kritisiert, aber ebenso selbstbewußt ein anderes Land. Ich plädiere für gegenseitige Einmischung, wir müssen lernen uns einzumischen. Das trägt nicht nur zum Wohle in den afrikanischen Ländern bei, sondern auch zu unserem Wohle. Auch wir können von anderen Kulturen lernen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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