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Genitale Verstümmelung von Mädchen -
traditionelle Praxis als Menschenrechtsverletzung




Amsale Negatu

Äthiopien ist eines der 27 afrikanischen Länder, in denen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) weit verbreitet ist. Insgesamt sind dadurch rund 130 Millionen Frauen und Mädchen gesundheitlich und in ihrem psycho-sozialen Wohlbefinden beeinträchtigt.

Unser Land ist bekannt für seine verschiedenen kulturellen und traditionellen Praktiken. Von ihnen sind einige nützlich, während andere der Bevölkerung - besonders den Frauen und Kindern - schon immer geschadet haben. Heute noch wird die weibliche Genitalverstümmelung auf breiter Basis praktiziert und hat verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit von jungen Mädchen und Frauen in Äthiopien.

Wir fassen FGM als nationales Problem auf, weil sie nicht nur die physische Gesundheit, sondern auch das geistige und soziale Leben der Frauen und Kinder beeinträchtigt. Da diese traditionelle Praxis das Leben von 75 Prozent der äthiopischen Bevölkerung berührt, beeinträchtigt FGM auch die sozio-ökonomische Entwicklung des Landes.

Das Ausmaß von FGM in Äthiopien

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1996 werden unter dem Begriff „weibliche Genitalverstümmelung" alle Praktiken zusammengefaßt, bei denen die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane ganz oder teilweise entfernt werden, oder die andere Verletzungen der weiblichen Geschlechtsorgane beinhalten - ob aus traditionellen oder anderen nicht-therapeutischen Gründen.

In Äthiopien wird FGM sowohl auf dem Land wie in der Stadt praktiziert. Die Praxis wird in unterschiedlichen Variationen in al-

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len Regionen des Landes angewandt - mit Ausnahme des Landstriches Gambella und einigen ethnischen Gruppen im Süden Äthiopiens. PGM wird meist von älteren Frauen durchgeführt. Dabei handelt es sich in der Regel um traditionelle Hebammen, die meist zu Hause und unter sehr unhygienischen Bedingungen arbeiten.

Das Alter, in dem sich die Mädchen FGM unterziehen müssen, variiert von Ort zu Ort auch innerhalb einer ethnischen Gruppe. Manchmal wird FGM schon im Alter von nur sieben Tagen durchgeführt und manchmal erst einen Tag vor oder nach der Heirat. Im Moment geht die Tendenz dahin, die Mädchen im Alter von acht bis zehn Jahren zu verstümmeln.

Eine nationale Studie (National Baseline Survey), die im Jahre 1997 durchgeführt wurde, verzeichnete, daß mehr als 70 Prozent aller Mädchen in mehr als der Hälfte des Landes verstümmelt werden. Im Landesdurchschnitt beträgt die Häufigkeit von FGM etwa 72 Prozent. Am meisten verbreitet sind die Praktiken bei den Oromo, Afar und Somali (über 90 Prozent), während sie bei den Agew, Welayeta und Begas sowie in den Wollega und Gambella-Stämmen praktisch nicht existiert (unter fünf Prozent). Die Infibulation, die schlimmste Form der weiblichen Genitalverstümmelung, wird vor allem im Osten Äthiopiens angewandt. Insgesamt wird geschätzt, daß zwischen 75 und 100 Prozent aller äthiopischen Frauen verstümmelt sein könnten.

Gründe für die Genitalverstümmelung

Die Motivation der Mütter, ihre Töchter verstümmeln zu lassen hat folgende Gründe:

  1. Religion: Den meisten wird glauben gemacht, daß FGM eine religiöse Pflicht ist. Obwohl es zutrifft, daß die Exzision und die Infi-

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    bulation meist von Moslems praktiziert werden, während die Klitoridectomie teilweise bei den Christen vorkommt, erwähnen weder die Bibel noch der Koran derartige Rituale. Keine Form von FGM wird in den bekannten moslemischen Ländern wie Saudi-Arabien, Irak, Jordanien und Lybien praktiziert. In Wirklichkeit lehnen prominente religiöse Führer und Theologen die Praktiken ab. Dieser Grund ist daher eher auf die Wertvorstellungen der Leute bezüglich Jungfräulichkeit und Familienehre als auf religiöse Vorstellungen zu beziehen.

  2. Psycho-sexuelle Gründe: Die Excision der Klitoris soll die Frau vor ihrer sexuellen Natur schützen, von der angenommen wird, daß sie übermächtig ist. Sie soll vor Versuchungen, Verdächtigungen und Schande schützen und ihre Keuschheit bewahren. In Äthiopien ist die Jungfräulichkeit eine absolute Vorbedingung für die Heirat und außereheliche Beziehungen ziehen schwere Strafen nach sich. Durch FGM glaubt man, das Problem lösen zu können - sogar, wenn es das Leben der Opfer kosten sollte. FGM reduziert jedoch nur die Empfindlichkeit und nicht das Verlangen.
  3. Tradition: Als wichtigsten Grund für die weibliche Genitalverstümmelung berufen sich fast alle auf die Tradition als Begründung für die Praktiken. Der kulturelle Druck, der auf den Eltern lastet, ist so groß, daß sogar die einsichtigsten und gebildetsten unter ihnen es nicht wagen, die Tradition fallen zu lassen - selbst, wenn sie im Prinzip dagegen sind. Aber ‘Tradition’ erklärt die eigentliche Motivation für solch schädliche Praktiken nicht.
  4. Grundsätzlich stellten sich der Druck der sozialen Bezugsgruppen, die Furcht vor einer Stigmatisierung und traditionelle nicht hinterfragte ‘positive' Werte wie Reinheit sowie die Vermeidung von Komplikationen bei der Geburt als starke Gründe für die Fortsetzung von FGM heraus.

Arten weiblicher Genitalverstümmelung in Äthiopien

Es gibt drei Arten von FGM in Äthiopien. Man geht davon aus, daß die Frauen und Mädchen eine davon über sich ergehen lassen müssen.

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  1. Die Klitoridektomie bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris. Dies geschieht mit einem Messer oder einer Klinge und ohne Betäubung.
  2. Bei der Excision wird die Klitoris entfernt und die kleinen Schamlippen ganz oder teilweise. Die großen Schamlippen bleiben intakt und die Vagina wird nicht verschlossen. Wieviel Gewebe entfernt wird, variiert entsprechend der ethnischen Zugehörigkeit und hängt zudem von den Fähigkeiten der operierenden Frau ab und davon, wie sehr sich das kleine Mädchen wehrt. Diese Art der FGM ist bei den Gurages, den Oromos und den Kamant verbreitet.
  3. Die Infibulation bedeutet die vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen. Die inneren Oberflächen der großen Schamlippen werden ebenfalls abgeschabt. Dann wird die Vulva mit Katzendarm zusammengenäht oder einfach mit Dornen. Es wird nur eine kleine Öffnung für den Urin und das Menstruationsblut belassen. Dem Mädchen werden die Beine von den Hüften bis zum Sprunggelenk zusammengebunden, damit sich das Narbengewebe über der Wunde schließen kann. Diese schlimmste Form der von FGM wird bei den Afar, Harari und Somali praktiziert, sowie bei den Oromos, soweit sie in der Nachbarschaft der Harari leben.
  4. Bei einigen ethnischen Gruppen, so bei den Somali, wird die Infibulationsnarbe direkt vor der Hochzeit wieder aufgeschnitten um das Eindringen zu erleichtern. Dieser Vorgang wird De-Infibulation genannt. In anderen Ethnien - zum Beispiel bei den Afar - unterbleibt dieser Eingriff. Dadurch wird der Geschlechtsakt erschwert und bedeutet eine schmerzhafte Erfahrung für die Frau.
  5. Die Re-Infibulation wird gewöhnlich nach der Geburt durchgeführt, oder, wenn der Mann für längere Zeit verreist. Diese Art der weiblichen Genitalverstümmelung wird bei den Afar und den Somali durchgeführt.

Schädliche Auswirkungen von FGM und Komplikationen

Im Folgenden werden einige schädigende Auswirkungen von FGM aufgeführt, wie sie in der Studie von 1997 beschrieben wurden:

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  • Schwierigkeiten bei der Geburt, die oft aus einer Verschmälerung der Vulva während des Heilungsprozesses resultieren. Dieses Problem wurde auch in Regionen beobachtet, von denen man annimmt, daß hier ,nur' Klitoridektomie angewandt wird.
  • Oft treten Blutungen auf. Dies gilt besonders, wenn falsch geschnitten wird - im Falle der Infibulation aber auch während des ersten Geschlechtsverkehrs und/oder bei der Geburt.
  • Es kommt zu Infektionen - oft auch Tetanus - weil die Instrumente nicht angemessen sind und unter unhygienischen Bedingungen benutzt werden.
  • Verminderte sexuelle Befriedigung;
  • Schmerzen nicht nur bei der Verstümmelung sondern auch während des Geschlechtsaktes;
  • Fisteln, Inkontinenz. Die Fisteln treten aufgrund des verlängerten Geburtsvorganges auf.
  • Tod durch Komplikationen - in der Regel durch Blutverlust;
  • Übertragung von HIV/AIDS, weil die Instrumente für mehr als ein Mädchen benutzt werden.

Es ist unmöglich, die Zahl der Todesfälle aufgrund von FGM genau zu beziffern. Das gilt auch für die auftretenden Komplikationen, da nur ein sehr kleiner Teil der Fälle mit unmittelbaren Komplikationen in den Krankenhäusern eingeliefert wird. Es ist jedoch bekannt, daß Tetanus-Infektionen (Wundstarrkrampf) eine der schwerwiegendsten Komplikationen darstellt, da die Sterberate hier 60 Prozent beträgt.

Studien über FGM

Bisher wurden in Äthiopien nur wenige Untersuchungen zur weiblichen Genitalverstümmelung angestellt. Außer einem Versuch von Alasebu Gebre Selassie im Jahre 1985 und denen des nationalen Komitees für Traditionelle Praktiken in Äthiopien (NCTPE) in den Jahren 1994 und 1996 gibt es keine Studien über gesundheitsrelevante traditionelle Praktiken in Äthiopien. Gebre Selassie, der Eritrea in seiner Studie einschloss, schätzte die Rate von FGM auf 85

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Prozent. Der Versuch des NCTPE von 1994, der sich auf die Erfahrungen der Krankenhäuser und Gesundheitszentren in Addis Abeba und Harar stützte, kam auf eine Rate von 88 Prozent. Eine weitere Krankenhausstudie, die im Norden des Landes durchgeführt wurde und die Wöchnerinnen erfaßte, zeigte eine FGM-Rate von 90 Prozent. Die zweite Untersuchung des NCTPE von 1996, die sich auf den Osten des Landes bezog und von UNICEF finanziert wurde, deckte eine Rate von 82 Prozent auf.

Da keine dieser Studien repräsentativ war, ist es schwierig, die Ergebnisse mit der landesweiten Untersuchung von 1997 zu vergleichen. Diese umfaßte 65 ethnische Gruppen und ergab eine FGM-Rate von 73 Prozent im Landesdurchschnitt. Die Unterschiede zwischen den 1985er Ergebnissen von Selassie und der grundlegenden Untersuchung von 1997 könnten auf die Arbeit des NCTPE zurückzuführen sein. Die Tatsache, daß die Zahlen von 1997 so viel niedriger liegen, kann aber auch damit zusammenhängen, daß 1997 auch ethnische Gruppierungen erfaßt wurden, in denen die Frauen und Töchter nicht verstümmelt werden.

Wie schon angedeutet, hat die endgültige Analyse der Untersuchung von 1997 auch das Bewußtsein über die Schädlichkeit, die Einstellung gegenüber der Abschaffung von FGM und den tatsächlichen Rückgang zu ermitteln gesucht. Es stellte sich heraus, daß es Hochburgen, Regionen im Übergang und Regionen ohne FGM in Äthiopien gibt. Es wurde beobachtet, daß die Oromo, Afar und Amharen an FGM festhalten. Einige Gruppen der Amharen und die Tigray bewegen sich eindeutig weg von diesen Praktiken, während die Harai und die Somali über ein ausgeprägtes Bewußtsein über die schädlichen Auswirkungen von FGM verfügen. Bei den Somali sinken die Raten weiblicher Genitalverstümmelung jedoch nicht und bei den Harari geht der Trend weg von der Infibulation hin zur Klitoridektomie.

Diese Ergebnisse kann das NCTPE dazu benutzen, spezielle Interventionsstrategien zu entwickeln, die sowohl auf nationaler wie auch auf regionaler Ebene angewandt werden könnten.

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Aida Seif El Dawla

FGM ist eine Tradition, die die Entfernung von Teilen der oder den gesamten äußeren weiblichen Geschlechtsorganen beinhaltet. Grundsätzlich wird damit die Einstellung oder der Glaube verbunden, daß man so die weibliche Sexualität kontrollieren könne. In allen Untersuchungen, die bisher zu diesem Thema durchgeführt wurden, hat sich gezeigt, daß Tradition die mächtigste Determinante dieser Praxis darstellt und sogar noch vor Religion rangiert. Darüber hinaus zeigte sich in einer kleinen Untersuchung, bei der Mitarbeiterinnen verschiedener ägyptischer NRO befragt wurden, daß dies Argument der Tradition ein Eigenleben zu führen scheint. Dabei bezieht es seine Kraft und seine Logik aus seiner Natur als kulturellem Erbe, daß nicht verändert werden kann und darf.

Die Frauen sagen zum Beispiel: ,Das ist, was schon unsere Eltern und Großeltern getan haben'. Oder: ,So halten es die Leute'. Oder: ‘Natürlich werde ich meine Tochter beschneiden lassen'. Die Praxis ist so tief verwurzelt, daß die Frauen manchmal schon die Frage danach als eine Zumutung empfinden.

„So halten es die Leute"

Gleichzeit ist der Respekt für die lokalen Traditionen eine unabdingbare Voraussetzung, um in einer Dorfgemeinschaft akzeptiert zu werden. Sonst wird man als jemand ausgeschlossen, der die Normen verletzt und den Frieden stört. Die Verfechter der weiblichen Gesundheit, der Frauen- und Menschenrechte befinden sich daher in einem Dilemma: Dieselben Traditionen, die sie respektieren sollen, verletzen nicht nur eines sondern gleich eine ganze Reihe von Menschenrechten.

FGM ist eine solche Tradition: Sie verletzt die physische Unversehrtheit des Mädchens, verletzt das Recht des Kindes auf seine Privatsphäre und sein Recht, zuzustimmen. FGM verletzt das Recht

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des Kindes auf eine gesunde psychologische und sexuelle Entwicklung, und wenn sie im späteren Leben durchgeführt wird, ist es sexuelle Gewalt gegen Frauen, die die Konvention gegen die Diskriminierung von Frauen verletzt.

Aber: Weibliche Genitalverstümmelung ist der Name, den wir dieser Tradition gegeben haben. Der ursprüngliche Name dieser Praxis ist Tahara, ein Begriff, der Reinheit bedeutet und impliziert, daß es einen Status der Unreinheit gegeben hat, bevor die Methode angewandt wurde. Was ist unrein? Es ist sehr wichtig, sich darüber zu verständigen. Denn der Versuch, diese Frage zu beantworten, würde offenlegen, daß die darunter liegende Tradition sehr viel komplizierter ist und daß diese Komplexität gleichzeitig eine Herausforderung und einen Aktivposten in der Arbeit darstellt.

FGM dient Machtinteressen

Wir argumentieren dahingehend, daß die Tradition von FGM ihre Stärke aus mehreren Faktoren schöpft und nicht nur aus der Tatsache, daß sie eine Überlieferung aus uralten Zeiten darstellt. Diese Praxis dient einer ganzen Reihe von religiösen, politischen und Machtinteressen, die sie aufrechterhalten, verteidigen und sie mit verschiedenen Bedeutungen beladen, die mehr darstellen, als nur die Pflege des überlieferten Erbes. Die weibliche Genitalverstümmelung nur als eine Tradition anzusprechen, wäre eine nutzlose Übung, die versucht, eine Krankheit zu behandeln, indem sie eines der Symptome angreift, die Ursachen aber unberührt läßt.

Wir haben das große Pech, daß bei früheren Untersu-

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chungen in Ägypten versäumt worden ist, die Häufigkeit von FGM zu untersuchen. Wenn es geschehen wäre, hätten wir heute die Möglichkeit, die früheren Zahlen mit den ernüchternden 97 Prozent unter den verheirateten Ägypterinnen zu vergleichen, die die demographische Studie von 1995 an den Tag brachte. Mit einer gewissen Zurückhaltung läßt sich jedoch annehmen, daß die FGM-Raten in den sechziger und frühen siebziger Jahren sanken, um danach wieder anzusteigen. Ein Anhaltspunkt dafür ist die Tatsache, daß einige Frauen ihre Töchter heute beschneiden lassen, obwohl sie selbst nicht verstümmelt worden sind. Doch erst zukünftige Studien werden offenlegen, ob die derzeit laufenden Kampagnen gegen FGM Veränderungen bewirkt haben.

Andererseits haben die letzten Jahre einen breiten Raum für Verhandlungen und Diskussionen gebracht, der nicht möglich gewesen wäre, wenn die Praxis eine traditionelle wäre, die keine sozialen Ursachen hat und zudem in den Geschlechterbeziehungen gründet. Andere Traditionen sind angegriffen worden und sterben nun langsam aus. Die Tätowierung der Gesichter von Frauen war insbesondere auf dem Lande eine starke Tradition, die jetzt langsam verschwindet. Dasselbe gilt für die Tradition, die Augen der Kinder schwarz anzumalen, um den bösen Blick abzuwehren. Darüber hinaus sieht die traditionelle Rollenteilung in unserer Kultur den Mann als Ernährer der Familie mit einer von ihm abhängigen Frau. In Wirklichkeit stehen Frauen jedoch 23 Prozent aller ägyptischen Haushalte vor. Das stellt zwar nur eine Verletzung dieser traditionellen Norm dar, aber es wird nicht als kulturelle Verfehlung angesehen, da es von ökonomischen Notwendigkeiten diktiert wird.

Andere Traditionen sterben aus

Können wir daraus schließen, daß Traditionen solange aufrecht erhalten werden, solange man sie braucht? Wir glauben, daß eine affirmative Antwort auf diese Frage den Weg weisen könnte, wie mit FGM umzugehen ist.

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Die Schwierigkeit im Kampf gegen FGM liegen unserer Meinung nach nicht in der Tatsache begründet, daß es sich um eine Tradition handelt. Denn wir haben keine Probleme, mit Traditionen umzugehen, indem wir uns den schlechten widersetzen und die guten herausstreichen. Das Problem ist, daß FGM eine Tradition mit einem Grund ist.

Die politischen Kräfte, die FGM verteidigen, sind selber in einer äußerst paradoxen Situation, und wir können dieses Paradox zu unseren Gunsten nutzen. Sie behaupten, daß FGM ein wertvoller kultureller Besitz sei, der vor jenen geschützt werden müsse, die diese Tradition ausrotten wollen und mit ihr einen Teil unserer - angeblichen - kulturellen Identität. Deshalb müßte diese Praxis eigentlich eine Quelle des Stolzes sein. FGM in der Öffentlichkeit zu diskutieren, oder darüber zu streiten - sei es in öffentlichen Versammlungen oder in den Medien - wird aber gerade von den Verteidigern der Beschneidung verdammt. Angeblich ‘diskreditiere' die öffentliche Auseinandersetzung einen wesentlichen Aspekt unserer kulturellen und religiösen Identität. Die Befürworter von FGM sprechen auch vom ,Waschen schmutziger Wäsche in der Öffentlichkeit'. Ist unsere Kultur denn unsere schmutzige Wäsche?

Frauen nur ein Werkzeug

Die Frauen stellen in dieser Konstellation ein Werkzeug dar, um Kultur herauszustreichen und zu erhalten. Sie handeln nicht selber. Ihnen wird gesagt, daß sie sich lokalen Mächten, Traditionen, Normen und Männern zu unterwerfen haben, um sich von externen Kräften zu befreien. Ihnen wird gepredigt, daß sie die Töchter Ägyptens beschneiden lassen müssen, um den blasphemischen Menschen in den Vereinigten Staaten zu widerstehen. Ihnen wird suggeriert, daß sie selbst handeln: In Wirklichkeit sind sie jedoch Werkzeuge in einer Schlacht, die an anderen Fronten geführt wird. Sie werden in diesen Kämpfen - unter dem Vorwand es sei kulturell unsensibel sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern - meistens völlig allein gelassen.

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Ein Recht zu haben, bedeutet, die Berechtigung dazu auch zu empfinden. Aber sogar, wenn man sich im Recht fühlt, bestimmen eine ganze Reihe von Faktoren, ob man dieses Recht auch durchsetzen kann oder nicht: Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern, die dominierende Ideologie, das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit, das Maß, in dem man sozialen Restriktionen ausweichen kann und vieles mehr. Darüber hinaus hängt es auch von den sozialen Strukturen ab, denen es abgetrotzt werden muß, ob man ein Recht in Anspruch nehmen und ausüben kann. Der Grad, in dem Frauen bereit sind, diese Risiken auf sich zu nehmen, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab. Das schließt ihre sozial determinierte Selbstwahrnehmung ein und den sozialen Preis, den sie zahlen müssen.

Wo auch immer Rechte eingefordert worden sind, waren sie das Ergebnis eines Kampfes um menschliche Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Freiheit, Unabhängigkeit, und das Recht auf Selbstbestimmung. Es ist selbstzerstörerisch, zu diskutieren, ob ein bestimmtes Recht für uns angemessen ist oder nicht. Eine Kultur, die individuelle und kollektive Rechte verleugnet, ist selbstzerstörerisch. Unsere Aufgabe ist es, dies zu vermitteln.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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