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[Seite der Druckausg.: 9]

1. Einleitung

In den siebziger und Anfang der achtziger Jahre führten einige schwere Unfälle mit gefährlichen Abfällen und das gesteigerte Umweltbewußtsein in den OECD-Ländern zu einer Verschärfung staatlicher Schutzbestimmungen. Gleichzeitig stießen Planungen für Müllverbrennungsanlagen oder Lagerstätten für gefährliche Abfälle auf entschiedenen Widerstand der betroffenen Gemeinden und waren, wenn überhaupt, nur zu stark gestiegenen Kosten zu realisieren. [ Zum Ausdruck kommt dieses sogenannte NIMBY (Not In My Back-Yard) Syndrom beispielsweise in der empörten Reaktion eines texanischen Farmers auf den Import von Klärschlämmen aus New York durch Nachbarn: „They shouldn’t be wearing cowboy hats. They should be wearing toilet lids" (The New York Times, 16. Juli 1995).] Betrugen die Preise der typischen Abfallverbringung auf Mülldeponien in den USA 1980 noch ungefähr 15 US-$ pro Tonne, so waren es 1988 bereits 250 US-$; für die Verbrennung wurden sogar bis zu 2000 US-$ pro Tonne gezahlt. Hinzu kamen wachsende bürokratische Hürden und oftmals lange Vorlaufzeiten (Strohm 1993, 133).

Statt einer entschiedenen Politik der Abfallvermeidung durch Umstellung der Produktionsprozesse und Konsummuster lieferte der Export der Abfälle – nicht zuletzt in Entwicklungsländer – ein bequemeres Ventil zur Linderung des nationalen Problemdrucks. Zum einen waren die Entsorgungskosten in Entwicklungsländern um ein Vielfaches geringer – teilweise um den Faktor 100. Zum anderen gab es dort Anfang der achtziger Jahre weder gesetzliche Bestimmungen zum Umgang mit gefährlichen Abfällen, noch gab es wirkungsvolle Exportbestimmungen in den Industrieländern, noch existierte ein internationales Regime zu diesem Problemfeld.

Mit der Zunahme der Exporte gefährlicher Abfälle ließen schwere Umweltunfälle nicht lange auf sich warten, denn den Entwicklungsländern fehlten oftmals die institutionellen Kapazitäten zu einer effektiven Kontrolle der Entsorgung. In Abwesenheit eines internationalen Kontrollrahmens wurden diese Fälle (siehe Kasten 1) zumeist von Nichtregierungsorganisationen aufgedeckt, wobei Greenpeace eine besonders wichtige Rolle spielte. Es waren vor allem diese symbolträchtigen Skandalfälle, die dem Thema eine breite Medienpräsenz bescherten und den politischen Handlungsdruck für einen globalen Kontrollrahmen erzeugten. Der internationale Verhandlungsprozeß begann 1987 und führte im März 1989 zur Unterzeichnung des „Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung". Im Gegensatz zur Forderung vieler Entwicklungsländer und Nichtregierungsorganisationen sah die sogenannte "Basler Konvention" jedoch kein allgemeines Verbot des internationalen Handels mit gefährlichen Abfällen vor, sondern errichtete lediglich einen internationalen Kooperationsrahmen zu dessen Kontrolle. Zentrales Element war die Verpflichtung des Exportstaates, vor einer grenzüberschreitenden Abfallverbringung die schriftliche Zustimmung des Importstaates sowie gegebenenfalls von Durchfuhrstaaten einzuholen.

Viele Entwicklungsländer, die ihre Schutzinteressen durch diesen Regelungsansatz nicht gewahrt sahen, unterzeichneten oder ratifizierten die Basler Konvention von 1989 nicht. Statt dessen verhängten sie unilaterale Einfuhrverbote für gefährliche Abfälle und schlossen regionale Abkommen mit wesentlich strikteren Regelungen ab. So enthält die 1991 von den afrikanischen Staaten verabschiedete „Bamako Konvention" ein absolutes Importverbot für gefährliche Abfälle nach Afrika. Parallel hierzu kam es zu einer Verschärfung der Bestimmungen der Basler Konvention selbst. Als symbolträchtiger Wendepunkt gilt der 1994 auf der Zweiten Vertragsstaatenkonferenz gefaßte Beschluß, den Export gefährlicher Abfälle von Industriestaaten in Entwicklungsländer zu untersagen. Dies wurde 1995 auf der Dritten Vertragsstaatenkonferenz durch eine formelle Ergänzung der Basler Konvention bestätigt, die allerdings bisher nur von wenigen Staaten ratifiziert wurde. Daher läßt sich schwer abschätzen, ob und wann das Exportverbot rechtskräftig wird.

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Kasten 1. Ausgewählte Fälle illegaler Abfallentsorgung mit großem Medieninteresse

Seveso Affäre (1983): 41 als vermißt geltende Fässer mit Ackerkrume, die 1976 bei der Explosion der Chemiefabrik im italienischen Seveso mit hoch giftigem Dioxin kontaminiert worden war, tauchten 1983 in einer Scheune in Nordfrankreich wieder auf.

Khian Sea (1987): Die Khian Sea fuhr mit einer Fracht von 15.000 Tonnen giftiger Asche aus einer städtischen Müllverbrennungsanlage in Philadelphia über zwei Jahre zur See und lief mehrere karibische Häfen an. Schließlich gelang es ihr, zumindest einen Teil ihrer Ladung in Haiti abzuladen, während der Rest wahrscheinlich zur See versenkt worden ist. Erst jetzt, nach mehr als 12 Jahren, zeichnet sich eine Bereitschaft der USA ab, die gefährlichen Abfälle aus Haiti zurückzunehmen.

Koko, Nigeria (1988): Ein nigerianischer Bauer vermietete einen Teil seines Grundstücks für 100 US-$ pro Monat an eine italienische Abfallfirma, die dort 8000 Fässer mit Pestiziden lagern wollte. In Wirklichkeit befand sich in den Fässern jedoch polychloriniertes Biphenyl und Asbest. Einzelne Fässer barsten und andere wurden als Wasserdepot genutzt, so daß verschiedene Anwohner Gesundheitsschäden erlitten.

Rumänien (1992). Im Mai 1992 deckte Greenpeace die Verschiebung von 2000 Tonnen Altpestiziden aus Deutschland nach Rumänien auf. Ungefähr ein Viertel hiervon wurde unsachgemäß gelagert in Siebenbürgen aufgespürt. Knapp ein Jahr später begann der Rücktransport nach Deutschland und der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer entschuldigte sich bei der rumänischen Bevölkerung.

Mit diesem Gutachten soll zehn Jahre nach Unterzeichnung der Basler Konvention ein Überblick über den internationalen Regelungsrahmen zur Kontrolle und Beschränkung der internationalen Verbringung gefährlicher Abfälle gegeben sowie bestehende Schwachstellen und Handlungsoptionen diskutiert werden. Nicht zuletzt die im Dezember 1999 in Genf stattfindende Fünfte Konferenz der Vertragsparteien bietet Anlaß zu einer kritischen Bestandsaufnahme.

In Anbetracht der grundsätzlichen Schwierigkeiten, eine effektive internationale Koordination nationaler Politikmuster zu erreichen, wurden im ersten Jahrzehnt der Basler Konvention bedeutende Fortschritte erzielt. Gleichwohl bleiben wesentliche Probleme ungelöst. In den folgenden Jahren muß ein stärkerer Schwerpunkt auf Abfallvermeidung und ein umfassenden Stoffstrommanagement gelegt werden. Nur so läßt sich die Basler Konvention in Richtung einer globalen Abfallwirtschaftskonvention weiterentwickeln. Hierfür ist vor allem eine stärkere Bereitschaft der Industriestaaten zum Transfer fortschrittlicher Abfallvermeidungs- und -behandlungstechnologien sowie zur Unterstützung beim Aufbau der Kapazitäten für einen umwelt- und gesundheitsgerechten Umgang mit gefährlichen Abfällen in den Staaten Osteuropas, Afrikas, Lateinamerikas und Asiens erforderlich.

Nach einer kurzen Einführung in den Handel mit gefährlichen Abfällen aus ökonomischer und umweltpolitischer Sicht (Abschnitt 2), folgt eine Analyse der verfügbaren statistischen Daten über internationale Abfallströme (Abschnitt 3). In Abschnitt 4 wenden wir uns den einzelnen Bausteinen des internationalen Handlungssystems zu, um hierauf aufbauend neuere Entwicklungen und den weiteren Handlungsbedarf zu analysieren (Abschnitt 5).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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