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2. Grundlegende Zusammenhänge des internationalen Handels mit gefährlichen Abfällen



2.1 Internationale Abfallverbringung als Teil des Nord-Süd-Konflikts

Der internationale Handel mit gefährlichen Abfällen ist zweifelsohne eine sehr emotionales Thema. Schnell drängt sich das Bild einer internationalen Arbeitsteilung auf, bei der die Entwicklungsländer zunächst als Lieferant wertvoller Rohstoffe dienen, die den Industrieländern ihren hohen Lebensstandard erst ermöglichen, um sie nach Gebrauch in Form von giftigem „Zivilisationsmüll" wieder zurückzubekommen. So verwundert es nicht, daß dieses Thema schnell zu einem Schwerpunkt der Lobbyarbeit von Nichtregierungsorganisationen wurde. Selbst der Economist betitelte einen 1992 erschienenen Beitrag zu diesem Thema mit „Let them eat pollution".

Unter anderem wurden dort Auszüge des durch eine Indiskretion nach außen gedrungenen Memorandums des damaligen Chefökonoms der Weltbank und heutigen Finanzministers der USA, Lawrence Summers, abgedruckt, dessen wohl bekanntester Satz lautet:

    I think the economic logic behind dumping a load of toxic waste in the lowest wage country is impeccable and we should face up to the fact that [...] underpopulated countries in Africa are vastly under-polluted. [ Allerdings hat Summers dies insofern dementiert, als er darauf hinwies, daß diese Passage aus dem Kontext gerissen und daher falsch interpretiert worden ist (siehe Hackmann 1994, 294).]

In einer empörten Antwort schrieb der damalige brasilianische Umweltminister Jose Lutzenberger:

    Your reasoning is perfectly logical but totally insane ... your thoughts [provide] a concrete example of the unbelievable alienation, reductionist thinking, social ruthlessness and the arrogant ignorance of many conventional ‘economists’ concerning the nature of the world we live in.

Dieser Disput zeigt, daß die Frage nach der „ökonomischen Rationalität" des internationalen Handels mit gefährlichen Abfällen keineswegs die einzige ist, und auch nicht unbedingt die angemessenste, sich diesem Thema zu nähern. Tatsächlich wurde es vor allem von Vertretern des Südens, aber auch von vielen Nichtregierungsorganisationen im Norden, primär aus dem Blickwinkel historischer Konfliktmuster betrachtet. Ein besonders drastisches, aber keineswegs untypisches Beispiel ist folgendes Zitat:

    [Sending] their industrial waste materials re-echoes what Europe has always thought of Africa: a wasteland, and the people who live here, waste beings (Omatseye 1988, 18).

Diese Einbettung des Umweltthemas in den Nord-Süd-Konflikt ist ausgesprochen wichtig für ein besseres Verständnis der Politik in den Entwicklungsländern und die Verhandlungsprozesse im Zusammenhang mit der Basler Konvention (Biermann 1998). Auf der UN-Konferenz über die menschliche Umwelt in Stockholm 1972 wurde die Forderung nach höheren Umweltstandards von den Entwicklungsländern mit dem Hinweis auf ihre staatliche Souveränität und ihr Recht auf Entwicklung zurückgewiesen. Im Falle des Exports gefährlicher Abfälle forderten sie nun umgekehrt ein multilaterales Regime mit Exportverboten, um einen besseren Umweltschutz zu gewährleisten. Doch diesem scheinbar widersprüchlichen Verhalten lag im Prinzip ein gemeinsames Motiv zugrunde, nämlich die Abwehr von als ‚Diktat des Nordens‘ empfundenen Maßnahmen, sei es nun das Aufdrängen hoher Umweltstandards oder gefährlicher Abfälle.

Ungeachtet der Bedeutung dieser ethischen und politischen Dimension des Problems soll im folgenden zumindest eine kurze Analyse der ökonomischen und umweltpolitischen

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Rationalität des internationalen Handels mit gefährlichen Abfällen unternommen werden. Ziel ist es, zum einen die dem Handel zugrunde liegenden (ökonomischen) Anreize offen zu legen, und zum anderen die Grundlagen für eine bessere Politikformulierung auszuleuchten.

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2.2 Zur ökonomischen und umweltpolitischen Rationalität der internationalen Abfallverbringung

Gemäß der neoklassischen Handelstheorie spezialisieren sich Länder auf die Produktion jener Güter, bei denen sie einen komparativen Kostenvorteil besitzen. Auf diesen Mechanismus bezieht sich auch das obige Zitat von Summers. So ließe sich vermuten, daß die Entwicklungsländer einen komparativen Kostenvorteil bei der Produktion des Gutes beziehungsweise der Dienstleistung „Endlagerung und Weiterverarbeitung gefährlicher Abfälle" haben. [ Insofern ist der Ausdruck des ‚Handels mit gefährlichen Abfällen‘ etwas irreführend, denn das (knappe) gehandelte Gut sind eben nicht die Abfälle als solches (sieht man einmal von ihrem Recyclingwert ab), sondern die Lagerungs- und Verarbeitungskapazitäten für sie. ] Spontan lassen sich hierfür durchaus eine Reihe von Gründen anführen, insbesondere Unterschiede in der Bedeutung, die dem Umweltschutz zugemessen wird, und in der hydrogeologischen Eignung von Flächen zur Endlagerung gefährlicher Abfälle sowie das Fehlen alternativer Einkommensquellen (Hackmann 1994).

Doch schon auf dieser Ebene sind Zweifel angebracht. Beispielsweise haben die von Summers erwähnten „underpopulated countries in Africa" [ Ähnlich zitiert Helmore (1988, 8) einen niederländischen Abfallexperten mit den Worten „there are some advantages in African countries above countries with a lot of people. Also, it rains less, so the soil underground is watertight".] sehr hohe Bevölkerungswachstumsraten, so daß sich dieses Bild recht schnell ändern kann, besonders angesichts der langen Lebensdauer toxischer Abfälle. Außerdem waren Ende der achtziger Jahre vor allem westafrikanische Küstenstaaten, in denen die Bevölkerungsdichte schon jetzt hoch ist, Ziel von Abfallexporten (Logan 1991). Die Vorstellung, daß gefährliche Abfälle vor allem in den unbelebten Gebieten der Sahara gelagert werden, hat nicht viel mit der Realität zu tun.

Auch die These, daß die Abfallströme in Entwicklungsländer in einem wesentlichen Zusammenhang mit der hydrogeologischen Eignung von Lagerstätten standen, hält einer Überprüfung kaum statt. Das sub-saharische Afrika beispielsweise ist gekennzeichnet durch recht hohe und vor allem saisonal verstärkt auftretende Regenfälle, welche die Gefahr einer Kontamination des Grundwassers und von Oberflächengewässern erhöhen. Zudem versorgt sich der größte Teil der Bevölkerung aus unbehandelten Wasserressourcen, so daß sie besonders anfällig für die Folgen einer Kontamination sind. Basierend auf einer Analyse der hydrogeologischen Bedingungen, der Bevölkerungsverteilung und der Nutzungsmuster von Land und Wasserressourcen kommt Logan (1991, 68) zu dem Ergebnis, daß „the potential dangers from toxic-waste dumping are greater for Africa than for most other world regions."

Der wohl wichtigste Aspekt, der gegen einen komparativen Kostenvorteil der Entwicklungsländer spricht, ist jedoch die mangelnde Erfahrung in der Entsorgung und Weiterverarbeitung von gefährlichen Abfällen, was sich insbesondere im Fehlen angemessener Technologien und in Informationsdefiziten niederschlägt. Als allokativer Antriebsmechanismus für die Exporte gefährlicher Abfälle in Entwicklungsländer bliebe somit vor allem das Fehlen alternativer Einkommensquellen.

Die Besonderheit gefährlicher Abfälle liegt vor allem darin, daß sie mit substantiellen Externalitäten verbunden sind. [ In der ökonomischen Theorie spricht man immer dann von Externalitäten, wenn das Wohlergehen eines Indi viduums oder die Produktionsmöglichkeiten einer Firma direkt – also am Markmechanismus vorbei und somit nicht über Preise vermittelt – von den Aktivitäten anderer Akteure in der Ökonomie betroffen sind (vgl. Bei spielsweise Mas-Colell, Whinston and Green 1995, 352). ] So können toxische Stoffe beispielsweise über die Kontamination von Flüssen und Grundwasserreservoirs oder durch giftige Dämpfe in einem weiten Umkreis Ökosysteme und Menschen betreffen, die ansonsten in keinerlei Verbindung mit den Mülldeponien stehen. Neben diesen räumlichen Externalitäten gibt es außerdem zeitliche Externalitäten, da zukünftige Generationen die sachgemäße Lagerung gefährlicher Abfälle übernehmen müssen oder von den Folgen einer unsachgemäßen Lagerung betroffen sind. Hinzu kommen schließlich Externalitäten beim Transport gefährlicher Abfälle. Diese beinhalten das Risiko von Unfällen, aber auch jenes der illegalen Entsorgung, beispielsweise in internationalen Gewässern. Da hier die rechtliche Zuständigkeit komplizierter ist als im inländischen

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Rahmen, wirft auch die Notwendigkeit korrigierender staatlicher Eingriffe besondere Probleme auf. [ Hackmann (1994, 299) erkennt zwar das Problem einer mangelhaften Internalisierung externer Effekte an, sieht hierin jedoch keine Rechtfertigung für ein allgemeines Exportverbot: „Even if external effects are not yet dealt with in an ideal manner a ban on waste imports does not necessarily follow. It has to be taken into account that bad experiences with trading the externalities of waste will exert pressure to improve the institutional framework for handling externalities. Without such pressure due to waste trade environmental conditions may well be worse in the long run." Diese Argumentationskette erscheint jedoch abenteuerlich. Gleichsam könnte man den internationalen Drogenhandel liberalisieren, um mit der so erzeugten Zunahme der Drogenprobleme einen Anreiz für eine effektivere Vorsorge auf nationaler Ebene zu schaffen.]

Eine weitere Ursache von Marktversagen, das ein staatliches Eingreifen erfordert, sind Informationsprobleme. So ist sowohl das Wissen über die Gefährlichkeit der Abfälle als auch über den angemessenen Umgang mit ihnen oftmals ungenügend. Ein besonders drastisches Beispiel hierfür ist der in Kasten 1 erwähnte nigerianische Bauer, dem die Toxizität der auf seinem Grundstück lagernden Fässer unbekannt war.

Hagen und Housman (1985, 132) schätzten bereits vor mehr als 10 Jahren, daß die Kosten der Säuberung toxischer und gefährlicher Lagerstätten in einigen Ländern mehr als eine Milliarde US-$ betragen. Hierbei sind die nur schwer zu montarisierenden Gesundheitsschäden nicht einmal berücksichtigt. Doch weisen zahlreiche Fallstudien auf einen Zusammenhang zwischen der Lagerung oder Verarbeitung gefährlicher Abfälle mit Leukämie, Nierenkrebs, Erkrankungen der Atemwege und anderen Krankheiten hin.

Eine systematische ökonomische Analyse der Funktion von Handelsrestriktionen für die Kontrolle der mit gefährlichen Abfällen verbundenen Externalitäten findet sich bei Copeland (1991). [ Die dort vorgenommene Modellierung des Handels mit gefährlichen Abfällen als Wettbewerbsmärkte eignet sich allerdings besser zur Illustration von Anreizeffekten als zur Beschreibung der Wirklichkeit, denn durch die verhältnismäßig geringe Zahl der Transaktionen bilden sich keine Wettbewerbspreise heraus.] Demnach kann internationaler Handel mit gefährlichen Abfällen durchaus im gegenseitigen Interesse sein, allerdings nur wenn Staaten alle externen Effekte durch angemessene Maßnahmen korrigieren – wie Vorschriften zur umweltgerechten Verwertung, Abgaben auf Mülldeponien und umfassende Haftungsregeln. Schließlich bedeutet ein Exportverbot immer auch eine Beschneidung der souveränen Entscheidung des Importlandes, die Einnahmen aus dem Handelsgeschäft für wertvoller zu erachten als die damit verbundenen Kosten und Risiken.

Außerdem können Handelsbeschränkungen für gefährliche Abfälle unter ungünstigen Umständen zu einer Verlagerung verschmutzungsintensiver Industrien in Entwicklungsländer führen, denen somit doch wieder die Rolle der „pollution havens" zukäme. Allerdings lassen sich Abfallströme wesentlich einfacher bewegen als ganze Fabriken, so daß hier der Drang zu ‚pollution havens‘ wahrscheinlich wesentlich ausgeprägter ist. Außerdem wäre es für die Entwicklungsländer in der Regel immer noch besser, statt der gefährlichen Abfälle die diese produzierenden Industrien anzuziehen.

Da sich die Handelsrestriktionen im Rahmen des Basler Übereinkommens auf Exporte aus Industriestaaten in Entwicklungsländer beschränken, kann es außerdem zu einer Zunahme des Süd-Süd-Handels kommen. Das ist vor allem daher bedenklich, weil dieser seltener als Abfallimporte aus dem Norden mit dem gleichzeitigen Transfer von umweltgerechten Technologien zur Lagerung und Weiterverarbeitung der Abfälle verbunden ist. Sofern Exportverbote auch solche Stoffe betreffen, die als Input für den Produktionsprozeß dienen – beispielsweise Metalle –, kann es schließlich zu einer verstärkten Ausbeutung eigener Rohstoffreserven kommen.

Es gibt also durchaus substantielle Gründe, die keineswegs nur ökonomischer, sondern auch umweltpolitischer Natur sind, eine gewisse Vorsicht gegenüber Handelsbeschränkungen walten zu lassen. Die vorangegangene Analyse beruhte jedoch auf der Annahme, daß Regierungen sowohl den politischen Willen als auch die nötigen Mittel haben, um den Abfallsektor optimal zu regulieren. Ist dies nicht gegeben, und dies dürfte in vielen Entwicklungsländern der Fall sein, dann können Handelsrestriktionen eine wohlfahrtssteigernde „zweitbeste" Politikmaßnahme zur Kontrolle der Externalitäten sein. Man sollte hierbei bedenken, daß die Probleme bei der Bestimmung der externen Kosten der Abfallverbringung enorm sind, denn sie erfordern eine Bewertung schwer kalkulierbarer Risiken, die sich zudem über einen langen Zeitraum erstrecken können. [ Zu den Problemen der Kosten-Nutzen-Analyse unter solchen Bedingungen siehe Helm, Bruckner und Tóth (1999).] Statt auf unzureichender Informationsbasis eine Schätzung der Kosten und Nutzen vorzunehmen, kann es in manchen Fällen durchaus sinnvoll sein, im Sinne des Vorsorgeprinzips den internationalen Handel mit gefährlichen Abfällen gänzlich zu verbieten.

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Eine noch größere ökonomische Rechtfertigung kommt Handelsrestriktionen bei einer illegalen Umgehung gesetzlicher Vorschriften zu. In diesem Fall bestünde die optimale Politik aus einer Verbindung von internen Vorschriften und Importbeschränkungen, da sie die Menge der zu entsorgenden Abfälle verringern und über den damit verbundenen Preisverfall auch den Anreiz einer illegalen Entsorgung der Abfälle (Copeland 1991). [ Aus der selben Analyse folgt jedoch auch ein Anreiz, den Export gefährlicher Abfälle zu subventionieren. Ein weiteres Ergebnis ist, daß sich bei Berücksichtigung der Möglichkeit einer illegalen Entsorgung die Höhe der optimalen Abgabe auf die Lagerung gefährlicher Abfälle verringert, um so die Anreize für eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften gering zu halten.] Gerade dieser Punkt ist für Abfallexporte in Entwicklungsländer von herausragender Bedeutung, denn aufgrund geringer administrativer Effizienz und verbreiteter Korruption kann der sachgemäße Umgang mit den hochsensiblen Abfällen in den seltensten Fällen gewährleistet werden, wie auch die Beispiele in Kasten 1 zeigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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