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Fallbeispiel: Chile
Heinrich Sassenfeld




Die Wurzeln des Zentralismus

Chile ist seit seiner Unabhängigkeit zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein Land mit einer absolut zentralistischen Regierung und Verwaltung. Das verwundert wenig, wenn man sich seine "verrückte Geographie", wie es ein bekannter Historiker des Landes nennt, ansieht. Über viertausend Kilometer erstreckt sich das Land von Nord nach Süd. Von der Hauptstadt braucht man dreieinhalb bis vier Flugstunden, bis man an die dortigen Landesgrenzen gelangt. Das ist ungefähr so, als ob Deutschland vom nördlichen Schweden bis nach Mittelitalien reichen würde. Grössere Teile des Landes wurden von europäischen Einwanderern besiedelt. Welche Regierung hätte da nicht in den Jahrzehnten der Konstituierung des Staates an die Gefahr einer Verselbständigung von Regionen gedacht?

Chile ist auch eines der wenigen lateinamerikanischen Länder, in denen das Militär keine Kriege verloren haben. Es hat in dieser Hinsicht ein positives Image, und die Idee einer straffen Führung, auch im politischen Bereich, findet in der Bevölkerung Sympathie.

Das Präsidialsystem gestattet weitreichende Kontrolle über die Provinzen. Die dreizehn Regionen werden von Intendenten regiert, die direkt vom Vertrauen des Staatspräsidenten abhängen. Weitere regionale Kabinettsmitglieder sind die Leiter der Dependancen der nationalen Sektorministerien. Regionale Direktwahlen existieren nicht. Eine gewisse Kontrollfunktion üben die Regionalräte aus, die von den Gemeinden hierfür delegiert werden.

Die hohe Zentralisierung spiegelt sich in der Bedeutung der Hauptstadt wider. 4,7 Mio., also 32,6% von insgesamt 14,4 Mio. Einwohnern, leben in Santiago. Die Bevölkerungsdichte liegt dort bei 200 Einwohnern pro km². In einigen Regionen im äußersten

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Süden Chiles lebt gerade mal 1 Einwohner pro km². Selbst in den Regionen ist der Urbanisierungsgrad so hoch, daß insgesamt 84,7% der Bevölkerung in Städten lebt. Groß-Santiago hat keinen Oberbürgermeister, sondern 33 eigenständige Gemeinden. Ihnen steht eine Regierung der "Región Metropolitana" als eigene Verwaltungseinheit mit hohem politischen Gewicht gegenüber.

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Kommunalpolitische Entwicklung

In den Jahren des Militärregimes (1973-1990) waren zwar alle Elemente lokaler Demokratie abgeschafft. Es gab aber wichtige Gesetzgebungsschritte in Richtung auf einen gewissen Grad an lokaler Autonomie für die Kommunen. In der Verfassung von 1980 und dem verfassungsähnlichen Organgesetz für Gemeinden von 1986 sind die wesentlichen Angelegenheiten in dieser Hinsicht geregelt. Hintergrund war die neoliberale Politik des Abbaus des Staates und vor allem des Zentralstaates. Kern dieser Neuverteilung der Verantwortlichkeiten ist die Bereitstellung von Dienstleistungen, wie die Gesundheitsgrundversorgung und das öffentliche Schulangebot durch die Kommunen. Hierzu erhalten die Gemeinden entsprechend den tatsächlich erbrachten Leistungen Überweisungen aus dem Haushalt der Zentralregierung.

Auf kommunaler Ebene gibt es seither einen Bürgermeister (alcalde) mit recht starken Exekutivbefugnissen gegenüber dem Stadtrat (consejo municipal).

Ebenso wie auf nationaler Ebene haben die Militärs auf der lokalen ein Wahlsystem hinterlassen, das eine exzessive Parteienzersplitterung verhindern sollte. Die ersten demokratischen Kommunalwahlen fanden auf der Grundlage dieses noch immer gültigen Wahlgesetzes im Juni 1992 statt - 20 Jahre nach den letzten Kommunalwahlen. Bei dieser Wahl wurden alle 340 Bürgermeister direkt gewählt. Dabei gilt, daß die Partei des Kandidaten mindestens 35% des Stimmenanteils bekommen muß; wenn nicht, wird der Bürgermeister indirekt von den Stadträten gewählt. Seit 1992 können Bürgermeister kommunale Administratoren (Stadtdirektoren) einstellen. In den großen Städten gibt es solche Administratoren, wobei eine detaillierte Evaluierung ihrer Rolle noch nicht vorliegt.

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Bürgervertretungen

Die sogenannten juntas de vecinos (Nachbarschaftsvertretungen) einzelner Stadtteile hatten während des Militärregimes ihre politische Rolle verloren. Dies hat sich mit dem Übergang zur Demokratie geändert: Sie sind heute wichtige Ansprechpartner für die Stadtverwaltung, um die konkreten Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung, insbesondere in sozialer Hinsicht und bei Kleinprojekten, auszuloten. Es herrscht aber eine gewisse Skepsis über die tatsächliche Repräsentativität dieser Vertretungen. Der lokale Wirtschafts- und Sozialrat, consejo económico y social communal (CESC) tagt in den meisten Gemeinden nur selten und hat wenig reales Entscheidungsgewicht. Plebiszite sind seit 1992 möglich. Sie werden jedoch kaum genutzt. In einigen Gemeinden Santiagos haben die Bürgermeister als neues Instrument das "Steuerplebiszit" eingeführt. Das heißt, die Bürger können beim Entrichten der Kraftfahrzeugsteuer darüber abstimmen, welche Investitionen ihnen besonders dringlich erscheinen. Die Gemeinde stellt dabei einige charakteristische Optionen zur Wahl. Sie ist aber nicht an die Ergebnisse der Umfrage gebunden.

Verantwortungsbereiche und aktuelle Probleme der Kommunen

Im eigentlichen kommunalen Verantwortungsbereich liegen Funktionen wie öffentlicher Transport, Straßenbau, Stadtplanung, Supervision städtebaulicher Vorhaben, öffentliche Beleuchtung, Abwasser und Kanalisation, Parks, Müllentsorgung, kommunale Entwicklung, Friedhöfe, etc.. In Chile gibt es z.B. für die Müllentsorgung immer öfter "outsourcing" kommunaler Dienstleistungen an den Privatsektor.

Darüber hinaus haben die Gemeinden vom Zentralstaat die Durchführung der schon erwähnten strategischen Aufgaben übertragen bekommen. Das sind in erster Linie Gesundheitsgrundversorgung und Bildung sowie Sozialhilfe. Hinzu kommen Teilzuständigkeiten in Sport, Tourismus, Straßenbau, Sozialwohnungsbau und Katastrophenschutz. Insgesamt ist dieser große Zuständigkeitsbereich umfangreicher als in anderen lateinamerikanischen Ländern. Unglücklicherweise sind die Verantwortlichkeiten zwischen Kommunen und Sektorministerien oder nationalen Behörden auch nicht sehr

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klar. Dadurch landen viele Reklamationen der Bürger bei der Stadtverwaltung, obwohl diese die Lösungen nur mit Hilfe der anderen Institutionen anbieten kann.

Finanzielle Engpässe in den übertragenen Diensten, insbesondere bei der Grundversorgung von Gesundheit und schulischer Bildung, sind in Chile notorisch. Im ersteren Fall hat sich die Regierung zur Erhöhung des Durchschnittsbeitrags pro medizinische Behandlung entschieden. Die Erhöhung geht einigen Gemeinden so langsam, daß sie mit der Rückgabe der Verantwortung an das Ministerium drohten. Das Verfassungsgericht hat aber entschieden, daß dies illegal sei und die Gemeinden die Gesundheitsversorgung auch weiterhin anbieten müssen.

Kommunale Finanzen

Die traditionellen Aufgaben finanzieren die Gemeinden mit kleineren Steuern, Gebühren und über einen horizontalen Finanzausgleich im ordentlichen Haushalt. Die Kommunen haben nur eine sehr begrenzte Autonomie zur Einrichtung eigener Einnahmequellen. Auch die Steuereintreibung könnte besser funktionieren. Trotz der Finanznot steigt die Korruption in der Kommunalpolitik offenbar nicht spürbar an. Sie scheint in Chile geringer zu sein als in anderen lateinamerikanischen Ländern.

1979 gab es eine weitreichende Steuerreform als Vorbereitung der Dekonzentration und Übertragung von zentralstaatlichen Aufgaben im Bereich Gesundheit und Bildung auf die Kommunen. Diese Ausgaben werden in erster Linie in Form von Mittelzuweisungen aus dem nationalen Haushalt finanziert. Dabei gibt es ständige Auseinandersetzungen zwischen den Kommunen und der Zentralregierung, weil die Gemeinden mit den spezifischen Zuweisungen nicht auskommen und Teile der Ausgaben aus ihrem normalen Haushalt bestreiten müssen. Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern spielen sonstige Transfers vom Zentralstaat an die Kommunen keine Rolle.

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Die kommunalpolitische Arbeit der FES in Chile

Die Arbeit in diesem Bereich setzte ab 1992 an der Grundüberlegung an, die extreme Schwäche der Gemeinden gegenüber dem Zentralstaat abzubauen. Als politische Klammer bot sich der Aufbau eines Nationalen Gemeindeverbandes als Lobbyvertretung, aber auch als Serviceeinrichtung für die Kommunen an. Die Arbeit mit einzelnen Gemeinden sollte helfen, Piloterfahrungen für besseres kommunales Management zu erwerben und diese via Verband an die übrigen Kommunen zurückzuspeisen. Der Nachweis effizienter Arbeit auf dieser staatlichen Ebene soll die weitere Dezentralisierung erleichtern.

Die Neugründung des Nationalen Gemeindeverbandes (AChM)

Im November 1991 führten die Friedrich-Ebert-Stiftung, die CEPAL und einige chilenische NROs ein internationales Seminar mit dem Titel "Notwendigkeiten und Erfolgsaussichten eines Nationalen Gemeindeverbandes" durch. Hintergrund waren die bevorstehenden ersten demokratischen Gemeindewahlen im Juni 1992.

Das Seminar hatte einen schnellen politischen Beschluß zur Folge: Die Neugründung des Nationalen Gemeindeverbandes sollte vorangetrieben werden. Die neuen Aufgaben des Verbandes sah man im Bereich der Aus- und Fortbildung sowie der Lobbyarbeit für die Kommunalebene. Beraten von der FES, unternahm man zwischen Dezember 1992 und April 1993 die wesentlichen Schritte. Einige Anwälte wurden mit dem Erarbeiten einer Satzung beauftragt. Hierbei flossen auch Prinzipien aus der deutschen Kommunalpolitik ein. Der Verband sollte für die Gemeinden und nicht für Bürgermeister oder Stadträte zuständig sein, sollte Überparteilichkeit wahren, gleiches Stimmrecht für alle Gemeinden (unabhängig von Größe und Einkommen) sichern. Finanziert werden sollte die Verbandsarbeit durch Beiträge. Die Mitgliedschaft sollte freiwillig sein. Regionale Treffen von Bürgermeistern und Stadträten fanden statt, bei denen diese ihre genaueren Vorstellungen zu den Serviceleistungen einbrachten, die sie vom Verband erwarteten. Die FES unterstützte das Vorbereitungsteam unter anderem durch die Finanzierung eines Mitarbeiters, der später Generalsekretär des Verbandes wurde.

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Der Gründungskongreß wurde Anfang Mai 1993 unter Beteiligung von gut 85% aller Gemeinden durchgeführt. Aus den Erfahrungen, die in Kolumbien bei vergleichbaren Beratungen gewonnen worden waren, wurde die Konsequenz gezogen, den Verband möglichst schnell von der FES unabhängig zu machen. Nach der Gründung der AChM (Asociación Chilena de Municipalidades) bezog diese schon im Juni 1993 eigene Räume, trug die Personalkosten aus Mitgliedsbeiträgen und wurde somit von Beginn an zu einer unabhängigen und rein chilenischen Institution.

Besondere Angebote der AChM für die Mitgliedsstädte

Nach fünf Jahren ist auf dem letzten Kongreß auch die letzte noch fehlende Gemeinde Chiles Mitglied des nationalen Dachverbandes geworden. Angesichts des Prinzips der Freiwilligkeit kann dies als ein überwältigender Nachweis der Nützlichkeit bewertet werden, den ihre Mitglieder in der AChM sehen.

Das Fortbildungsangebot des Verbandes bezieht sich auf alle gemeinderelevanten Themen. Die Kommunen können zwar seit Verabschiedung des Gemeindeverfassungsgesetzes von 1992 ihre eigenen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen selbst organisieren oder Dritte damit beauftragen, aus Mangel an finanziellen Mitteln ist dies allerdings für kleinere Gemeinden fast unmöglich. Diese Aufgabe übernimmt daher der Verband. Es ist durchaus umstritten, ob diese Art der Verlagerung der Aufgaben beibehalten werden soll oder auf Dauer ein nationales Ausbildungsinstitut für Mitarbeiter/-innen der Kommunen angestrebt werden soll. Schwierig ist es mitunter jetzt noch, eine Beziehung zwischen Themen und Teilnehmern herzustellen. Die Bürgermeister sehen solche Veranstaltungen manchmal als "Bonbon" und schicken Leute, die in der täglichen Arbeit wenig mit dem Thema zu tun haben.

Im Rahmen der DSE-Kooperation gibt der Verband für die Fortbildung eine Serie von Handbüchern heraus. Die FES übernahm die inhaltliche Verantwortung für die 1995 erschienen Titel "Umweltmanagement der Gemeinden" und "Lokale Wirtschaftsentwicklung". 1996 unterstützte die FES durch personelle Beratung die Kommissionen des Verbandes bei der Umsetzung der beiden ge-

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nannten Themen. In einzelnen Fällen konnte auch der Einsatz von Kurzzeitexperten für die Ausbildungsarbeit des Verbandes organisiert werden.

In Zukunft will der Verband auch stärker technische Beratung anbieten. Hierzu dient unter anderem die Sammlung von positiven Fällen der Lösung konkreter Probleme. Die Erfahrungen werden recherchiert, in präziser Form mit ihren Vor- und Nachteilen beschrieben und über ein elektronisches Informationssystem MUNITEL sowie über das Bulletin der AChM an die übrigen Kommunen weitergegeben. Hinzu kommen Fachseminare, etwa zu Erfahrungen mit Konzessionsvergaben, und die Möglichkeit, durch kurze Arbeitsaufenthalte die genaue Funktionsweise der Lösungen kennenzulernen. An dieser neuen Produktentwicklung arbeitet die FES aktiv mit.

Internationaler Erfahrungsaustausch der AChM

Im Oktober 1993 reiste eine vierköpfige Delegation des Verbandes auf Einladung der FES zu einem Informationsbesuch nach Deutschland. Sie hatte Möglichkeiten, die Realität in deutschen Gemeinden in Ost und West kennenzulernen und zu diskutieren. Darüber hinaus bestand Gelegenheit zur Kontaktaufnahme bzw. -vertiefung mit DSE und DED. Ergebnisse sind die umfangreiche Kooperationen mit beiden Institutionen bei der Fortbildung von Gemeindepersonal bzw. der Entsendung von Fachpersonal.

Im April 1994 unterstützte die FES einen ersten Internationalen Kongreß der AChM in Temuco mit Teilnehmern aus fast allen lateinamerikanischen Ländern sowie aus Kanada, Holland, Frankreich, Spanien und Deutschland. Nach der schnellen Konsolidierung des Verbandes sollten die internationalen Erfahrungen positiver und negativer Art baldmöglichst in die eigene Arbeit einfliessen. Die FES in Chile organisierte 1995 den Zyklus "Gemeinde und moderne Demokratie". Er fand im Rahmen des auf die Länder des Cono Sur bezogenen FES-Arbeitsansatzes PROSUR statt. Ein grundlegendes Thesenpapier wurde in einem nationalen und einem internationalen Workshop ergänzt. Als Endversion entstand eine komprimierte Darstellung der Problematik und möglicher Politikoptionen. Sie wurde an hochrangige Entscheidungsträger in den Cono-Sur-Ländern verteilt.

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Arbeit mit Pilotgemeinden

Parallel zur Förderung des Verbandes erfolgte schon ab 1993 eine direkte Beratung der Regionalhauptstadt Rancagua durch die FES. Die Arbeit konzentrierte sich auf die oben genannten Themen und den Einsatz von Moderatoren im Planungs- und Organisationsprozeß. So wurden Workshops zu Themen wie: "Prioritäten bei den Gemeindeinvestitionen", "Planung des Innenstadtverkehrs", "Planung der Müllabfuhr", "Reorientierung der längerfristigen Arbeit der Gemeinde" u.ä. durchgeführt. Für die kommunale Entwicklungsgesellschaft wurden eine Debatte der internen Zielsetzungen organisiert und die Instrumente der kommunalen Wirtschaftsförderung diskutiert. Mitarbeiter der Gemeinde wurden in Moderationstechniken geschult. Kurzzeitexperten zum Pestizideinsatz in der Obstwirtschaft und dessen Auswirkungen auf die Arbeitskräfte sowie zu den Abwasserproblemen Rancaguas kamen in Zusammenarbeit mit dem Senior Expert Service und mit FES-Unterstützung zum Einsatz. Internationale Erfahrungen sammelten die Bürgermeister von Rancagua bei zwei Informationsreisen nach Deutschland und durch die Teilnahme an einem internationalen kommunalpolitischen Seminar der FES im Juni 1995 in Brasilien.

Das Angebot der Moderation von Planungs- und Organisationsprozessen stößt auf zunehmende Nachfrage. 1996 und 1997 wurden u.a. das Sozialdezernat von La Florida (450.000 Einwohner), das Dezernat für kommunale Entwicklungsfragen von Viña del Mar (größte Hafenstadt Chiles) und die Umweltverantwortlichen der Gemeinden der Region VIII (Süden Chiles) unterstützt. Daß die Gemeinden zunehmend bereit und in der Lage sind, die Kosten dieser Veranstaltungen selbst zu tragen, ist ein Beweis für deren Nutzen.

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Zukünftige Herausforderungen der Dezentralisierungspolitik

Weitergehender Bestandteil der Dezentralisierungspolitik in Chile wäre die Weiterführung der regionalpolitischen Eigenständigkeit. Bisher bestehen die Regionalregierungen noch aus dem vom Präsiden-

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ten eingesetzten Intendente und einem Regionalrat. Die Beziehungen zu den Gemeinden bestehen zunächst darin, daß die Ratsmitglieder durch die Stadträte aller Gemeinden der Region gewählt werden. Darüber hinaus benötigen die Gemeinden allerdings politisch und finanziell autonome Regionalregierungen, um z.B. die bildungspolitischen Aufgaben zukunftsorientiert auszufüllen. Die Gemeinden können Schulen in eigener Verantwortung organisieren oder dies als Auftrag an Private weitergeben. Die Gemeinden sind allerdings in der Überwachung und Qualitätskontrolle überfordert. Es ist zu erwarten, daß sich die Differenzierung im Bildungssektor weiter fortsetzen wird, was eines der größten Hindernisse beim Erreichen von Chancengleichheit und der Anpassung der Ausbildung an die Erfordernisse einer international wettbewerbsfähigen Wirtschaft darstellt. Hier ist eine abgestimmte Zusammenarbeit im regionalen Zusammenhang dringend erforderlich.

Ähnliches gilt für die überfällige Steuerreform. Kleine Gemeinden haben bisher noch zu geringe Möglichkeiten, eine angepaßte berufliche Fortbildung ihres Personals zu organisieren. Sie haben kaum das geeignete Personal, die erforderlichen Investitionsprojekte für die Finanzierung über die Regional- oder Zentralregierung zu formulieren. In einigen Regionen konnten im Vorjahr daher gerade die ärmsten Gemeinden keine neuen Projekte bewilligt bekommen. Diese Gemeinden benötigen für die Formulierung ihrer eigenen Entwicklungspolitik professionelle Unterstützung, und die müßte zukünftig stärker von der regionalen Ebene als von der nationalen organisiert werden, um problemnah konzipiert und umgesetzt zu werden.

Chile geht aber mit sehr vorsichtigen und langsamen Schritten den Weg der Dezentralisierung. Die Idee des Präsidialsystems und des Zentralstaates sind noch tief in der politischen Kultur verankert. Selbst wenn 1999 in Chile eine Mitte-Links-Regierung gewählt wird, besteht keine Garantie, daß dieser Teil der Dezentralisierungspolitik automatisch ausgebaut wird, um die Demokratie im Lande langfristig abzusichern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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