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TEILDOKUMENT:


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Lateinamerika


Vorwort
Peter Hengstenberg


Kommunalpolitik hat Konjunktur, in Lateinamerika wie als Aufgabengebiet der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zwei Gründe in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Subkontinents sind dafür maßgeblich: die Vertiefung des Demokratisierungsprozesses und die Umsetzung der Strukturanpassungspolitiken der 80er Jahre. Beide Prozesse geben der kommunalen Selbstverwaltung größeres Gewicht und übertragen den Städten und Gemeinden neue Aufgaben. Sichtbar wird dies an der fortschreitenden Dezentralisierung in vielen lateinamerikanischen Ländern seit Mitte der 80er Jahre. Sie ist Ausdruck des Willens der Menschen zur Demokratisierung ihrer Gesellschaft nach vielen Jahren autoritärer Regime. Ein weiteres Motiv zur Dezentralisierung sind die Anstrengungen zur Erhöhung der Effizienz staatlichen Handelns. Sie geschieht vor dem Hintergrund breiter Strukturanpassungen, die mit einer "Verschlankung" des Staates einhergehen.

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Demokratisierung und wirtschaftliche Strukturanpassung — eine Bilanz

Die Strukturanpassungen haben das makroökonomische Gleichgewicht von Preis- und Wechselkursstabilität, Schuldenstand und ausgeglicheneren öffentlichen Budgets wiederhergestellt und die meisten Länder des Subkontinents auf einen Wachstumspfad zurückgeführt. Insofern erscheinen wichtige Rahmendaten für wirtschaftliches Handeln stabilisiert. Die prekäre soziale Lage des weitaus größten Teils

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der Bevölkerung stellt aber weiterhin eine latente Bedrohung für innere Sicherheit und Demokratie in Lateinamerika dar. Hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Informalisierung und Abbau kollektiver sozialer Sicherungssysteme sind nur einige Beispiele für die andere Seite der Medaille.

Legitimitätsprobleme und begrenzte Leistungsfähigkeit der politischen Repräsentationsorgane sowie das damit verbundene Problem der Regierbarkeit schaffen neue Herausforderungen. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Politikgegenstände und der Schwächung des Zentralstaates im Zuge der sich ausweitenden Internationalisierung/Globalisierung muß sich politisches Handeln neu organisieren. Wichtige Handlungsfelder entziehen sich immer mehr der nationalen Einwirkung, und politische Gestaltungsräume müssen wieder zurückgewonnen werden. Gleichzeitig hegt die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor die Erwartung, ihre Probleme seien uneingeschränkt durch nationale Politik lösbar — eine Perspektive, die viele Politiker in Wahlkämpfen auch weiterhin fördern. Hier ist Aufklärung und die Vermittlung realistischer Politikperspektiven gefragt, die die Leistungsfähigkeit politischen Handelns auf den verschiedenen Politikfeldern und Entscheidungsebenen für den Bürger nachvollziehbar machen.

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Kommunalpolitik als Arbeitsgebiet der FES in Lateinamerika

Die Arbeitsfelder Dezentralisierung und Kommunalpolitik sind heute ein Muß für jede gesellschaftspolitisch in der Entwicklungszusammenarbeit wirkende Institution. Dies gilt um so mehr für eine politische Stiftung, deren wichtiges, wenn nicht gar wichtigstes, Ziel die Förderung der Demokratie ist.

Unter dem Leitbild der Demokratieförderung stehen für die Beschäftigung mit dem Thema Kommunalpolitik in Lateinamerika für die FES folgende Ansatzpunkte im Vordergrund:

  • Im kommunalpolitischen Raum wird Demokratie gelernt. Neue politische Führungskräfte erfahren hier ihre politische Sozialisation. Neue politische Akteure kollektiver Art finden hier ihre Wurzeln.

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  • Trotz Globalisierung der Lebensverhältnisse bleibt für den Bürger sein unmittelbarer Lebensraum die Grundlage für die Bewertung von politischem Erfolg und politischem Versagen. Hier findet Legitimation von Politik statt und wird politischer Wandel konkret erfahrbar. Zugleich ist in der Kommunalpolitik die politische Partizipation sowie die Umsetzung von Bürgerrechten und -pflichten unmittelbar wirksam, so daß lokale Demokratie auch eng mit dem Gestaltungswillen des einzelnen verbunden ist.
  • Effektivität und Effizienz lassen sich auf kommunaler Ebene am besten vereinbaren. Politisches Handeln und sparsamer Umgang mit öffentlichen Ressourcen können in Städten und Gemeinden dann am besten kombiniert werden, wenn Politiksegmentierung und Verwaltungsfragmentierung überwunden werden. Die "Intelligenz der Demokratie" erweist sich gerade dann, wenn erfolgreiches politisches Handeln — mit seinen Eckpunkten Effektivität, Effizienz und Partizipation - in Innovationen politisch-institutioneller Art mündet. Hier liegt eine zentrale Gestaltungsaufgabe der Demokratien Lateinamerikas.
  • Die Mobilisierung lokaler Ressourcen für die Lösung von Problemen vor Ort ist eine Chance für selbstverantwortliches Handeln und stärkt die Eigeninitiative und Selbsthilfepotentiale in den Gesellschaften Lateinamerikas. Hier eröffnen sich die Chancen der Subsidiarität. Staatliches Handeln kann komplementär zu den Eigenanstrengungen der Bevölkerung gestaltet werden.

Trotz aller Unterschiedlichkeit der Projektansätze gewinnt der Erfahrungsaustausch zwischen den Projekten, auch über die Kontinentgrenzen hinweg, zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund trägt die FES auch zum horizontalen Erfahrungsaustausch zwischen den Kommunen eines Landes und ausgewählten Kommunen mehrerer Länder einer Region bei. Die Dynamik der kommunalpolitischen Entwicklung und die damit einhergehenden innovativen Lösungsansätze in Lateinamerika stellt auch den Erfahrungsaustausch mit Deutschland in ein neues Licht. Erfahrungsaustausch wird somit zunehmend zu einem Voneinander-Lernen-Können.

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Dezentralisierung, kommunale Selbstverwaltung und "local power"

Die Begeisterung für die breite Akzeptanz der Dezentralisierung in Lateinamerika darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Verteilung von Aufgaben, die vorher der Zentralstaat wahrgenommen hat, auf regionale und/oder lokale Gebietskörperschaften nicht per se ein Mehr an Demokratie bedeutet. Politische Verkrustungen und Korruption sind auch auf lokaler Ebene zu verzeichnen. Sie sind ebenso ein Risiko der Dezentralisierung wie einer Kommunalpolitik, die allein auf die eigene Gemeinde bezogen ist und die übergreifende Perspektive aus dem Blick verliert. Voraussetzungen für ein adäquates Verhältnis zwischen lokaler Autonomie und nationaler Integration sind geeignete vertikale und horizontale Abstimmungs- und Koordinierungsmechanismen (einschließlich Aufsichts- und Kontrollfunktionen) zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften. Die Verflechtung von politischen Entscheidungsebenen und verschiedenen Politikfeldern ist insofern eine entscheidende Herausforderung.

Die Förderung der Demokratie als Ziel jedweder Dezentralisierung muß Hand in Hand gehen mit der sozialen Integration der lateinamerikanischen Gesellschaften, damit nicht immer weitere Kreise der Bevölkerung vom Zugang zu staatlichen Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Bei dieser Zielsetzung erwachsen dem Zentralstaat und den Gebietskörperschaften, aber auch den zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in zunehmend stärkerem Maße ihre Ansprüche artikulieren, hochkomplexe Aufgaben. Das vernünftige Zusammenspiel dieser Akteure ist Voraussetzung für die Qualität der Dienstleistungen, die von der Bevölkerung erwartet wird. Gerade die Gebietskörperschaften müssen heute ihre Leistungsfähigkeit nachweisen. Vor allem daran werden die Bürger und Bürgerinnen auch in Zukunft ihre Demokratie messen. Daraus folgt unmittelbar, daß Kommunalpolitik einen veränderten, nämlich wesentlich höheren Stellenwert in der Vorstellungswelt der Politiker Lateinamerikas genießen muß. Noch in der jüngeren Vergangenheit versprach allein die nationale Politik Meriten, die die Kommunalpolitik in ihrem Mauerblümchen-Dasein nicht anbieten konnte.

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Standortpolitik und Wettbewerbsfähigkeit

Die Verringerung der wirtschaftspolitischen Interventionsfähigkeit des Staates gibt den lokalen Standortbedingungen heute ein anderes Gewicht als noch vor wenigen Jahren. In Lateinamerika wächst die Erkenntnis der Notwendigkeit kommunaler Wirtschaftsförderung - ein Aufgabenbereich, der früher als ausschließliche Aufgabe der Zentralregierung betrachtet wurde. Allerdings sind viele Gemeinden damit überfordert, zumal sie sich noch in erster Linie mit den ihnen zugewiesenen, neuen (Sozial-) Aufgaben und Finanzmitteln auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig erkennen sie jedoch, daß Investitionen in die soziale Infrastruktur langfristig nicht tragfähig sind, wenn sich die Einkommens- und Beschäftigungssituation vor Ort nicht verbessert. Eine Lösung bietet sich den Gemeinden in der Zusammenarbeit mit der örtlichen Privatwirtschaft, zu der ohnehin ein neues Verhältnis innerhalb des erweiterten kommunalen Tätigkeitsfeldes definiert werden muß (public-private-partnership).

Neue Impulse sind auch für das Verhältnis von Gemeinden untereinander gefragt: Ihre Leistungsfähigkeit hängt in besonderem Maße auch davon ab, ob es ihnen gelingt, über horizontale Kooperationsformen gemeinsame Lösungen, z.B. in Form von kommunalen Zweckverbänden oder gemeinsamen Eigenbetrieben, auf den Weg zu bringen. Die Entwicklung von Wettbewerbsfähigkeit ist eine zentrale Herausforderung für das weithin auf unmittelbare Dienstleistungen (Wasser, Strom, Märkte etc.) orientierte Verwaltungshandeln auf kommunaler Ebene.

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Projektansätze der FES im Arbeitsbereich Kommunalpolitik und Dezentralisierung

Die Stadien der Dezentralisierungsprozesse sind in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern sehr unterschiedlich. Auch die institutionelle Ausprägung des Verhältnisses zwischen Zentralstaat, Ländern (Provinzen, Departements) und Gemeinden sowie die Art der Aufgaben/Kompetenzen und das Volumen der finanziellen Zuweisungen, die der Zentralstaat den Gemeinden übertragen hat, variieren erheblich von Land zu Land. Hinzu kommt noch die unter-

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schiedliche Ausstattung der Gemeinden mit eigenen Einnahmen (kommunale Steuern, Abgaben und Gebühren).

Diesen landesspezifischen Aspekten muß die Projektarbeit der FES Rechnung tragen. Außerhalb der Schwerpunkte Dezentralisierung und Kommunalentwicklung, die die Stiftung schon Mitte der 80er Jahre gesetzt und durch ein fachspezifisches und länderübergreifendes Projekt konkretisiert hat, entwickelt sich die Kooperation nicht nach einheitlichen Vorgaben. Unterschiedliche Projektziele, Inhalte und Partnerstrukturen in den verschiedenen Ländern prägen die jeweiligen Aktivitäten. Bei dem gegebenen Stand der Projekte ist es deshalb schwierig, aus den bisherigen Erfahrungen allgemeingültige Schlüsse für erfolgreiche Ansätze zu ziehen. Lediglich einige Grundlinien, die oben entwickelt wurden, können als benchmark für die weitere kommunalpolitische Projektarbeit dienen. Hierbei müssen sich die Projektansätze den gegebenen Rahmenbedingungen im Land und den verfügbaren Partnerstrukturen anpassen. Sie lassen sich nach verschiedenen Typen klassifizieren:

  • A) Kommunalpolitik als "Schule der Demokratie"
  • B) Legitimierung von Demokratie durch effiziente kommunalpolitische Leistungen
  • C) Leistungsfähige Kommunalpolitik als Voraussetzung erfolgreicher Dezentralisierung
  • D) Kommunalpolitik als Instrument nationaler Integration
  • E) Kommunalpolitik als Instrument der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
  • F) Kommunalpolitik als Grundlage einer lokalen Friedensagenda
  • G) Die kommunale Ebene als Teil der Staats- und Verwaltungsreform
  • H) Kommunalpolitik als Element nachhaltiger Entwicklung: Agenda 21
  • I) Integrale und nachhaltige territoriale Entwicklung

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Die Erfahrung zeigt, daß die Kooperation im Arbeitsfeld Dezentralisierung/Kommunalentwicklung nur dann einen durchgreifenden Erfolg zeitigt, wenn sie, an den beiden Zielsetzungen Demokratieförderung und Steigerung der Leistungsfähigkeit orientiert, einer mittel- bis langfristigen Arbeitsstrategie folgen, die kontinuierlich an die jeweiligen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen angepaßt wird. Das läuft auf Maßnahmen hinaus, die strukturwirksame und nachhaltige politische Prozesse induzieren: Punktuelle Kooperationsmaßnahmen können dazu eine sinnvolle Ergänzung liefern. Projektarbeit in Pilotgemeinden ist also dann angezeigt, wenn ihre Auswahlkriterien auf andere Gemeinden übertragbar sind.

Es liegt auf der Hand, daß die begrenzten Ressourcen der FES es nicht erlauben, Kommunalentwicklung flächendeckend zu betreiben. Eine Kooperation mit anderen Institutionen, wie z.B. der GTZ, kann die Arbeit der Projekte jedoch potenzieren.

Die folgenden Beispiele sollen einen Einblick in die konkrete Projektarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in ausgewählten Ländern Lateinamerikas und der Karibik ermöglichen. Sie stellen dabei nicht umfasssend dar, was die FES in den einzelnen Ländern leistet, sondern sollen die Facetten des vielgestaltigen Beratungsprogramms im Bereich der Kommunalpolitik illustrieren. Die unterschiedlichen Kommunalverfassungen und -Akteure in jedem Land lassen nur sehr begrenzte Vergleiche zu. Die FES-Arbeit in Chile, Brasilien und Nicaragua wird in ausführlichen Fallstudien gesondert vorgestellt.

A) Kommunalpolitik als „Schule der Demokratie"

In Lateinmamerika werden die politischen Führungskräfte gemeinhin aus dem Umfeld der politischen Parteien rekrutiert. Da Parteien mit einer ausgeprägten territorialen Verankerung und entsprechenden Strukturen in Lateinamerika aber die Ausnahme bilden, haben die Dezentralisierung und die Belebung des politischen "Geschäftes" auf lokaler Ebene eine neue Führungsgruppe entstehen lassen, deren kommunalpolitische Erfahrungen sie zu einer wichtigen Nachwuchskraft für das politische Leben des Landes macht.

In Peru hat die FES durch ein seit neun Jahren geknüpftes Netz in 18 Städten lokale Führungskräfte qualifiziert und ihnen das Rüst-

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zeug zur Übernahme politischer und sozialer Verantwortung im Lande mitgegeben. Unter dem Namen Interquorum sind diese Bildungskurse im Modulformat bekannt geworden. Sie verbinden strategisches Denken, partizipative Kommunikationsmethoden sowie Gruppentechniken, um demokratische Werte und neue Arbeitsstile voranzubringen. Pluralität und Toleranz sind die Grundwerte dieses Bildungsangebotes für Führungskräfte sozialer, kultureller, politischer und funktionaler Gruppen. Auf lokalem Niveau führen sie ein Interquorum durch und bilden sich dann als Gruppe in thematisch angelegten Workshops fort. 1730 Teilnehmer haben so partizipative Planung und Kreativität bei der Suche nach Lösungen für Probleme ihres Lebensbereiches erlernt und teilweise auch an ihre jeweiligen Referenzgruppen weitergegeben. Viele der Absolventen sind heute in Ehrenämtern oder als Gemeinderäte, Bürgermeister, soziale Promotoren oder in Nichtregierungsorganisationen tätig. Auch einige der Kongreßmitglieder haben die Kurse durchlaufen und beziehen sich noch heute auf ihre Interquorum-Erfahrungen. Das weite Netz der Interquorum-Absolventen in Peru hat das politische Klima in vielen Gemeinden verbessert, nicht zuletzt, weil durch diese Kurse vermittelt werden konnte, wie bürgernahe und effiziente Entscheidungen getroffen werden, die sich an den Grundwerten der Demokratie ausrichten.

B) Legitimierung von Demokratie durch effiziente kommunalpolitische Leistungen

Die Rückkehr zur Demokratie bzw. die Etablierung demokratischer Lebensverhältnisse in Lateinamerika hat die Erwartungen der Bevölkerung bestärkt, was die Berücksichtigung ihrer Interessen und Bedürfnisse angeht. Die Demokratien Lateinamerikas können sich heute nicht mehr nur auf die demokratischen Wahlen berufen, wenn sie die Legitimität ihres Handelns begründen, sondern müssen diese zunehmend durch Leistungen rechtfertigen. Den Gemeinden kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, stellen sie doch die Ebene des unmittelbaren Kontaktes zur Bürgerschaft dar. An dieser Schnittstelle zwischen Bürger und Staat muß sich die Effizienz politischer Leistungen bewähren. Gleichzeitig muß es auch Raum für die Beteili-

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gungs- und Gestaltungswünsche einzelner und gesellschaftlicher Gruppen geben.

Historisch betrachtet haben die Kommunen in vielen Ländern Lateinamerikas nur eine sehr eingeschränkte Rolle gespielt. Ihre Aufgaben und Funktionen wurden bewußt gering gehalten. In El Salvador erlaubte z.B. die Atomisierung in 262 Gemeinden, von denen 90% weniger als 20.000 Einwohner zählen, keine Entwicklung effizienter Verwaltungseinheiten. Ein rascher Verstädterungsprozeß konzentrierte bis heute etwa 50% der Bevölkerung in der Hauptstadt San Salvador. Bislang ist von einer diesem Prozeß entgegenwirkenden Politik noch wenig spürbar. Zwar haben die Gemeinden eine Vielzahl administrativer Funktionen übernommen, aber in der Praxis sind die Zuständigkeiten gegenüber den zentralstaatlichen Instanzen ungeklärt. Es kommt zu zahlreichen Überschneidungen, und in letzter Instanz obsiegt das zentralstaatliche Element. Die finanzielle Ausstattung und die technischen Fähigkeiten der Gemeinden sind alarmierend niedrig. Dies reicht von der Bezahlung der Bürgermeister (36% von ihnen erhalten weniger als den staatlich festgelegten Minimallohn, erst seit 1995 zahlt die Zentralregierung einen Zuschuß) bis zur geringen Verfügbarkeit von Mitteln für Baumaßnahmen oder für die Verbesserung des Dienstleistungsangebotes.

Mangel an Human Resources...

Das Verwaltungspersonal der Gemeinden in El Salvador verfügt in der Regel über einen sehr geringen Ausbildungsstand. Nur eine sehr geringe Zahl der öffentlichen Angestellten kann einen höheren Bildungsabschluß vorweisen (die Hälfte der Bürgermeister hat nur die Grundschule besucht, 15% haben einen Universitätsabschluß). Die Summe der Haushalte der Gemeinden beläuft sich in den letzten Jahren auf lediglich 0,5% des Sozialprodukts. Nimmt man Transferleistungen des Zentralstaates und Infrastrukturmaßnahmen des Sozialfonds für lokale Entwicklung hinzu, entspricht die Gesamtheit der über die Gemeinden laufenden öffentlichen Mittel weniger als 2% des Sozialprodukts.

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...Effizienz....

Die FES hat sich daher in den letzten Jahren darauf konzentriert, den Dezentralisierungsprozeß zu befördern, strukturelle Probleme der Gemeinden zu erkennen, mit ausgewählten Kommunalpolitikern Kooperationsformen zwischen den Gemeinden zu erproben sowie Fragen der Raumordnung und des Gemeinderechts zu behandeln. Dazu kam eine Bestandsaufnahme der personellen und materiellen Ressourcen repräsentativer Gemeinden. Sie gibt eine solide Grundlage für die praktische Gestaltung von Dezentralisierung und Finanzierung der Gemeinden ab. Die Ausbildung der Gemeindeverantwortlichen gehört ebenfalls zum Arbeitsprogramm. Parallel hierzu wird versucht, nationale NROs für Aktivitäten in diesem Bereich zu mobilisieren. Die Europäische Union finanziert ein Projekt, mit dessen Hilfe ein entsprechendes Netz gespannt werden kann. Es wird von der FES betreut.

...und Partizipation

Allerdings ist auch die Beteiligung der Bevölkerung an den Gemeindeangelegenheiten sehr gering. Dies beruht auf der fehlenden Entsprechung von Besetzung der Gemeinderäte und Wahlergebnissen. Wer als Partei, allein oder in Koalition, die höchste Stimmenzahl erreicht, erhält alle Sitze und stellt allein den Gemeinderat. Eine Wahlrechtsreform ist bisher gescheitert. Allerdings scheint sich die Bereitschaft aller Parteien ,das Wahlrecht zu ändern, erhöht zu haben. Die bisherige Struktur verhindert Debatten und eine demokratische Kontrolle der Gemeindepolitik. Konsequenz waren unter anderem eine große Zahl an Korruptionsfällen bzw. die fehlerhafte Verwendung der ohnedies geringen Ressourcen. Das System bietet zudem neben der geringen Transparenz nur wenig Anreiz zur Förderung einer politischen Kultur auf Gemeindeebene. Obwohl im Gemeindegesetz zahlreiche Beteiligungsformen vorgesehen sind, wie z.B. der Cabildo Abierto (Bürgerversammlung), Volksabstimmungen, kommunale Verbände und ständige Beratungsgremien, wurden diese bisher durch die Regierungspartei nur in den seltensten Fällen genutzt. Es kann davon ausgegangen werden, daß die niedrige Wahlbeteiligung und das schlechte Image der demokratischen Institutionen min-

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destens zum Teil auf die Situation auf Gemeindeebene zurückzuführen sind.

Mit ihrer geringen Erfahrung und Ausbildung müssen die neuen Gemeinderäte und Bürgermeister die strukturellen wie die alltäglichen Probleme der Gemeinden angehen. Die aus der früheren Guerillabewegung Frente Farabundo Marti de Liberacion Nacional (FMLN) hervorgegangenen Mandatsträger müssen nun die Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen. Auf nationaler Ebene steht ihre Partei in der Opposition. Die regionalen Entwicklungskomitees (CDR), die von den verschiedenen Bürgermeistern gebildet werden, stimmen, von der FES unterstützt, die Strukturpolitik und die regionalen Entwicklungsmaßnahmen ab. Die Wirkungen sind jedoch begrenzt, da diese Beiräte nur Vorschlagsrecht gegenüber der Zentralregierung besitzen. Ein Durchbruch scheitert indes bislang an der Politik, die eine weitergehende Dezentralisierung blockiert. Die demokratische Frage auf kommunaler Ebene ist damit in El Salvador auch weiterhin eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft.

Anders stellt sich die Situation in Jamaika, einer gefestigten Demokratie der Karibik, dar. Zur Verbesserung der Dienstleistungen der Gemeinderäte (Parish-Councils, lokale Regierungskörperschaften) brachte die jamaikanische Regierung eine Reihe von Reformen auf den Weg, die den kommunalen Dependencen der Regierungsbehörden mehr Autonomie gewähren sollen. Die Kommunen erhalten mehr Einfluß auf sie betreffende Entscheidungen, die Basisorganisationen sollen mitsprechen. Ein Schwachpunkt des Programms ist das Fehlen eines Apparats, der die Partizipation der Kommunen am Reformprozeß beleben könnte. Das Department of Government der University of the West Indies, die deutsche Botschaft, die Regierungsabteilung zur Reform der kommunalen Regierungsebene und ein lokales NRO-Netzwerk sind einbezogen, wenn die FES die internationalen Erfahrungen bezüglich kommunaler Autonomie vermittelt. Die NROs zeigten besonderes Interesse an ihren Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der formellen Strukturen der kommunalen Regierungsebene. Zunehmend entwickelten sich die NROs zum tragenden Element des Reformprozesses. Sie binden die Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv in den Reformprozeß ein und wirken an der Ausgestaltung des kommunalen Regierungssystems mit.

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Die traditionelle Kluft zwischen NROs und kommunalen Autoritäten ist mittlerweile überwunden. Pilotprojekte haben erste Ansätze zur gemeinsamen Lösung kommunaler Probleme erarbeitet. Selbsthilfepotentiale wurden so geweckt und mit Regierungsprogrammen und -aufgaben verknüpft. Der permanente Demokratisierungsprozeß ist so mit den Reformvorstößen der Regierung verzahnt. Der immer lauter werdende Ruf nach mehr Beteiligung der Bevölkerung am kommunalen Regierungssystem hält dies in Gang.

C) Leistungsfähige Kommunalpolitik als Voraussetzung erfolgreicher Dezentralisierung

Wirtschaftlichkeit und Transparenz sind für die Bevölkerung bei der Beurteilung der kommunalpolitischen Leistungsbilanz maßgeblich. Nach jahrzehntelanger Mißwirtschaft und Inflation ist dies ist auch nicht weiter verwunderlich. Privatisierung von Staatsbetrieben und Deregulierung der Wirtschaft galten neben der makroökonomischen Stabilisierung als einziges Allheilmittel. Zunehmend erkannte man jedoch, daß auch die Verlagerung von Aufgaben auf die unteren Gebietskörperschaften eine wirksame Alternative sind. Politiker stellen indes noch die Fähigkeit der Städte und Gemeinden in Frage, die übertragenen Aufgaben wirtschaftlich und effektiv wahrnehmen zu können, sobald es um die Entscheidung zugunsten der Dezentralisierung geht. Diesen Argwohn gegenüber der kommunalen Ebene kann man nur ausräumen, wenn die unteren Gebietskörperschaften erfolgreiche Dienstleistungen nachweisen können und auch die Gelegenheit dazu bekommen.

Dies ist ein sehr beschwerlicher Weg, den die Städte und Gemeinden aber gehen müssen. Die Bürgerinnen und Bürger vergleichen die öffentlichen Dienstleistungen daheim mit denen anderer Kommunen oder privater Unternehmen und fordern ähnliche Preis-Leistungs-Verhältnisse ein. Einfache Verwaltungsvorgänge (z.B. das Einzahlen von Steuern und Gebühren oder das Anmelden eines Kraftfahrzeugs) beanspruchen meist unverhältnismäßig viel Zeit, und das wird zunehmend als unzumutbar beanstandet.

Die formale Durchsetzung demokratischer Rechte und Freiheiten ist das eine, Transparenz in den Rathäusern und Mitwirkung an

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kommunalen Entscheidungen das andere. Das bringt die Kommunen in schwierige Situationen. Ihre Aufgaben haben in den letzten Jahren ohnehin deutlich zugenommen. In vielen Fällen gaben Zentrale und Provinzen etwa die Zuständigkeit für Krankenhäuser und Schulen an die Gemeinden weiter. Auch verschärfte hohe Arbeitslosigkeit die sozialen Probleme. Bedürftige Familien und arbeitslose Jugendlicher müssen unterstützt werden.

In Argentinien ist die FES in einigen Städten und Gemeinden mit der Modernisierung der Verwaltungen beschäftigt, um sie leistungsfähiger und wirtschaftlicher zu machen. Methoden operationaler Planung und Moderation lassen in partizipativen Gruppenprozessen die Stärken und Schwächen einer Kommunalverwaltung sichtbar werden. Interne Zuständigkeiten müssen festgelegt, Kosten-Nutzen-Rechnungen angestellt werden. Auch die Verwaltung selbst muß noch einmal dezentralisiert werden, etwa durch Einrichtung kommunaler Beratungs- und Servicedienste.

Standortpolitik und lokale Wettbewerbsfähigkeit

In dem Maße, in dem sich die anfangs erwähnten makroökonomischen Reformen allgemein durchsetzen, verlieren jene Länder, die sich früher als andere hierzu entschlossen hatten (Chile, später Argentinien), ihren dadurch erlangten Wettbewerbsvorteil. Da nach einmal durchgeführten Strukturreformen keine Regierung mehr auf direkte Interventionen in das Wirtschaftsgeschehen (z.B. durch Produktions- und Exportsubventionen oder die Schaffung neuer Staatsbetriebe) zurückgreifen möchte und dies aufgrund ihrer Haushaltsbeschränkungen auch nur in bescheidenem Maße könnte, stellt sich die Frage, auf welche Weise die Konkurrenzfähigkeit erhöht werden kann. Hier bietet sich das Konzept der "systemischen Wettbewerbsfähigkeit" an. Es zielt darauf ab, durch ein abgestimmtes Handeln der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Akteure die komparativen Vorteile einer Region auszuschöpfen, und zwar unter Einbeziehung sozial- und umweltpolitischer Aspekte, und dadurch deren Stellung im regionalen und globalen Wettbewerb zu verbessern.

Die FES sieht ihre Aufgabe in Argentinien jedoch nicht nur darin, die Debatte über ein zeitgemäßes entwicklungspolitisches Konzept

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zu fördern. Sie unterstützt verschiedene Städte und Gemeinden, darunter Rosario, die drittgrößte Stadt Argentiniens, auch praktisch dabei, strategische Entwicklungspläne aufzustellen, die die Aktivitäten von Kommunalverwaltung, Unternehmerkammern und Gewerkschaften, Umweltgruppen und Bürgerkomitees koordinieren. Sie berät bei der Bildung der Koordinierungsstelle innerhalb der Stadtverwaltung, hilft bei der Einholung externen Wissens, bei der Diagnose der Ausgangssituation und bei der Ausarbeitung der Entwicklungsprojekte.

Dezentralisierung, kommunale Aufgaben und Finanzausstattung

In Kolumbien gibt es außer der Hauptstadt Bogotá gut zehn weitere große Städte, die auf ihr Umland als Entwicklungsfokus wirken. Angesichts massiver Gewalt, die das Militär, Paramilitärs, Guerrillaverbände und Drogenunternehmer über das Land bringen, ist die administrative und geographische Dezentralisierung zunächst eine schwere Aufgabe. In Kolumbien hat sie sich in den letzten zehn Jahren in ihrer Zielsetzung wiederholt gewandelt. Anfang der 80er Jahre stand die Idee im Vordergrund, Dezentralisierung sei ein Mittel zur Rationalisierung der öffentlichen Ausgaben und diene der Stabilisierung des Zentralhaushalts. Die seit Ende der 80er Jahre möglichen Direktwahlen der Bürgermeister hatten die institutionellen Voraussetzungen für einen demokratisch legitimierten Dezentralisierungsprozeß verbessert. Allerdings stand nicht die Demokratisierung der Gesellschaft im Vordergrund der praktischen Politik, sondern die Erhöhung der Effizienz staatlichen Handelns und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dennoch erhob die Verfassunggebende Versammlung 1991 die Partizipation der Bevölkerung sowie ein höheres Maß an Autonomie und Finanzausstattung der Gebietskörperschaften zum politischen Prinzip. Der Dezentralisierungsprozeß wurde Bestandtteil einer breiteren Demokratisierung.

Das Gesetz zur Neuverteilung der Aufgaben und Finanzierung (Ley 60) machte zum Grundsatz, daß 50% der nationalen Einnahmen an die Bundesstaaten und die Gemeinden weitergeleitet werden. Die Bundesstaaten und Gemeinden wurden verpflichtet, wiederum die Hälfte dieser Transfereinnahmen dem Erziehungs- und Gesund-

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heitswesen zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, daß das nationale Parlament damit den Regionen nicht etwa einen Teil der nationalen Ressourcen zur autonomen Verfügung überläßt, sondern die Mittelverwendung von vornherein festlegt und eine Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse der einzelnen Regionen und Gemeinden nicht gestattet, macht den zentralstaatlich gesteuerten Charakter des Dezentralisierungsprozesses deutlich. Es blieb so bei einem „De-Konzentrationsprozeß".

Vor diesem Hintergrund unterstützt die FES in Kolumbien seit einigen Jahren die Dezentralisierungspolitik durch die organisatorische und konzeptionelle Förderung des nationalen Gemeindeverbandes (FCM), den es seit 1990 gibt. Erfahrungen daraus konnten anderen Projekten (vgl. den Beitrag zu Chile in diesem Band) zur Verfügung gestellt werden.

Mitte der 90er Jahre entstand der Eindruck, daß nicht nur die Institutionenförderung (FCM), sondern auch die Konzeption notwendiger Begleitmaßnahmen (wie Fortbildung für die Kommunalverwaltung und Finanzausgleich) hinreichend weit entwickelt war. Es fehlte jedoch weiterhin an einem auf den Dezentralisierungsprozeß abgestimmten administrativen und organisatorischen Instrumentarium, sowohl in den nationalen Ministerien als auch in den Gebietskörperschaften selbst. Ein Element dabei ist die kommunale Finanzpolitik. Hierbei geht es um die Bereitstellung von Instrumenten zur Förderung der kommunalen Finanzpolitik und um Strategien zur Förderung kommunaler Wettbewerbsfähigkeit. In fünf Gemeinden in der Pazifikregion hat die FES solche Instrumente und Strategien entwickelt und erprobt. Die Ergebnisse wurden dem nationalen Planungsamt zur Verfügung gestellt.

Politische Reformen und Verbesserung der Managementqualität in Staat und Gesellschaft

Ebenso wie in Kolumbien hat sich auch in Venezu-ela der Dezentralisierungsprozeß seit der Neuordnung der Kompetenzen der Gebietskörperschaften durch die Staatsreformkommission COPRE vertieft. Die Diskussionen zur Staaatsreform in Lateinamerika verlaufen in den verschiedenen Ländern sehr ungleichzeitig. In Venezuela

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sorgte die COPRE für eine umfassende Analyse der Staatsaufgaben und -funktionen. In anderen Ländern wurden mal die Verfassungen reformiert, mal Strukturanpassungsprogramme der zweiten Generation aufgestellt. Heute steht jedoch weniger die Diskussion konzeptioneller Fragen als die Ausgestaltung des Dezentralisierungsprozesses und die Lösung ganz praktischer Probleme im Vordergrund.

Auf lokaler Ebene entwickelten Parteien, NROs und öffentliche Verwaltung inzwischen ein ausgeprägtes Bewußtsein für die notwendige Verbesserung von Organisation, Management und Beteiligungsformen. Die Landesregierung Trujillo, die unteren Gebietskörperschaften und die FES schlossen ein gemeinsames Abkommen zur Entwicklung von Kommunalprojekten. Entsprechend ausgebildete Promotoren führten gemeinsam mit kommunalen und öffentlichen Angestellten integrierte Gesundheits- und soziale Sicherungsprogramme sowie Programme zur Alphabetisierung durch.

In Seminaren und durch direkte Beratung wurden mehr als 200 Funktionsträger der Bundesländer- und Gemeindeverwaltungen (Gouverneure, Bürgermeister, Länder- und Gemeindeangestellte, Stadträte, Abgeordnete der Länderparlamente und Vertreter der zivilen Gesellschaft) in kommunalen Fragen geschult. Sie betrafen institutionelle und finanzielle Stärkung der Departements, Bürgerbeteiligung an der Gemeindeverwaltung, Beziehungen zwischen Departement und Gemeinde und Verwaltungsmodelle für öffentliche Dienstleistungen. Einige Länder und Gemeinde bemühen sich mittlerweile selber um die nationale und internationale Finanzierung sozialer Investitionen. Sie haben technische Kooperationsabkommen unterzeichnet, um institutionelle und finanzielle Reformen einzuleiten. Die Länderregierungen von Sucre und Carabobo können nun nach der Beratung durch die FES mit den Gemeinden rechtlich und operativ kooperieren, den Dezentralisierungsprozeß vertiefen helfen und zu einer effektiveren Finanzierung der regionalen und lokalen Entwicklung beitragen. Dies betrifft insbesondere die Gesetzesvorlagen für einen Territorialfonds, die Dezentralisierung der Verwaltung und den Transfer von Aktivitäten und Dienstleistungen der Landesregierung auf die Gemeindeebene. Die FES hat zudem Multiplikatoren auf dem Gebiet des Kommunalmanagements ausgebildet.

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Soziale Infrastruktur

Den Landesregierungen und Gemeindeverwaltungen in Venezuela wurden zudem konkrete Vorschläge für die Systematisierung sozialer Sicherungssysteme auf Landes- und Kommunalebene unterbreitet. Diese sind vor allem für den informellen Sektor bestimmt und beziehen sich auf integrierte Sicherungssysteme und die Soforthilfe bei Gesundheitsproblemen. In den Bundesländern Lara, Carabobo und Sucre werden sie bereits angewandt. Außerdem wurde mit der Landesregierung Zulia ein Regionales System der Sozialinformation entworfen, das dem Bundesland bei der Formulierung seiner Sozialpolitik Hilfestellung geben soll.

Kommunalpolitik als Instrument nationaler Integration

In Bolivien sind auf dem Gebiet der Dezentralisierung zwei Ergebnisse hervorzuheben: zum einen das Gesetz über die departamentale Dezentralisierung (Ley de Descentralización Administrativa) zur Neuordnung und Kompetenzerweiterung der Präfekturen und der Benennung von "Consejos Departamentales", das ab 1.1.96 wirksam wurde; zum anderen die Veränderungen in den kommunalen Entscheidungsstrukturen, nachdem, als Folge des Gesetzes über Bürgerbeteiligung (Ley de Participación Popular) vom Dezember 1995, erstmals Bürgermeister und Gemeinderäte in über 300 Gemeinden für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und bürgerschaftliche Kontrollräte (comites de vigilancia) etabliert wurden. Damit wurde ein Instrument geschaffen, das der ethnischen Heterogenität des Landes Rechnung trägt und den verschiedenen ethnischen Gruppen politische Partizipationschancen einräumt.

Zudem erhalten die sog. Organizaciones Territoriales de Base (OTBs) eine Beteiligung bei den departamentalen Entwicklungskorporationen sowie eine Kontroll- und Beratungsfunktion in den Kommunen. Sie können Einspruch gegen die Gestaltung des Haushalts einlegen und weitergehende Kontrollrechte ausüben. Landarbeitergewerkschaften und ethnische Gemeinschaften (comunidades indígenas) etc. werden als OTBs anerkannt und erhalten damit erstmals in der Geschichte des Landes Beteiligungsrechte eingeräumt. Damit verbreitern sich die Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene und

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werden der Vielfalt traditioneller, ethnischer und funktionaler Repräsentationsformen besser gerecht. Neuartig ist dabei, daß dies durch ein Maximum an lokaler und sozialer Beteiligung geschehen soll. Geradezu revolutionär kann man den Umstand nennen, daß die traditionellen Formen von Gemeindeorganisation und -führung, die sich über die 500 Jahre Kolonisierung hinweg in den unterschiedlichen Ethnien in den ländlichen Gebieten erhalten haben und dort die reale Macht darstellen, nun als solche juristisch anerkannt werden sollen und damit auch die Möglichkeiten erhalten, lokalpolitische Entscheidungen (mit-) zu tragen, Finanzmittel zu verwalten und Projekte auf Gemeindeebene durchzuführen.

In Bolivien konzentrierte sich die FES vor allem darauf, zunächst an der Gestaltung des Ley de Participacion Popular (LPP) als tiefgreifendem Reformkonzept mitzuwirken und die Departements zu Wort kommen zu lassen. Dies geschah in einer Fülle von Workshops und Seminaren, deren Ergebnisse der Arbeitsgruppe für die Participación Popular im Präsidialamt zur Verfügung gestellt wurden.

Weiterhin galt es, die Umsetzung des Reformprozesses zu begleiten, sowohl auf politischer als auch auf administrativer Ebene: Dazu wurden — unter dem politischen Gesichtspunkt — Analysen des Wahlverhaltens auf kommunaler Ebene und im ländlichen Raum erarbeitet. Sie gaben Aufschluß über Repräsentationsprobleme bzw. über neue, sich aus der Dezentralisierungspolitik ergebende Herausforderungen an die Parteien auf lokaler und regionaler Ebene. Seit dem Gesetz zur Bürgerbeteiligung (LPP) aus dem Jahre 1994 haben sich die Bedingungen lokaler Politik in Bolivien deutlich verändert. Bei der Wahl von Gemeinde- und Stadträten wird zwar das Parteienmonopol nicht gebrochen, allerdings hat sich der Trend zu Kandidaturen unabhängiger Persönlichkeiten aus Bürgerbewegungen in Allianzen mit Parteien weiter verstärkt.

Die administrative Begleitung des Reformprozesses konzentrierte sich auf die Beratung von Gemeinden bei den neuen Sozial- und Investitionsaufgaben. Über Infrastruktur, Schulen, Gesundheitsstationen, lokalen Straßenbau etc.sollen Komitees aus Gemeindemitgliedern mitbestimmen. Administrative Kapazitäten müssen geschaffen und gestärkt, Mechanismen der Finanztransfers bzw. deren Kontrolle eingerichtet, OTBs gegründet und registriert werden (derzeit

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sind es ca. 1600). Hinzu kommen die sozialen Basisorganisationen, die die Partizipation in diesem Prozeß garantieren sollen. Dies alles stellt eine permanente Herausforderung dar. Die Ergebnisse könnten die Struktur des Landes radikal ändern — in einem Zeitraum, der sicherlich Jahrzehnte umfassen wird. Eine Expertise zeigte, wie unübersichtlich die rechtlichen Bestimmungen zur den Verantwortlichkeiten der Gemeinden in der Gesundheitspolitik sind und wie problematisch ihre praktische Erfüllung ist. Die Expertise wurde verschiedenen Gemeindeverbänden zur Verfügung gestellt. Eine breitere Erörterung der Ergebnisse ist jedoch gegenwärtig nicht möglich. Das liegt einerseits an verschiedenen Maßnahmen der Zentralregierung, andererseits daran, daß man derzeit überlegt, weitere Aufgaben in der Gesundheitsversorgung an die Kommunen zu delegieren. Die Unübersichtlichkeit der Situation ist so stärker geworden, und die Gemeinden sind genötigt, erst einmal abzuwarten. Erste erfolgversprechende Initiativen gibt es indes in der interkommunalen Zusammenarbeit, und zwar bei der Bildung von Zweckverbänden. Am weitesten gediehen sind sie mit dem Gemeindeverband in Santa Cruz.

Durch die LPP wird den Gemeinden ein 20%iger Anteil an Staatseinnahmen aus internen Steuer- und Zolleinnahmen zugewiesen, von dem sie 85% für Investitionen zu verwenden haben. Die Gemeinden werden so zur entscheidenden Achse öffentlichen Handelns. Gleichwohl müssen sie ihre Eigeninitiativen zur Stärkung der Wirtschaftskraft voranbringen. Mit der Kommune von Sucre konnten Piloterfahrungen bei der Wirtschaftsförderung und ihrer Übertragbarkeit gewonnen werden. Sie fließen in den Stadtentwicklungsplan von Sucre (Plan de Desarrollo Municipal) ein. Auch der Kommission für Dezentralisierung und Kommunalpolitik des Abgeordnetenhauses wurden sie zur Verfügung gestellt Die Kommission erarbeitet ein Rahmengesetz zur Wirtschaftsförderung (Ley de Promoción Económica).

Die Analyse von Inkompatibilitäten der gegenwärtigen Gesetzgebung über die kommunalen Repräsentations- und Entscheidungsorgane ist ein weiteres Themenfeld. Wenn die Gemeinden ihre neuen Aufgaben effizient wahrnehmen sollen, ist eine Reform des Ley Organica de Municipalidades überfällig. Bis eine gesetzliche Anpassung erfolgt wird trotzdem noch einige Zeit vergehen und die politischen Kräfte des Landes binden.

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E) Kommunalpolitik als Instrument der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung

In Bolivien wurden unter dem Titel "Municipio productivo" in verschiedenen Regionen erste Entwürfe zur Wirtschaftsförderung auf kommunaler Ebene erarbeitet und neue Strategien zur produktiven Transformation des Agrarbereichs auf departementaler Ebene diskutiert. In Problemregionen wie Chuquisaca oder Potosí besteht noch erheblicher Unterstützungsbedarf bei der Bewältigung der neuen Aufgaben. Regionale und lokale Wirtschaftsförderung sind in ihrer Bedeutung noch kaum erkannt.

Über das Projekt SEDECOM führte die FES in Kolumbien ein Programm zur kommunalen Wirtschaftsförderung durch. Erprobt wird ein integriertes Konzept zur Förderung von Kleinstunternehmen. Es umfaßt alle für die Entwicklung dieses Sektors wichtigen Komponenten wie Rohmaterialversorgung, Kreditlinien, Fortbildung zu Produktionstechnik, Management und Vermarktung, Aufbau eines Informationssystems. Einbezogen sind Kammern, Banken, Bürgermeister, staatliche Weiterbildungsinstitute und Vermarktungsgesellschaften. Das Programm wurde in 18 Städten erprobt. Das kolumbianische Wirtschaftsministerium hat es in erheblichem Maße unterstützt. Es wird heute in veränderter Form im konzeptionellen Rahmen integrierter Entwicklung weitergeführt.

F) Kommunalpolitik als Grundlage einer lokalen Friedensagenda

Mit dem 1986 geschlossen Friedensabkommen Esquipulas I bekundeten die zentralamerikanischen Präsidenten ihren gemeinsamen Willen, die kriegerischen Konflikte in der Region zu beenden. Ein Jahr später, im August 1987, unterzeichneten sie das Abkommen Esquipulas II. Das bedeutete den Durchbruch zu konkreten Verhandlungen für die noch nicht befriedeten Länder El Salvador und Guatemala. El Salvador erreichte den Frieden im Jahre 1992, und in Guatemala ging der 36jährige Bürgerkrieg am 29. Dezember 1996 zu Ende. Er hatte 150.000 Tote und 1 bis 2 Millionen Vertriebene und Entwurzelte — vor allem unter der Maya-Bevölkerung — gefordert. Die soziale und wirtschaftliche Lage ist für große Teile der Indígenas heute nicht viel besser als bei Ausbruch der kriegerischen Ausein-

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andersetzungen. Trotzdem bildet der Friedensschluß die Basis für eine friedliche und gerechtere Entwicklung in einem ethnisch, sprachlich und kulturell so reichhaltigen Land.

Die FES hat die beginnende Demokratisierung in Zentralamerika und den Friedensprozeß seit Esquipulas II intensiv begleitet. Ihr war, wie auch anderen Organisationen, bewußt, daß eine Demokratie ohne Frieden kaum tragfähig sein konnte und ein Frieden ohne Demokratisierung in unerreichbarer Ferne bleiben würde. Politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, dezentrale sowie eine kommunale Wirtschaftsförderung gewannen an Bedeutung . Sie rückten in Guatemala in den Mittelpunkt der Stiftungsarbeit. Die Umsetzung der Friedensabkommen bedarf nicht nur Anstrengungen auf nationaler Ebene, sondern muß auch für die Bevölkerung vor Ort spürbar werden. Deshalb hat sich die FES bewußt für die Arbeit an einer lokalen Friedensagenda entschieden.

Einen Ansatzpunkt hierfür boten die Kommunalwahlen 1995 mit dem überraschenden Wahlsieg des von einem Bürgerkomitee aufgestellten Bürgermeisterkandidaten von Quetzaltenango, Rigoberto Quemé, als ersten indigenen Bürgermeister in der Geschichte Guatemalas. Auf sein Bitten wählte man die Region im westlichen Hochland mit seiner Maya-Mehrheitsbevölkerung aus, um exemplarisch die Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlichen, ethnischen und politischen Gruppen auf der lokalen Ebene zu entwickeln. Nicht nur im Vorfeld der Bürgermeisterwahlen hatte die FES den Kandidaten beraten, es folgte auch die gemeinsame Erarbeitung einer „Gemeindeagenda" als dem „Regierungsprogramm" der Stadt Quetzaltenango. Weitere Unterstützung galt der Reorganisation der Stadtverwaltung und den Ausgleichsbemühungen zwischen verschiedenen Interessen und sozialen Gruppen. Diese Arbeit trägt Früchte, wenn auch noch immer kein Ende mit den rassistischen Angriffen auf die Vertreter der Mayas ist.

Die Maya-Gruppen müssen in der Dialog- und Politikfähigkeit weiterhin gefördert werden. Also studierte man zusammen mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Mayas die zahlreichen Teilabkommen des Friedensprozesses in Guatemala, damit sie in politische Aktion umgesetzt werden können. In diesen Prozeß wurden und

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werden insbesondere Frauen und Frauenkomitees, die sich aus den Bürgerkomitees entwickelt haben, einbezogen.

Mit aufgeschlossenen Repräsentanten aus der Privatwirtschaft und dem NGO-Bereich wurde ferner in Zusammenarbeit mit der Stadt Quetzaltenango eine Art Wirtschaftsfördergesellschaft (grupo gestor) geschaffen, die sich in sieben Arbeitsgruppen mit den realen und visionären Wachstumsaspekten wirtschaftlicher Entwicklung der Region um Quetzaltenango beschäftigen. Der Frieden hat nämlich nur dann eine echte Chance in Guatemala, wenn es gelingt, neue Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten für die arbeitswillige und -fähige Bevölkerung zu schaffen.

Die Fördergesellschaft ist für die restlichen 23 Gemeinden des Departements Quetzaltenango und darüber hinaus eine beispielhafte Initiative. Elf Verwaltungen werden durch das Projekt direkt gefördert. Im Norden des Departements haben ferner fünf Gemeinden begonnen, einen kommunalen Zweckverband aufzubauen, um knappe wirtschaftliche Ressourcen besser nutzen und Dienstleistungen, die die Möglichkeiten einer einzelnen Kommune übersteigen, anbieten zu können.

Im politisch und ökonomisch zerrütteten Haiti gibt es ein hohes Konfliktpotential, was Verständigung und sozialen Ausgleich auf lokaler Ebene angeht. Durch öffentliche Foren (Forum Libre du Jeudi) versucht die FES zusammen mit ihrem Partner, dem Centre Pétion Bolivar, erste Schritte zur Konsensbildung. Die Foren dienen als Plattform für den offenen Dialog zwischen Entscheidungsträgern und gesellschaftlichen Gruppen. Die zentralen Themen sind: Zukunft der öffentlichen Dienste; lokale Entwicklung und Dezentralisierung; Wirtschaftsfragen und soziale Dienstleistungen. Zunächst fanden die Foren nur in der Hauptstadt Port-au-Prince statt. In jüngster Zeit wurden sie auf verschiedene Städte im Landesinnern ausgeweitet. Dieses Verfahren erwies sich als sehr sinnvoll und attraktiv: Immer mehr Provinzen fragen Veranstaltungen dieser Art zur Diskussion diverser Themen nach.

Während der Duvalier-Diktatur lag in Haiti alle Macht in den ländlichen Gebieten bei den berüchtigten Chefs de Section. Dieses von der Zentralregierung eingesetzte Militär besaß fast unbeschränkte Befugnisse. Die Nähe oder sogar Personalunion der Chefs

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mit den örtlichen "Tontons Makouts" verdeutlichte ihre Rolle als lokale militärisch/paramilitärische Repräsentanten des Regimes.

Mit der Demokratisierung übernahmen die bereits 1995 gewählten lokalen und kommunalen Amtsträger, die Bürgermeister und die Gemeinderäte (KASEK) die Rolle des unmittelbaren Verbindungsgliedes zwischen Staat, Verwaltung und Bürgern. Die Probleme der lokalen Verwaltung sind enorm, ihre Vertreter oftmals hoffnungslos überlastet: So ist die vorgesehene kommunale Polizei, die landesweit den KASEK unterstehen sollte, nie geschaffen worden. In der Praxis existiert damit im gesamten ländlichen Raum Haitis keine demokratisch legitimierte Polizei — eine Aufgabe, die vor Ort immer wieder den KASEK zugewiesen wird, für die sie aber weder zuständig noch ausgebildet sind.

Diese Situation erfordert eine rechtliche Regelung, für die mit Hilfe der FES eine Gesetzesvorlage erarbeitet wurde. Auf Druck der KASEK-Vertreter verabschiedete das Parlament dann das KASEK-Gesetz, das ihre Kompetenzen, Bezahlung und Verantwortlichkeiten regelt. Die Gesetzesvorlage selbst wurde der KASEK zwar nicht mehr zur Prüfung vorgelegt, hat aber die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit in jedem Fall verbessert. Die KASEK haben bisher von offizieller Seite nicht einmal den Text des verabschiedeten Gesetzes erhalten. Das Centre Petion Bolivar hat ihn schließlich ins Creole übersetzt und allen KASEK zukommen lassen.

G) Die kommunale Ebene als Teil der Staats- und Verwaltungsreform

In Venezuela ist die Staatsreform seit der Einsetzung der präsidentiellen Kommission zur Staatsreform (COPRE) im Jahre 1985 ein Thema, das die Gesellschaft beschäftigt. Wichtige Schritte sind bereits getan: Direktwahl der Gouverneure, Einführung der Bürgermeister und Reform der Kommunalverfassung, Übertragung von Kompetenzen auf die verschiedenen Gebietskörperschaften etc. Eine notwendige Regierungs- und Verwaltungsreform ist jedoch nicht angepackt worden — eine Unterlassung, die die Leitungsinstanzen, die finanziellen und gerichtlichen Aufsichtsorgane, die Verwaltung und die öffentlichen Dienstleistungen lähmt: Dezentralisierung und Kommunalreform scheinen auf Eis gelegt. Die gänzlich ungelösten Fra-

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gen der Finanz-, Fach- und Rechtsaufsicht über die neu entstehenden unteren Gebietskörperschaften belasten den Dezentralisierungsprozeß. Die FES hat daher die Schwerpunkte ihrer Beratungstätigkeit verlagert. Nach der Zusammenarbeit mit der COPRE ist jetzt die Begleitung von Funktionsträgern der Bundesländer- und Gemeindeverwaltungen (Gouverneure, Bürgermeister, Länder- und Gemeindeangestellte, Stadträte, Abgeordnete der Länderparlamente und Vertreter der zivilen Gesellschaft) in kommunalen Fragen in den Mittelpunkt getreten.

Einige Länder- und Gemeindeverwaltungen haben begonnen, für Investitionen nationale und internationale Finanzierungsmöglichkeiten zu sondieren, und Abkommen zur technischen Kooperation bei institutionellen und finanziellen Reformen unterzeichnet Resultat der Zusammenarbeit der Länderregierungen von Sucre und Carabobo mit der FES ist die Möglichkeit zur rechtlich gesicherten Kooperation mit den Gemeinden, immer mit dem Ziel der Dezentralisierung und der Erweiterung ihrer Kapazitäten, um regionale und lokale Entwicklungsprozesse zu finanzieren. Dies betrifft insbesondere die Gesetzesvorlagen für einen Territorialfonds, die Dezentralisierung der Verwaltung und den Transfer von Aktivitäten und Dienstleistungen der Landesregierung auf die Gemeindeebene. Diese Vorlagen werden augenblicklich in den Gesetzgebenden Kammern beider Bundesländer diskutiert .

Auf Ersuchen des Kongresses und des Planungsministeriums hat die FES Vorschläge zur Reform des Gesetzes über die Gemeindeverfassung erarbeitet. Sie beziehen sich insbesondere auf Organisation, Kompetenzen und Finanzen der Gemeinde, sowie auf die Bürgerbeteiligung. Sie sollen die Finanzautonomie der Gemeinden erhöhen und die Aktionsrahmen der einzelnen Gebietskörperschaften klar umreißen, und dabei gleichzeitig die inter-institutionellen Beziehungen harmonisieren. Die Diskussion dieser Reformvorschläge im Kongreß wurde auf 1999 in die neue Legislaturperiode verschoben.

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H) Kommunalpolitik als Element nachhaltiger Entwicklung: lokale Agenda 21

Das Gemeindegesetz Kolumbiens sieht zwar für die Beteiligung der Bevölkerung die Einrichtung von Gemeindebeiräten vor (Consejos de Desarrollo Municipal). Es gibt sie aber bislang nur in wenigen Fällen. Für das Pilotvorhaben hat das Planungsministerium einen Mitarbeiter der Abteilung Asesoría y Asistencia Técnica Municipal zur Verfügung gestellt, der vor Ort in Gracias arbeiten wird. Auf seiner Agenda stehen: die Erarbeitung von Strategien zur Bürgerbeteiligung, das sozioökonomische Entwicklungspotential der ausgewählten Gemeinden, lokale Entwicklungspläne, lokales Umweltmanagement (gestion ambiental municipal) und die Qualifizierung der Ausführenden in den ausgewählten Gemeinden.

Die Zusammenarbeit der FES mit dem Ministerium in der Region Lempira ist Teil eines Pilotprojektes, das exemplarisch die Nutzung von vorhandenen Entwicklungspotentialen und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger verknüpfen soll. Ein weiterer Schwerpunkt der kommunalpolitischen Arbeit in Kolumbien ist die umweltpolitische Beratung. Die 22 Gemeinden des Departamento Atlántico haben, unterstützt von der FES, Konzepte der Umweltverwaltung in ihre Planung integriert. Gemeinsam mit der Regionalregierung des Bundesstaates wurden für alle 22 Gemeinden Seminare zu Fragen kommunaler Umweltpolitik sowie zum Problem der Abwasserbeseitigung veranstaltet. Die Seminare stießen bei den Gemeindevertretern auf große Resonanz. Allerdings verzögerten sich die geplanten weiterführenden Maßnahmen zum Thema Abfallvermeidung und -beseitigung, weil es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Gemeinden und der Regierung des Bundesstaates kam. Die Projektziele wurden nicht vollständig erreicht. Doch die Arbeit hat dazu geführt, die Probleme und Möglichkeiten kommunaler Umweltpolitik in der Region Atlántico exemplarisch zu verdeutlichen.

Auch in Mexiko hat eine Verlagerung der Kompetenzen zwischen den Staatsgewalten begonnen. Ein zentrales Element des Reformprozesses sind die Bemühungen, den bisher nahezu puren Zentralismus des Landes durch ein eher föderatives System zu ersetzen, in dem die Bundesstaaten und die Gemeinden mehr Eigenverantwor-

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tung und Kompetenzen erhalten sollen. Eines der Hauptprobleme ist dabei auf kommunaler Ebene, daß Funktionsträger und Verwaltungen auf diese neue Situation nicht vorbereitet sind.

Dementsprechend bietet die FES in Zusammenarbeit mit dem CESEM (Centro de Servicios Municipales) seit nunmehr zwei Jahren Kurse zu Verwaltungs- und Planungsfragen an. Aufgrund der sehr starken Nachfrage soll dieses ausgesprochen praxisorientierte Angebot auch in Zukunft aufrechterhalten werden. Zielgruppe sind hauptsächlich neu in ihre Ämter gewählte Bürgermeister und deren Mitarbeiter.

Im Umweltbereich arbeitet das Büro der FES in Mexiko seit zehn Jahren. Ein Schwerpunkt ist die Verbesserung des Umweltmanagements in den Gemeinden, ein anderer die Einlösung der "Agenda 21". In zwei Gemeinden des Bundesstaates Aguascalientes ist es 1997 gelungen, ein Pilotprojekt zu initiieren. Unter der Federführung der FES haben Gemeindeverwaltungen, Landesregierung und der Vertreter des nationalen Umweltministeriums die Wasser- Luft- und Bodenverschmutzung analysiert und Problemlösungsmöglichkeiten erarbeitet. Der erste konkrete Schritt war dann die Aufklärung über Müllvermeidung und getrennte Entsorgung, in einem zweiten wurden ab 1998 die ansässige Industrie bei der Verbesserung der Abwassersysteme und die Landwirtschaft bei der Verringerung des Düngemitteleinsatzes unterstützt. Verhandlungen zwischen den Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden über den gemeinsamen Bau und die Nutzung einer Kläranlage wurden ebenfalls bereits in Gang gesetzt. Mittlerweile beteiligen sich derzeit 16 Gemeinden an diesem Pilotprojekt in Aguascalientes.

I) Integrale und nachhaltige territoriale Entwicklung

Wirtschaftsförderung auf lokaler Ebene ist oftmals das Ergebnis des Drucks auf lokale Regierungen, durch beschäftigungs- und einkommenswirksame Maßnahmen vor Ort spürbare Erleichterung für marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Allerdings geraten solche Initiativen leicht in ein Dilemma zwischen sozialpolitischen Ansprüchen einerseits und traditionellen Anforderungen an wirtschaftliche "Standortpflege" andererseits.

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Hieraus resultiert die Frage nach der angemessenen Rolle lokaler Regierungen, deren Zurückhaltung als aktive "Unternehmer" oder "Finanzdienstleister" ja kaum mehr in Frage gestellt wird. Hilfreich ist der Blick auf neue Ansätze für Problemlösungen, bei denen produktive Potentiale von Kleinunternehmen auf territorialer Ebene durch Netzwerke gefördert werden. Das in Frage kommende Territorium kann je nach Gegebenheit Teil einer großen Gemeinde sein oder auch mehrere (kleinere) Munizipien einer geographischen Region umfassen.

Bei der territorialen Entwicklung verfolgt die FES den Anspruch, lokale Produktionspotentiale mit nicht-territorial gebundener Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in Einklang zu bringen, indem die Bereiche KMU-/Subsistenz-und Kleingewerbe-Förderung und Beschäftigungsförderung systemisch aufeinander bezogen werden. Ziel ist die Integration marginalisierter Wirtschaftsakteure in "formale" Strukturen, um so eine nachhaltige Verbesserung prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu erreichen.

Die Herausforderung besteht darin, territoriale Entwicklung wirtschaftlich, sozial und politisch so zu gestalten: Wirtschaftlich muß ein ausgeglichener und dauerhafter Zugang zu Produktionsressourcen gewährleistet sein, um Wettbewerbsfähigkeit in modernen Strukturen herzustellen. Unter dem sozialen Gesichtspunkt müssen die wirtschaftlich schwachen Akteure bevorzugt gefördert werden. Politisch stehen Kooperation und Integration in einem lokalen Netzwerk an erster Stelle.

Das seit Anfang 1997 in Brasilien gemeinsam mit der Stadtregierung von Rio de Janeiro durchgeführte Projekt zur integralen lokalen Entwicklung will die sozialen Organisationen der Bevölkerung durch Weiterbildung lokaler Führungskräfte, Organisationshilfe auf Stadtteil- und Nachbarschaftsebene unterstützen. Dies wird ergänzt durch die Förderung der Kooperation lokaler Wirtschaftsakteure (horizontale Integration in Interessenverbänden). Berufsfortbildung, Betriebsberatung und die Verbesserung des Mangements von KMU und Subsistenz-Kleingewerbe fördern die vertikale Integration zwischen formalem und informalem Sektor.Auch der Zugang zu Investitionsmitteln steht auf dem Beratungsprogramm. Beispiel dafür ist die Mitwirkung am Aufbau einer Kreditagentur der Banco da Mul

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her (Womens-World-Bank).Innovativ an diesem Ansatz ist die Kombination von Finanzierungsinstrumenten und Instrumenten der systemischen Marktintegration. Umfangreiche Erfahrungen aus anderen FES-Projekten, insbesondere in Chile und Kolumbien, haben dabei geholfen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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