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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 43]

Fallbeispiel: Südafrika
Von Jürgen Stetten




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Kommunalpolitik und Demokratisierung

In Südafrika haben die ersten demokratischen Wahlen im Jahre 1994 einen grundlegenden gesellschaftspolitischen Transformationsprozeß eingeleitet. Entsprechend dem Verfassungsprinzip eines dreistufigen Staatsaufbaus wurden alte Politik- und Verwaltungsstrukturen abgeschafft, reformiert oder durch neue ersetzt. Obwohl die Gemeindereform in den ersten zwei Jahren nach den Wahlen zunächst eine politisch untergeordnete Rolle gespielt hatte, hat das Thema in jüngster Zeit stark an Relevanz gewonnen. Der südafrikanischen Regierung wird immer deutlicher, daß die kommunalpolitische Ebene eine wichtige Rolle im sozialen und wirtschaftlichen Reformprozeß spielt. Letztlich wird die Mehrzahl der öffentlichen Dienstleistungen auf kommunaler Ebene erbracht. Darüber hinaus ist die Zentralregierung bei der Umsetzung von nationalen Programmen, z.B. in der Wohnungspolitik, auf die Kooperation der Städte und Gemeinden angewiesen.

Die Reform der kommunalen Ebene wurde bereits vor den Wahlen im Jahre 1994 eingeleitet. Die Verhandlungen des ANC mit der alten Regierung führten im Jahre 1993 zur Verabschiedung eines Gemeindeübergangsgesetzes (Local Government Transition Act). Dieses Gesetz sieht vor, daß sich die Gemeindereform in drei Phasen vollzieht:

  • der Vorbereitungsphase, die mit dem ersten Reformgesetz begann und in dessen Folge auf lokaler Ebene konsultative Foren gegründet wurden. Unter Mitwirkung dieser Foren wurden in der ersten Phase die Grenzen der kommunalen Gebietskörperschaften neu definiert.

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  • der Interimsphase, an deren Anfang die in den Jahren 1995 und 1996 durchgeführten Kommunalwahlen standen. Die während der ersten Phase neu definierten kommunalen Gebietskörperschaften arbeiten seit Beginn der zweiten Phase unter der Anleitung und Kontrolle demokratisch legitimierter Gremien.
  • der letzten und endgültigen Phase, die mit den für das Jahr 1999 vorgesehenen zweiten Kommunalwahlen beginnen soll. Bis dahin soll die kommunalpolitische Ebene abschließend reformiert worden sein.

Das derzeitige Übergangssystem besteht aus insgesamt 843 kommunalen Gebietskörperschaften (Transitional Local Councils) mit knapp 12.000 gewählten Stadt-, Gemeinde- und Landkreisräten, die eine Bevölkerung von knapp 40 Millionen Einwohnern vertreten. Sowohl auf der Ebene der Provinzen als auch bei der Zentralregierung existiert jeweils ein Ministerium, das für kommunalpolitische Fragen zuständig ist. Darüber hinaus wurde ein System von Kommunalverbänden geschaffen, mit einem Dachverband auf nationaler Ebene und jeweils einem Provinzverband. Obwohl die Mitgliedschaft in dem Verbändesystem freiwillig ist, hat es verfassungsrechtlichen Status. Im Nationalen Provinzrat (National Council of Provinces), der dem deutschen Bundesrat nachempfunden ist, sind nicht nur die Provinzen, sondern auch der nationale Gemeindeverband vertreten.

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Die Zielrichtung des weiteren Reformprozesses: Integration statt Dezentralisierung

In Südafrika lautet das Leitthema der kommunalpolitischen Reformen nicht Dezentralisierung, sondern Integration. Das Apartheid-Regime hat den Begriff der „Dezentralisierung" dazu mißbraucht, die nach dem Prinzip der Rassentrennung aufgebauten Verwaltungsstrukturen zu legitimieren. In der Praxis führte diese Form der „Dezentralisierung" zu einer rechtlich sanktionierten Diskrimierung und Segmentierung der Bevölkerung nach Hautfarbe. Mit den unterschiedlichen Verwaltungsformen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen waren extreme Unterschiede in der Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen und kommunaler Infrastruktur verbunden.

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Das Grundprinzip der Gemeindereform im demokratischen Südafrika besteht darin, die früher getrennten Gebiete zu flächenmäßig größeren Gebietskörperschaften zusammenzufassen und die zuvor getrennten Verwaltungseinheiten zu integrieren. Letztlich soll dadurch eine schrittweise Angleichung der extrem unterschiedlichen Versorgungsniveaus mit kommunalen Dienstleistungen (Wasser, Abwasser, Öffentlicher Personennahverkehr, Müllabfuhr etc.) vollzogen und damit ein Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der bislang diskriminierten schwarzen Bevölkerungsmehrheit geleistet werden.

Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen mit dem Übergangssystem wird seit Beginn des Jahres 1997 an einem Weißbuch zur Kommunalpolitik gearbeitet. Die Diskussion über das Weißbuch, das mittlerweile verabschiedet wurde und das die Hauptlinien des neuen Kommunalsystems definiert, konzentriert sich unter anderem auf die folgenden Fragen:

  • Das Verhältnis der Kommunen zur jeweiligen Provinz- und zur Zentralregierung. Welche Konsequenzen hat das in der neuen Verfassung verankerte Prinzip des kooperativen Förderalismus (Co-operative Government) für die Kompetenzen der Kommunen?
  • Die zukünftige Rolle der Kommunen im sozialen und wirtschaftlichen Transformationsprozeß. Kann man von den Kommunen, die vielfach bereits mit ihren "originären" Aufgaben überlastet sind, erwarten, daß sie zu Akteuren sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung werden?
  • Nach Ansicht der Zentralregierung gelten im derzeitigen Übergangssystem nur ein Drittel der Kommunen als finanziell "gesund". Wieviele Kommunen soll es, angesichts der finanziellen Unausgewogenheit im Übergangssystem, im endgültigen System geben? Wie sollen zukünftig die Zuweisungen der Zentralregierung und der Provinzen an die Kommunen ausgestaltet werden?
  • Das System der politischen Repräsentation auf kommunaler Ebene. Wieviele gewählte Kommunalpolitiker sind angemessen und bezahlbar? Welche Rolle spielen die traditionellen Stammesführer (Traditional Leaders) im neuen System?

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Beiträge der Friedrich-Ebert-Stiftung zum kommunalpolitischen Reformprozeß

Die FES will auch in Südafrika Beiträge zum Demokratisierungsprozeß des Landes leisten. Die wichtigsten südafrikanischen Partnerorganisationen des Büros in Johannesburg sind der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) sowie dessen Allianzpartner, der Gewerkschaftsdachverband COSATU. Darüber hinaus arbeitet das Büro mit Parlamentsstrukturen auf nationaler und Provinzebene sowie mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen zusammen.

Der Arbeitsbereich Kommunalpolitik bzw. kommunale Wirtschaftsförderung hat sich seit den Kommunalwahlen 1995/96 zu einem wichtigen Arbeitsbereich der Friedrich-Ebert-Stiftung in Südafrika entwickelt. Im folgenden wird ein Überblick sowie eine kurze Bewertung der verschiedenen Projektlinien gegeben.

Zusammenarbeit mit dem für Kommunalpolitik zuständigen Parlamentsausschuß

Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt das erste demokratisch gewählte Parlament Südafrikas seit dessen Konstituierung beim Aufbau eines funktionsfähigen Ausschußwesens. In der Anfangsphase lag das Schwergewicht auf organisatorischen Fragen, seit 1996 auf der Zusammenarbeit mit ausgewählten Ausschüssen vor allem zu inhaltlichen Themen. Dazu gehört auch und vor allem die Kooperation mit dem "Ausschuß für Verfassungsentwicklung und Kommunalpolitik", in dessen Zuständigkeitsbereich der kommunalpolitische Reformprozeß liegt. In Zusammenarbeit schlägt sich unter anderem in folgenden Aktivitäten nieder:

  • Studienreisen für führende Mitglieder des Ausschusses zum Thema Kommunalpolitik in die Bundesrepublik Deutschland sowie in mehrere Länder Ostafrikas,
  • Workshops, in denen Mitglieder des Ausschusses über aktuelle Themen der kommunalpolitischen Reformdebatte diskutieren, u.a. über:

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  • Modelle der Privatisierung bzw. Teilprivatisierung von kommunalen Dienstleistungen und Infrastruktur,
  • Perspektiven der Kommunalpolitik in ländlichen Gebieten des Landes,
  • Reform des Systems der Kommunalfinanzen.

Die Projektarbeitet leistet so dem Ausschuß Hilfestellung, daß dieser verstärkt seiner politischen Gestaltungsfunktion nachkommen kann, indem er fachlich fundierte Beiträge zur kommunalpolitischen Debatte leistet. So tritt der Ausschuß, auf der Grundlage des Studiums internationaler Erfahrungen, beispielsweise dafür ein, daß der Gesetzgeber für die Bereitstellung von kommunalen Dienstleistungen kein Einheitssystem vorschreibt, sondern eine Bandbreite von Organisationsmodellen zuläßt.

Fortbildung von Kommunalpolitikern im Bereich Kommunalfinanzen

Im Zuge der Kommunalwahlen 1995/96 wurde eine Politikergeneration in die Kommunalparlamente gewählt, die den größten Teil ihres politischen Lebens dem Kampf gegen das Apartheid-Regime gewidmet hatte. Dies hat auf der Ebene der Stadt- und Gemeinderäte einen enormen Fortbildungsbedarf geschaffen.

Das Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung hat in diesem Zusammenhang im Jahre 1996 in Zusammenarbeit mit einer dem ANC nahestehenden NRO ("HOPE") ein Trainingsprogramm sowie ein Arbeitsbuch für Kommunalpolitiker zum Thema Kommunalfinanzen entwickelt. Obwohl der Beitrag der FES auf diesem Gebiet im Vergleich zu dem Engagement anderer in- und ausländischen Institutionen eher marginal ist, hat sich der Trainingskurs mit Erfolg etabliert. Viele der Teilnehmer des Programms wurden mittlerweile in kommunalpolitische Schlüsselpositionen gewählt.

Aktivitäten zum Thema "Traditionelle Führer"

In ländlichen Gebieten Südafrikas, insbesondere in den ehemaligen sogenannten Homelands, spielen die traditionellen Stammesführer weiterhin eine wichtige Rolle im politischen, sozialen und wirtschaft-

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lichen Leben. Dort, wo diese traditionellen Institutionen weiterbestehen, hat die Ebene der Kommunalpolitik vielfach eine Doppelstruktur. Im Rahmen des Projektes wurde deshalb die Frage aufgegriffen, ob und wie weit die traditionellen Stammesführer in das neue Gemeindesystem integriert werden können. Dazu wurden in Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern aus dem Umfeld des ANC unter anderem die folgenden Aktivitäten durchgeführt:

  • Auswertung der Erfahrungen anderer Länder des südlichen Afrikas mit der Integration Traditioneller Führer in ein demokratisches Staatswesen. Hierzu wurden für einen Kurzzeitexperten Studienreisen in Länder der Region organisiert sowie in Johannesburg eine größere Regionalkonferenz zum Thema veranstaltet.
  • Veranstaltung von mehreren kleineren Workshops für Entscheidungsträger des ANC. Auf der Grundlage dieser Workshop-Reihe und der Regionalkonferenz wurde seitens des ANC eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gegründet.

Die Maßnahmen haben dazu beigetragen, daß das Thema seitens des ANC in der kommunalpolitischen Reformdiskussion als relevant aufgegriffen und ein konkreter Vorschlag zur Integration traditioneller Stammesführer entwickelt und diskutiert wurde.

Zusammenarbeit mit dem neuen südafrikanischen Gemeindeverband

Nachdem sich Ende 1996 der Südafrikanische Dachverband der Kommunen (South African Local Government Association - SALGA) konstituiert hatte, wurde Anfang des Jahres 1997 eine Zusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung mit diesem Verband vereinbart. Das Ziel der Zusammenarbeit ist es, den Verband in seiner Aufbauphase konzeptionell zu unterstützen. Da sich die Zusammenarbeit noch in der Anfangsphase befindet, kann hierzu noch keine Bewertung abgegeben werden.

Projektaktivitäten zur kommunalen Wirtschaftsförderung

Die größte Herausforderung, vor der Südafrika steht, ist die Überwindung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Apartheid.

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Zwar wurden die Gebiete und Verwaltungsstrukturen der früher sogenannten Homelands und Townships in die ehemals weißen Südafrikanern vorbehaltenen Gebiete integriert. Die wirtschaftlichen Perspektiven in den Wohngebieten der schwarzen Bevölkerung haben sich dadurch aber nur unwesentlich verbessert. Die Mehrheit der Kommunalpolitiker setzt daher große Hoffnungen in einen dezentralen Ansatz wirtschaftspolitischer Intervention, der in angelsächsischen Ländern unter dem Begriff Local Economic Development (LED) bekannt geworden ist. Die Bandbreite der im Zusammenhang von LED durchgeführten Projekte und Programme ist weit und beinhaltet die Verbesserung der sozialen und physischen Infrastruktur (Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Wasser- und Stromversorgung etc.), Wohnungsbauprojekte, Förderprogramme für das lokale Kleingewerbe, Förderprogramme für lokale Investoren (Gewerbeparks, Steuererleichterungen) etc. Obwohl der Ansatz der kommunalen Wirtschaftsentwicklung für weite Teile Südafrikas Neuland darstellt, wurde er in einigen Fällen bereits mit Erfolg umgesetzt.

Die FES hat wesentlich dazu beigetragen, dieses Konzept in Südafrika bekannt zu machen, mit Entscheidungsträgern zu diskutieren und den Austausch von Informationen über bereits bestehende Erfahrungen zu fördern. Hierzu wurde vor den ersten demokratischen Kommunalwahlen vor allem mit dem Dachverband der Bürgervereinigungen (South African National Civics Organisation - SANCO) zusammengearbeitet. Seit dem Jahre 1996 wird die Mehrzahl der Maßnahmen entweder in Eigenregie oder in Zusammenarbeit mit kleineren NROs veranstaltet. Konkret wurden bislang die folgenden Aktivitäten durchgeführt:

  • Entwicklung eines Handbuchs zur Kommunalen Wirtschaftsentwicklung.
  • Nationale Workshops, in denen die Bandbreite der bereits bestehenden Aktivitäten auf diesem Gebiet dokumentiert wurde. Die Ergebnisse der Workshops wurden in Form von Broschüren veröffentlicht.
  • Einführende Informationsveranstaltungen, die in verschiedenen Teilen des Landes durchgeführt wurden. Seit 1997 finden sie gezielt für bestimmte Gemeinden in der Provinz Gauteng statt.

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  • Training of Trainers Programs, wobei die im Rahmen dieses Kurses fortgebildeten Trainer bei zukünftigen Fortbildungsveranstaltungen eingesetzt werden.
  • Herausgabe des "Local Economic Development Newsletter", des einzigen Newsletters dieser Art in Südafrika.
  • Veranstaltung eines monatlich stattfindenden Gesprächskreises zum Thema, der sich an Praktiker aus dem Raum Johannesburg wendet.
  • Durchführung von Studien und Publikationen zu aktuellen Themen, z.B. zur Förderung des lokalen Kleingewerbes im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens der Kommunen. Auf der Grundlage dieser Studien werden auf Nachfrage Beratungsleistungen für Entscheidungsträger im Parlament, in Ministerien und in Kommunen erbracht.

Die FES hat sich in Fragen der kommunalen Wirtschaftsförderung in Südafrika zu einer bekannten und gefragten Informations- und Beratungseinrichtung entwickelt. In der nächsten Phase ist vorgesehen, die im Projekt gewonnenen Erfahrung stärker als bisher auf südafrikanische Partnerorganisationen, z.B. auf die sich zur Zeit noch im Aufbau befindenden Gemeindeverbände, zu übertragen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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