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Verhaltenskodizes

Unter Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) werden schriftlich niedergelegte Richtlinien verstanden, die als Grundlage für das Verhalten transnationaler Konzerne gegenüber ihren Belegschaften, staatlichen Behörden und der Umwelt überall dort, wo der Konzern Geschäftsbeziehungen unterhält, dienen sollen. Da ca. ein Drittel des Welthandels als Intrakonzernhandel abgewickelt wird und ein weiteres Drittel unter Beteiligung zumindest eines transnationalen Konzerns statt findet, kommt solchen Verhaltenskodizes potentiell eine große Bedeutung zu, zumal Verstöße gegen die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern, gegen die Menschenwürde und demokratische Grundfreiheiten auch für die Tochterunternehmen und Zulieferer von transnationalen Konzernen festgestellt werden (CCC 1998; Permanent Peoples Tribunal).

Kodizes der OECD und ILO

Der erste internationale Verhaltenskodex wurde von der Internationalen Handelskammer (ICC) 1937 formuliert und zwar hinsichtlich der Firmenwerbung. In der Nachkriegszeit folgte ein Verhaltenskodex für Regierungen im Umgang mit ausländischen Direktinvestitionen. Erst im Zuge der Auseinandersetzungen innerhalb der UNO um eine neue internationale Wirtschaftsordnung wurde die Forderung nach einem Verhaltenskodex für multinationale Unternehmen ernsthaft diskutiert. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen begann 1974, Verhandlungen über einen UNO-Verhaltenskodex für multinationale Unternehmen aufzunehmen. Doch diese Bemühungen scheiterten am Widerstand der Reagan-Regierung und wurden Anfang der 90er Jahre endgültig eingestellt. Allerdings vereinbarte die OECD 1976 Richtlinien für multinationale Konzerne (Declaration on International Investment and Multinational Enterprises) und 1977 folgte die ILO mit der Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy. Weder OECD noch ILO setzten jedoch nennenswerte Mittel zur Propagandierung ihrer Richtlinien und zur Einrichtung entsprechender Anrufungsverfahren ein. In den 90er Jahren beschritt die OECD in der Ausarbeitung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) sogar den entgegengesetzten Weg, und zwar in dem ausdrücklich keine verbindlichen sozialen Verpflichtungen für Unternehmen in dieses Abkommen aufgenommen wurden. Das vorläufige Scheitern dieses Abkommens könnte allerdings die Bereitschaft, den Investitionsschutz mit einem sozialen Verhaltenskodex für transnationale Unternehmen zu verbinden, erhöht haben (siehe unten).

Eine systematische Aufarbeitung der bisherigen Erfahrungen mit den Verhaltenskodizes der OECD und der ILO liegt unseres Wissens nicht vor. Ein von der ILO veröffentlichtes Working Paper von Jill Murray nahm lediglich eine Inhaltsanalyse und einen Vergleich dieser Kodizes vor. Die Autorin kam zu dem Ergebnis, daß

  • die OECD-Richtlinien nur für Unternehmen mit Sitz in einem OECD-Land gelten, der ILO-Verhaltenskodex sich dagegen allen transnationalen Unternehmen anbietet,
  • sie auf Freiwilligkeit beruhen und ihre Anwendung nicht erzwungen werden kann,
  • sie von der wenig plausiblen Annahme einer „Symmetrie" der Verpflichtungen zwischen Beschäftiger und Beschäftigten ausgehen,
  • sie der jeweiligen nationalen Gesetzgebung absoluten Vorrang geben, so daß beispielsweise der Aufruf, die Apartheidgesetzgebung von Südafrika zu ignorieren, nicht mit diesen Verhaltenskodizes zu vereinbaren war. Diese Verhaltenskodizes beinhalten nicht einmal die Aufforderung, sich in den entsprechenden Ländern für die Einhaltung der ILO-Übereinkommen einzusetzen. Eine solche Aufforderung zum Lobbying enthält beispielsweise der Verhaltenskodex der Internationalen Handelskammer im Falle von Bestechung,

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  • beide Richtlinien nicht miteinander völlig konsistent sind.

Im einzelnen führt Murray zum Kodex der OECD aus, daß dieser zudem die Pflicht der Mitgliedsstaaten enthält, die multinationalen Konzerne nicht gegenüber den einheimischen Konzernen zu benachteiligen. Die Vertretungen der Gewerkschaften (TUAC) und der Firmen (BIAC) verfügen im Beschwerdeprozeß nur über einen beratenden Status. Die Entscheidungen des mit der Behandlung der Beschwerden beauftragten Komitees (Committee on International Investment and Multinational Enterprises) beziehen sich nicht direkt auf die jeweilige Beschwerde (es urteilt nicht über ein konkretes Verhalten), sondern nimmt nur Klarstellungen (clarifications) der Richtlinien vor. Diese Klarstellungen blieben zumeist selbst sehr vage formuliert, betonten die Pflicht der Regierungen zur Gleichbehandlung der multinationalen Konzerne und den Vorrang der nationalen Arbeitsregime. Laut Murray fehlen konkrete Hinweise, daß der OECD-Verhaltenskodex das tatsächliche Verhalten der multinationalen Konzerne beeinflußt hat. Die Geschäftsberichte der Firmen enthalten keine Auskunft darüber, inwieweit sie sich an den Verhaltenskodex gehalten haben. Eine Überarbeitung der Richtlinien scheiterte an der Haltung der Unternehmensvertreter. Die Forderung der Gewerkschaften, die OECD-Richtlinie rechtlich verbindlich zu machen, wurde seitens der USA, der Schweiz und Deutschlands mit der Forderung begegnet, einen Investitionsschutzkodex ebenfalls als rechtlich verbindlich zu vereinbaren. Somit blieb es beim freiwilligen Status.

Der Verhaltenskodex der ILO ist ebenfalls nur eine Empfehlung. Aufgrund von Beschwerden transnationaler Konzerne, daß das mit der Implementation des ILO-Verhaltenskodexes betraute Committee on Multinational Enterprises als Klagemauer mißbraucht werden würde, entschied 1988 die ILO sogar, daß im Umgang mit dem Verhaltenskodex der positive Beitrag der multinationalen Konzerne zum wirtschaftlichen Fortschritt mitzuberücksichtigen sei (Murray 1997: 9-16).

Firmeneigene und NRO-initiierte Kodizes

Da die Empfehlungen der OECD und der ILO kaum aufgegriffen wurden und sich zugleich die Arbeitsbedingungen in vielen Produktionsstätten des Südens verschlechterten (ICFTU 1998), versuchen Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und entwicklungspolitische Vereine seit Beginn der 90er Jahre, mittels öffentlicher Kampagnen die transnationalen Unternehmen zur Übernahme von Verhaltenskodizes zu bewegen. In der Zwischenzeit entstanden viele unterschiedliche Verhaltenskodizes. Die ILO analysierte allein 215 Verhaltenskodizes (ILO 1998; weitere Überblicke finden sich bei Steelworkers Humanity Fund 1998, CCC 1998, Murray 1997 und demnächst bei Musiolek 1999a).

Ungefähr 80 Prozent der von der ILO untersuchten Verhaltenskodizes wurden von der jeweiligen Konzernleitung selbst entwickelt und implementiert, wie bspw. vom Bekleidungsunternehmen C&A und vom Otto-Versand (siehe den Otto Code of Conduct im Anhang). Einige wenige Firmen haben sich gegenüber Gewerkschaften bzw. Nichtregierungsorganisationen zur Anwendung eines Verhaltenskodexes verpflichtet, wie bspw. der französische Konzern Danone und die Hotelkette ACCOR gegenüber der Internationalen Nahrungsmittelgewerkschaft (IUF) oder IKEA im Mai 1998 gegenüber der Internationalen Holzarbeitergewerkschaft (IBBH, siehe Anhang). Die Compagnie Generale des Eaux hat sich auf Initiative des Euro-Betriebsrats zur Einhaltung einer „Charta der grundlegenden sozialen Rechte" für alle ihre Aktivitäten innerhalb und außerhalb Europas einschließlich der Subunternehmen und Zulieferer verpflichtet (Bach 1997).

In letzter Zeit gaben sich zudem ganze Branchen einen Verhaltenskodex. Der Europäische Dachverband der Spielwarenhersteller (TME) verkündete beispielsweise 1997 eine Selbstverpflichtungserklärung, menschenwürdige Produktions- und Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern einzuhalten. Auch verpflichteten sich einige Verbände gegenüber Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Im September 1997 vereinbarten die europäischen Gewerkschaften der Textil- und Bekleidungsindustrie (ETUF-TCL) mit dem Arbeitgeberverband

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EURATEX einen Verhaltenskodex für ungefähr 60-70% der europäischen Firmen dieser Branche. Führende US-amerikanische Bekleidungsunternehmen haben sich im Rahmen der Apparel Industry Partnership auf die Einhaltung bestimmter sozialer Mindeststandards verpflichtet (siehe unten). Für die europäische Nahrungsmittelindustrie strebt die britische Ethical Trading Initiative einen Verhaltenskodex an. Ferner haben Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen modellhafte Verhaltenskodizes entwickelt. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (ICFTU) arbeitete zusammen mit den Internationalen Berufssekretariaten einen Verhaltenskodex Basic Code of Conduct covering Labour Practices aus, der im Dezember 1997 vom Exekutivrat angenommen wurde. Dieser Verhaltenskodex enthält eine klare Bezugnahme auf zentrale ILO-Übereinkommen, hält die transnationalen Konzerne für die Arbeitsbeziehungen bei ihren Zulieferern verantwortlich und sieht ein unabhängiges Monitoring vor. Der ICFTU will sich dafür einsetzen, daß dieser Verhaltenskodex zum Mindeststandard aller Firmen oder branchenbezogene Verhaltenskodizes im Bereich der Arbeitsbeziehungen wird. Die "Kampagne für saubere Kleidung" (Clean Clothes Campaign) fordert die Unterzeichnung einer verbindlichen „Sozialcharta für den Handel mit Bekleidung" und die Einwilligung zur Einrichtung einer unabhängigen Stiftung zur Kontrolle der Umsetzung dieser Sozialcharta.

Inhaltlich bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Verhaltenskodizes. Während die Verhaltenskodizes, die sich die Firmen selbst geben, eher kurz und vage formuliert sind, enthalten die gewerkschaftlichen Kodizes detaillierte Bestimmungen insbesondere auch über deren betriebliche Umsetzung. Die meisten firmeneigenen Verhaltenskodizes enthalten keine Bestimmungen zu ihrer Durchsetzung. Wesentliche Differenzen bestehen hinsichtlich:

Zugang zum Verhaltenskodex: Die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes enthalten in der Regel keine Bestimmungen darüber, wie der Kodex den Beschäftigten zugänglich gemacht werden soll. Der Modellkodex der „Kampagne für saubere Kleidung" verlangt immerhin die Übersetzung in die jeweilige Landessprache.

Reichweite: Die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes beschränkten sich zunächst auf die eigenen Tochterunternehmen, Nichtregierungsorganisationen fordern mit Erfolg die Ausdehnung auf die gesamte Zuliefererkette.

Arbeitspolitischer Regelungsinhalt: Die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes streben vage definierte „faire Arbeitsbedingungen" und die Einhaltung des jeweils nationalen Arbeitsrechts an, die Gewerkschaften fordern die Einhaltung der Kernarbeiterrechte der ILO, insbesondere des Tarifverhandlungsrechts.

Verbindlichkeit der Verhaltenskodizes: Die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes betonen die Freiwilligkeit, die Gewerkschaften streben an, den jeweiligen Verhaltenskodex in den Tarifverträgen zu verankern.

Überwachung und Sanktionen: Das Spektrum der Aufsichtsformen erstreckt sich vom unternehmensinternen Monitoring über Monitoring unter Einbezug der betrieblichen Interessenvertretung hin zu externen Aufsichtsinstitutionen: durch professionelle Zertifizierungsunternehmen oder durch externe Akteure wie der Internationalen Gewerkschaftssekretariate, Nichtregierungsorganisationen und staatlicher Organe (die Tabellen VI und V im Anhang weisen die Unterschiede für ausgewählte Verhaltenskodizes aus).

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Erfahrungen

Da die meisten Verhaltenskodizes erst vor wenigen Jahren entwickelt worden sind, liegen bisher nur spärliche Informationen zu ihrer Wirksamkeit vor.

Ein Experiment mit Verhaltenskodizes liegt allerdings schon länger zurück, und zwar die „Sullivan-Prinzipien" für Tochterunternehmen US-amerikanischer Konzerne in Südafrika während der Apartheid. Diese Prinzipien forderten die Aufhebung der Segregation am Arbeitsplatz und in den Sozialräumen, gleichen Lohn sowie besondere Qualifizierungsmaßnahmen für Schwarze. Zudem verpflichteten sie die Konzerne dazu, das Recht schwarzer Arbeitskräfte auf Vereinigungsfreiheit sicherzustellen und politisch auf die Rücknahme der Apartheidsgesetzgebung zu drängen. Seit Ende der siebziger Jahre übernahmen einige US-amerikanische Konzerne mit Tochterunternehmen in Südafrika

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diese Prinzipien auf freiwilliger Basis, und zwar vor allem Unternehmen wie General Motors, die in den USA in signifikantem Maße schwarze Arbeitskräfte beschäftigten. 1986 machte der US-Kongreß die Sullivan-Prinzipien für alle US-amerikanischen Firmen, die mehr als 25 Personen in Südafrika beschäftigten, verbindlich. Die Sullivan-Prinzipien schienen damals den Firmen im Verhältnis zu der konkreten Gefahr, sich vollständig aus Südafrika zurückziehen zu müssen, als das kleinere Übel, zumal die Unternehmen, die sich bereits freiwillig an die Prinzipien gehalten hatten, von der gesetzlich vorgesehenen Überwachung durch das Außenministerium ausgenommen wurden. Diese Firmen wurden von einer privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft, die bspw. 1991-92 allen Unternehmen die Einhaltung der Prinzipien bescheinigte, auch wenn diese nur geringe Anstrengungen zur Umsetzung der Prinzipien unternommen hatten. Auch das Außenministerium bescheinigte den von ihm untersuchten Firmen, in ausreichendem Maße die Prinzipien eingehalten zu haben. Nur das Verhalten eines Unternehmens wurde als nicht befriedigend bewertet. Wenngleich nicht nachgeprüft werden kann, ob diese Bewertungen berechtigt waren, so besteht doch der Verdacht, daß sowohl die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als auch das US-Außenministerium wenig geneigt waren, einer Firma ungenügende Anstrengungen vorzuwerfen. Laut Studien vor Ort haben die US-amerikanischen Tochterunternehmen in Südafrika zwar die offensichtliche Apartheid am Arbeitsplatz aufgehoben, doch relativ wenig zur Förderung der Karrierechancen von Schwarzen beigetragen und noch weniger zugunsten der Abschaffung von Apartheid auf die südafrikanische Regierung eingewirkt (Murray 1997: 23-27).

Anschaulich werden die Probleme mit unternehmenseigenen Verhaltenskodizes am Beispiel des Sportartikelherstellers Nike, in dessen Verhaltenskodex die Rechte auf freie Organisierung und auf Kollektivverhandlungen fehlen. In Reaktion auf den Vorwurf schwerer Arbeitsrechtsverletzungen bei seinen Zulieferwerken in Vietnam und China gelang es dem Konzern den ehemaligen Bürgerrechtler und UNO-Botschafter Andrew Young für einen Bericht über die Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferbetrieben zu engagieren. Youngs Inspektion ergab, daß weder gegen das jeweils nationale Arbeitsrecht noch gegen den Verhaltenskodex von Nike schwerwiegende, systematische Verstöße vorlagen. Nike verbreitete dieses Ergebnis mit viel Aufwand an eine große Öffentlichkeit. Menschenrechtsorganisationen wiesen jedoch nach, daß Young die Betriebe nur jeweils einmal unter Begleitung eines von Nike gestellten Dolmetschers besucht und keine Gespräche mit örtlichen GewerkschaftsaktivistInnen geführt hatte (Glass 1997). Doch Nike illustriert auch das Druckpotential der Konsumentenmacht, wenn eine durchorganisierte Kampagne diese bündelt. Nach der Enthüllung eines vertuschten Berichts des von Nike mit der Untersuchung von Arbeits- und Umweltstandards einer Nike-Fabrik in Vietnam beauftragten Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young geriet das Unternehmen unter starken öffentlichen Druck. Das Transnational Resource & Action Center (TRAC) veröffentlichte im November 1997 den von Nike geheimgehaltenen Bericht, der die Mißachtung des Nike-Kodex offenlegte. Öffentliche Kommentare von Nikes Präsidenten Phil Knight, der die Beschäftigung 14-jähriger Mädchen rechtfertigte (im Film „The Big One" von Michael Moore) taten ihr übriges. Umsatzrückgang und sinkender Aktienkurs waren die Folge und zwangen Nike, im Mai 1998 neue Initiativen bekanntzugeben, u.a. einer Anhebung des Mindestalters für Beschäftigung und die Beteiligung von NROs beim Monitoring. Bis heute bestehen die Implementationsdefizite des Kodex aber weiter (zu Nike vgl. http://corpwatch.org/ trac/nike, abgerufen am 23.7.99).

Der Otto-Versand, der sich seit Mitte der 80er Jahre durch sein Umweltschutzengagement einen Namen gemacht hat, beteiligt sich seit 1996 an der Rugmark-Initiative (siehe unten) und gab sich 1997 einen firmeneigenen Verhaltenskodex für die Zulieferer seiner Produkte (siehe Anhang). Nachforschungen des Asia Monitor Resource Center in Hongkong im Jahre 1997 ergaben, daß einige Zulieferbetriebe von Otto in China im unteren Lohnbereich nicht den gesetzlichen Mindestlohn einhielten, sich bei der Überstundenbezahlung nicht an die gesetzlichen Vorschriften hielten und Überstunden über das gesetzlich erlaubte Höchstmaß anordneten. Ähn-

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liche Verstöße konnte die IBON-Stiftung bei den philippinischen Zulieferern des Otto-Versands feststellen (Südwind 1997: 94-101). Ein Jahr später hatten sich die Arbeitsbedingungen noch nicht gebessert. Beim „Ständigen Tribunal der Völker" (PPT - Basso-Tribunal) im Mai 1998 wurde der Konzern beschuldigt, daß sich die Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern in China nicht von denen anderer Markenartikeler unterschieden: bis zu 150 Überstunden im Monat, kein Feiertag pro Woche, Bezahlung unter dem gesetzlichen Mindestlohn und Kinderarbeit (Musiolek 1998: 3).

Bessere Erfahrungen wurden anscheinend mit Verhaltenskodizes gemacht, die ein unabhängiges Monitoring vorsehen. Entsprechende Erfahrungen wurden auf einer Konferenz in El Salvador im Januar 1998 vorgetragen. Unabhängige Kommissionen zur Überwachung von Verhaltenskodizes für Zulieferer von US-amerikanischen Bekleidungsunternehmen (GAP, Macy, JC Penney) bestanden zum Zeitpunkt der Konferenz sowohl in El Salvador als auch in Honduras für je einen Betrieb, wobei die Kommission in El Salvador bereits seit drei Jahren arbeitete, die in Honduras erst seit einem halben Jahr. Beide Kommissionen konnten Erfolge hinsichtlich der Trinkwasserversorgung, des Zuganges zu den Toiletten, der Belüftung, des Verhaltens der Vorgesetzten und bei der Wiedereinstellung von entlassenen GewerkschaftsaktivistInnen vermelden. Angesichts des scharfen Wettbewerbs um Aufträge für die großen Ladenketten sei es aber in diesen einzelnen Betrieben nicht möglich gewesen, die allgemeinen Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Zudem bestünden Reibungspunkte zwischen der Kommission und den in diesen Betrieben tätigen Gewerkschaften. Die unterschiedlichen Rollen seien den Beschäftigten selten bewußt. Beide Kommissionen unterstrichen die Notwendigkeit, auf die jeweiligen Arbeitsministerien einzuwirken, damit diese ihren Aufgaben nachkommen, das nationale Arbeitsrecht durchzusetzen (Lynda Yanz und Bob Jeffcott, zitiert in Steelworkers Humanity Fund 1998: 39-41).

Die ILO-Studie zu Verhaltenskodizes enthält einige Verallgemeinerungen der bisherigen Erfahrungen. Verhaltenskodizes, die im Importland mit viel Aufwand der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, seien in den Fabriken der Hersteller zumeist unbekannt, nicht erhältlich oder nicht in die Landessprache übersetzt. Angemessene Durchführungsmechanismen finden sich in der Regel nur bei solchen Firmen, die funktionierende Qualitätsicherungssysteme nach ISO Standard 9000 installiert haben (ILO 1998: 17-18).

Elaine Bernard, Direktorin des Harvard Trade Union Program, beschrieb prägnant das typische Verhalten von Konzernen, denen grobe Verstöße gegen internationales Arbeitsrecht in ihren Fabriken und bei ihren Zulieferern im Süden vorgeworfen werden. In der ersten Phase werden die Vorwürfe abgestritten, in der zweiten werden andere für die schlimmen Arbeitsbedingungen verantwortlich gemacht (vor allem die Zulieferer, aber auch die örtlichen Behörden und die Beschäftigten selbst). Die dritte Phase ist durch damage control gekennzeichnet, die Firmen versuchen durch teilweises Abstreiten, durch Verharmlosen der Verstöße und durch Angriffe auf die Motive und Methoden ihrer Kritiker den möglichen Schaden für ihre Reputation gering zu halten. In der vierten Phase versuchen sie, ihre frühere Reputation wieder zu erlangen, indem sie sich einen freiwilligen Verhaltenskodex zulegen und PR-Firmen zur Bekanntmachung ihrer Bemühungen beauftragen. In der fünften und letzten Phase versuchen die Firmen, sich von einer bekannten Person oder Organisation bescheinigen zu lassen, daß sie die Einhaltung ihres Verhaltenskodexes aktiv betreiben (Bernard 1997).

Wenn allerdings der Druck auf die Unternehmen trotz dieser Vermeidungsstrategien nicht nachläßt, können für einzelne Belegschaften Verbesserung erzielt werden. Laut Broscheit führten die Auseinandersetzungen um den GAP-Zulieferbetrieb SETMI letztlich so gar zu einer Novellierung des Gesetzes für die freien Produktion Zonen in El Salvador, die die dortigen Unternehmen explizit dazu verpflichtet, Gesetze, Ordnungen und sonstige Verfügungen des Arbeitsrechts unter gesetzlichen Sozialversicherung einzuhalten - einschließlich des Vereinigungsrechts (1997: 143).

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Kooperationsprobleme: Apparel Industry Partnership / Fair Labor Association

1995 empörte sich die amerikanische Öffentlichkeit über die Aufdeckung eines Sweatshops (Auspresserbetriebs) in El Monte, Kalifornien, wo 72 TextilarbeiterInnen in Sklaverei-ähnlichen Zuständen arbeiteten. Nur wenig später begann das National Labor Committee, eine gewerkschaftlich unterstützte Menschenrechtsorganisation in New York, Informationen über die Produktionsbedingungen in lateinamerikanischen Textilbetrieben zu verbreiten, die für den amerikanischen Markt produzieren. Insbesondere die Marke Kathie Lee Gifford, benannt nach einer auch für ihr Engagement für Kinder bekannten Fernsehpersönlichkeit, geriet unter öffentlichen Druck. Mit der Unterstützung Präsident Clintons gelang es dem damaligen US-Arbeitsminister Robert Reich, Unternehmen der Bekleidungs- und Schuhindustrie, Gewerkschaften sowie der Verbraucher- und Menschenrechts-NROs zur Zusammenarbeit in der sogenannten White House Apparel Industry Partnership zu bewegen, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie vorzugehen (Bissell 1999).

Das im April 1997 vorgelegte Abkommen stellte einen vorläufigen Verhaltenskodex (Workplace Code of Conduct) und Grundzüge eines Monitoring-Konzeptes vor, die zunächst als zukunftsweisend betrachtet wurden, vor allem, weil das Konzept einer „Partnerschaft" über die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes hinauszuweisen schien. Doch schon eineinhalb Jahre später, nach vielfach unterbrochenen Verhandlungen über die Details des Monitoring und der Kompetenzen der zu gründenden Überprüfungs- und Zertifizierungsorganisation Fair Labor Association kam es zwischen den beteiligten Gewerkschaften und einer Minderheit der NRO auf der einen, und den Unternehmen und der Mehrheit der NRO auf der anderen Seite zum Bruch. Zwar enthält der Verhaltenskodex den Verzicht auf Kinder- und Zwangsarbeit, auf jede Diskriminierung der Beschäftigten, Verweise auf ausreichende Arbeitsschutzmaßnahmen, auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen über Entlohnung und Arbeitszeiten und das Recht auf freie gewerkschaftliche Organisation und kollektive Tarifabschlüsse. Aber im Detail dieser Regelungen und vor allem in den Fragen der Transparenz und der Überwachung sahen sich die Textil-Gewerkschaften UNITE und Retail, Wholesale and Department Store Union und die ökumenische Organisation Interfaith Center for Corporate Responsibility außerstande, die Vereinbarung über die Einrichtung der Fair Labor Association mitzutragen, die eine Untergruppierung der Apparel Industry Partnership an den Kritikern vorbei verabschiedet hatte (UNITE 1998). Weitere NROs wie z.B. Global Exchange distanzierten sich von dem Abkommen. Die wesentlichen Kritikpunkte sind mangelhafter Schutz des gewerkschaftlichen Vereinigungsrechts, Hinnahme von Löhnen unterhalb des Existenzminimums, zu große Unternehmenskontrolle bei der Überwachung - u.a. verweigern die Firmen mit dem Hinweis auf mögliche Konkurrenznachteile, ihre Wertschöpfungskette transparent zu machen. Die Unternehmen können daher nach Zertifizierung das Siegel der Fair Labor Association zu Werbungszwecken verwenden, ohne daß wirklich sichergestellt ist, daß ihre Erzeugnisse nicht in Sweatshops hergestellt wurden (Benjamin 1999).

Der namhafte International Labor Rights Fund, einer der Vorreiter der Diskussion über Arbeiterrechte im Welthandel, entschied sich dennoch dafür, das Abkommen mitzutragen (ILRF 1998). Dies führte zu einer bis heute nicht überwundenen Spaltung der Befürworter von Arbeiterrechten, die bis in die Reihen der College-Aktivisten gegen Sweatshops reicht. In öffentlichwirksamen Kampagnen versuchen diese, die Universitäten zu verpflichten, nur eindeutig nicht unter Auspressungsbedingungen hergestellte Textilien mit ihren Logos zu versehen (Bekleidung mit Universitätslogos erfreut sich in den USA einer großen Beliebtheit). Die Universitätsrektoren optieren vielfach für einen Beitritt zur Fair Labor Association, während die eine Mehrheit der studentischen Aktivisten (z.B. United Students Against Sweatshops) den Vorwurf der Gewerkschaften teilen, daß es sich um ein mangelhaftes Abkommen handelt (ihr Kürzel für die FLA ist FLAW - „Mangel" oder „Fehler"), das den Unternehmen Schutz vor Kritik und einen ungebührlichen Imagevorteil verschafft (USAS 1999).

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Der Kooptationsvorwurf, den vor allem UNITE und das National Labor Committee gegenüber dem International Labor Rights Fund erhoben haben, deutet auf eine mögliche Gefahr der auf den ersten Blick vielversprechenden Kooperation von Staat, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Weil die Kritik der Gewerkschaften an den NROs, keine Mitglieder zu vertreten und zu anfällig für Unternehmensspenden zu sein, ebenso weit verbreitet ist wie die umgekehrte Kritik, die Gewerkschaften seien nur ihren Mitgliedern und nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet, kann es Staat und/oder Unternehmen leicht gelingen, die Bündnisse zwischen NROs und Gewerkschaften zu spalten. Insbesondere solche Verhaltenskodizes, die mangels einer eindeutigen oder umsetzbaren Verpflichtung auf das Prinzip der Vereinigungsfreiheit das Vertretungsrecht der Gewerkschaften bedrohen, sind dazu geeignet, zu einer solchen Spaltung zu führen. Im Falle der Apparel Industry Partnership sind Unternehmen betroffen, die an Standorten produzieren, wo gewerkschaftliche Rechte so beeinträchtigt sind, daß eine ernstgemeinte Verpflichtung auf das gewerkschaftliche Vereinigungsrecht zur Verlagerung der Produktion aus diesen Ländern führen müßte. Die Position des International Labor Rights Fund, daß den betroffenen ArbeiterInnen in jeder Weise geholfen werden muß, auch wenn dies zunächst gewerkschaftliche Vertretung nicht einschließt (ILRF 1998), ist zwar vermutlich integer, aber die Sorge der Gewerkschaften, daß mit der Fair Labor Association eine dauerhaft zu Verhandlungen berechtigte Institution geschaffen wird, die aber nicht von den Beschäftigten legitimiert ist, hat ihre Berechtigung.

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Haltung der Akteure



Gewerkschaften

Der ICFTU hat, wie erwähnt, einen Modellkodex erarbeitet. Konkret unterstützte der ICFTU zusammen mit dem britischen Gewerkschaftsdachverband TUC die Kampagne für einen Verhaltenskodex in der Spielzeugindustrie. Die "Kampagne für saubere Kleidung" erhält Unterstützung vom DGB-Nord-Süd-Netz, von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und von der Gewerkschaft Textil und Bekleidung (jetzt in der IG Metall).

Der DGB forderte jüngst: „Die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen sind so zu aktualisieren, daß sie alle Mindestarbeitsstandards enthalten. Damit diese jedoch auch Wirkung entfalten können, muß in der gegenwärtig erfolgenden Überarbeitung der Richtlinien darauf geachtet werden, daß es künftig einen effizienten Umsetzungsmechanismus gibt" (DGB 1999; s. auch das Positionspapier des DGB-Bundesvorstandes, DGB 1998). Zentrales Anliegen der Gewerkschaften ist die Verankerung von Koalitions- und Tarifverhandlungsrechten in den Verhaltenskodizes.

Nichtregierungsorganisationen

Im Unterschied zur Forderung nach Sozialklauseln erfreut sich die Kampagne zur Durchsetzung von Verhaltenskodizes der uneingeschränkten Unterstützung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen Menschenrechte, Entwicklungspolitik, christliche Mission und Frauen. Zu den Trägerorganisationen der deutschen „Kampagne für Saubere Kleidung", die einen besonders ausgearbeiteten Verhaltenskodex entwickelt hat, gehören u. a. Südwind - Institut für Ökonomie und Ökumene, NRO-Frauenforum, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Terre des femmes, Christliche Initiative Romero e. V., Informationsstelle El Salvador, Ökumenisches Netz e. V. Rhein-Mosel-Saar, Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e. V.. Eine Studie zu den Arbeitsbedingungen in der chinesischen und philippinischen Bekleidungsindustrie wurde beispielsweise von „Brot für die Welt" finanziert (Südwind 1997). Schirmfrau ist die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung entwarf einen Verhaltenskodex, der zudem die Bekämpfung von Bestechung und Korruption sowie die Einhaltung von Umweltstandards beinhaltet (Altvater 1998).

International sind ebenfalls viele Nichtregierungsorganisationen an diversen Kampagnen beteiligt: Oxfam und Save the Children Fund. In den USA gibt es sowohl Kampagnen, die sich gegen die Praktiken bei einzelnen Unternehmen richten (z.B. Global Exchange´s Nike Campaign)

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als auch breitere Initiativen. In jüngerer Zeit haben vor allem die Aktivitäten zahlreicher studentischer „Anti-Sweatshop"-Initiativen Medienaufmerksamkeit erlangt. Hier geht es darum, die Universitätsbürokratien dazu zu bewegen, die Vergabe von Lizenzen für die Produktion von mit dem Universitätslogo versehenen Kleidungsstücken an die Einhaltung von Verhaltenskodizes zu koppeln (Cooper 1999, siehe auch unten).

Eine Studie des Asia Monitor Resource Center in Hongkong (1998) erhielt Unterstützung von den folgenden Organisation: Committee for Asian Women, Asian Women's Human Rights Council, Asian Women Workers' Center, Friends of Women Foundation, HK Social Workers' General Union und HK Women's Christian Council, Novib, Christian Aid, Bread for the World, Mission and Worldservice of the Reformed Churches in the Netherlands, Asia Partnership for Human Development und Bilance.

Vertreterinnen von Frauenorganisationen aus El Salvador, Nicaragua, Guatemala und Honduras kämpfen für die Durchsetzung eines ethischen Kodex, von ihnen selbst Código de Etica genannt, der unter anderen die Abschaffung von Diskriminierung, Schutz vor Arbeitsunfällen und die Garantie des Rechtes auf Sozialversicherung vorsieht (Musiolek 1997: 120 - 122).

Der Schutz von Frauen und Kindern steht im Mittelpunkt der Initiativen der Nichtregierungsorganisationen, der Koalitionsfreiheit und dem Recht auf Kollektivverhandlungen wird ein geringerer Stellenwert eingeräumt.

Arbeitgeber

Die Kampagnen von Konsumenten und Gewerkschaften haben in den 90er Jahren das Interesse von Firmen an Verhaltenskodizes erhöht. Mittlerweile beschäftigen sich auch die Konzernleitungen insbesondere US-amerikanischer Firmen mit Fragen der Ausgestaltung von Verhaltenskodizes (White 1997). So haben sich unter gesellschaftlichem Druck einzelne Firmen und einige Unternehmerverbände bereit erklärt, mit Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Organen Verhaltenskodizes auszuarbeiten. Bei solchen Verhandlungen leisten sie in der Regel hartnäckigen Widerstand gegen die Aufnahme gewerkschaftlicher Rechte in den Kodex und das Einsetzen einer unabhängige Instanz zur Überwachung der Einhaltung des Verhaltenskodexes (ILO 1998: 12). Allein C&A und der Otto-Versand haben für 1999 angekündigt, in ihrem jeweiligen Verhaltenskodex die Rechte auf Organisationsfreiheit und Kollektivverhandlungen aufzunehmen. Freilich sollen diese nur den Status einer Empfehlung erhalten. Ein unabhängiges Monitoring, wie es die „Kampagne für saubere Kleidung" vorschlägt, hält die Firma C&A für unrealistisch. Doch schließen Otto Versand, C&A und Karstadt seit kurzem eine Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften an einer Überprüfung nicht mehr grundsätzlich aus. Im April 1999 gab der Otto-Versand seine Präferenz für das Zertifizierungsverfahren SA 8000 bekannt (CCC Newsletter No.10 July 1999; Pressemitteilung 12.6.98).

Der Verhaltenskodex der europäischen Textilindustrie enthält laut ILO-Studie als einziger die Verpflichtung der Unternehmen, den Inhalt des Verhaltenskodex in den lokalen Tarifvereinbarungen zu verankern, wodurch der Verhaltenskodex Vertragstatus erhalten würde und im jeweils nationalen Rahmen rechtlich einklagbar wäre (ILO 1998: 12).

Mit Ausnahme des französischen Arbeitgeberverbandes lehnen alle Arbeitgeberverbände verbindliche, durch internationale Organisationen festgelegte Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen ab. Unternehmenseigenen freiwilligen Selbstverpflichtungen stehen sie jedoch positiv gegenüber (siehe IOE 1999). Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) arbeitet derzeit an einem Positionspapier. Ein Entwurf betont, daß die BDA nachdrücklich die ILO Erklärung vom Juni 1998 unterstützt und das soziale Engagement international operierender Unternehmen befürwortet, aber daß dieses Engagement Freiraum benötigt. Eine Garantie für die Einhaltung bestimmter Arbeitsstandards bei Zulieferern sei unrealistisch (BDA 1999).

Regierungen

Die Regierung Kohl unterstützte die Rugmark-Initiative gegen Kinderarbeit. Dem Rugmark-

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Siegel für Teppiche liegt eine Richtlinie zugrunde, zu deren Einhaltung sich die beteiligten Unternehmen verpflichten müssen (Haas 1998, s.u.)

Eine Veröffentlichung der „Kampagne für Saubere Kleidung" wurde vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt (Musiolek 1997: 4).

Die Clinton-Regierung betrieb aktiv das Zustandekommen der Apparel Industry Partnership und entwickelte 1995 Model Business Principles, die ohne expliziten Bezug zur Einhaltung der Kernarbeiterrechte der ILO aufrufen.

Die Ethical Trading Initiative erhält von der britischen Regierung finanzielle Unterstützung, die Regierungen Kanadas, Australiens und Neuseelands entwickelten je eigene Richtlinien (ILO 1998: Anm. 42)

Internationale Organisationen

Bisher hat die ILO Anfragen hinsichtlich ihrer Mitarbeit bei der Gestaltung und Umsetzung von Verhaltenskodizes mit dem Verweis auf ihre Richtlinien für multinationale Konzerne von 1977 und auf noch laufenden internen Diskussionen abgewiesen (ILO 1998: 33). Verschiedene institutionelle Bedenken prägen diese vorsichtige Haltung der ILO. Vor allem befürchtet die ILO, daß die Verhaltenskodizes der Entstehung eines Marktes für „Ethik" Vorschub leisten, der sie letztlich überflüssig machen könnte. Es stünde dann im Belieben der Konsumenten, „ethisch korrekte" Waren nachzufragen, und im Belieben der Produzenten, diese Waren bereitzustellen. Letztlich bestünde somit kein Bedarf an nationalen oder internationalen Vorschriften, wie z. B. den ILO-Konventionen (ILO 1998: 34). Zudem könnten Verhaltenskodizes und die ILO-Konventionen in Konkurrenz zueinander kommen. So ist es durchaus denkbar, daß eine Firma A, die sich strikt an die von ihrer Regierung ratifizierten ILO-Konventionen hält, bessere Arbeitsbedingungen bietet als eine Firma B im gleichen Land, die einen Verhaltenskodex einer Laden

kette in einem OECD-Land einhält. Gleichwohl könnte Firma B dann über höhere Exportchancen verfügen, wenn sie in ein Netzwerk eingebunden wäre, dessen Verhaltenskodex bzw. Gütesiegel von den OECD-Konsumenten anerkannt wird. Ein Bericht der UNIDO drückt diesen Sachverhalt deutlich aus:

    "For export-oriented firms, the dictates of large international buyers reflected in their own codes of ethics are more instrumental in bringing about improvements in social and environmental performance than guidelines recommended by international agencies such as the ILO, World Bank and WHO, etc. ... as they are better able to exploit trade opportunities inherent in the demand for sustainably produced goods." (Kumar et al. 1998)

Mithin könnten Regierungen aufgrund dieser Logik von der Unterzeichnung und Anwendung von ILO-Konventionen abgehalten werden. Aus diesen Überlegungen heraus bemühte sich die ILO auch nicht darum, daß in den Verhaltenskodizes auf ihre Konventionen explizit Bezug genommen wird. Ein solcher Bezug könnte in der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen lassen, die ILO sei am jeweiligen Verhaltenskodex beteiligt.

Gleichwohl ist sich die ILO bewußt, daß sie den Trend zu Verhaltenskodizes nicht ignorieren kann, zumal sie selbst beschlossen hat, auf die Durchsetzung ihrer Konventionen mittels Handelssanktionen zu verzichten. Die Working Party on the Social Dimensions of the Liberalization of International Trade schlug deshalb zwei Prinzipien vor, die in jedem Kodex enthalten sein sollten: Einhaltung des jeweiligen nationalen Rechts und aller (und nicht nur einiger ausgewählter) Kernarbeiterrechte gemäß der ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work. Zudem entwarf sie drei mögliche Verhaltensweisen der ILO gegenüber den Verhaltenskodex- und Gütesiegel-Initiativen:

(a) eine minimalistische Position, die lediglich die Errichtung eines Informationszentrums über die Entwicklung von Gütesiegeln und Verhaltenskodizes sowie Forschungsprojekte zum Thema vorsieht;

(b) eine vorsichtig unterstützende Position, indem zum Beispiel Handbücher zur Entwicklung und Verwaltung von Verhaltenskodizes und

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Qualifizierungsmaßnahmen für das von den Tarifparteien gestellte Personal zur Verwaltung dieser Instrumente angeboten werden;

(c) eine aktive Rolle, bei der die ILO mit dem gleichen Verfahren, wie die Konventionen entwickelt werden, auch für Unternehmen einen Verhaltenskodex international verbindlich macht, bzw. weil hierfür derzeit kein Konsens unter den Mitgliedern der ILO besteht, sie die bestehende Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy stärker propagiert und ein Modellverfahren zur Einführung und Überwachung dieser Verhaltensprinzipien entwickelt (ILO 1998: 36-38).

Der Bericht des Generaldirektors an die Internationale Arbeitskonferenz von 1999 hielt alle Optionen offen (ILO 1999).

Über ihr International Programme on the Elimination of Child Labour (IPEC) beteiligt sich die ILO allerdings bereits an einem Projekt zur Bekämpfung der Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie von Bangladesch (zusammen mit der UNICEF), das unter anderem einen Verhaltenskodex inklusive eines Überprüfungssystems mit dem dortigen Unternehmerverband der Bekleidungsindustrie beinhaltet. Ein ähnliches Projekt besteht mit den Herstellern von Fußbällen in Pakistan (ILO 1998: 29).

Die WTO hat noch keine Stellung zu Verhaltenskodizes für transnationale Konzerne genommen, doch ist es durchaus denkbar, daß ein WTO-Schiedsgericht einen konkreten Verhaltenskodex als ein technisches Hemmnis für den internationalen Handel erklären könnte, wenn dieser den Anleitungen der WTO zur Vorbereitung, Annahme und Anwendung von Standards nicht entsprechen sollte (siehe den Code of Good Practice for the Preparation, Adoption and Application of Standards, paras. D-F, Annex 3 to Agreement on Technical Barriers to Trade).

Inhalt und Status des UNCTAD Draft Code of Conduct on Transnational Corporations sind noch unklar. Dies gilt ebenso für die vorgeschlagenen Klauseln zum Arbeitsrecht im Multilateralen Investitionsabkommen der OECD und für das Abkommen, an dem die WTO Working Group on Trade and Investment derzeit arbeitet.

Europäische Union

Das Europäische Parlament verabschiedete im Januar 1999 eine Resolution auf der Basis eines Antrages des britischen Labour-Abgeordneten Richard Howard, die die europäische Kommission und den Europäischen Rat auffordert, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Überwachung des sozialen Verhaltens transnationaler Konzerne zu schaffen. Zugleich begrüßte sie Initiativen zur Entwicklung von freiwilligen Verhaltenskodizes, wobei diese jedoch nicht anstelle von internationale Abkommen treten sollen (CCC Newsletter No.10 July 1999; Telkämper 1998). Auch in der neuen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments sind Initiativen zur Entwicklung eines europäischen Verhaltenskodexes zu erwarten.

Die DG-V der Europäischen Kommission hielt zusammen mit dem U.S. Department of Labor im Februar und im Dezember 1998 je ein Symposium zu Verhaltenskodizes und internationalen Arbeitsnormen ab. Diese Veranstaltungen hatten allerdings lediglich einen rein informativen Charakter (DGV/ DOL 1998). Darüber hinaus organisierte die DG-V im November 1998 in Brüssel einen Workshop über die Überwachung von Verhaltenskodizes und „Soziallabeln". Laut der DG-V machte dieser Workshop offensichtlich, daß sich in Europa zu mindestens hinsichtlich dreier Punkte ein allgemeiner Konsens entwickelt:

    „Zunächst einmal sind Verhaltenskodizes ein guter Weg, um die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in Entwicklungsländern auf der Basis freiwilliger Maßnahmen von Unternehmen und Verbrauchern zu verbessern. Zweitens herrscht noch breitere Übereinstimmung darüber, daß die Kernarbeitsnormen, die in den IAO-Konventionen über das Verbot von Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion oder anderen Gründen sowie über das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen enthalten sind und am 18. Juni 1998 in der IAO-Erklärung zu den grundlegenden Prinzipien und Rechten am Arbeitsplatz angenommen wurden, in jeden Verhaltenskodex einbezogen werden sollten. Drittens, und das ist

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    vielleicht der wichtigste Punkt, können Verhaltenskodizes und Soziallabel nur im Rahmen eines langfristigen, schrittweisen und partnerschaftlichen Ansatzes, der entsprechende Anreize vorsieht, Wirkung zeigen." (DG-V 1999: 6)

Auf beiden Konferenzen sagte die Europäische Kommission allen betroffenen europäischen Parteien Hilfe bei der Zusammenarbeit zu. Sie baut derzeit ein europäisches Netzwerk auf (DG-V 1999: 6). Der Verhaltenskodex für die europäische Textilindustrie wurde im Beisein des Generaldirektors für Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten im September 1997 unterschrieben (ILO 1998).

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Bewertung nach Effizienz, Mobilisierungschancen und Realisierungschancen

Inwieweit mit Verhaltenskodizes wirksam gegen Verstöße gegen internationale Arbeiterrechte vorgegangen werden kann, hängt von deren konkreten Ausgestaltung ab. Insbesondere wenn die Einhaltung eines Verhaltenskodexes im Belieben des Unternehmens steht, bleibt die langfristige Effizienz dieses Instruments fraglich. Da sich bisher kein Unternehmen wirklich freiwillig einem Verhaltenskodex unterwarf, sondern nur auf Druck der Öffentlichkeit, gibt es keinen Anlaß anzunehmen, daß dessen langfristige Einhaltung ohne weiteren Druck sichergestellt werden kann. Aus verschiedenen Gründen ist es fraglich, ob langfristig der öffentliche Druck aufrechterhalten werden kann. Bisher haben sich soziale Bewegungen zyklisch entwickelt und soweit es ihnen nicht gelang, auf dem Höhepunkt ihrer Mobilisierungsfähigkeit die von Ihnen erzielten Konzessionen gesetzlich zu verankern, erwiesen sich ihre Erfolge eher als ein vorübergehendes Phänomen. Dies dürfte für Strategien, die auf Konsumentenentscheidungen aufbauen, besonders zutreffen. Denn selbst bei Kaufentscheidungen, die das Wohl der Käuferinnen direkt betreffen (wie zum Beispiel bei kontaminierten Lebensmitteln), setzen sich bei vielen nach einer ersten Panik die Kaufgewohnheiten bald wieder durch. Eine Rückkehr zu alten Kaufgewohnheiten dürfte im Falle von öffentlichen Vorwürfen, die nicht auf das Produkt sondern auf den Herstellungsprozeß gerichtet sind, aufgrund der geringeren persönlichen Betroffenheit noch wahrscheinlicher sein. Während in Deutschland Kinderarbeit außer bei neoklassischen Ökonomen auf moralische Empörung stößt, und somit der Vorwurf, ein Produkt enthält Kinderarbeit, wohl auch künftig eine breite Resonanz erfahren wird, löst die Verneinung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen weniger Empörung aus, zumal hierzulande immer weniger Personen von diesem Recht selbst Gebrauch machen. Die Aufrechterhaltung des öffentlichen Druckes wird zudem durch eine Vielzahl von Verhaltenskodizes, die die Konsumenten verwirren, erschwert. Ohne eine mit ausreichend Ressourcen ausgestattete Aufsichtsbehörde bzw. Monitoring-Instanz wird es den Organisationen, die für bessere Arbeitsbedingungen in den „Welt"-Fabriken eintreten, schwer fallen, die Öffentlichkeit immer wieder davon überzeugen, daß ein je spezifischer transnationaler Konzern gegen seinen eigenen Verhaltenskodex verstößt. Die Firmen, die am empfindlichsten auf öffentliche Kritik reagieren, und deshalb am ehesten bereit sind, sich einen Verhaltenskodex zu geben, sind zugleich jene, die über die höchsten Werbebudgets verfügen.

Gegenüber der ökonomischen Macht der transnationalen Konzerne, der politischen und polizeilichen Macht staatlicher Organe nimmt sich die Macht der Organisationen der Konsumenten bescheiden aus. Theoretisch gilt zwar, daß der „Kunde König ist", doch die Kaufentscheidungen folgen eher den Preissignalen, den Gewohnheiten und der Werbung als den Appellen sozial-engagierter Organisationen. Wenngleich die Konkurrenz unter den Unternehmen diese auf geringe Änderungen der Marktanteile empfindlich reagieren lassen, so sind erstens die Praktiken der anderen Firmen meist nicht viel besser, so daß die Konsumenten eigentlich keine echten Alternativen haben. Zweitens birgt der Konkurrenzmechanismus zugleich einen starken Anreiz, die kostengünstigste Reaktionsweise auf die öffentliche Kritik zu wählen. Die kostengünstigste Reaktion liegt nicht unbedingt in der Behebung der Mißstände, sondern in effektiver PR-Arbeit.

Zusammen mit den Organisationen der Arbeitskräfte sind die Nichtregierungsorganisationen

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zwar potentiell stärker, doch zum einen lassen sich diese beiden konzernkritischen Strömungen leicht gegeneinander ausspielen (siehe die Apparel Industry Partnership) und zum anderen haben die Gewerkschaften bisher geringe Anstrengungen unternommen, ihre Mitglieder für grenzüberschreitende Solidarität zu mobilisieren.

Derzeit ist es allerdings für ein Urteil noch zu früh, inwieweit die unternehmenseigenen freiwilligen Verhaltenskodizes lediglich zur Vermeidung wirklicher Verbesserungen der Arbeitsbedingungen dient, oder ob sie einen Maßstab darstellen, an dem die jeweilige Firma öffentlichkeitswirksam gemessen und gehalten werden kann. Falls aber keine weiteren Schritte folgen, dann wirken die derzeitigen freiwilligen Verhaltenskodizes kontraproduktiv, und zwar insbesondere wenn der Verhaltenskodex:

  • den betroffenen Belegschaften unilateral Arbeitsbedingungen vorschreibt, und keine Mitwirkungsmöglichkeiten vorsieht;
  • vage Formulierungen enthält und/oder ILO Übereinkommen ignoriert;
  • nicht in die Bestimmungen des Betriebsablaufes integriert wird und den betroffenen Belegschaften nicht zugänglich gemacht wird;
  • keine externe Überprüfung der Arbeitsbeziehungen des Unternehmens zuläßt.

Aber selbst wenn es zu einheitlichen Verhaltenskodizes kommen sollte, die einen expliziten Bezug zu den zentralen ILO-Konventionen aufweisen und ein externes Monitoring vorsehen, sollten folgende Probleme nicht übersehen werden:

Insbesondere sind die Probleme des Monitoring nicht zu unterschätzen. Diese liegen vor allem in der Komplexität der Zuliefererketten. In der Spielzeugindustrie, die sich vor allem in der Nähe von Hongkong im südchinesischen Raum konzentriert, verhandelt bspw. das Hongkong-Büro eines US-amerikanischen Spielzeugkonzerns mit sogenannten Mittelsmännern, die wiederum in der Volksrepublik China mit Spielzeugherstellern oder mit Zwischenhändler verhandeln, wobei ungefähr ein Vertrag pro Tag unterzeichnet wird (Murray 1997: 32-33).

Eine betriebsinterne Beschwerdeprozedur kann eine unabhängige Überprüfung nicht ersetzen. Arbeitskräfte, die in Gefahr stehen extrem ausgebeutet zu werden, sind am wenigsten in der Lage, von einem solchen Beschwerdeverfahren Gebrauch zu machen. Eine aussichtsreiche Beschwerde erfordert

  • Zugang zu Informationen hinsichtlich des Verhaltenskodexes,
  • ein Verständnis dessen, was einen Verstoß gegen den Kodex darstellt, und der Kriterien, anhand derer die Beschwerde beurteilt wird,
  • die für Nachforschungen und ausreichende Dokumentation der Beschwerde notwendigen Mittel,
  • Beherrschung der Sprache, in der die Beschwerde behandelt wird,
  • und vor allem die Sicherheit, keine Nachteile wegen Einlegung der Beschwerde zu erfahren.

Mit der von den Konzernen zunehmend präferierte Form der externen Überprüfung, nämlich durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gemäß dem SA 8000 Standard, wird diese Problematik nur begrenzt überwunden werden können (siehe unten).

Den Nichtregierungsorganisationen wird die Finanzkraft für mehr als ein paar Stichproben fehlen, wenn sie das Monitoring vornehmen. Zudem besteht die Gefahr, wie die Beispiele aus El Salvador und Honduras zeigen, daß die Monitoring-Kommissionen als Substitut für Gewerkschaften angesehen werden.

Es ist ein gemeinsames Problem aller Instrumente, die über den Welthandel Arbeitsbedingungen in einem Land verbessern sollen, daß sie potentiell einer Spaltung des jeweiligen Arbeitsregimes in die Bereiche Exportwirtschaft und nationale Wirtschaft Vorschub leisten (allerdings sind die Beschäftigten in den Freihandelszonen oftmals schlechter gestellt). Bei Gütesiegeln und Verhaltenskodizes verschärft sich dieses Problem, denn diese führen zu zusätzlichen Unterschieden in der Exportwirtschaft. Belegschaften, die für Firmen arbeiten, die keine transnationalen Konzerne beliefern und/oder keine Konsumartikel für den Endverbraucher herstellen, kämen dann nicht in den Genuß des Schutzes eines Verhaltenskodexes.

Weitere Probleme des Instruments Verhaltenskodex sind: Verhaltenskodizes für Unternehmen können von der Verantwortung der Regierungen

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für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihrer Gesellschaften ablenken. Sie können die Geschäftswelt zudem zu der Annahme verleiten, daß sie ihrer Verantwortung durch Einhaltung eines Kodexes Genüge getan haben.

Schließlich sind noch nicht-intendierte Folgen zu berücksichtigen. Beispielsweise kann die Begrenzung der ausbeuterischen Heimarbeit den Zugang von Frauen zu Erwerbsarbeit beeinträchtigen und das Verbot der Kinderarbeit kann Kinder in gefährlichere Erwerbssektoren drängen. Es besteht auch die Gefahr, daß wenn ein transnationaler Konzern einem Subunternehmen aufgrund von Verstößen gegen seinen Verhaltenskodex weitere Aufträge entzieht, daß in den anderen Subunternehmen der Druck auf die Belegschaften wächst, Mißstände nicht öffentlich zu machen. Dieser Gefahr kann begegnet werden, indem der transnationale Konzern sich verpflichtet, durch Einwirkung auf das Management des Subunternehmen die Mißstände zu beheben und nur dann das Unternehmen von weiteren Aufträgen ausschließt, wenn alle Überzeugungs- und Zwangsmittel ausgeschöpft sind (siehe das Beispiel des GAP-Subunternehmens SETMI in El Salvador; Broscheit 1997: 142). Es bedarf somit flankierender Maßnahmen.

Mobilisierungschancen

Für Verhaltenskodizes konnte bisher relativ gut mobilisiert werden. Markenartikelfirmen im gehobenen Segment (siehe die Unterschiede zwischen Otto-Versand und dem Quelle-Versand) reagierten sensibel auf Kritik, so daß die Aktivisten rasche Erfolge vorweisen konnten. Für das Fußvolk einer Kampagne läßt sich der Sachverhalt moralisch eindeutig darstellen und zum Mitmachen bedarf es wenig, im wesentlichen nur des Verzichts auf die Produkte eines bestimmten Unternehmens, die leicht durch die Produkte eines anderen Unternehmens ersetzt werden können. Aufgrund des Fehlens eines unmittelbar eigenen Vorteils läßt sich die eigene Handlungsweise zwar moralisch gut rechtfertigen, doch zugleich führt dies zu einer Beliebigkeit der Ziele und legt eine paternalistische Herangehensweise nahe. Dies kann einerseits bei Mißerfolgen zu einem raschen Erlahmen des Engagements führen. Andererseits birgt es ein Konfliktpotential im Verhältnis zu den betroffenen Belegschaften und den Gewerkschaften.

Allerdings können Kampagnen zur Durchsetzung von Verhaltenskodices eine wichtige Rolle bei der Schaffung eines öffentlichen Bewußtseins für eine soziale Regulierung des Weltmarkts spielen. So ist es beispielsweise ein Hauptanliegen der Kampagne für saubere Kleidung, „die Interessen und Forderungen der ArbeiterInnen nicht als Opfer, sondern als Akteure sichtbar und durchsetzbar zu machen" (Musiolek 1999b: 16).

Realisierungschance

Die Realisierungschancen hängen von der Art der Verhaltenskodizes ab. Wünschenswert wären Verhaltenskodizes, die zumindest für einzelne Branchen einheitlich sind, sich explizit auf die zentralen ILO-Konventionen beziehen, deren Einhaltung einer unabhängigen Aufsicht unterliegen und die einen Erzwingungsmechanismen jenseits des Konsumentenverhaltens vorsehen. Bis auf die Erzwingungsmechanismen wäre die Etablierung solcher Verhaltenskodizes durchaus realistisch, vor allem dann, wenn die Durchsetzung von Sozialklauseln als wahrscheinlich angesehen wird. Solange der Druck nicht nachläßt, dürften auch die Konzerne an einer Vereinheitlichung der Kodizes interessiert sein. Durch eine Vereinheitlichung würden die Kodizes an Legitimation gewinnen, kostengünstiger in ihrer Durchführung ausfallen und diesen Bereich aus der Konkurrenz nehmen. Zu den zentralen ILO-Konventionen besteht ein breiter Konsens. Eine unabhängige Aufsicht in Form einer Zertifizierung nach einem internationalen Standard (zum Beispiel SA 8000) beeinträchtigt keine „heiligen Vorrechte" des Management, d. h. es braucht in keine Verhandlungen mit Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisation zu treten, sondern muß nur vergleichbar mit Qualitätsicherungssystemen ein Durchführungsverfahren entwickeln und installieren. Ein Erzwingungsmechanismus würde allerdings die Konzerne im Vergleich zu einer Sozialklausel schlechter stellen, da deren Einhaltung in staatlicher Verantwortung läge. Aus diesem Grunde ist eine Sozialklausel innerhalb der WTO wahrscheinlicher als ein Erzwingungsmechanismus für Verhaltenskodizes.

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Insgesamt dürften diese Instrumente nur unter Hinname weiterer Liberalisierungsschritte durchgesetzt werden können. Als beispielsweise Präsident Clinton im Mai 1994 alle US-amerikanischen Firmen mit Geschäftsbeziehungen zu China dazu aufforderte, sich einen freiwilligen Verhaltenskodex zuzulegen, kündigte er zugleich an, daß er künftig menschenrechtliche Bedenken von der Handelspolitik gegenüber China abkoppeln würde (Cavanagh 1997: 99).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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