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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 33]

Soziale Gütesiegel

Soziale Gütesiegel setzen auf die Kaufentscheidungen der Konsumenten. Deren „right to know" soll durch Kennzeichnungen gewährleistet werden, die Aufschluß über die Produktionsbedingungen der auf dem Weltmarkt gehandelten Waren geben. Gütesiegel sollen eine Präferierung solcher Produkte ermöglichen, bei deren Herstellung soziale Mindestrechte eingehalten werden. Sie können auch für ganze Unternehmen vergeben werden.

Grundsätzlich liegen sozialen Gütesiegeln Übereinkünfte über eine Reihe von Mindeststandards zugrunde, oft in Form von Verhaltenskodizes, deren Einhaltung Voraussetzung für die Vergabe des Siegels ist. In einigen Fällen gibt es allerdings kaum mehr als einen impliziten Verhaltenskodex, der sich aus dem inhaltlichen Anspruch des Siegels ableitet. Auf der anderen Seite hat die tatsächliche oder drohende Einführung von Gütesiegeln verschiedentlich dazu geführt, daß Unternehmen einen Verhaltenskodex formuliert haben, ohne aber an dem Gütesiegelprogramm teilzunehmen (ILO 1998).

Die Strategie der Gütesiegel ist nicht neu. Union Labels, die die gewerkschaftliche Organisierung bzw. die guten Arbeitsbedingungen des produzierenden Betriebs bescheinigten, entstanden Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den USA, zunächst hauptsächlich für den nationalen Markt. Sie existieren in modifizierter Form auch heute noch (Buy Union), sind allerdings nicht weit verbreitet. Eine Vorgängerorganisation der National Consumers League, die die Interessen der amerikanischen Konsumenten vertritt, entwickelte 1898 ein White Label auf der Basis eines Standardkatalogs und einer Liste von Betrieben, in denen keine Sweatshop-Bedingungen und keine Kinderarbeit herrschten (USDOL 1997: 4-9). Seit etwa 20 Jahren gibt es Umweltsiegel. Hier lag von Beginn an ein Bezug zum Weltmarkt vor.

Neben diesen Siegeln haben die heutigen, seit etwa Mitte der 90er Jahre stark Verbreitung findenden sozialen Gütesiegel ihre Vorreiter im fairen Handel mit der „Dritten Welt", wie er - ausgelöst durch die UNCTAD-Konferenz 1964 (trade not aid) seit den späten 60er Jahren in eigens eingerichteten „Dritte-Welt-Läden" und in kirchlichen Zusammenhängen betrieben wird. Ging es dort zunächst vor allem um die Ermöglichung des Vertriebs von Waren aus unabhängiger Produktion, wurden im Rahmen der ab 1988 entstehenden Gütesiegelprogramme (zuerst Max Havelaar in den Niederlanden) bald auch Arbeiterrechte berücksichtigt (vgl. Tabelle VII im Anhang). Im Unterschied zum „klassischen" Alternativhandel, der nie mehr als eine Nischenposition einnehmen konnte, streben die Gütesiegelprogramme an, auch die etablierten Unternehmen und Vertriebsstrukturen einzubinden und damit mehr Verbraucher zu erreichen (Frank/Scherrer 1996: 1496). Einige Bekanntheit hat in Deutschland das „TRANSFAIR"-Label (u.a. für Tee und Kaffee; mittlerweile ist TRANSFAIR e.V. auch das „Dach" für Rugmark-Deutschland). 1997 wurde die Fairtrade Labeling Organizations International (FLO) gegründet, in deren Rahmen auf die Vereinheitlichung der Siegel hingearbeitet wird (USDOL 1997: 127-145). Die verschiedentlich in Umfragen (z.B. EMNID 1993, zit. in Lübke 1995) ermittelten Kundenpräferenzen zugunsten „ethischen" Konsums (ebd.) schlagen sich bislang nicht in hohen Marktanteilen dieser Produkte nieder - im Gegenteil, während zunächst steigende Absatzzahlen zu verzeichnen waren (ebd.; Braßel/Windfuhr 1995: 88), hat beispielsweise TRANSFAIR inzwischen wieder erhebliche Einbußen erlitten (Telefoninterview mit Volkmar Lübke, Institut Markt-Umwelt-Gesellschaft, Hannover, 1.9.99).

Vergleichskriterien

Wie im Bereich Verhaltenskodizes muß grundsätzlich zwischen unternehmenseigenen und unabhängigen bzw. NRO-inititierten (bzw. unter Beteiligung von NROs entstandenen) sozialen

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Gütesiegeln unterschieden werden. Da mit der optisch sichtbaren Verwendung des Siegels Imagegewinne erzielt werden können, besteht im Vergleich mit Verhaltenskodizes für Unternehmen sogar ein noch höherer Anreiz, den eigenen Namen auf dem Siegel zu verwenden (z.B. Reebok; s. unten auch das Beispiel von Levi-Strauss). Allerdings kann eine positive Werbewirkung nur dann erzielt werden, wenn das Siegel bzw. der Marken- oder Firmenname glaubwürdig für die Einhaltung von Mindeststandards steht (laut ILO 1998 kann dies z.B. der US-Textilhersteller GAP beanspruchen, wobei von Seiten z.B. der US-NRO Campaign for Labor Rights Widerspruch erhoben wird; vgl. Labor Alerts, Sept. 1, 1999).

Es bestehen weitere erhebliche Unterschiede zwischen den Gütesiegeln:

Zertifizierung: Die Autorisierung zur Verwendung des Siegels kann als Selbstzertifizierung oder Lizensierung von Subunternehmen und Zulieferern erfolgen oder durch unabhängige Zertifizierungsorganisationen, die von Unternehmen oder Zusammenschlüssen (NROs, Gewerkschaften, Unternehmen) beauftragt werden. Gütesiegelprogramme, die völlig auf eine Vorab-Zertifizierung der Unternehmen oder Produkte verzichten, sind wenig glaubwürdig.

Vergabe: Entweder für ein Produkt (im Falle von Rugmark sogar mit einem Code für jeden einzelnen Teppich), eine Produktreihe oder für ein ganzes Unternehmen. Letzteres kann verhindern, daß Firmen mittels Differenzierung in ihrer Produktpalette weiter von unfairen Bedingungen profitieren können (Scherrer et al., 1998: 100).

Verwendung: Gütesiegel können auf dem Produkt selbst oder auf der Verpackung angebracht werden. Insbesondere bei der Vergabe des Siegels für ganze Unternehmen werden die Siegel z.B. aber auch an der Verkaufsstelle, in Werbematerialien oder auf Briefköpfen verwendet. In der Form der Gütesiegel kann differenziert werden nach solchen, die mit Text arbeiten und solchen, die sich auf Symbole, Logos oder Warenzeichen beschränken. Bei letzteren wird die Wirksamkeit erschwert, weil der Bedeutungsgehalt des Siegels aus alternativen Informationsquellen erschlossen werden muß (ILO 1998).

Arbeitspolitischer Regelungsinhalt: Stärker als bei Verhaltenskodizes gibt es bei sozialen Gütesiegeln die Konzentration auf ein Thema, das der Kinderarbeit (vgl. USDOL 1997). Auch bei den breiter angelegten Siegeln rangiert Kinderarbeit an erster Stelle, gefolgt von der Lohnhöhe. Bei ca. einem Drittel der Siegel wird auf internationale Arbeitsstandards, d.h. auf die Konventionen der ILO, verwiesen (ILO 1998).

Transparenz: Hier ist einmal gemeint, inwieweit die Beschäftigten und andere Akteure vor Ort überhaupt Kenntnis des Gütesiegels und/oder des zugrundeliegenden Verhaltenskodex haben; zum anderen geht es darum, inwieweit klar erkennbar ist, welchen Anspruch das Gütesiegel hat und wie dieser Anspruch sichergestellt wird.

Finanzierung: Im Gegensatz zu Verhaltenskodizes gibt es bei Gütesiegelprogrammen meist ein ausgearbeitetes Finanzierungssystem, z.T. mit Vorschriften über die Verwendung eines Gewinns. Folgende Finanzierungsvarianten sind gängig: feste Lizenzgebühren oder Mitgliedsbeiträge und proportionale Gebühren für den Gebrauch des Siegels beim Export und/oder Import. Viele Programme erhalten zudem Zuschüsse von staatlicher Seite, von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Unternehmen.

Überwachung: Das Spektrum des Monitoring entspricht dem der Aufsichtsformen von Verhaltenskodizes, bislang mit Ausnahme tarifvertraglicher Regelungen.

Vgl. die Tabellen VI, VII, und VIII im Anhang für weitere Unterschiede zwischen ausgewählten Gütesiegeln.

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Erfahrungen

Soziale Gütesiegel sind kaum durch Wirkungsanalysen erschlossen. Die bereits erwähnte ILO-Studie (ILO 1998) beschränkte sich auf Rückschlüsse aus den allerdings ebenfalls lediglich anekdotisch vorhandenen Erfahrungen mit Umweltsiegeln sowie auf die Diskussion ökonomietheoretischer Hypothesen. So wurde beispielsweise die Annahme diskutiert, daß bei einem Marktanteil von mehr als 10% die sich darin ausdrückende Kundenpräferenz für alle Produzenten wichtig wird. Diese reagierten daher mit alternativen Initiativen, z.B. Verhaltenskodizes.

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Auch die Studie Consumer Labels and Child Labor des U.S. Department of Labor von 1997 (USDOL 1997), die sich auf die Relevanz von Gütesiegeln für die Bekämpfung der Kinderarbeit konzentrierte, verzichtete auf Wirkungsanalysen. Neun Gütesiegel in den folgenden vier Branchen wurden aber näher untersucht: handgeknüpfte Teppiche, Lederschuhe, Fußbälle und Tee. Mittels öffentlicher Anhörungen, Kontaktaufnahmen zu Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, Ortsbegehungen und nicht-repräsentativen Umfragen untersuchte die Abteilung für Internationale Arbeitsangelegenheiten (ILAB) des US-Arbeitsministeriums folgende sechs Punkte: 1. physische Gestalt des Siegels; 2. inhaltliche Ausgestaltung; 3. Verwaltung; 4. Transparenz; 5. Überwachung der Einhaltung und 6. Durchsetzung.

Besonders aufschlußreich ist das Beispiel der Teppichindustrie. Mitte der 80er Jahre begannen indische Menschenrechtsorganisationen eine „Kampagne gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie". Ende der 80er Jahre schlossen sich in Südasien eine Reihe von NROs zur SACCS (South Asian Coalition On Child Servitude) zusammen, kurze Zeit später entstand eine Vereinigung von Teppichproduzenten (Carpet Manufacturers´ Association without Child Labour, CMAWCL). In Deutschland, dem weltweit größten Abnehmer handgeknüpfter Teppiche, wurden die Bemühungen um eine Teppichproduktion ohne Kinderarbeit Anfang der 90er Jahre durch terre des hommes, Brot für die Welt und Misereor aufgegriffen („Kampagne gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie"). Allerdings „sandte die Teppichkampagne ... eher politische denn unmittelbar ökonomische Schockwellen in die Branche" (Haas 1998: 94). 1994 kam es mit Unterstützung des deutsch-indischen Exportförderungsprojekts (IGEP) zur Gründung der indischen Rugmark-Stiftung, in deren Vorstand die SACCS-Mitglieder, UNICEF India und die CMAWCL-Hersteller vertreten sind. Ziel des Warenzeichens für Teppiche, die ohne illegale Kinderarbeit (das indische Recht unterscheidet zwischen Kinder-Lohnarbeit und Kinder-Familienarbeit; dies wurde von Rugmark übernommen) hergestellt werden, ist Versuch, „räumlich und auf ein Produkt begrenzt einen sozialen Mindeststandard durchzusetzen" (ebd.: 95). Im Rugmark-Verfahren müssen Exporteure eine Lizenz zur Verwendung des Labels beantragen und sich verpflichten, auf Kinder-Lohnarbeit zu verzichten und gesetzliche Mindestlohnbestimmungen zu erfüllen. Rugmark-Inspekteure prüfen in unangekündigten Stichproben die Einhaltung der Verpflichtung - zunächst müssen für die Erteilung der ersten Lizenz mindestens 30% der Knüpfstühle des Exporteurs, die alle registriert werden, überprüft worden sein. Die Gütesiegel erhält der Exporteur jeweils abgezählt für einen laufenden Auftrag; so soll für jeden einzelnen Teppich sichergestellt werden, daß er nicht mit Kinderarbeit hergestellt worden ist. Der Exporteur zahlt eine Lizenzgebühr von 0,25% des Exportwerts (ebd.: 96-98).

Rugmark hat erfolgreich darauf gesetzt, daß sich das Siegel als Konkurrenzvorteil für die Exporteure erweist. 1995 wurde geschätzt, daß die Rugmark-Teppiche mehr als ein Drittel der Exporte nach Deutschland ausmachen (ebd.: 98) - inzwischen ist der Anteil wieder zurückgegangen (Telefoninterview mit Volkmar Lübke). Rugmark-Deutschland und Rugmark-USA haben sich auch der Herausforderung gestellt, für die aus der Lohnarbeit bzw. Schuldknechtschaft befreiten Kinder Alternativen zur Verfügung zu stellen. Sie erheben von den Importeuren eine Abgabe von 1% des Warenwerts. Die Mittel werden in Indien treuhänderisch verwaltet und für Rehabilitierungs- und Ausbildungsmaßnahmen verwandt (vgl. http://www.rugmark.de; 22.7.99).

Ein Problem von Rugmark und ähnlichen, produktspezifischen Gütesiegeln liegt darin, daß es den Herstellern wie Händlern weiterhin Produktdifferenzierung erlaubt. „Im oberen Marktsegment rechtfertigt das Gütesiegel hohe Preise, im unteren Marktsegment können niedrige Preise dank weiterhin bestehender >unfairer< Produktionsbedingungen den Massenabsatz garantieren" (Scherrer et al. 1998: 100). Die Siegelvergabe für Unternehmen, deren gesamte Produktpalette unter „fairen" Bedingungen hergestellt wird (z.B. die Clean Clothes Campaign, s.o.), wäre ein praktikabler Ausweg, wenn sich nur Unternehmen fänden, die ausserhalb von Marktnischen dazu bereit wären..

Sowohl die Teppichimporteure in Deutschland als auch die indischen Exporteure und die Regie-

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rung reagierten sehr nervös auf die Rugmark-Initiative und warteten mit alternativen Siegeln auf (Braßel/Windfuhr 1995: 93-94). Das Kaleen-Siegel des indischen Carpet Export Promotion Council (CEPC), einer vom indischen Textilministerium ins Leben gerufenen und geförderten Teppichexportförderungsorganisation, wird wie das Rugmark-Siegel an den Teppichen angebracht. Das Programm hatte Mitte 1997 bereits 2.000 Mitglieder. Es beruht auf einem Verhaltenskodex, der Registrierung der Knüpfstühle und einer von den Exporteuren zu entrichtenden Abgabe von 0,25% des Verkaufswerts jedes Exportteppichs, die für die Rehabilitation befreiter Kinder verwendet wird. Das Inspektionssystem besteht aus Selbstkontrolle der Mitglieder und staatlicher Kontrolle durch ein National Level Steering Committee unter Leitung des Textilministeriums. Es ist aber unklar, ob ein unabhängiges Institut mit der Durchführung von Stichproben beauftragt wird und wie Verstöße gegen den Verhaltenskodex geahndet werden (Haas 1998: 101-104; USDOL 1997: 35-40).

Das „Glaubwürdigkeitsdefizit" (Haas 1998: 103) des Kaleen-Siegels ist jedoch geringer als das des Care & Fair-Siegels derjenigen deutschen Teppichimporteure, die die Rugmark-Initiative ablehnten. Mit dem Hinweis, eine Überprüfung aller Knüpfstühle könne ohnehin nicht gelingen, verlegten sich die Initiatoren dieses Programm auf die Erhebung von Gebühren (1% des Einkaufswerts), die in Hilfsmaßnahmen fließen sollen. Zwar garantiert das Programm dementsprechend nicht, daß die Teppiche der lizensierten Unternehmen nicht mit Kinderarbeit hergestellt wurden und die Teppiche selbst dürfen auch kein Care & Fair-Siegel führen; die Beschränkung geht aber nicht eindeutig aus dem Siegel hervor, auf dem es heißt: „Aktion gegen Kinderarbeit". Alle durch Selbstverpflichtung, keine Kinderarbeit zu verwenden, und Mitgliedschaft zertifizierten Unternehmen dürfen Materialien mit diesem Siegel überall verwenden, außer eben auf den Teppichen selbst (Haas 1998: 104-105; USDOL 1997: 46-50).

Eine weitere Rugmark-kritische Gütesiegelinitiative kommt aus der Schweiz, wo 1995 fünf NROs und eine Teppichindustrievereinigung die „Stiftung für gerechte Bedingungen in Teppichherstellung und -handel" (STEP) gründeten. STEP nimmt die Arbeitsbedingungen aller Teppicharbeiter - nicht nur der Kinder - in den Blick (ohne allerdings Vereinigungsfreiheit in den Katalog der Rechte aufzunehmen), zertifiziert ganze (Zulieferer-)Unternehmen und nimmt die Importeure und Händler vor allem für Hilfsmaßnahmen stärker in die Pflicht. Diese dürfen das Siegel an den Geschäften verwenden - nicht aber auf den Teppichen selbst (das US-Arbeitsministerium fand allerdings einige Fälle, wo in Geschäften mit STEP-Logo auch Teppiche von nicht-zertifizierten Produzenten angeboten wurden (USDOL 1997: 40-46; Haas 1998: 104).

Es zeigt sich insgesamt, daß zwar die Kritik an der Rugmark-Strategie, Teppich für Teppich die fairen Produktionsbedingungen nachzuweisen, berechtigt sein mag, andererseits aber zu großes Vertrauen in die Selbstverpflichtungen von Produzenten, Importeuren und Händlern nicht angebracht ist. In der Teppichbranche finden sich überdies zahlreiche Unternehmenssiegel, die ohne die Etablierung von erkennbaren Überwachungsmaßnahmen behaupten, Produkte ohne Kinderarbeit zu kennzeichnen.

In der Fußball-Branche wird die Verbreitung z.T. zweifelhafter unternehmenseigener Siegel sehr deutlich, die das Aufkommen des Instruments begleitet. Während Reebok im Rahmen der Einführung eines Gütesiegels eigens den Produktionsprozeß zentralisierte und die Firma Baden Sports begann, hauptsächlich maschinell gefertigte Fußbälle zu importieren (jeweils, um glaubwürdig die Verwendung von Kinderarbeit auszuschließen - laut USDOL ist es dennoch fraglich, inwieweit dies gelungen ist), hat die Mehrheit der vom US-Arbeitsministerium untersuchten Programme der US-amerikanischen Händler keine Zertifikations- und Überwachungsmechanismen (USDOL 1997: 109-114). Die weitergehende Vereinbarung der FIFA mit drei Gewerkschaftsverbänden, Ergebnis internationaler Kampagnen (z.B. Foul Ball Campaign in den USA), fand keine Unterstützung im Unternehmerlager. Kein Wunder, der Code of Labor Practice enthält auch die Vereinigungsfreiheit und das Tarifverhandlungsrecht (ebd.: 118-119).

Im Teehandel, wo die Gütesiegelprogramme in der Tradition des Alternativhandels stehen und dementsprechend stark auf vom Konsumenten zu

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entrichtende Zuschläge abheben, zeigen sich insbesondere die Grenzen dieses Marktes. Die meisten beteiligten Teeplantagen setzen nur einen kleinen Teil ihrer Produktion im Rahmen der Siegelprogramme ab, nicht etwa, weil auf einer Plantage unterschiedliche Standards eingehalten werden, sondern weil der Versuch unternommen wird, eine Balance zwischen den Produktmengen und den Absatzmöglichkeiten zu bewahren. Aus diesem Grund werden auch nur vorsichtig weitere Plantagen für die Programme geworben (USDOL 1997: 140-148).

Der Zertifizierungsstandard SA 8000

Für die Glaubwürdigkeit sozialer Gütesiegel sind insbesondere die Mechanismen der Zertifizierung und Überwachung wichtig. Deshalb ein abschließender Blick auf den Zertifizierungsstandard SA 8000 (Social Accountability 8000), der in Anlehnung an die Industriestandards ISO 9000 und 14000 seit Ende 1997 vom US-amerikanischen Council on Economic Priorities (CEP) unter Beteiligung von Gewerkschaften, anderen NRO und Unternehmen entwickelt wurde.

Dieser erste branchenübergreifende Standard, der sich ausdrücklich auf die zentralen ILO-Konventionen, einschließlich des Tarifverhandlungsrechtes, bezieht, wird von unabhängigen, akkreditierten Zertifizierungsunternehmen auf seine Einhaltung hin überprüft. Die CEP Accreditation Agency (CEPAA) ist Mitglied des International Accreditation Forums und erfüllt alle Anforderungen einer internationalen Akkreditierungsagentur auf der Basis von ISO/IEC Guide 61. Sie läßt Wirtschaftsprüfer und Auditoren, die nach dem SA 8000 arbeiten wollen, zu und überprüft ihre Arbeit. Auf der Basis von ISO/IEC Guide 62 kann diese Akkreditierung auch wieder entzogen werden. Dem Advisory Board von CEPAA gehören neben Vertretern von Unternehmen (Avon Products, Inc., das als erstes Unternehmen zertifiziert wurde; Reebok, Toys "R" Us, Body Shop, Inc. und OTTO-Versand, der eine Zertifizierung nach SA 8000 erwägt) auch namhafte Wissenschaftler wie Jagdish Bhagwati und Ray Marshall, früherer Arbeitsminister der USA, an. Ebenfalls vertreten sind Gewerkschaften und NROs (International Textile, Garment & Leather Workers Fed.; Jack Sheinkman, President Emeritus der Amalgamated Clothing & Textile Workers Union - heute UNITE; National Child Labor Committee). Von den bislang drei akkreditierten Organisationen, also solchen, die an SA 8000 interessierte Unternehmen nach einer Überprüfung zertifizieren dürfen, ist nur SGS - International Certification Services Ltd. im Advisory Council; die beiden anderen sind: DNV (Det Norske Veritas) und BVQI (Bureau Veritas Quality International).

Besondere Merkmale der Anforderungen an das zu zertifizierende Unternehmen sind: Transparenz (das schriftliche Bekenntnis zu den Standards des SA 8000 muß allgemein zugänglich sein und die Arbeitnehmer über das System und ihre diesbezüglichen Rechte informiert werden; auch externe interessierte Gruppen - Arbeitnehmern, NRO, Gewerkschaften, Wettbewerbern - werden in die Kommunikation eingebunden und es müssen klar geregelte Beschwerdewege eingerichtet werden) und vollständige Abdeckung (die Einhaltung der Standards muß auch von Vor- und Sublieferanten gefordert werden). Nach einem dementsprechend gründlichen Audit wird die Zertifizierung zunächst für 3 Jahre ausgesprochen, bei halbjährlichen Überprüfungsaudits. 15 Unternehmen sind bislang zertifiziert worden (Stand: März 1999) und dürfen das SA 8000 Siegel (mark) verwenden (Lübke 1999; Website der CEPAA: http://www.cepaa.org).

In der Konkurrenz der Zertifizierungsinstitutionen - die die Einschätzung der ILO bestätigt, daß es einen „Markt für Ethik" gibt - hat CEPAA bzw. SA 8000 einen Professionalitätsvorsprung gegenüber beispielsweise der Clean Clothes Campaign und der Fair Labor Association. Allerdings muß sich erst noch zeigen, ob die akkreditierten Audit-Unternehmen wirklich unabhängig sind; immerhin muß der Audit von den beauftragenden Unternehmen bezahlt werden. Die Zertifizierungsunternehmen sind zudem sicherlich an weiteren Aufträgen für andere Unternehmensfelder interessiert. Die Kosten der Zertifizierung können im wesentlichen nur Firmen aus den entwickelten Ländern tragen, so daß Unternehmen in den Entwicklungsländern, wie dies bei der Umsetzung der ISO Standards 9000 und 14000 zu beobachten ist, weitgehend ausgeschlossen sind (ILO 1998: 33-34). Wenn nicht besondere Vorkehrungen getroffen werden, bei-

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spielsweise durch eine öffentlich finanzierte Zertifizierungsanstalt, dann werden kleinere und mittelgroße Firmen gegenüber den transnationalen Konzernen benachteiligt, da eine Zertifizierung ihres Verhaltens oder des ihrer Zulieferer im Verhältnis zum Umsatz mehr Kosten verursacht. Den professionellen Zertifizierungsunternehmen fehlen ferner Erfahrungen auf sozialpolitischem Gebiet, also auf einem Gebiet auf dem nicht rein technische Kriterien gelten. Die CEPAA-Schulungen werden diesen Mangel nur begrenzt beheben können. Das Konsensverfahren sowie die dominante Position von Experten der transnationalen Konzerne und der Regierungen der Industrieländer in den Komitees der freiwilligen Standardisierung führt dazu, daß das Gewicht mehr auf Verfahrensfragen als auf inhaltliche Erfordernisse gelegt wird. Zudem begünstigt es die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und nicht die Vereinbarung höherer Standards.

Insbesondere die Offenlegung aller Teilnehmer der Wertschöpfungskette ist hierbei ein Problem. Laut Volkmar Lübke wurde es im Rahmen des SA 8000 zur Aufgabe der Audit-Unternehmen gemacht, progressiv immer mehr Vor- und Sublieferanten in die Audits einzubeziehen (Telefoninterview mit Volkmar Lübke).

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Haltung der Akteure



Gewerkschaften

Die Gewerkschaften unterstützen grundsätzlich das Instrument der sozialen Gütesiegel. So beteiligen sich z.B. Gewerkschaften am Rugmark-Programm, an TRANSFAIR und an der Clean Clothes Campaign. Ihr Hauptanliegen ist die Berücksichtigung von Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungsrecht in den Siegeln zugrundeliegenden Verhaltenskodizes. Das Beispiel der Apparel Industry Partnership in den USA zeigt, daß es dabei zum Konflikt kommen kann, auch mit beteiligten NROs. Werden nämlich ohne Berücksichtigung des gewerkschaftlichen Vereinigungsrechtes Absprachen über Lohnhöhe, Arbeitszeit und andere Bedingungen getroffen, sehen die Gewerkschaften zu Recht ihre Rolle als Vertreter der Beschäftigten bedroht.

Die Abteilung „Arbeitsmarktpolitik und Internationale Sozialpolitik" des DGB-Bundesvorstandes schrieb:

    „Die Wirksamkeit der Kodizes dürfte kaum davon abhängen, ob Waren, die nach Deutschland gelangen, zertifiziert werden oder nicht. Zertifikate und Gütesiegel dürften möglicherweise aber im Interesse der Unternehmen liegen und ein Motiv sein, um sich überhaupt auf Kodizes einzulassen. Aus diesem Grund muß die Möglichkeit der Zertifizierung auch erwogen werden. Zertifiziert werden kann dabei allerdings nur, daß sich das Unternehmen den Regularien der Kontrakt- und Kontrollinstitution unterworfen hat, nicht aber, daß das fragliche Produkt in all seinen Stücken unter ethisch einwandfreien Bedingungen hergestellt worden ist." (DGB 1998)



Nichtregierungsorganisationen

Viele NROs verschiedenster Couleur beteiligen sich an Gütesiegelprogrammen. Die katholische Organisation MISEREOR ist z.B. nicht nur einer der Gesellschafter der gepa, die seit mehr als 20 Jahren Waren aus der "Dritten Welt" zu fairen Bedingungen importiert und vor allem über Weltläden und Aktionsgruppen vertreibt. Gleichzeitig ist MISEREOR auch eines von 37 Mitgliedern des TRANSFAIR e.V., der ein Siegel für Waren aus Fairem Handel vergibt.

Soziale Gütesiegel haben sich also für NROs als konsensfähiger Ansatz, auch über Grenzen (insbesondere Nord-Süd) hinweg, erwiesen. Konflikte gibt es aber bei den zugrundeliegenden Verhaltenskodizes, insbesondere was die Überprüfung der Einhaltung (Zertifizierung, Monitoring und Offenlegung der Wertschöpfungsketten) anbelangt.

Vertreter des „klassischen" Alternativhandels kritisieren, daß die Dritte-Welt-Läden durch die Siegelprogramme Umsatzeinbußen erleiden. Die Handelsketten können sich durch gesiegelte Produkte freikaufen, weil neben dem „fairen" Kaffee etc. die anderen, unter miserablen Bedingungen hergestellten Produkte im Regal stehen, die aufgrund der geringeren Preise von der Mehrheit der Konsumenten bevorzugt würden (Frank/ Scherrer 1996: 1496).

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Arbeitgeber

Die Unternehmen sind, abgesehen von einhelliger Ablehnung der Offenlegung der Wertschöpfungsketten, in der Frage der sozialen Gütesiegel gespalten. Einerseits gibt es solche, die marktkonforme Maßnahmen grundsätzlich begrüßen - unausgesprochen wohl auch aufgrund der drohenden Einführung von Sozialklauseln. Andererseits lehnen manche Unternehmen die durch die Siegelvergabe implizite Beschuldigung der anderen Produkte bzw. Produzenten ab. Klaus R. Beekmann, Generalsekretär von Care & Fair, meinte z.B. in einem Memorandum an das US-Arbeitsministerium: „...the carpet trade rejects any label on a single carpet generally. It is a fact that one carpet with a label will bring into discredit all carpets without labels ..." (zitiert nach: USDOL 1997: 47).

In ihrer Reaktion auf aufkommende Gütesiegelprogramme sind die Unternehmen heute kreativer als bei den „white labels" der Consumers League zu Beginn des Jahrhunderts. Gab es damals sofort viele Anfragen zur Mitgliedschaft (bis entsprechende Gesetzgebung die Standards überholte), sind heute unternehmenseigene Siegel verbreitet, die teilweise Ansprüche nur suggerieren oder jedenfalls nicht überprüfbar erheben, und unternehmenseigene Verhaltenskodizes mit den gleichen Mängeln.

Folgende Beispiele zeigen aber, das es viele Grautöne gibt. Ein brasilianisches Unternehmen ermöglichte mit einer Spende die Etablierung des Child-Friendly Company Program der Abrinq Foundation, einer Initiative des brasilianischen Unternehmenssektors (Gütesiegel u.a. in der Schuhindustrie) (USDOL 1997: vi, 74-79). Abrinq ist auch im Advisory Council von CEPAA, die den Zertifikationsmechanismus SA 8000 verwaltet. Auch das Pro-Child Institute in Brasilien (Schuhindustrie) entstand auf Initiative von Unternehmen (ebd.: 79-83). Beide Programme vergeben Gütesiegel auf der Basis von Vorabuntersuchungen, die aber lediglich bei Abrinq unter Beteiligung von NROs und Gewerkschaften erfolgen. Auch gibt es weder eine unabhängige Überwachung noch vollständige Transparenz: viele ArbeiterInnen entlang der Wertschöpfungskette haben keine Kenntnis der Selbstverpflichtungen der Unternehmen (ebd.).

Gerade Unternehmen mit etablierten Markennamen lassen sich kaum auf unabhängige soziale Gütesiegel ein, die dann ja auch von anderen Unternehmen benutzt würden. "Our best social label is our brand label," sagte z.B. Alan Christie von der Firma Levi-Strauss beim EU-US Symposium on Labour Standards in Brüssel im Februar 1998 (ILO 1998). Mit einem Verhaltenskodex nahm Levi-Strauss 1992 aber als erstes von vielen US-amerikanischen Unternehmen „soziale Produktionsbedingungen in [seine] Image-Planung" auf (Braßel/Windfuhr 1995: 90).

Der europäische Dachverband des Außenhandels (FTA) führte im Mai 1999 in Brüssel eine interne Konferenz unter Beteiligung von Vertretern der ILO und der Clean Clothes Campaign durch, um sich über verschiedene Modelle der Überwachung von Sozialstandards zu informieren und eine Position zu finden.

Regierungen

Die Bundesregierung Kohl stand freiwilligen Kennzeichnungen von den ohne Kinderarbeit hergestellten Produkten zur Sensibilisierung der Verbraucher positiv gegenüber. Für gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnungen oder gar Importverbot sah sie aber weder national noch auf europäischer Ebene Ansatzpunkte (BMA 1995: 66f). Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützte Rugmark und das Programm der ILO zur Beseitigung der Kinderarbeit (IPEC), und zwar als erstes Industrieland für den Zeitraum von 1991 bis 1995 mit insgesamt 50 Millionen DM (BMA 1995: 83). Obligatorische Produktkennzeichnung lehnte das BMZ aber ab (ebd. 92-93). Lediglich dem Bundesministerium für Wirtschaft erschienen selbst freiwillige Warenzeichen zu radikal: Mit dem Verweis auf Wettbewerbsverzerrungen lehnte sie diese ab (Haas 1998: 100-101).

Die neue Bundesregierung ist in ihrer Unterstützung eindeutiger. So arbeitet das BMZ bzw. die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) an einem entwicklungspolitischen Siegel „GTZ/ProTrade", das neben sozialen Standards auch Umweltstandards im Sinne

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der nachhaltigen Entwicklung berücksichtigen soll.

Viele Regierungen, durchaus auch von Entwicklungsländern, stehen dem Instrument der sozialen Gütesiegel aufgeschlossen gegenüber. So richtete das Arbeitsministerium Nepals eine Abteilung zur Kontrolle des Mindestalters für Arbeit in der Teppichindustrie und zu verpflichtenden Gütesiegeln ein. Die kanadische Regierung fördert die Untersuchung des Instruments der sozialen Gütesiegel im Kampf gegen Kinderarbeit (Kielburger 1998: 314). Die Schweizer Regierung finanzierte die Anschubförderung für STEP (USDOL 1997: 43).

Aufschlußreich ist die Position der Clinton-Regierung in den USA. Das US-Arbeitsministerium führte 1997 die oben erwähnte Studie zu sozialen Gütesiegeln und Kinderarbeit durch und kam zu einer verhalten optimistischen Einschätzung des Instruments. Kritisch äußerte sich das Ministerium allerdings zu den stark Verbreitung findenden Unternehmenssiegeln und mahnte Vereinheitlichung an. Hintergrund der Studie (vierter Band in der Reihe: By the Sweat and Toil of Children) ist ein entsprechender Auftrag des amerikanischen Kongresses, von dem trotz republikanischer Mehrheiten Initiativen für die soziale Flankierung des Welthandels ausgehen. Der Arbeitsauftrag an die Regierung entstand aber wiederum, weil der Kongreß keinesfalls bereit war, eine gesetzliche Lösung des Problems zu verabschieden. Der sogenannten Harkin-Bill zum Importverbot für mit Kinderarbeit hergestellten Produkten sollte vielmehr das Wasser abgegraben werden.

Ähnliche Motive sind auch für die Unterstützung der US-Regierung für die Apparel Industry Partnership und die Fair Labor Association plausibel. Skandalträchtige Enthüllungen in der heimischen Textilindustrie wie bei Importen von bekannten Markenartikeln hatten für eine unternehmens- und freihandelskritische Stimmung gesorgt, die den Liberalisierungsinteressen der Regierung zuwiderliefen. Durch die Initiative einer Partnerschaft von Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft gelang es der Regierung, den Kampagnen zeitweilig den Stachel zu ziehen. Mittlerweile sind - vielleicht ein gewollter Nebeneffekt - große Unstimmigkeiten zwischen Gewerkschaften und NRO entstanden (s.o. unter Punkt: Verhaltenskodizes).

Internationale Organisationen

In der Abwehr der Forderung nach Sozialklauseln erwog Michel Hansenne, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bis 1998, zeitweilig die Idee, daß die ILO auf nationaler Ebene soziale Gütesiegel verleiht, und zwar nicht nur für Güter des Exports. Das Gütesiegel würde dann verliehen werden, wenn zum einen das betreffende Land seine Arbeitsgesetzgebung an den Prinzipien der zentralen ILO-Übereinkommen ausgerichtet hat und zum anderen ein internationales Übereinkommen unterzeichnet, das die Überprüfung vor Ort jederzeit erlaubt (Murray 1997: 22). Diese Idee wurde seither nicht weiter entwickelt.

Die Kritik der ILO an Verhaltenskodizes (die Herausbildung eines Markts für Ethik) trifft implizit auch für soziale Gütesiegel zu, da diese sich ja inhaltlich auf solche stützen (s.o.). Im Zuge einer Vereinheitlichung der Siegel und der Zertifizierungsprozesse könnte der ILO aber Definitionsmacht zuwachsen.

Die UNICEF kooperierte mit der Abrinq Foundation in Brasilien bei der Entwicklung eines Gütesiegels den Kampf gegen Kinderarbeit (ILO 1998: 13).

Von der Welthandelsorganisation (WTO) geht möglicherweise eine Bedrohung für Gütesiegelprogramme aus, da diese als Wettbewerbsverzerrungen gewertet werden könnten (Sunday Independent, July 17, 1999: The hidden tentacles of the world´s most secret body). Umweltaktivisten befürchten, daß die WTO selbst freiwillige Labeling-Programme anfechten wird. In den Niederlanden wurde bereits ein Siegel für die Holzindustrie zurückgenommen, nachdem gedroht wurde, die WTO-Schiedsgerichte zu bemühen (ebd.). Hintergrund ist das Diskriminierungsverbot im GATT/WTO-Welthandelsregime gegen „like products", d.h. gegen Produkte mit gleicher Gebrauchswerteigenschaft, ungeachtet von Unterschieden in den Produktionsbedingungen (vgl. Altvater 1998).

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Europäische Union

Das Europäische Parlament verabschiedete am 15. Mai 1997 eine Resolution zur sozialen Etikettierung (Telkämper 1998). 1998 nahm das Europäische Parlament den sogenannten Fassa-Bericht an, der eine Reihe von Vorschlägen für die Kommission zur Förderung von „fairem Handel" enthält.

Die DG-V der Europäischen Kommission gab 1998 eine Studie über „Sozialgütesiegel" in Auftrag, die auf der Basis von Erfahrungen mit Umweltbereich zu dem Ergebnis kam, daß soziale Gütesiegel von der Kommission unterstützt werden sollten, da sie die Öffentlichkeit für soziale Fragen sensibilisieren und eine solide Grundlage für weitere Bemühungen bilden, soziale Verbesserungen voranzutreiben. Die Kommission arbeitet derzeit an einer Mitteilung über „fairen Handel", in der sie das Konzept von fairem Handel erläutern und einen kurzen Überblick über die derzeitige Situation geben will, um eine Grundlage für die Diskussion über mögliche Maßnahmen der EU zur Förderung der Entwicklung des fairen Handels in der Union zu schaffen und so gemäß Artikel 177 des Vertrags von Amsterdam einen Beitrag zur Verwirklichung der europäischen Entwicklungspolitik zu leisten (DG-V 1999: 13-15).

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Bewertung nach Effizienz, Mobilisierungschancen und Realisierungschancen

Soziale Gütesiegel eignen sich nur für international gehandelte Konsumartikel, insbesondere für Markenartikel, deren Hersteller imagesensibel sind. Der unmittelbare Konsumentendruck an der Kasse ist dann am wirksamsten, wenn eine gleichzeitig eine Kampagne zur Information und Mobilisierung unternommen wird. Gütesiegel sind dann potentiell eine stärkere Bedrohung für Unternehmen, die soziale Standards verletzen, als Verhaltenskodizes ihrer Konkurrenten.

Gütesiegel sind aber nur dann ein effizientes Instrument, wenn dauerhaft ein Anreiz für die Produzenten, Importeure und Händler sichergestellt werden kann, sich an dem Programm zu beteiligen. Dies hängt einerseits davon ab, daß sich die verschiedentlich in Umfragen geäußerten Präferenzen für „ethischen Konsum" auch im tatsächlichen Kaufverhalten manifestieren - die Tendenz ist eher gegenläufig, was aber an mangelnder Verfügbarkeit und Werbung liegen mag. Andererseits muß verhindert werden, daß Konkurrenzunternehmen mit Ausweichstrategien die Gütesiegelprogramme unterlaufen. Kommt es zur Verbreitung unternehmenseigener Siegel ohne wirkliche und überprüfbare Garantien oder zu Werbekampagnen auf der Basis ebenso unglaubwürdiger Verhaltenskodizes, zeigt sich zwar u.U. die Richtigkeit der ökonomischen Analyse der ILO, daß ab einem gewissen Marktanteil die „ethischen" Produkte für alle Anbieter relevant werden - sie also darauf reagieren müssen - aber die Konsumenten werden nachhaltig verwirrt und enttäuscht. Damit ist der markt-gemäße Anreiz, glaubwürdige Gütesiegelprogramme durchzuführen, dahin. Es gilt also, den Druck insgesamt aufrecht zu halten (was schwer genug ist, weil die moralische Komponente des Kaufverhaltens nur selektiv und temporär wirkt) und gleichzeitig das Interesse der „ethischen" Unternehmen an einer Vereinheitlichung der Programme auszunutzen. Deren Bereitschaft, eine staatliche Kontrolle der Siegel zu akzeptieren, ist jedoch als gering einzustufen.

Im Bereich der Umweltsiegel, wo in Deutschland bereits eine unüberschaubare Vielfalt herrscht, besteht nur ein glaubwürdiges Programm, der Umweltengel, der unter Beteiligung der relevanten Verbände und Organisationen vergeben wird (Telefoninterview mit Volkmar Lübke). Vielleicht kann eine solche Initiative als Modell für soziale Gütesiegel dienen - das grundsätzliche Problem wird dadurch aber nicht gelöst.

Eine Vereinheitlichung, die sich ja im Bereich der Zertifizierung andeutet, birgt aber auch Gefahren. Zwar ist es einerseits richtig, daß soziale Bewegungen die Verankerung ihrer Forderungen anstreben müssen, weil sich der Druck auf Veränderungen nicht aufrechterhalten läßt bzw. schubweise erfolgt. Andererseits bedarf eine Strategie, die auf Druck durch Konsumentenverhalten abhebt, deren ständig erneuerten Mobilisierung. Das Beispiel der Fair Labor Association in den USA zeigt, wie schnell ansonsten einer Bewegung der Stachel gezogen werden kann.

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Im Zusammenhang des zentralen Glaubwürdigkeitsproblems kann weitgehend auf die Ausführungen zu den (den Gütesiegeln ja zugrundeliegenden oder zumindest impliziten) Verhaltenskodizes verwiesen werden (s.o.). Die Glaubwürdigkeit hängt stark von den Vergabeverfahren ab; es bedarf der Transparenz der Kriterien und objektiver Kontrollmöglichkeiten. Wichtig ist, daß sich die unabhängige Überwachung auf die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt.

Gütesiegel-spezifisch ist aber das unvermeidliche Problem der Komplexitätsreduktion. Diese ist einerseits durchaus gewünscht - Gütesiegel sind potentiell simple Marktinformationsinstrumente, die eine Signalfunktion für die Konsumenten erfüllen. Die möglicherweise durch Kundenpräferenzen entstehenden Marktvorteile sind dann aber auch ein Motiv für Mißbrauch - was sich in der Verbreitung von Pseudo-Gütesiegeln zeigt. Der Urheberrechtsschutz ist zwar dazu geeignet, Nachahmern die Imitation etablierter Siegel zu untersagen (vgl. Lübke 1995), kann aber nicht verhindern, daß der Markt von unglaubwürdigen Siegeln überschwemmt wird.

Es ist ebenso fraglich, ob eine breite Informationspolitik bei diesem Problem Abhilfe schaffen kann. Selbst ein „Gütesiegelführer" (in Anlehnung an die Konzepte des „Shopping for a better World" des Council on Economic Priorities und des „Unternehmenstesters" der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, der Verbraucherzentralen von NRW, Niedersachsen u. B-W. sowie der Verbraucherinitiative, der Zeitschrift Öko-Test und dem Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft) kann nur für die ohnehin schon sensibilisierten Verbraucher erkennbar machen, daß beispielsweise das Transfair-Siegel in hohem Maße glaubwürdig ist, weil hier 37 namhafte soziale, entwicklungspolitische und kirchliche Organisationen kooperieren. Angesichts einer „Aldiisierung des Konsumverhaltens" (Telefoninterview mit Volkmar Lübke) ist zu befürchten, daß die Schaffung von Transparenz in der Präsentationskonkurrenz sozial verantwortlicher Unternehmen, so diese überhaupt über Nischen hinaus stattfindet, nicht dauerhaft gelingen wird.

Werden Gütesiegel für Produkte vergeben, können Hersteller, Importeure und Händler über Produktdifferenzierung im Angebot weiter von schlechten Arbeitsbedingungen profitieren. Die Konsumenten finden im Regal diese billigeren Produkte neben den „fairen" vor und es besteht die Gefahr, daß sie sich überwiegend von Preissignalen leiten lassen. Bislang ist die Strategie, ganze Unternehmen zu zertifizieren, die grundsätzlich geeignet ist, dieses Problem zu lösen, auf wenig Resonanz gestoßen. Eine alternative marktkonforme Lösung kann nur darin bestehen, per Marketing den Marktanteil der Produkte mit Preisaufschlag zu erhöhen, um ihre Verbreitung und die Information über sie zu erweitern.

Die im Rahmen mancher Gütesiegelprogramme erhobenen Lizenzgebühren sind sinnvoll, da sie insbesondere im Bereich der Kinderarbeit der Abdrängung der „befreiten" Kinder in gefährliche Sektoren des informellen Arbeitsmarkts durch konkrete Hilfestellungen entgegenwirken können. Sie können weiterhin die unabhängige Zertifizierung und Überwachung erleichtern, indem nicht ein einzelnes Unternehmen die Kosten für diese aufbringt - eine Schwachstelle beispielsweise des SA 8000. Allerdings werden die Lizenzgebühren oft per Preisaufschlag an den Konsumenten weitergegeben, was den Erfolg der gesiegelten Produkte am Markt beeinträchtigen kann.

Die Beschränkung vieler sozialer Gütesiegel auf Kinderarbeit ist nachvollziehbar, weil sich Konsumenten mit diesem Thema eher ansprechen lassen als beispielsweise mit der gewerkschaftlichen Vereinigungsfreiheit. Sie muß dennoch überwunden werden, um einer umfassenden Lösung des Problems der Verletzung von Arbeiterrechten näherzukommen.

Mobilisierungschancen

In Deutschland sind soziale Gütesiegel trotz vergleichsweise breiter Zustimmung und Mobilisierung sowie staatlicher Förderung nicht über ein Nischendasein hinausgekommen. Das zeigt sich allein darin, daß es bislang keine der „Öko-Lüge" (Unglaubwürdigkeit der Öko-Siegel) analoge „Sozio-Lüge" gegeben hat. Das Mobilisierungspotential in der Bundesrepublik ist deutlich noch nicht ausgeschöpft. In den USA hat dagegen in den letzten Jahren eine Popularisierung bis in TV-Sitcoms hinein stattgefunden.

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Studentische Aktivisten in Anti-Sweatshop-Kampagnen wollen erreichen, daß insbesondere die Kleidung mit College-Labeln nicht unter Auspressungsbedingungen hergestellt wird. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Bewegung eine Modeerscheinung ist. Bislang hat die größte studentische Dachorganisation United Students Against Sweatshops (USAS) vergleichsweise erfolgreich gegen die Politik der Universitäten mobilisiert, sich schlicht der Apparel Industry Partnership bzw. der Fair Labor Association anzuschließen.

Realisierungschancen

Die Realisierungschancen hängen von der Ausgestaltung der Gütesiegel ab. Konsumentendruck und Kampagnen von NRO und Gewerkschaften können sicher leicht zur weiteren Verbreitung von Unternehmenssiegeln führen, auch in Deutschland. Damit wäre aber wenig gewonnen; vielmehr würden unglaubwürdige Siegel ohne unabhängige Kontrolle die Konsumenten nur verwirren.

Insgesamt erscheint die Unterstützung von Seiten der Unternehmen für soziale Gütesiegel weit weniger ausgeprägt als für Verhaltenskodizes. Den Bedenken des Managements kann zwar teilweise mit Strategien der Vereinheitlichung der Gütesiegel begegnet werden, die Bereitschaft der Unternehmen dazu ist allerdings fraglich. Es bleibt abzuwarten, ob sich die zunehmende Akzeptanz einer Standard-Zertifizierung unter Berücksichtigung zentraler ILO-Konventionen hier positiv auswirkt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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