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Einführung

Wenngleich der Welthandel insbesondere der Bundesrepublik Deutschland zu Wohlstand verhalf, so geht die Ausweitung des grenzüberschreitenden Handels nicht überall mit einer Wohlstandsvermehrung einher. Gerade in den für den Export produzierenden Fabriken der aufstrebenden Marktwirtschaften haben sich vielerorts im letzten Jahrzehnt die Arbeitsbedingungen, die Löhne und die natürliche Umwelt verschlechtert. Verstöße gegen Menschen-, Bürger- und Arbeiterrechte nahmen trotz einer weltumspannenden Demokratisierungswelle nicht ab, für gewerkschaftliche AktivistInnen nahm das Risiko, verhaftet, gefoltert und getötet zu werden, sogar zu (ICFTU 1998).

Internationale Arbeits- und Sozialstandards, wie beispielsweise das Verbot von Kinderarbeit, sind bisher in einem konsensualen Verfahren unter der Führung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vereinbart worden. Die verschärften Konkurrenzbedingungen des Weltmarkts stellen dieses Verfahren jedoch in Frage, zumal sich der Prozeß der Verabschiedung und Umsetzung von ILO-Konventionen im letzten Jahrzehnt merklich verlangsamt hat. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben deshalb zu Beginn der 90er Jahre die Forderung erhoben, elementare Arbeiterrechte als Sozialklauseln in Handelsverträgen zu verankern. Der Zutritt für ausländische Produzenten zum jeweiligen heimischen Markt soll von der Einhaltung international anerkannter Arbeiterrechte abhängig gemacht werden. Diese Forderung ließ sich jedoch bei der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) und bei den ersten Ministertreffen dieser Organisation nicht realisieren, so daß zwischenzeitlich Alternativen wie freiwillig vereinbarte Verhaltenskodizes und soziale Gütesiegel verstärkt diskutiert und seit kurzem auch praktiziert werden.

Die gebräuchlichen Definitionen für die zentralen Begriffe der Debatte zur Sicherung sozialer Rechte im Welthandel sind:

  • Sozialstandards: Umfassender Begriff für Mindeststandards bei der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen (Arbeitszeit, Lohn, Sozialversicherung etc.) und für Arbeiterrechte;
  • Arbeiterrechte: Sammelbegriff für Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungsrecht, Verbot von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf;
  • Sozialklauseln: Klauseln in Handelsvereinbarungen, die Vorschriften über Sozialstandards enthalten. Ein Mechanismus, um Arbeiterrechte international durchzusetzen.
  • Verhaltenskodex: schriftlich niedergelegte Richtlinie, die als Grundlage für das Verhalten transnationaler Konzerne gegenüber den staatlichen Behörden, ihren Belegschaften und der Umwelt im jeweiligen Gastland dienen.
  • Gütesiegel: geben Aufschluß über Produktionsbedingungen gemäß sozialer Mindeststandards, um Konsumenten Präferenzentscheidungen zu ermöglichen. Gütesiegel können für einzelne Produkte, aber auch für ganze Unternehmen vergeben werden.

Die Grenzen zwischen Verhaltenskodizes und Gütesiegeln sind heute fließend. Ursprünglich zielte die Forderung nach Verhaltenskodizes auf eine internationale Regulierung transnationaler Konzerne. Als sich diese Forderung als nicht durchsetzungsfähig erwies, begnügte man sich mit von Internationalen Organisationen verabschiedeten Verhaltenskodizes, deren Berücksichtigung freigestellt wird. Die Idee des Gütesiegels setzt von vorne herein auf den Markt, auf die Entscheidung der Konsumenten, Produkte zu kaufen, die unter Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen hergestellt worden sind. Voraussetzung für ein Gütesiegel ist allerdings das Vorhandensein eines Verhaltenskodexes. Dessen Einhaltung

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berechtigt zum Erhalt bzw. zur Verwendung des Gütesiegels. Die Notwendigkeit, möglichst viele Unternehmen einer Branche zur Teilnahme an einem Gütesiegelprogramm zu bewegen, ließ die Kooperation mit staatlichen Stellen, sei es in den Entwicklungsländern (z.B. Rugmark in Indien) oder sei es in den Industrieländern (z.B. Apparel Industry Partnership in den USA), wünschenswert erscheinen. Da zudem die Vereinheitlichung der Gütesiegel zunehmend für erforderlich gehalten wird, wächst das Interesse, in der Zusammenarbeit mit Internationalen Organisationen die Gütesiegel zu standardisieren. Auf Seiten der Befürworter von Verhaltenskodizes wuchs umgekehrt das Interesse an Gütesiegeln, um Anreize für Unternehmen zu schaffen, sich gemäß eines Verhaltenskodexes zu verhalten.

Umfang der Verstöße gegen Kernarbeiterrechte und ihre Bedeutung für den Welthandel

In der Literatur zur sozialen Konditionalisierung des Handels finden sich erstaunlich wenige Hinweise auf den Anteil der Produkte am Welthandel, die unter Verstoß gegen Kernarbeiterrechte hergestellt werden. Die ILO dokumentiert zwar in regelmäßigen Abständen für eine große Zahl von Ländern den Grad der Einhaltung zentraler Übereinkommen, aber Verstöße in den Exportindustrien werden nicht gesondert aufgeführt. Angesichts komplexer Zulieferketten dürfte ein solches Unterfangen auch nur begrenzte Aussagekraft besitzen. Deshalb sind lediglich Schätzungen möglich. Fast 80 v.H. des Welthandels wird von den OECD-Mitgliedsnationen bestritten. Deren jeweilige nationale Arbeitsgesetzgebung entspricht mit Ausnahme der türkischen und eines Teils der koreanischen Gesetzgebung den grundlegenden ILO-Konventionen. Mit Ausnahme Mexikos und Koreas wird die Arbeitsgesetzgebung weitgehend ILO-konform durchgesetzt (OECD 1996b: 53-70).

In den Tabellen I und II (Anhang) sind alle Nicht-OECD-Länder mit Ausnahme der im wesentlichen nur rohölexportierenden Länder aufgeführt, die 1996 Waren mindestens im Wert von 18 Milliarden US-Dollar ausgeführt haben. Vereinigungsfreiheit, Streikrecht und Schutz von Gewerkschaftsaktivisten werden in China, Indonesien, Iran, Malaysia, Singapur und Thailand nur eingeschränkt oder überhaupt nicht gewährleistet. Diese Gruppe von Ländern hat einen Anteil von fast 40 v.H. an den Ausfuhren der großen Nicht-OECD-Exporteure. Unter diesen Exporteuren finden sich nur zwei Länder, in denen Kinderarbeit außerhalb des familiären Haushalts in größerem Umfang vorkommt: Indien und Thailand. Die große Masse der arbeitenden Kinder in diesen Ländern ist nicht direkt für die Exportwirtschaft tätig. In einigen exportorientierten Wirtschaftsbereichen, insbesondere in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Teppichindustrie, tritt Kinderarbeit jedoch häufig auf (OECD 1996b: 44-46).

Wenngleich somit unter 10 v.H. des Warenwerts im Welthandel unter Verstoß gegen Kernarbeiterrechte hergestellt wurden, ist weltweit eine sehr große Anzahl von Lohnabhängigen dieser Rechte beraubt. Besonders kraß fällt das Mißverhältnis von Warenausfuhrwert und betroffenen ArbeiterInnen im Falle der Kinderarbeit aus. Den ungefähr 300.000 Kindern und den ungefähr 700.000 Erwachsenen in der exportorientierten Teppichknüpferei Indiens steht ein Ausfuhrwert im Geschäftsjahr 1994/95 von 580 Mio. US-Dollar gegenüber (Haas 1998: 56 u. 71; in Deutschland erwirtschaftet ein Unternehmen mit ca. 4000 Beschäftigten einen solchen Umsatz).

China ist mit Abstand der wichtigste Weltmarktteilnehmer, der von der Durchsetzung von Gewerkschaftsfreiheiten mittels einer Sozialklausel betroffen sein würde. China umfaßt knapp ein Viertel der Menschheit, verzeichnet hohe Exportsteigerungsraten und hat gerade die britische Kronkolonie Hongkong, den bisher größten Exporteur außerhalb der OECD, übernommen. Zugleich wird eklatant gegen die Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen und das Verbot der Zwangsarbeit verstoßen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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