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Frauenrechte - Menschenrechte


Frauenrechte sind Menschenrechte

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Frauenrechte und Grundsatzfragen

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Frauenrechte sind Menschenrechte

In seinem jährlichen „Human Development" Report informiert das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Program) über den „menschlichen" Entwicklungsstand der Länder der Erde. Dabei wird in 20 Ländern der Human Development Index (HDI) mit dem Gender Development Index (GDI) verglichen - der HDI drückt den allgemeinen Entwicklungsstand eines Landes aus, der GDI den Entwicklungsstand hinsichtlich der Geschlechterbeziehungen .

Solche statistisch ermittelten Indizes sind ein erster wichtiger Anhaltspunkt, um Fortschritte und Veränderungen in verschiedenen Ländern miteinander vergleichen zu können.

Die Elisabeth-Selbert-Akademie hat sich beim diesjährigen Gesprächskreis „Frauenpolitik in Europa" auf dieses Vergleichssystem gestützt, um den Stand der Frauenrechte in Deutschland und den Niederlanden zu diskutieren. Wie schon in den vergangenen Jahren wurde der Gesprächskreis zusammen mit der Frauenbeauftragten der Universität des Saarlandes organisiert.

In „Human Devlopment Report" 1997 schnitten die Niederlande ein wenig besser ab als in Deutschland


HDI

GDI

Niederlande

6

11

Deutschland

11

16

Die niederländischen Teilnehmerinnen der Diskussion warnten jedoch vor dem Eindruck eines „fast paradiesischen Zustands der Geschlechterbeziehungen" in ihrem Land.

Die sprichwörtliche Offenheit und Liberalität der Niederlande ist relativ jung, ein Produkt der 60iger Jahre nämlich. Die gesellschaftliche Wirklichkeit hinkt nicht selten hinter der fortschrittlichen Rhetorik her.

Der Anteil erwerbstätigen Frauen ist im europäischen Vergleich nach wie vor gering, in den letzten Jahren aber stetig steigend.


1990

1997

Frauen

39%

47%

Männer

71%

74%

75 Prozent aller Teilzeitarbeitenden sind Frauen, Frauenlöhne sind immer noch niedriger als Männerlöhne, nur 50 Prozent der Frauen sind finanziell selbständig, dagegen 90Prozent der Männer.

Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ist ebensowenig gewährleistet wie in anderen Ländern. Auch hier sind die Rollen in der Familie nach dem überkommenen Muster der bürgerlichen Kleinfamilie verteilt. Betreuungsarbeit wird hauptsächlich von Frauen geleistet. Eine Vollzeitarbeit wird so praktisch unmöglich. Zwar stehen Tagesschulen zur Verfügung, und die Normalarbeitszeiten sind in den Niederlanden geringer als in anderen Ländern. Obwohl sich das Angebot in den letzten Jahren verdoppelt hat, fehlen noch immer ausreichend Betreuungsplätze für kleine Kinder.

Seit 1974 gibt es in den Niederlanden eine staatliche Gleichstellungspolitik, die von der in diesem Jahr eingesetzten „Emanzipationskommission" koordiniert wird. Die Kommission formuliert eine Art „Fünfjahresplan" zur Durchsetzung der Emanzipation, die die Regierung in ihrer Politik weitgehend übernimmt.

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1985 wurde dieses Gremium durch eine „Gleichbehandlungskommission „ ersetzt, die von jedem Bürger und jeder Bürgerin angerufen werden kann. Obwohl ihre Beschlüsse und Empfehlungen nicht bindend sind, hat die Kommission großen Einfluß auf die niederländische Politik.

Aber trotz erkennbarer Fortschritte in der jüngsten Zeit ist auch in den Niederlanden eine aktive Gleichstellungspolitik dringend notwendig.

Zum selben Schluß kam die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach, auf dem Elisabeth-Selbert-Forum „Gleichberechtigung von Frauen und Männern - aktueller Stand der Durchsetzung des Art. 3 Abs. 2 GG".

Die zukünftige Rolle des Bundesverfassungsgerichts für die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frau und Mann beurteilte sie jedoch eher zurückhaltend:

...."Aber was letztlich aus diesem Staatsziel der Gleichberechtigung wird, dürfte weniger von der künftigen Interpretation des Bundesverfassungsgericht abhängen. Es kommt vielmehr darauf an, ob und wie es den Frauen weiterhin gelingt, ihre Forderungen unzweideutig auf den Begriff und nachhaltig zum Ausdruck zu bringen..." ...."Sind Frauen mit dem Stimmzettel in der Hand eine politische Kraft, wenn sie sich als Staatsbürgerinnen untereinander und mit aufgeklärten selbstbewußten Männern verbünden, ihr politisches Ziel der gemeinsamen Emanzipation zu erreichen."

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Frauenrechte und Grundsatzfragen

Weichenstellung für einen neuen Diskurs der Geschlechter: Wo stehen wir in der Frauenpolitik?

Was hat die Frauenbewegung bisher erreicht? Befindet sie sich gegenwärtig in einer Sackgasse? Ist sie bescheiden in ihren Ansprüchen geworden, hat sie ihre Energie und ihre gesellschaftsverändernde Kraft verbraucht? Sind die Anliegen der Frauenbewegung erledigt, oder brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag, in dessen Mittelpunkt eine grundlegende Neubestimmung und -verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit stehen muß?

Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigte sich der Gesprächskreis Frauenpolitik unter der Leitung von Ulla Schmidt, Vorsitzende der Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann der SPD-Bundestagsfraktion, in Bonn. In der Veranstaltung „Wo stehen wir in der Frauenpolitik - Wie müßte ein neuer Gesellschaftsvertrag an der Schwelle zum 21. Jahrhundert aussehen?" waren sich die Referentinnen darin einig, daß die Diskriminierung von Frauen nicht beseitigt, sondern nur subtiler geworden ist. In der Frauenpolitik bedarf es deshalb einer Neuorientierung, um den Herausforderungen der wirtschaftlichen Krise, der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung und dem Prozeß der deutschen Einheit besser gewachsen zu sein.

Die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Mechthild Jansen ging in ihrem Beitrag auf die „konservative Wende" in der Frauenpolitik ein. Emanzipatorische Anliegen der Frauenbewegung sind danach von den Konservativen vereinnahmt und gegen die Frauen gerichtet worden. Die Frauenbewegung ist in der Krise wieder dort angelangt, wo sie begonnen hat: Sie ist heute wieder für

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alle sozialen Randprobleme und Restgruppen zuständig. Wenn Frauen diese Festlegung von außen sprengen wollen, müssen sie sich aus der Sonderpolitik verabschieden und ihre Arbeit als Gesellschaftspolitik begreifen. Arbeits- und Lebensformen werden sich ebenso wie die Geschlechterverhältnisse im kommenden Jahrzehnt weiter tiefgreifend verändern. Frauen können sich an die Spitze des sozialen Wandels setzen, und die großen Chancen reformerischer Veränderung für sich nutzen.

Als wichtigen Schritt auf diesem Wege plädierte Jansen für einen neuen Gesellschaftsvertrag, der auf einem demokratischen Geschlechtervertrag basieren müsse. Dreh- und Angelpunkt eines solchen Vertrages muß die Neubestimmung und -verteilung der Arbeit sein, die alle Bestandteile gesellschaftlich notwendiger Arbeit erfassen und zur Basis von Existenzsicherung machen soll.

Dr. Uta Schlegel, Sozialwissenschaftlerin aus Leipzig, analysierte in ihrem Vortrag die Situation von ostdeutschen Frauen vor und nach der Wende. Der Gleichstellungsvorsprung, mit dem ostdeutsche Frauen aus der DDR gekommen sind, ist nach neun Jahren Wiedervereinigung einem Roll-Back gewichen. Es bleibt die Frage, warum die ostdeutschen Frauen diesen unbestrittenen Vorsprung nicht vehementer verteidigt haben. Eine Erklärung liegt wahrscheinlich im fehlenden Problembewußtsein. In der DDR ist das traditionelle Geschlechterverhältnis nie konsequent in Frage gestellt worden. Trotz der allgemeinen Erwerbstätigkeit von Frauen auf Vollzeitarbeitsplätzen waren sie weiterhin allein für die Familien- und Hausarbeit verantwortlich.

Schlegel nannte das einen real gelebten und gesellschaftlich verankerten „doppelten Lebensentwurf". Er war durch zahlreiche staatliche und betriebliche Maßnahmen abgesichert und prägte noch heute die Einstellungen ostdeutscher Frauen gegenüber Erwerbsarbeit und Familie. Die Institutionen, die die Vereinbarkeit von Vollzeitarbeitsplatz und Familie in der DDR unterstützt hatten, waren aber nicht das Ergebnis einer Frauenbewegung im üblichen Sinne. Frauen waren in der DDR nicht so sehr Subjekte als vielmehr „ Objekte" staatlicher Politik. In dieser „Emanzipation von oben" sah Schlegel sowohl das Fehlen eines öffentlichen Diskurses über Geschlechterverhältnisse in der DDR begründet als auch das relativ geringe Engagement der ostdeutschen Frauen zur Erhaltung dieser Institutionen nach der Vereinigung.

Erschwerend kommt hinzu, daß die gegenwärtige gesamtgesellschaftliche Krise patriarchalen Strukturen zu neuer Konjunktur verhilft. Angesichts der Krise auf dem Arbeitsmarkt und der Sparzwänge im sozialpolitischen Bereich gibt es jedoch großen politischen Reformbedarf gibt. Dieser Zwang zum Handeln birgt aber die Chance für wirkliche Inovationen, um für die Zukunft ausgewogenere, „geschlechtssymmetrischere" Rahmenbedingungen für Männer und Frauen herzustellen. Die Politik wird dann vielfältige Lebensentwürfe und damit eine höhere Lebensqualität für beide Geschlechter ermöglichen.

Ulla Schmidt, kritisierte in ihrem Referat die „konservative Unterwanderung" von Frauenpolitik in der Bundesrepublik. Dieser Tendenz setzen Frauen oft nicht genügend Widerstand entgegen, weil sie sich allzu sehr auf die Wahrung ihrer Rechte durch Frauenbeauftragte und andere Institutionen verlassen.Trotz unbestreitbarer Erfolge in der Gleichstellungspolitik ist die Energie vieler einstigen Akteurinnen verbraucht. Lust, Kraft und Engagement für weitere politische Taten fehlen heute weitgehend.

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An einer grundsätzlichen Neuorientierung führt also kein Weg vorbei, wenn der unbefriedigende Ist-Zustand ein Ende haben soll. Ein Schritt in diese Richtung ist ein neuer Gesellschaftsvertrag, mit dem mehr Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern erreicht werden kann. Den kann man nicht durch Gesetze erzwingen. Er muß vielmehr auf freiwilliger Basis zwischen Bürgerinnen und Bürgern geschlossen werden, die bereit sind, den öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozeß zu beeinflussen, um einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel herbeiführen. Ziel ist die „Demokratisierung der Gesellschaft und die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse."

Aktive Einmischung in das politische Geschehen - gerade auch in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche ist unerläßlich, wenn die Veränderungen nicht über die Köpfe und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger hinweg beschlossen werden sollen.Wer Veränderungen will, muß sich auch dafür einsetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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