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Teildokument:

EINFÜHRUNG: NEUES NORD-SÜD-VERHÄLTNIS DURCH BIODIVERSITÄT
Zum Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forum Umwelt & Entwicklung Bonn, 21.September 1995

Die Frage nach den Möglichkeiten eines neuen, eines anderen Nord-Süd-Verhältnisses durch das Thema Biodiversität war das Thema dieses Seminars.[1] Die heftigen Diskussionen gingen dabei um ganz bestimmte Einzelaspekte dieses ungeheuer vielschichtigen und technisch wie politisch komplexen Versuchs der internationalen Staatengemeinschaft, Nutzung und Erhalt der biologischen Vielfalt zu regeln.

Biologische Vielfalt verstehen wir hier im Sinne der Zusammenfassung von Chee Yoke Ling als das interaktive Zusammenwirken von ökologischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen, ethischen und spirituellen Werten. Diese Komplexität sichert das Leben und Überleben von hunderten von Millionen Menschen gerade auch in den tropischen Wäldern des SÜDENS, in seinen Küsten- und Flußregionen. Diese Millionen von Kleinbauern, von Fischern, von indigenen Völkern sind immer zugleich Produzenten, Konsumenten und Bewahrer der biologischen Vielfalt.

In den tropischen Ländern fragen Nichtregierungsorganisationen und immer mehr Regierungen, wie sich die fortwährende "Inwertsetzung" der tropischen Wälder mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt dieser Zonen vereinbaren läßt. Der Süden fordert heute eine enge Bindung der UN-Konvention über biologische Vielfalt an die Sicherung der sozialen und kulturellen Vielfalt der SÜD-Länder. Genau genommen sollten die vier Teilbereiche der Biodiversität immer gemeinsam angesprochen werden: die direkte wirtschaftliche Nützlichkeit (Holz, Fisch, Öle, Medizinpflanzen, Pilze ...) und die indirekte wirtschaftliche Nützlichkeit (so transportiert ein tropischer Baum, der 100 Jahre alt wird, schätzungsweise 7,5 Mio Liter Wasser und sichert damit letztlich den Wasserhaushalt auf der Erde, abgesehen von der Produktion von Sauerstoff und seiner generellen Bedeutung für die Stabilität des Klimas); die ethischen Werte (Religion, Recht auf Leben) und die ästhetischen (die gefilmt und fotografiert werden, weil sie als "schön" akzeptiert sind). Alle Aspekte gemeinsam sichern das Überleben der menschlichen Einzelpersonen und ihrer Gemeinschaften.

Neben dem Schutz der Biodiversität aus so unterschiedlichen Gründen fordern Fachleute im Süden wie im Norden gleichzeitig klar geregelte Kontrollen der Biotechnologien, die von den internationalen Konzernen zur Inwertsetzung der biologischen Vielfalt eingesetzt werden. Als Kontrolleure müßten dabei in erster Linie staatlichen Organe im NORDEN wie im SÜDEN fungieren.

Schließlich fordert der SÜDEN klare Regelungen hinsichtlich der Nutzenteilung, wobei es bisher überhaupt keine durchdachten Vorstellungen darüber gibt, für welche Formen von Nutzung sich die Bevölkerungsgruppen im SÜDEN eigentlich einsetzen sollten.

CHEE Yoke Ling vom Third World Network aus Malaysia trug als "Sprecherin" für SÜD-Interessen alle diese Punkte nacheinander vor und ermöglichte Anatole Krattiger ebenso deutlich aus unternehmerischer Sicht zu antworten.

Laut Krattiger, Technischer Direktor von ISAAA, die sich auf die Vermittlung von Biotechnologien aus dem Norden in den Süden konzentriert, steht die Privatindustrie einer UN-Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt eindeutig ambivalent gegenüber.[2]

Die internationalen Unternehmen sind nur sehr begrenzt bereit, ihre Biotechnologien kontrollieren zu lassen oder sie zu günstigen Bedingungen an die Süd-Länder weiterzugeben. Sie sind eindeutig am Verkauf ihrer biotechnischen Produkte interessiert und nicht am Verkauf der Verfahren.

Ähnlich wehrten sich die am Seminar beteiligten Unternehmensvertreter gegen international gesicherte Rahmenabkommen. Solche Abkommen zielen auf eine gerechtere Bezahlung der genetischen Rohstoffe aus dem Süden und vor allem auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der Tropenwälder. Die Unternehmen plädieren dagegen für eine Fall-zu-Fall-Lösung, um die eigenen Handlungsspielräume auszuweiten.

Bei dem Seminar wurden die NichtRegierungsorganisationen aus Unternehmersicht nicht als wichtigste Sprecher der indigenen Völker, sondern als Hemmnisse bezeichnet, die eine "vernünftige" Annäherung zwischen Nord und Süd verhinderten. Für multinationale Konzerne ist es offensichtlich leichter, die eigenen Interessen durchzusetzen, wenn man es nur mit Menschen zu tun hat, die den genetischen Reichtum ihrer Urwälder gar nicht in Dollar oder Mark erfassen können.

Für die Bundesregierung sieht das BMU mit Blick auf die ökonomische Nutzung der Biodiversität das eigentlich Neue in der UN-Konvention in 2 Aspekten, (a) es werden Zugeständnisse an die nationale Souveränität über die genetischen Ressourcen formuliert und (b) die Notwendigkeit wird anerkannt, Nutzungsgewinne aus der Biodiversität zwischen Norden und Süden aufzuteilen.

Aber das war schon der Stich ins Wespennest, denn die Interessenlage im Süden wie im Norden stellte sich als keineswegs geklärt dar. Ein Vertreter der chemischen Industrie wehrte immer wieder ein besonders großes Interesse an der tropischen Biodiversität ab und verwies auf die tausendfachen Labormöglichkeiten zur Erstellung gewünschter industrieller Rohstoffe. Dem Interessen-understatement der Industrie wurde von Forschungsinstituten die Frage entgegengehalten, woher denn die hunderttausende von genetischen samples (Muster, Proben) stammten, mit denen das Netz der internationalen und nationalen Genbanken bestückt ist.

Auch der Hinweis auf die Erfahrungen von 2 Jahrzehnten "Grüner Revolution" drückte nicht nur das Mißtrauen der "Sprecherin" des Südens gegenüber den tatsächlichen Interessen von internationalen Unternehmen aus, sondern auch die begründete Ablehnung der modernen Biotechnologien und der Gentechnik durch Forscher und NROs im Norden.

Vor einer Klärung der Nutzenaufteilung der genetischen Rohstoffe zwischen Norden und Süden mußte zuvor das Thema Internationale Patentrechte (TRIPs)[3] diskutiert werden. Prof. Krattiger drückte unumwunden aus, daß diese Patente als Schutz für die industriellen Investitionen durchgesetzt wurden. Die Unternehmensleitung sieht sich in jedem Falle zunächst den Aktionären gegenüber verantwortlich und allenfalls danach der Biodiversität im SÜDEN. Das immer wieder zitierte Beispiel Costa Rica, wo das halbstaatliche Institut InBio mit dem US-Pharma-Konzern Merck ein Kooperationsabkommen zur abgestimmten Nutzung der dortigen biologischen Ressourcen eingegangen ist, hat die überwiegende Mehrzahl der Seminarteilnehmer nicht wirklich als "Modell" überzeugt.

Damit war die Diskussion bei dem anderen großen Thema gelandet: der Aufteilung der Nutzungsgewinne zwischen NORDEN und SÜDEN.

Frau Dr. Chee für den Süden, aber auch verschiedene Wissenschaftler und Vertreter von NROs erinnerten daran, daß in der UN-Konvention zur Biodiversität zum erstenmal von "intrinsic value" die Rede ist, also von dem keineswegs in jedem Sinne marktfähigen Reichtum, den im o.g. Verständnis "biologische Vielfalt" bedeutet. Eingebettet in diese biologische Vielfalt ist auch das indigene Wissen um die nachhaltige Nutzung der Biodiversität im Süden - zumindest in einer ganzen Reihe von südlichen Ländern.

Die internationalen Unternehmen interessieren sich nicht sonderlich für dieses traditonelle Wissen. Sie behandeln (so der Vertreter des Pflanzenschutzzentrums Monheim (Bayer)) in Einzelfällen die einheimische Bevölkerung bestenfalls wie einen deutschen Erfinder und zahlen gewissermaßen eine einmalige Benutzungsgebühr für den Zugang zu neuen genetischen Ressourcen.

Der SÜDEN möchte sich demgegenüber mit den Unternehmen lieber auf eine gemeinsame Forschungskonzeption einigen, weil so das traditionelle Wissen nicht durch schnelle Gebührenzahlung abgekauft wird, sondern eher in die Sicherung auch langfristiger Interessen des Südens einfließen kann.

Stärker vom Süden und den NROs als von den Vertretern der Bundesministerien und der Industrie wurde an dieser Stelle die aktive Moderatoren-Rolle des Staates, konkret auch gerade der deutschen Bundesregierung eingefordert. Diese Rolle sollte die Bundesregierung bei der Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversitätskonvention im November 1995 in Djakarta bewußt ausfüllen.

Die Mehrschichtigkeit dieser Diskussion liegt in der Komplexität des Themas "globale Sicherung der Biodiversität im Süden und Norden" begründet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Forum Umwelt & Entwicklung haben daher Sprecher dieser so konträren Standpunkte am "runden Tisch" zusammengebracht, um sowohl Interessenlagen direkt zwischen Politikern, Beamten der betroffenen Ministerien, Forschern, Unternehmern und NROs offenzulegen als auch um zu prüfen, wieviel Konfliktabbau möglich ist, damit nachhaltige Entwicklung vielleicht doch noch möglich wird bevor der Biodiversitäts-Reichtum im Süden irreparabel zerstört ist.

Im Rahmen dieser Broschüre veröffentlichen wir die zwei zentralen Referate dieses Seminars. Ihnen ist ein kurzer Abriß zur gesellschaftspolitischen Bedeutung der Biodiversitäts-Diskussion vorangestellt. Er ordnet zunächst dieses Seminar in die internationale Biodiversitäts-Diskussion ein, insbesondere mit Blick auf den Stellenwert dieses Themas für die Beziehungen zwischen Industrie- und sogenannten Entwicklungsländern.[4] Daran schließen sich die beiden zentralen Referate des Seminars in ihrer Originalfassung an. Der letzte Abschnitt enthält die detailliertere Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblicke des Seminars.

Den Abschluß bildet eine Zusammenfassung der zentralen Teile der Biodiversitäts-Konvention und eine Teilnehmerliste des Seminars.

Die angefügte Teilnehmerliste ist nach den beteiligten Institutionen geordnet. Aufgenommen sind darin sowohl diejenigen, die am Seminar teilgenommen haben als auch einzelne Personen, die aus sehr zwingenden Gründen kurzfristig absagen mußten. Alle aufgeführten Teilnehmer sind innerhalb ihrer Institutionen auch weiterhin für das Thema Biodiversitäts ansprechbar.

Die Herausgeber
Elmar Römpczyk


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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