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Teildokument

Elmar Römpczyck
Biodiversität, die Nabelschnur des Südens

Der Ressoucenschutz im SÜDEN wird durch die nach wie vor gültigen Vorstellungen von industrieller Entwicklung mit steil anwachsendem Energieverbrauch, Verbrauch an Landschaft für Straßenbau, Staudämme und Urbanität und agroindustrielle Komplexe behindert. Eine nachhaltige Existenzsicherung der SÜD-Gesellschaften wird aber auch mittels modernster Technologien untergraben, zu denen in jüngster Zeit die modernen Biotechnologien, darunter der Gentechnologie gehören. Mit modernen Biotechnologien sind die industriellen Verfahren gemeint, die anders als die traditionellen Veredelungen bei Brot, Bier, Wein oder Käse neue Eigenschaften auf Organismen übertragen und dabei gezielt Artgrenzen überspringen. In der GTZ-Zeitschrift Akzente wird eine Studie des Panos-Instituts (London) zitiert, wonach "genmanipulierte neue Sorten von Agrarerzeugnissen aus den Labors des Nordens die landwirtschaftlichen Exporte der Entwicklungsländer (bedrohen)". Das gilt z.B. bereits für Kakao.[1]

Landwirtschaftlicher Ressourcenschutz sollte im SÜDEN vorrangig betrieben werden. Immerhin leben durchschnittlich 60% der SÜD-Bevölkerung von der Landwirtschaft. Die entsprechende Politik muß allerdings im NORDEN kräftig unterstützt werden, z.B. bei der Überprüfung der EU-Agrarsubventionen. Sie betrugen 1993 allein 20 Mrd DM für Agrarexporte (wovon freilich die Transportunternehmer den größten Anteil erhielten, den geringsten Teil die Erzeuger selbst). Solche Subventionen erschweren schon an sich faire Handelsbeziehungen innerhalb der Industrieländergruppe selbst. Im SÜDEN behindern sie systematisch den Aufbau einer stabilen eigenen Landwirtschaft und drängen diese zwangsläufig in den Sog einer High-Tech-Landwirtschaft, damit wenigstens dieser agroindustrielle Teil-Sektor vielleicht noch konkurrenzfähige Preise am Weltmarkt erzielt.

Damit ist der zweite Problemkreis angesprochen, denn High-Tech-Landwirtschaft ist nichts anderes als das, was die sogenannte Grüne Revolution vor mehr als 2 Jahrzehnten den SÜD-Ländern unter dem Decknamen "Hochertragssorten" als Fortschritt nahegebracht hatte, was zwischenzeitlich in der Tat deutliche Ertragssteigerungen bewirkt hatte, aber heute erhebliche ökologische Folgeschäden erkennen läßt und damit zu einer Verschärfung der Verarmung in SÜD-Ländern beiträgt.

Der notwendige Ressourcenschutz im SÜDEN und die negativen Erfahrungen mit der "grünen Revolution" führen unmittelbar zu dem entwicklungspolitisch wichtigsten Thema der kommenden Jahre: der Sicherung der Biodiversität im SÜDEN. Dieses Thema wurde folgerichtig zu einem der zentralen entwicklungs- und umweltpolitischen Themen bei der Rio-Konferenz 1992.

Der NORDEN betreibt in der eigenen Hemisphäre seit Jahrzehnten eine Landwirtschaftspolitik, die die Artenvielfalt in der Natur drastisch und systematisch verringert. Da die destruktiven Folgen auf der Hand liegen, bemühen sich die staatliche Entwicklungspolitik ebenso wie die großen Agro-, Chemie- und Pharmazeutischen Konzerne gemeinsam intensiv darum, die großen pflanzlichen Ressourcen des SÜDENS unter die Kontrolle des NORDENS zu bringen. In den letzten Jahren geschieht dies in immer stärkerem Maße unter Einsatz der modernen Bio- und Gentechnologie. Auf der Rio-Konferenz debattierten NORDEN und SÜDEN lange und heftig über den "in-situ"-Schutz für Pflanzen und Tiere und den entgegengerichteten "ex-situ"-Aufbau von Gen-Pools in der Form von Gen-Banken. Derzeit werden in den großen Genbanken weltweit von etwa 20 Hauptnahrungsmitteln ungefähr 4 Mio genetische Muster aufbewahrt und Schätzungen sprechen von 250.000 Pflanzenarten insgesamt auf der Welt, wovon rd. 70.000 als pflanzengenetische Ressouren eingeschätzt werden, deren Genstruktur noch nicht erfaßt ist. Darunter sind auch die 10 oder 100 Arten, die täglich ausgerottet werden. Die Durchsetzung des in-situ oder des ex-situ-Prinzips entscheidet über die Existenzgrundlagen von Völkern und ganzen Regionen. Diese "Prinzipienfrage" ist daher eine eminent politische Frage. Sie wird von drei Bereichen umschrieben, für die Regulierungsbedarf besteht: (a) Zugangsregelungen zu genetischen Ressourcen (Politiken und Methoden); (b) Nutzungsregulierung im Sinne nachhaltiger Bewirtschaftung von genetischen Ressourcen (einschließlich Patentschutz); (c) Sicherheitsregelungen bei der Anwendung moderner Bio- und besonders Gentechniken.

Die wachsende internationale Debatte über die ethischen Aspekte der gentechnischen Eingriffe in die menschliche, die tierische, die pflanzliche Erbmasse bleibt hier ausgeklammert.

BIODIVERSITÄT UND NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT

Die dringend erforderlichen Zugangsregelungen zwischen Staaten des NORDENS und des SÜDENS und ihrer Unternehmen richten sich auf das enorme genetische Potential, das sich vor allem in den tropischen Ländern befindet. Die Biodiversitäts-Konvention der UN hält fest, daß die einzelen Nationen souverän über diese Ressourcen verfügen können. Die einzelnen Länder sollen daher den legalen Rahmen für die Zugangsregelungen und die Nutzungsregelungen der genetischen Ressourcen schaffen. Bisher bestehen kaum nachahmenswerte legale Rahmenbedingungen, ebenso wenig konkrete Vorstellungen, wie denn entsprechende Bestimmungen in der Praxis umgesetzt und deren Umsetzung kontrolliert werden sollte. Es besteht daher ein hoher Bedarf an Erfahrungsaustausch zwischen SÜD-Ländern und innerhalb der SÜD-Gesellschaften, insbesondere dort, wo im Gebiet von indigenen Völkern attraktive Gen-Ressourcen konzentriert sind.[2]

Daneben besteht aber auch der Grundsatz-Konflikt zwischen diesem Prinzip der Nationalstaatlichkeit (in der Biodiversitätskonvention der UN) und der völkerrechtlich nicht bindenden, aber 10 Jahre älteren Absprache des sogenannten "Undertaking". Im Undertaking waren die pflanzengenetischen Ressourcen des SÜDENS von zahlreichen Entwicklungsländern und einer Reihe von Industrieländern als "gemeinsames Erbe der Menschheit" anerkannt worden.

TRIPs, Trade-related Intellectual Property Rights

Neben den rechtlich abgesicherten Zugangsregelungen ist das zweite politische Hauptthema der Biodiversitätsbeziehungen zwischen NORD und SÜD die Frage des Patentschutzes. Bis in die 70er Jahre hinein gab es kaum Vorstellung von Patentschutz für irgendeine Art von natürlichen Lebewesen (1930 in den USA: Plant Patent Act); mit der Ausnahme für einige neue Pflanzenzüchtungen. Aber seither haben sich Theorie und Praxis von urheberrechtlichem Anspruchsdenken gegenüber manipulierten Pflanzen und Tieren bzw. einzelnen Teilbereichen ihrer Chromosomenstränge und einzelner Gene in frappierendem Tempo entwickelt. Es gibt derzeit noch Unterschiede bei der Bewertung der sogenannten Rechte am geistigen Eigentum zwischen den USA und Europa. Aber gegenüber dem SÜDEN vertreten die Forschungsabteilungen der großen Agro- und Chemiekonzerne beider Hemisphären das gleiche Grundinteresse, eine Monopolstellung im Bereich der Biotechnologien gegenüber denen zu verteidigen, die eigentlich über die genetischen Rohstoffe verfügen, also gegenüber den tropischen oder subtropischen Ländern. Diese SÜD-Länder haben prinzipiell erkannt, daß sie sich bei diesem Thema nicht über den Tisch der internationalen Handelsvereinbarungen ziehen lassen dürfen. Sie haben daher sowohl bei der Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 als auch bei den zähen Verhandlungen der Uruguay-Runde (GATT) ihren Widerstand gerade gegen das Thema Patentschutz auf gentechnisch veränderte pflanzliche und tierische Produkte artikuliert. Die NORD-Staaten (besonders die USA) haben in dieser Frage über viele Jahre und fortwährend ihren politischen Druck auf die SÜD-Länder erhöht. Sie haben die Gründung der World Intellectual Property Organization (WIPO) betrieben, in der sie aber selber wieder alle Fäden in der Hand halten: Der NORDEN hat innerhalb der GATT-Verhandlungen ein eigenes "Komitee von Experten für Biotechnologische Erfindungen und industriellen Besitz" eingerichtet, um die SÜD-Länder davon zu "überzeugen", daß die Produkte mit hohem technologischem input auch in den SÜD-Ländern einen besonderen patentrechtlichen Schutz erfahren müssen.[3] Ergebnis dieser Politik ist eine völlige Verzerrung der Verhältnisse, was durch die Tatsache illustriert wird, daß bislang von etwa 400 TRIPs im Bereich der Pflanzen-Biotechnologie maximal 1% außerhalb der Industrieländer angemeldet ist.[4]

Dem SÜDEN ist - nach den inzwischen abgeschlossenen GATT-Verhandlungen und der Einrichtung der Welthandelsordnung WTO - sehr wohl bewußt, daß die so gefaßte Patenschutz-Politik für die sogenannten Entwicklungsstaaten überhaupt nicht von Interesse sein kann. Denn:

* eine angemessene Infrastruktur zur Einrichtung und Aufrechterhaltung eines Patentschutzsystems existiert in den meisten SÜD-Ländern nicht und ist dort bisher nicht finanzierbar;

* die allermeisten SÜD-Länder sind auf absehbare Zeit Netto-Importeure für patentgeschützte Produkte und werden in steigendem Maße Patentgebühren zahlen müssen;

* die mit Macht verteidigte Monopolstellung der NORD-Länder bei modernen Technologien (darunter Gentechniken) wird die technologische Abhängigkeit des SÜDENS weiter vergrößern und damit die Überausbeutung natürlicher Rohstoffe - auch Armuts-bedingt - weiter beschleunigen.

Es ist heute keine Frage, daß in den NORD- und den SÜD-Ländern der Wert erkannt ist, den systematisches Sammeln und Bearbeiten von Genmaterial besitzt und daß die Verfügung über solches Material von Jahr zu Jahr wichtiger wird. Denn seit 1900 ist die genetische Vielfalt von agrarischen Produkten schon um 75% gefallen. In Indien sind von den 30.000 Reissorten von vor 50 Jahren heute gerade mal 50 oder 60 erhalten geblieben. In den kommenden Jahrzehnten wird die Nahrungsmittelfrage und die Verfügung über die Reproduktionsmöglichkeiten der Völker von immer größerer strategischer Bedeutung für die Dominanz im internationalen System. Die Millionen Umwelt- und Hungerflüchtlinge weltweit unterstreichen dies im allgemeinen ebenso wie die zunehmende Austrocknung des Weizengürtels der USA und die zunehmende Wüstenbildung in bisher fruchtbaren Landschaften der gemäßigten Länder im besonderen.

Der internationale Kampf um Zugriff auf Nahrungsmittel und Ernährungsquellen der Zukunft ist also in vollem Gange. Der NORDEN hat sich offenbar trotz seiner jahrzehntelangen Überausbeutung der eigenen Agrarböden mit Hilfe der biotechnischen und der gentechnischen Forschung die Chance zur Beherrschung der globalen Nahrungspolitiken weitgehend gesichert.

Biotechnologische Sicherheit

Die Sicherheitsfrage bei transgenen Pflanzen und Tieren bzw. bei transgenen Genomen ist eine weitaus ernstere Angelegenheit als die Entwicklung neuer chemischer Produkte. Aber schon bei denen dominiert intendierte Fahrlässigkeit.[5] Ein wichtiges Prüfkriterium für den erreichten Sicherheitsstandard von gentechnischen Produkten wäre ihre Versicherbarkeit. Bis jetzt ist dazu aber bei der Versicherungswirtschaft keine Bereitschaft zu erkennen.

Die Diskussion der Sicherheitsfrage hat sich im übrigen in einem Land wie Deutschland in kürzester Zeit deutlich verlagert: Die Enquête-Kommission des Bundestages ("Chancen und Risiken der Gentechnologie") hatte 1987 noch festgehalten, daß der Transfer von Pflanzen- oder Tiergenen durch Viren oder Bakterien in der Praxis ausgeschlossen werden könne, die Gentechnologie in diesem Sinne also "sicher" sei. Inzwischen haben die zahlreichen durchgeführten Experimente längst gezeigt, daß horizontaler Gentransfer sehr wohl möglich ist, also von Pflanzen auf Bakterien, Pilze oder Insekten und vice versa. Dasselbe gilt für die Kreuzungsmöglichkeit zwischen transgenen Pflanzen und wildlebenden Arten. Welche Effekte in diesen Möglichkeiten stecken, ist mit Sicherheit nicht durch die üblichen Laborbedingungen wirklich feststellbar. Daher bestehen im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Spezies im direkten Wortsinn nicht kalkulierbare Risiken. Dies umso mehr als in keinem Labor ein wirkliches synergetisches Risikomodell ablaufen kann, in dem Sinne, daß der ökologische Kontext realistisch simulierbar ist, in den die transgene Pflanze oder das Tier entlassen werden sollen.

Politisch gesprochen sind viele der gefährlichen Bio-Tech-Produkte oder der synthetischen Chemie-Produkte nur deswegen noch auf dem Markt, weil die Kontrollbehörden und die Gesetzgeber nicht Schritt halten können mit der großindustriellen Forschung, weil die Industrie-Lobby erfolgreich interveniert ("Standort Deutschland") und weil daher Verordnungen und Gesetze immer der biotechnischen Wirklichkeit nachhinken.

Dieser "time-lag" wird von den großen Chemie- und Pharma-Konzernen ausgenutzt, um ihre Strategie durchzusetzen, die sich nach dem Prinzip richtet: weiterhin den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden dadurch sichern, daß Herbizid- und Pestizid-tolerante Pflanzenarten gentechnisch hergestellt werden. Dieser Weg ist für den Unternehmer finanziell weniger aufwendig als der umgekehrte, nämlich die Resistenz von Pflanzen durch Sicherung der Artenvielfalt zu erhalten. Letzteres würde den Einsatz von Insektiziden, Fungiziden, Pestiziden zwangsläufig drosseln. Aber selbst dann müßten laufend neue Agro-zide entwickelt werden, die dann freilich nicht die Breitbandwirkung eines "BASTA" aufweisen, sondern punktgenau einsetzbar sein müssen. Die Kosten für eine neue biotechnische Pflanzenvariante liegen durchschnittlich bei 2 Mio Dollar. Die Kosten für ein neues Herbizid dagegen bei etwa 40 Mio Dollar.

Die Bedeutung der genetischen Ressourcen des SÜDENS für die Unternehmen des NORDENS läßt sich - stark vereinfacht - an solchen Zahlenvergleichen erahnen.

Zum Thema der Sicherheits-Reglementierungen bei gentechnisch verändertem Bio-Material haben sich im letzten Jahrzehnt und besonders in den 90er Jahren einige sehr unterschiedliche Initiativen gebildet.

Die OECD etwa hat schon 1983 die Nationale Expertengruppe zu Biosicherheit und Biotechnologie gegründet. Mehrere der UN-Sonderorganisationen (WHO, FAO, UNIDO u.a.m.) haben eigene Dokumente zu diesem Thema veröffentlicht und treten für Codes of Conduct hinsichtlich des Umgangs mit gentechnischem Material ein. Gerade diese UN-Sonderorganisationen haben sich zu einer Informellen Arbeitsgruppe für Biosicherheit zusammengeschlossen und Empfehlungen zum Einbringen von gentechnischem Material in die Umwelt herausgegeben. Dabei ist allerdings der Leitgedanke, daß Sicherheitsstandards und Kontrollmechanismen immer im nationalen Rahmen erlassen werden. So umgesetzt bietet diese Maßnahme allerdings die Möglichkeit, daß auf diese Weise die interessierten Transnationalen Unternehmen das Gefälle der Sicherheitsstandards zwischen den einzelnen Staaten sehr wohl ausnutzen können und dabei immer legal agieren.

Aus Sicherheitsgründen dürfte keine Politik der Freilandgroßversuche mit gentechnisch verändertem Pflanzen- und Tiermaterial betrieben werden - und schon gar nicht im SÜDEN, wo Kontrollgesetze und Kontrollmechanismen i.d.R. noch erheblich liberaler abgefaßt sind als in den führenden NORD-Staaten. Denn die biochemischen Synergie-Effekte sind nicht durch Labor-Situationen vorausberechenbar: "Die genaue Plazierung und die genaue Anzahl von fremden, veränderten Genen, die in die Genstruktur eines Organismus eingeführt werden, können nicht wirklich kontrolliert werden und führen immer wieder zu überraschenden Ergebnissen. So waren die Wissenschaftler überrascht von der Tatsache, daß die von ihnen eingepflanzten Gene des Wachstumshormons von Rindern oder Menschen bei Schweinen Arthritis und Herzerkrankungen hervorriefen."[6]

Beispiele für das Zusammenwirken von staatlichen "Kontroll"-Behörden und biotechnischen Unternehmen

In Frankreich fanden in jüngster Zeit bereits 6 Freilandversuche mit gentechnisch verändertem Tabak statt. Dabei wurde den Pflanzen nicht nur ein Gen zur Veränderung der Blätter eingebaut, sondern ihnen wurde zugleich eine Erbinformation eingebaut, die sie gegen das Herbizid Bromoxynil resistent macht. Von der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurden inzwischen Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, inwiefern der deutsche Konsument gegen gentechnisch veränderte Nahrungs- und Genußmittel geschützt wird; eine Antwort steht derzeit noch aus.[7] Beunruhigend daran ist, daß es sich hierbei keineswegs um einen Einzelfall handelt. Alle großen Chemieunternehmen setzen inzwischen erfolgreich die Zulassung gentechnischer Produkte in dem Land durch, das für die deutsche/europäische Debatte zur Orientierung dient, die USA:

Betr: CALGENE, Gen-Tomate FLAVR SAVR [8]

Last week, the Food and Drug Administration (FDA) approved the Flavr Savr tomato for commercial sale. The tomato is a genetically engineered product of the biotechnology com-pany Calgene. The company has been waiting three years for FDA approval. FDA Commissioner David Kessler said, "Con-sumers can be confident that we remain committed to assur-ing that foods produced by genetic engineering are as sa-fe as food in our grocery stores today." In its judgement, FDA said it is the first time the agency has evaluated a whole food produced through biotechnology -- "a science that can make plant improvements with more precision than traditional cross-breeding." The Flavr Savr will bear the McGregor label.

Groups on either side reacted as predicted. The Grocery Manufacturers Assocaition called the ruling "a great de-cision for consumers." The Pure Food Campaign is organiz-ing a boycott of the tomato.

Betr: Ciba, Gen-Getreide [9]
Mycogen Corporation and Ciba Seeds received government ap-proval to sell seed corn engineered to resist the European corn borer insect. They are expecting to plant 400,000 acres next year. Dr. Margaret Mellon of the Union of Con-cerned Scientists expressed concern that such a large-scale planting may result in the European corn borer insect deve-loping resistance.

Betr: Monsanto, Gen-Erdbeeren
Monsanto received approval to grow genetically engineered
strawberries in experimental fields. The berry has been
engineered with a new gene from an unidentified source.
Monsanto has declined comment on the characteristics of the
new strawberry. An introduction by Monsanto of a geneti-cally engineered tomato variety is planned for 1996.

Betr: Rhone-Poulenc, gentechnische Herbizid-Resistenz
Rhone-Poulenc received approval from the EPA to sell the
herbicide bromoxynil for use on transgenic cotton, clearing
the way for the first commercialization of an engineered
herbicide-resistant crop. Monsanto has received approval for commercialization of its herbicide glyphosate (trade name Roundup) on its transgenic glyphosate-resistant soybeans.

Das Zusammenwirken von Staat (Behörden) und Unternehmen bei der Erlaubnis zu Freilandversuchen, bei den Sicherheitsauflagen, bei der Markteinführung einzelner gentechnisch hergestellter Produkte, letztendlich auch beim Transfer dieser Produkte von NORD nach SÜD hat eine Vorgeschichte, die voll einbezogen werden muß in die Diskussion um die Biodiversitätskonvention: die sogenannte Grüne Revolution.

Weil darüber hinaus in einer ganzen Reihe von SÜD-Staaten Bio- und Gentechniken schon eingesetzt werden, allein in Lateinamerika in den Ländern Argentinien, Brasilien, Chile, Cuba, Uruguay; Mexico, Costa Rica, Venezuela[10], ist es wichtig aus den Erfahrungen zu lernen, die mit dem Export der sogenannten Grünen Revolution vom NORDEN in den SÜDEN gemacht wurde:

DIE GRÜNE REVOLUTION ALS VORBEREITER DER GENTECHNISCHEN REVOLUTION

Unter der Überschrift "Grüne Revolution" startete zwischen 1950 und 1970 in Mexico eine spektakuläre Phase der agrarwirtschaftlichen Modernisierung, die rasch auf Süd-Ost-Asien, den Nahen Osten und andere Teile der Dritten Welt ausgedehnt wurde.

Transnationale Chemie- und Erdölkonzerne entwickelten, zusammen mit einer Gruppe internationaler Agrarforschungszentren, die besonders ertragreichen Hybridsorten für die wichtigsten Nahrungsmittel der Völker dieser Erde. In einem Paket aus:

genetisch verändertem Pflanzenmaterial plus synthetischem Dünger plus Pestiziden plus erhöhtem Wasserverbrauch plus verstärktem Einsatz von Maschinen (Traktoren) und Geräten (Wasserpumpen) und Kunstdünger

plus erweiterten Kredit- und Subventionslinien der nationalen und internationalen Banken (auch als Finanzierungshilfe für den Ankauf der Pestizide)

wurde die Grüne Revolution den Ländern des SÜDENS als attraktives Fertiggericht präsentiert.[11]

Zunächst ergaben sich erhebliche Produktionszuwächse, vor allem bei Weizen und Reis. Zwischen 1965 und 1980 stiegen die Erträge im SÜDEN im Mittel um 75% bei einer Ausweitung der Anbaufläche um ca 20%.[12]

In Lateinamerika z.B. wurde die Anbaufläche für Hybridweizen und Hybridreis zwischen 1970 und 1983 von 270.000 ha auf ca 9.600.000 ha erweitert; die Fläche wurde also 35 mal größer. 1983 wurden schon auf 82% der gesamten Weizenanbaufläche in Lateinamerika Hybridsorten eingesetzt. Seither sinken die Durchschnittserträge überall auf diesen Agrarflächen. In Indien sind z.B. von 329 Mio Hektar Ackerland 129 Mio ha unbrauchbar geworden.[13] Die Verarmung der Böden und die Sterilität des Pflanzenmaterials kann immer weniger mittels Chemie ausgeglichen werden. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß laut Internationaler Arbeits Organisation (ILO) in der Landwirtschaft derzeit 3,5-4 Millionen Landarbeiter durch Pestizide gesundheitlich gefährdet sind und rd. 40.000 von ihnen jedes Jahr tödliche Vergiftungen erleiden, die überwiegende Mehrheit von ihnen in SÜD-Ländern.

Wegen der erheblichen Verschiebungen der Landbesitzverhältnisse, die die Grüne Revolution auch mit sich brachte wäre es angebrachter gewesen, von einer "gelben Revolution" zu sprechen, einer unternehmerfreundlichen, als von einer "grünen", einer umweltgerechten.

Die Erfahrungen mit der "grün-gelben Revolution" halfen offenbar bei der Initiierung der aktuell angelaufenen "gentechnischen Revolution".14

Dieselben Transnationalen Konzerne, die internationalen Agrarforschungsinstitute, die multilateralen Finanzinstitute (Weltbank, IMF, Regionale Entwicklungsbanken) sowie einige besonders interessierte Regierungen verknüpften ihre Interessen zur langfristig angelegten Dominanz des ressourcenarmen NORDENS über den ressourcenreichen SÜDEN.

Konkret: 1971 wurde auf Anregung der Weltbank die Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) gegründet. CGIAR sollte das Netzwerk an Internationalen Agrarforschungszentren finanziell unterstützen und beraten. In diesem Netzwerk schlossen sich einige Internationale Organisationen, wichtige WEST-Länder, einige wenige große SÜD-Länder, die FAO, UNDP und die Weltbank zusammen. Unter den Mitbegründern des CGIAR befinden sich 4 der wichtigsten Agrarforschungszentren: CIMMYT (Mexico), CIAT (Kolumbien), IITA (Nigeria), IRRI (Philippinen). Alle 4 waren in früheren Jahren von der Rockefeller- und der Ford-Foundation aufgebaut worden. Heute gehören zum CGIAR die 17 führenden Internationalen Agrarforschungsinstitute:

CIAT : Centro Internacional de Agricultura Tropical, in Cali/Kolumbien (1967). Wichtige Spezies: Cassava, Bohnen
CIMMYT: Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo, in Chapingo bei Mexico, D.F. (1966). Wichtige Spezies: Mais, Weizen, Hafer
CIP : Centro Internacional de la Papa, in Lima/Peru (1971).Wichtige Spezies: Kartoffeln und Süßkartoffeln
CIFOR : Centre for International Forestry Research, in Asien (Ende 1992). Zentrales Thema: Tropischer Regenwald
ICRISAT International Crops Research Institute for the Semi-Arid Tropics, in Andhra Pradesh/Indien (1972). Wichtige Spezies: Sorghum, Pigeonpea, Hirse, Erdnüsse
IRRI: International Rice Research Institute, in Los Banos bei Manila/Philippinen (1960). Wichtige Spezies: Reis
IIMI: International Irrigation Management Institute, in Sri Lanka. Zentrales Thema: Leistungsfähigkeit von Bewässerungssystemen in SÜD-Ländern
ICARDA: International Centre for Agricultural Research in Dry Areas, in Aleppo/Syrien (1976). Wichtige Spezies: verschiedene Getreide, Futtergetreide
ICRAF : International Centre for Research in Agroforestry, in Nairobi/Kenya (1977). Zentrales Thema: Agroforestry
ILRAD : International Laboratory for Research on Animal Diseases, in Kenya. Zentrales Thema: wichtige Tierkrankheiten in Schwarzafrika
ILCA : International Lifestock Centre for Africa, in Addis Abeba, Äthiopien (1974). Wichtige Spezies: Gräser, Gemüse
WARDA : West Africa Rice Development Association, in Bouake/Elfenbeinküste (1971). Wichtige Spezies: Reis
IITA: International Institute of Tropical Agriculture, in Ibadan/Nigeria (1967). Wichtige Spezies: Süsskartoffeln, Yams, Soja, Reis, Mais
IFPRI : International Food Policy Research Institute, in USA. Fragestellung: Maßnahmen zur Nahrungsmittelsicherung in SÜD-Ländern
IBPGR : International Board for Plant Genetic Resources, in Rom/Italien (1974). Wichtige Spezies: breites Spektrum an genetischem Pflanzenmaterial
INIBAP: International Network for the Improvement of Banana and Plantain, in Montferrier-sur-Lez/Frankreich (1984). Wichtige Spezies: Eß- und Koch-Bananen
ISNAR : International Service for National Agricultural Research, in den Niederlanden. Fragestellung: Stärkung nationaler Agrarforschungseinrichtungen

Die CGIAR-Institute und die hinter ihnen stehenden Unternehmen und Industrieländer-Regierungen arbeiten heftig daran, daß ihre Genmaterial-Bestände in den Instituten nicht unter die Bedingungen der Biodiversitäts-Konvention fallen. Die Verfügungsgewalt über den gewaltigen Bestand an genetischen Mustern soll nicht von "Unbefugten" eingeschränkt werden. Diese Unbefugten sind in erster Linie die meisten SÜD-Länder.

Gegen den enormen Interessendruck, der von der Interessen-Allianz um die die CGIAR-Institute herum ausgeht, stemmen sich im Vorfeld der 2. Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversitätskonvention in Djakarta (Nov. 1995) vor allem NROs, die weltweit am Thema Biodiversität arbeiten. Von ihnen gehen generelle Forderungen an die Vertragsstaatenkonferenz aus und auch sehr konkrete Aktionsvorschläge. U.a. wird ein generelles Moratorium für die Freisetzung von gentechnisch manipulierten Organismen und von Biotechnologien gefordert, die schon jetzt zu negativen Einwirkungen auf die Biodiversität geführt haben. Damit einher geht das Ziel, indigenen Völkern die Zeit zur Planung nachhaltiger Formen von Ressourcennutzung zu lassen. Daraus leitet sich die Forderung an die Regierungen im NORDEN und im SÜDEN ab, besonders solche Projekte und Maßnahmen zu unterstützen, die sich schon als nützlich für den Erhalt der Biodiversität gezeigt haben.[15] Diese Unterstützung muß sich auch im Gesetzgebungsbereich und bei der Bewilligung von finanzieller Förderung zeigen.

Neben konkreten Einzelthemen wie dem verstärkten Schutz der Meeresbiodiversität (gegen Überfischung, Verschmutzung etc.) richtet sich die Aufmerksamkeit der kritischen internationalen Öffentlichkeit auf die Patenrechtsordnung der TRIPs. Als logische Konsequenz auf die oben dargelegte Situation ergibt sich für die internationalen NROs die Forderung, endlich von der privatrechtlichen Aneignung der Natur durch Unternehmen wieder Abstand zu nehmen. Natur in ihren diversen Formen ist Gemeineigentum. Denn nur weil die indigenen Völker mit diesem Verständnis die Biodiversität ihrer Lebensräume erhalten und genutzt haben, können sich internationale Unternehmen mit einem imgrunde imperialistischen Rechtsverständnis genetische Ressourcen aneignen und sie in abgewandelter Form mittels TRIPs durch die Macht der hinter ihnen stehenden Staaten schützen lassen.

Die Forderungen nationaler und internationaler NROs zielen allerdings schon über Djakarta hinaus und richten sich eigentlich an die Konferenz zu pflanzengenetischen Ressourcen, die im Juni 1996 in Leizig von der FAO ausgerichtet wird. Denn in Leizig soll - nach heutigem Stand der Dinge - ein Global Plan of Action verabschiedet werden, in den dann sowohl die technischen Forderungen zum nachhaltigen Umgang mit der Biodiversität als auch die politischen (Zugangsregelungen, TRIPs etc.) als auch die finanzielle Unterfütterung hineingeschrieben werden sollen.

Die viel weiter reichende Frage, wie der Erhalt der Biodiversität gesichert werden kann, hängt freilich mit der Änderung der Entwicklungs-Parameter in den Industriestaaten selber zusammen. Die Debatte über einen nachhaltigen Entwicklungsweg für Deutschland wird seit Herbst 1995 durch die Studie des Wuppertal-Instituts über ein zukunftsfähiges Deutschland einen Schritt vorangebracht.[16] Andere europäische Staaten, besonders die Niederlande, sind der Aufforderung der Rio-Konferenz und der Agenda XXI schon etwas früher gefolgt und bemühen sich um einen bewußteren Umgang mit Energie, Wasser, Land und schaffen damit die gesellschaftlichen Voraussetzungen, auch die NORD-SÜD-Beziehungen an der Stelle zu überdenken, die hier gefordert ist: Erhalt und nachhaltige Nutzung der Biodiversität.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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