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IV. Kommunale Wirtschaftsförderung:



Quadratur des Kreises?

Seit einiger Zeit ist zu beobachten, daß die kommunalpolitischen Partner der Friedrich-Ebert-Stiftung ein zunehmendes Interesse an konkreten Möglichkeiten kommunaler Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zeigen. Der Grund liegt nicht in erster Linie im Wunsch nach Erhöhung der lokalen Einnahmen - nicht in allen Ländern gibt es dazu die ausreichende Steuerhoheit - sondern in der Tatsache, daß die Gemeinden am unmittelbarsten von den sozialen Folgen steigender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betroffen sind.

Gemeinden, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Lebensqualität aller Bürger zu verbessern, sind gezwungen, in den sozialen Sektoren anzusetzen: Trinkwasserversorgung und Abwasser, öffentliches Gesundheitswesen und Grundbildung, Umweltschutz, etc. Trotz des enormen Potentials schlecht ausgeschöpfter lokaler Steuerquellen [ Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Gemeinden ohne Steuer- oder Steuertarifreform, nur aufgrund verbesserter Steuerverwaltung, ihre Einnahmen in kürzester Zeit verdoppelt oder verdreifacht haben.] stoßen diese Politiken sehr schnell an den Rand ihrer Finanzierbarkeit. Der Zusammenhang zwischen einer Reihe von Krankheiten, den sanitären und Wohnverhältnissen sowie der Einkommenssituation der Betroffenen ist vor Ort unübersehbar.

Während die Problematik nicht neu ist, hat sich das Umfeld der Städte und Gemeinden in den letzten Jahren grundlegend verändert:

• Hatte der Zentralstaat im interventionistischen Modell der importsubstituierenden Entwicklung gleichsam ein Monopol auf die Wirtschaftspolitik und das entsprechende Instrumentarium (Ansiedlung staatlicher Mega-Projekte, Kredit- und Preissubventionen, u.a.), tritt mit der neoliberalen Wende eine Entstaatlichung der Wirtschaft ein. Privatisierung, „Verschlankung des Staates", Subventionsabbau etc. verringern die unmittelbare wirtschaftspolitische Interventionsfähigkeit des Staates.

Der - internationalisierte - Markt trifft Allokationsentscheidungen nach anderen Kriterien als der interventionistische Staat. Wenn die makroökonomischen Rahmenbedingungn für alle gleich sind, treten lokale Standortbedingungen stärker in den Vordergrund und einzelne Gemeinden, in der Regel eher Regionen, treten in unmittelbare Konkurrenz um private Investoren.

• Die wirtschaftspolitische Neuorientierung zeigt auf die ihr vorangehende Haushaltskrise der Staaten nur langsam Wirkung; ohne den Ausweg eines inflationstreibenden deficit-spending reduzieren die Zentralregierungen zum Teil drastisch ihre Investitionen in die wirtschaftliche Infrastruktur und die Finanzierung verteilungswirksamer Sozialausgaben (Gesundheit und Bildung). Gleichzeitig verstärken der staatliche Personalabbau und die Umstrukturierung der Unternehmen den Druck auf den Arbeitsmarkt.

• Auf der anderen Seite erhöht sich durch die Dezentralisierungspolitiken der Anteil der Regionen und Gemeinden am staatlichen Gesamthaushalt. In einigen Ländern übersteigen die kommunalen und regionalen Investitionshaushalte bereits den der Zentralregierung. Relativ, in vielen Fällen auch absolut, nimmt die Investitionsfähigkeit der Gemeinden zu.

• Die Übertragung neuer Kompetenzen und Finanzmittel auf die Kommunen erhöht auch ihren gestalterischen Spielraum, komplexere Ziele und entsprechende Politiken zu formulieren und zu finanzieren. Die Gemeinden erkennen, daß hohe Investitionen in die soziale Infrastruktur langfristig nicht tragfähig sind, wenn sich die Einkommens- und Beschäftigungssituation vor Ort nicht verbessert und damit der Druck auf öffentlichen Leistungen abnimmt. In den meisten Fällen resultiert daher das Interesse an kommunaler Wirtschaftsförderung aus einer sozialpolitischen Motivation.

Dabei stehen die politisch Verantwortlichen in den Kommunen hohen Erwartungen ihrer Wähler gegenüber. Diese fordern nicht nur, daß Bürgermeister und Gemeindeverwaltungen sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen und verbesserte Einkommensmöglichkeiten einsetzen, sondern auch die Berücksichtigung von Umweltschutz, die besondere Förderung von Frauen, die Ordnung des informellen Sektors (Straßenhändler), etc. Dabei ist den modernisierungsorientierten Kommunen heute der klassisch klientelistische Ausweg immer stärker aufgeblähter Verwaltungen versperrt [ Allerdings liegt beispielsweise in Brasilien der Anteil der Personalausgaben an den kommunalen Haushalten im Durchschnitt immer noch über 80%; er sollte in der Regel 35% nicht übersteigen.] .

Die Erkenntnis der Notwendigkeit kommunaler Wirtschaftsförderung, der hohe Erwartungsdruck, mehr Kompetenzen bei verbesserten Finanzen und ein gestiegenes Interesse sagen freilich nichts darüber aus, ob es möglich ist, die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort im Sinne verbesserter Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse positiv zu beeinflussen.

Was spricht gegen kommunale Wirtschaftsförderung und was spricht dafür?

Dagegen spricht zunächst einmal die „herrschende Meinung", daß sich der Staat auf allen Ebenen aus dem Marktgeschehen heraushalten bzw. daß er sich auf die Gestaltung und Sicherung von Rahmenbedingungen beschränken solle, die das freie Spiel der Marktkräfte nicht behindern.

Dagegen spricht auch die Tatsache, daß in fast allen Fällen Wirtschaftsförderung nicht Teil der kommunalen Aufgabenkataloge ist: die Gemeinden sollen sich auf die Aufgaben berschränken, die ihnen gesetzlich zugewiesen sind, und knappe finanzielle Ressourcen nicht für andere Zwecke einsetzen.

Dagegen spricht weiterhin, daß das wirtschaftspolitische Instrumentarium äußerst beschränkt ist, die Gemeinden in der Regel nicht über Personal mit Managementerfahrungen verfügen und unmmittelbar beschäftigungswirksame Maßnahmen mit hohen Risiken bzw. Ineffizienzen behaftet sind. Dies gilt insbesondere für die Gründung oder Förderung von Kooperativen, Kreditvergabe, Beschränkung der kommunalen Einkäufe auf den lokalen/regionalen Markt etc.

Für kommunale Wirtschaftsförderung spricht die Tatsache, daß private Investitionsentscheidungen von konkreten lokalen Standortfaktoren abhängen, auf deren Gestaltung die Kommunen zumindest dann einen unmittelbaren Einfluß haben, wenn es sich um die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur handelt.

Dafür spricht auch die Tatsache, daß eine Reihe von Verwaltungsprozessen die privaten Unternehmen unmittelbar betreffen. Das sind in der Regel Flächennutzungspläne, lokale Steuern und Genehmigungen, Umweltschutzauflagen u.a.

Dafür spricht, daß die Kommunen bessere Kenntnisse über die lokalen Standortbedingungen haben und leichter Informationen über regionale, nationale oder gar internationale Entwicklungen mobilisieren können, als dies Klein- und Mittelunternehmen möglich ist.

Dafür spricht schließlich, daß die wirtschaftliche Entwicklung „im Interesse des Gemeinwohls" liegt: das einzelne Unternehmen zeigt normalerweise wenig Bereichtschaft, eine allgemeine Standortpromotion zu finanzieren, auch wenn es davon profitiert. In diesem Sinne ist kommunale Wirtschaftsförderung ein „reines öffentliches Gut".

In diesem widersprüchlichen Kontext ist notwendig, daß die Gemeinden Ziele und Instrumente kommunaler Wirtschaftsförderung sorgfältig auf ihren öffentlichen Charakter, ihre Wirksamkeit und ihre Kosteneffizienz prüfen.

Folgende Bausteine aus der Diskussion können dabei helfen:

• Die lokale ist von der regionalen Wirtschaftsentwicklung nicht zu trennen. Städte und Gemeinden einer Region müssen ruinösen Wettbewerb vermeiden und in geeigneter Weise zusammenarbeiten.

• Die lokale Wirtschaftsentwicklung muß Teil einer „strategischen Vision" sein, die auf den örtlichen Standortpotentialen beruht, deren mögliche Entwicklung absieht und gestalterisch auf sie Einfluß nimmt.

• Nur wenn die öffentlichen Instanzen und die örtliche Privatwirtschaft zusammenarbeiten, kann die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflußt werden.

• Dies bedeutet für die Gemeindeverwaltungen: Vereinfachung administrativer Verfahren für die Unternehmen, offene Informationspolitik, Beratungsleistungen, Lobby gegenüber übergeordneten Gebietskörperschaften, etc.

• Für größere Unternehmen ist die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur - Verkehrsanbindung, Stromversorgung, Telefonnetz u.a. -, für die die Gemeinden z.T. gar nicht zuständig sind, wichtiger als lokale Steuervorteile. Diese führen häufig nur zu Mitnahmeeffekten ohne Einfluß auf die Standortentscheidungen.

• Erfahrungsgemäß schafft die Summe der Klein- und Mittelunternehmen langfristig mehr und stabilere Arbeitsplätze. Kurzfristig ist die Akquisition von Großunternehmen politisch attraktiver. Die Gemeinden müssen eine ausgewogene Politik von Standortpflege und Standortpromotion entwickeln.

• Kommunale Wirtschaftsförderung ist eine professionell anspruchsvolle Aufgabe, die eine angemessene organisatorische Infrastruktur mit adäquater Personalausstattung erfordert; diese kann auch in Kooperation mit dem Privatsektor bereitgestellt werden.

Kommunale Wirtschaftsförderung ist für die lateinamerikanischen Gemeinden ein weitgehend neue Thema. In vielen Fällen bestehen große Hoffnungen im Hinblick auf die konkreten Möglichkeiten, die Beschäftigungs- und Einkommenssituation der Bürger wirksam zu beeinflussen. Nicht immer sind diese Hoffnungen berechtigt; häufig führen die zur verfügung stehenden Instrumente nur zu kurzfristigen Erfolgen. Auch hier tut sich ein unendliches Experimentierfeld auf.

Die vielseitigen deutschen Erfahrungen, insbesondere auch die Erfahrungen in den neuen Bundesländern, können dazu beitragen, übersteigerten Erwartungen vorzubeugen und Fehler zu vermeiden. Grundsätzlich gilt dies auch umgekehrt: der größere Gestaltungsspielraum lateinamerikanischer Städte und Gemeinden in einigen Ländern kann erfolgreiche Innovationen auch für uns interessant machen.


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