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[INTERNATIONALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT]
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III. Gibt es eine „linke" oder nur eine „gute" Kommunalpolitik?

Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen mußten insbesondere die Parteien des Mitte-Links-Spektrums in Lateinamerika die Erfahrung des politischen Scheiterns machen, und dies auch dort, wo sie - wie in Peru, Venezuela, Bolivien u.a. - in den vergangenen Jahrzehnten die Regierungsverantwortung auf nationaler Ebene übernommen hatten: die Wähler haben ihnen in nahezu allen Fällen den Rücken zugekehrt. Der Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaften und die weltwirtschaftlichen Veränderungen haben zudem die traditionellen Bezugsfelder der Linken radikal verändert und zwingen auch sie zu einem „Paradigmenwechsel".

Da die Mehrheit der politischen Partner der Friedrich-Ebert-Stiftung sich aus diesen Parteien bzw. ihnen nahestehenden sozialen und wissenschaftlichen Institutionen rekrutiert, und auch weil durch die weltweiten Veränderungen das eigene Selbstverständnis getroffen ist, lohnt es sich, gemeinsam über neue Ansatzmöglichkeiten der Zusammenarbeit nachzudenken.

Der kommunalpolitische workshop in São Paulo bot dafür eine Möglichkeit, weil es Anzeichen dafür gibt, daß die konkreten politischen Erfahrungen linker Parteien in den Städten und Gemeinden, in denen sie die Bürgermeister stellen, wichtige Bausteine für den fälligen Umdenkungsprozeß liefern.

Die traditionelle Orientierung der Linken an einem „großen Entwurf" einer wirtschaftlich autonomen und sozial gerechten Gesellschaft fand ihren politisch-strategischen Ausdruck darin, daß sie immer die Macht an der Staatsspitze gesucht haben: von dort aus sollte die gesamte Gesellschaft neu gestaltet werden. Dazu beigetragen haben sicher auch die Tatsache nur schwach ausgebildeter mittlerer und lokaler Verwaltungsebenen und das in der lateinamerikanischen Linken oft implizite Bündnis von Arbeitern und staatlicher Bürokratie.

Mit der Umsetzung der Dezentralisierungspolitiken - traditionell keineswegs eine Inschrift auf der roten Fahne - eröffnen sich neue Herausforderungen, aber auch neue Chancen.

Letztere liegen vor allem darin, konkrete, bürgernahe Politik zu formulieren und umzusetzen und damit Kompetenz gerade auf jenen Feldern zu beweisen, die die Bürger am unmittelbarsten betreffen. Dank der fortschreitenden Dezentralisierung gehören dazu nicht mehr nur Straßenreinigung und Grünflächenpflege, sondern auch die Entwicklung der Grundbildung, des Gesundheitswesens und Umweltschutzes sowie immer stärker auch die Förderung der lokalen Wirtschaft und Beschäftigung. Viele große lateinamerikanische Städte übertreffen heute an Bevölkerungszahl eine Reihe kleiner Staaten - die Verwaltung dieser Metropolen stellt daher durchaus eine ernstzunehmende Herausforderung dar. Deren Bewältigung - so die nicht unberechtigte Erwartung - eröffnet neue Chancen auf einen Umstieg in die Regierungsverantwortung auf regionaler und nationaler Ebene.

Hinzu kommt, daß das Amt des Bürgermeisters in Lateinamerika - in den meisten Fällen ist es ein historisch junges Wahlamt - im Gegensatz zu nationalen Abgeordneten und Senatoren weniger negativ belastet ist, bzw. in vielen Fällen sogar positives Prestige besitzt.

Umgekehrt gilt das Risiko: ein politisches Scheitern in der Kommunalpolitik wird vom Wähler in der Regel nicht durch höherwertige Mandate honoriert.

Wie sehen die Bürgermeister selbstkritisch die Schwächen der politischen Organisationen, denen sie ihr Mandat verdanken [ Alle auf dem workshop vertretene Bürgermeister kommen aus sozialdemokrati schen oder sozialistischen Parteien; die folgenden Ausführungen basieren über wiegend auf ihren Beiträgen.] ?

Die politische Kultur der Linken ist grundsätzlich oppositionell und zentralistisch: sie ist gegen die bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse, sie ist auch durchaus in der Lage, die Vision eines Gegenbildes von nationalen Dimensionen zu entwerfen, aber sie verfügt über keine praktische Handhabe, die es ihr erlauben würde, diese Vision konkret umzusetzen, erst recht nicht auf dem kleinen Raum eines kommunalen Gemeinwesens. Aus dem Mangel an Regierungserfahrung resultiert ein Mangel an Regierungsfähigkeit. Dabei können auch umfangreiche Regierungsprogramme den Mangel an strategischer Kompetenz nicht überdecken.

Wir haben Angst davor, die Regierung zu stellen", weil die Linke weder kommunalpolitische Erfahrungen gesammelt noch eine kommunalpolitische Strategie entwickelt hat. In der nationalen Programmatik der Parteien wird die Kommunalpolitik immer noch stiefmütterlich behandelt. In der Regel sind Bürgermeisterkandidaturen Gratifikationen für parteipolitische Loyalität und vor allem Kandidaturen für Stadt- und Gemeinderäte bleiben den weniger profilierten Parteienvertretern vorbehalten. Politisch anspruchsvolle Bürgermeister stehen damit häufig nicht nur einer starken Opposition in den Gemeinderäten gegenüber, sondern müssen sich auch ohne klare politische Bezugspunkte und Unterstützung ihrer Mutterparteien behaupten.

Dort, wo sich hohe persönliche Motivation mit Kreativität und Innovationsfähigkeit gepaart haben, wird die kommunale Regierungsverantwortung zu einer Schule des politischen Umdenkens.

Welche Lektionen wurden bereits gelernt?

Die Dezentralisierungspolitik ist traditionell eine „Fahne der Rechten", die Linke muß sie für sich entdecken und für die Stärkung der Gemeinden kömpfen, weil diese der „pädagogische Raum für die Entwicklung von Bürgersinn" sind und die Möglichkeit bieten, die Schwächen des neo-liberalen Wirtschaftsmodells zur Entwicklung konkreter, d.h. für die Menschen fühlbarer Alternativen zu nutzen.

Im einzelnen:

• Die Linke muß ihr zentralistisches Denken überwinden und „von unten nach oben denken"; vor allem auf der mittleren Parteiebene fehlt es an kompetenten Ansprechpartnern;

• Durch die praktischen Erfahrungen muß die Kommunalpolitik zu einem Bestandteil der Parteiprogramme auf nationaler Ebene werden; das Themenfeld Kommunalpolitik - Dezentralisierung - Staatsreform muß programmatisch neu aufgearbeitet werden;

• Die Linke braucht eine klare kommunalpolitische Strategie und muß vor allem die fachliche Kompetenz zur Bewältigung der konkreten Probleme in den Gemeinden entwickeln;

• Die Förderung von strukturellen Veränderungen auf Gemeindeebene setzt voraus, daß die Ansprüche aller Bürger ernst genommen werden; der alleinige Bezug auf die gesellschaftlich Benachteiligten führt zum Mißerfolg. Allerdings muß die Linke dafür noch ein geeignetes Instrumentarium erarbeiten;

• Die Bürgermeister müssen stärker zusammenarbeiten und Erfahrungen austauschen.

Grundsätzlich sehen sich die Bürgermeister hohen Erwartungen ihrer Wähler gegenüber, die sie mangels geeigneter Ressourcen nur selten erfüllen können. Kreativität und Innovationsfähigkeit sind damit Herausforderung und Chance zugleich. Erfolgreiche Kommunalverwaltungen können - ins Deutsche übersetzt - einen Beitrag zur „Erziehung zum mündigen Bürger" leisten und eine neue Verwaltungskultur begründen, die alle Bürger einbezieht.

Rancagua: die Stadt als Projekt

»Die Verwaltungsfachleute haben recht: Institutionen und ihre Führer müssen von ihrer „Mission" überzeugt sein, um bedeutsame Ziele zu erreichen. Aber noch vor einer „Mission", einem „Programm" muß man „Lust haben" und „seine Gemeinde mögen". In Rancagua gab es eine dreifache Herausforderung:

1. die selbstzerstörerische Art und Weise überwinden, in der die Stadt sich selber sah: „Wir sind häßlich", „zu dicht an Santiago"; „hier passiert sowieso nichts";

2. einer bereits gut geordneten Stadtverwaltung die Kraft einer Mission hinzufügen, die zusammenschweißt, Handlungsdruck erzeugt und Lust darauf, Teil einer Unternehmung, eines kleinen Eroberungszuges zu sein;

3. die fachlichen Instrumente, Arbeitseinheiten und organisatorischen Voraussetzungen sowie Kommunikationsstrukturen bereitstellen, die es erst möglich machen, diese kollektive Herausforderung zu bestehen.«

Esteban Valenzuela, Bürgermeister von Rancagua, Chile

Aus diesen Beiträgen und der allgemeinen Diskussion lassen sich aus den praktischen Erfahrungen drei Elemente einer guten Kommunalpolitik ableiten:

1. Die Notwendigkeit einer strategischen Vision im Sinne eines Leitbildes für die kommunalpolitische Praxis, die sich an den Bedürfnissen der Bürger orientiert und praktisch umsetzbar ist. Die Mobilisierung bzw. Entwicklung von fachlicher Kompetenz, insbesondere der Rückgriff auf moderne Planungsmethoden, ist dabei unverzichtbar.

2. Bürgerbeteiligung in der Form, daß alle Bürger - auch die wenig organisierten Mittelschichten - gleichermaßen und gleichberechtigt einbezogen werden. Dazu reicht das traditionelle Instrumentarium der Linken - Versammlungen und Kampagnen - nicht aus. Transparentes Verwaltungshandeln, eine offene Informationspolitik, der Einsatz von Methoden der Markt- und Meinungsforschung etc. sind ebenso wichtige Instrumente. Hier fehlt es häufig noch an ausreichenden Erfahrungen.

3. Vorurteilslose Kreativität und Innovationsfähigkeit, die sich nicht scheut, mit traditionellen Tabus der Linken zu brechen. Das schließt ein neues, kooperatives Verhältnis zum privaten Unternehmenssektor ein, bedeutet jedoch nicht privatisieren um jeden Preis. Zwischen unmittelbarer Verwaltung und Vollprivatisierung kommunaler Leistungen steht eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten, die den öffentlichen Charakter dieser Leistungen erhalten und die Entstehung - nunmehr privater - Gebietsmonopole verhindern.


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