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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 36 (Fortsetzung)]
Das widersprüchliche Verhältnis der Russinnen zur Teilnahme von Frauen an der Politik und gesellschaftlicher Aktivität zeigt sich auch recht deutlich in ihren Bewertungen der Rolle von Frauenorganisationen. Wie bereits erwähnt, sind viele Frauen nicht geneigt, irgendwelche prinzipiellen Unterschiede zwischen den Interessen von Männern und Frauen zu sehen, und daher ist es ihrer Meinung nach auch nicht so wichtig, wer diese Interessen in den Staatsorganen im Zentrum und vor Ort vertritt und verteidigt. Andererseits ist eine etwa ebenso große Zahl von Russinnen überzeugt, dass Frauen die Interessen von Frauen besser vertreten und verteidigen können (siehe Tabelle 18). [Seite der Druckausg.: 37]
Dass die Russinnen dem auf den ersten Blick entgegengesetzten Standpunkt zustimmen, liegt eher daran, dass heute in der Gesellschaft keine effektiven Mechanismen für die Vertretung und Verteidigung der Interessen von Frauen existieren. Weder die Männer noch die Frauen selbst vertreten sie in gebührendem Maße, jedenfalls im Rahmen der Organisationen, die es heute im Land gibt. Daher sind die Frauen vor allem an der Effektivität derartiger Tätigkeit interessiert, und die Frage, wer sie umsetzt, ist für sie im Moment ein weniger aktuelles Problem. Aber in der Zukunft ist es ihrer Ansicht nach notwendig, den Einfluss von Frauenorganisationen zu verstärken. Wie die Ergebnisse der durchgeführten Umfrage zeigen, hängt die Einstellung zur Rolle von Frauenorganisationen weder von der familiären Lage und den Beziehungen innerhalb der Familie ab, noch vom Status der Frauen in der Gesellschaft. Einfluss auf die Urteile zu dieser Frage hat nur der Lebensstandard der Befragten: Je höher das Lebensniveau der Russinnen, umso weniger glauben sie, dass nur Frauen ihre Interessen verstehen und verteidigen können, umso mehr akzeptieren sie die gesellschaftlich-politische Tätigkeit von Männern. Je niedriger das Einkommensniveau der befragten Frauen, desto entschiedener neigen sie dazu, zu sagen, dass ihre Interessen von Frauen vertreten und verteidigt werden sollen. Und dafür ist es ihrer Meinung nach wichtig, neue Frauenorganisationen zu gründen und die bestehenden zu stärken. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass das, womit sich diese Vereinigungen heute tatsächlich beschäftigen, teilweise außerhalb des Wahrnehmungsfeldes der Frauen liegt, ebenso wie die Tatsache der Existenz vieler von ihnen selbst. Ungeachtet dessen, dass in den letzten zehn Jahren in unserem Land eine große Anzahl von Frauenorganisationen entstanden ist, die beanspruchen, diese oder jenen Interessen der Frauen zu vertreten, wissen 70,6 % der Russinnen überhaupt nichts von deren Existenz solcher Organisationen in ihrer jeweiligen Stadt, der Region, dem Gebiet oder ihrer Republik. Von denjenigen, denen die Tätigkeit der Organisationen bekannt ist, nehmen über die Hälfte an, dass sie persönlich diese Vereinigungen nicht brauchen. Und nur 8,8 % der Befragten haben ein positives Verhältnis zu dieser Art der Tätigkeit. Von ihnen würden 5,1 % gerne an der Arbeit derartiger Organisationen teilnehmen, 2,5 % haben sich mit der Bitte um Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme an solche Organisationen gewandt, und 1,2 % hat selbst in dieser oder jener Frauenorganisation mitgearbeitet. [Seite der Druckausg.: 38] Das Verhältnis zu Frauenorganisationen unterscheidet sich bei den Frauen aus verschiedenen sozialen Gruppen erheblich. Wie zu erwarten war, sind die "avanciertesten" Frauen (gebildete, erfolgreiche usw.) in dieser Frage am Besten informiert, und in ihren Reihen ist der Anteil der an derartigen Aktivitäten Interessierten und unmittelbar daran Beteiligten etwas höher. Andererseits findet sich in denselben Gruppen jedoch auch der höchste Anteil von Skeptikerinnen, die erklären, dass sie keinerlei Notwendigkeit für die Existenz gesellschaftlicher Organisationen sehen. Auch fällt auf, dass den Resultaten zufolge Frauenorganisationen in der Hauptsache in großen Industriezentren und Großstädten existieren. Was die Kleinstädte und die Dörfer betrifft, so brachte die Umfrage folgenden Zusammenhang zum Vorschein: Je kleiner die Siedlung, umso weniger Information haben ihre Einwohnerinnen über die Arbeit derartiger Organisationen (von 62,5 % der Frauen in den Großstädten, die nichts über die Arbeit von Frauenorganisationen wissen, bis zu 76,2 % in dörflichen Siedlungen). Diese Werte schwanken erheblich in Abhängigkeit von der Region, in der die Russinnen leben. So sind die Bewohnerinnen von Nowgorod (57,1 %) und Sankt Petersburg (50 %) am Besten über die Tätigkeit von Frauenorganisationen informiert; am wenigsten informiert sind die von Woronesch (17,1 %) und Kemerowo (12,9 %). Die oben angeführten Ergebnisse zeugen davon, dass die heute bestehenden Frauenorganisationen und politischen Organisationen bisher kein wichtiger Faktor der russischen Politik und der entstehenden Zivilgesellschaft geworden sind. Möglicherweise ist dies damit verbunden, dass es den Frauenorganisationen bislang nicht gelungen ist, die Interessen verschiedener Gruppen von Frauen zu akkumulieren und zu realisieren. Im übrigen hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass eine "weibliche Tagesordnung" nicht in jeder Hinsicht gewöhnlich und erwartungsgemäß aussieht. Die Hierarchie der Prioritäten, im Rahmen derer Frauenorganisationen tätig werden sollten, sehen die Russinnen heute wie folgt:
Überraschend ist vor allem, dass an erster Stelle psychologische Unterstützung von Frauen erwartet wird und andere Tätigkeiten wie materielle Unterstützung, der Kampf gegen Diskriminierung von Frauen usw. noch übertroffen werden. Dies ist augenscheinlich einerseits mit dem sozialpsychologischen Stress verbunden, dem die Frauen im letzten Jahrzehnt ausgesetzt waren. Und andererseits hat gerade diese Seite in der Tätigkeit von Frauenorganisationen in der Regel heute einen Routinecharakter. [Seite der Druckausg.: 39] Interessant ist auch, dass die Anzahl derer, die meint, Frauen brauchen eher Hilfe bei der Suche eines Arbeitsplatzes, größer ist als die der Befürworterinnen direkter materieller Unterstützung, wenn auch nur wenig größer. Relativ viele Russinnen (24 %) sind auch davon überzeugt, dass Frauenorganisationen gegen Diskriminierung der Frauen in allen Erscheinungsformen kämpfen sollten. Was die politische Arbeit betrifft, so halten 8 % der Befragten sie für wichtig. Es ist klar, dass die sozialpsychologischen Schwierigkeiten, mit denen viele russische Frauen zu kämpfen haben, ihrerseits einen ganzen Komplex von weiteren Problemen hervorrufen, mit denen sie im täglichen Leben zurecht kommen müssen. So wünschen sich die Russinnen, die berufliche Probleme haben, dass Frauenorganisationen bei der Einrichtung am Arbeitsplatz behilflich sein sollen (61,1 %). Diejenigen, die sich schlecht ernähren, wünschen sich materielle Hilfe (51,5 %). Wenn ein Familienmitglied schlechte Angewohnheiten hat, braucht die Frau Schutz vor Gewalt in der Familie (29 %). Und wenn die Befragten ihre Kinder nirgends unterbringen können, so sind sie überzeugt, dass die Frauenorganisationen vor allem die Interessen von Kindern (50,8 %) verteidigen sollten. Außerdem halten sie auch den Kampf gegen Drogen, Alkoholismus und Prostitution (38,1 %) für eine wichtige Tätigkeitsrichtung. Allein lebende Russinnen benötigen ganz besonders psychologische Hilfe (61,3 %). Sie träumen davon, sich aus ihrer Einsamkeit zu befreien und ihren Bekanntenkreis entscheidend auszuweiten. Daher sind sie mehr als andere Gruppen daran interessiert, dass die Hilfe bei der Gründung eines eigenen Unternehmens und die Organisation der Freizeit zur Tätigkeit der Frauenorganisationen gehören. So ergeben sich die gewünschten Arbeitsrichtungen der Frauenorganisationen in vieler Hinsicht aus den Ursachen für die ungeregelten Lebensumstände der Russinnen. Was den Einfluss der Ängste und Befürchtungen der Frauen auf ihre Vorstellungen über die Prioritäten der Tätigkeit von Frauenorganisationen betrifft, so wird psychologische Hilfe vor allem von Frauen gewünscht, die an Einsamkeit, den Gefahren des Alters leiden, von denen, die sich vor Verbitterung oder dem Verlust der Hilfsbereitschaft zwischen den Menschen ängstigen, ebenso wie vor dem Verlust der Gesundheit Nahestehender oder ihrer eigenen. Es scheint, dass dies hauptsächlich Probleme der älteren Generation sind, aber in der Realität haben auch die jüngsten Frauen dieselben Probleme. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass 61,1 % der jungen Frauen im Alter von 17-18 Jahren, die vor dem Problem der Anpassung an das Erwachsenenleben stehen, sich psychologische Hilfe wünschen.
10. UNGLEICHHEIT IN DEN AUGEN DER FRAUEN
Das Problem grundlegender Formen der Ungleichheit von Frauen zählt zu den schwierigsten und komplexesten. Wie aus Tabelle 19 ersichtlich ist, gibt es nur einige wenige Bereiche, in denen Frauen nach Ansicht der Mehrheit unter ihnen gleiche oder sogar mehr Rechte haben als die Männer. Diese sind: bei der Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu erhalten (72,7 %), in der Familie (70 %), bei der Möglichkeit, sich während des Urlaubs (66 %) und in der Freizeit (56,8 %) zu erholen, sowie bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (50,7 %). Bezüglich einiger Lebensbereiche erklärt die Mehrheit der Frauen übereinstimmend, ihre Rechte würden verletzt. Eine Verletzung ihrer Rechte im Vergleich zu den Männern sehen die Frauen vor allem bei der beruflichen Beschäftigung, wobei diese Rechtsverletzungen vielfältigen Charakter haben. In erster Linie ist dies die Ungleichheit bei den Möglichkeiten, im eigenen beruflichen Fachgebiet Arbeit zu finden; das Verhältnis zwischen den Frauen, die meinen, dass Männer in dieser Hinsicht bessere Möglichkeiten haben, und denen, die glauben, die Rechte der Frauen seien gleich oder sogar größer als die der Männer, beträgt 58:33 [Seite der Druckausg.: 40] (die übrigen konnten die Frage nicht beantworten). Weiterhin folgen ungleiche Bezahlung der Arbeit - hier liegt das Verhältnis bei 55:30 - und Diskriminierung der Frauen am Arbeitsplatz mit 53:37.
Die Mehrheit der Frauen sieht sich in ihren Rechten auch angesichts eines beschränkten Zugangs zur Teilnahme am politischen Leben klar diskriminiert, welches im Unterschied zum gesellschaftlichen Leben reale Möglichkeiten birgt, wichtige Machtressourcen zu nutzen. Das heißt, dass die Frauen angesichts wachsender Konkurrenz um jegliche Art von Ressourcen, die für ein System marktwirtschaftlicher Beziehungen charakteristisch ist, bei den wichtigsten von ihnen diskriminiert werden, nämlich bei qualifizierten, gut bezahlten und spezialisierten Arbeitsplätzen und beim Zugang zur Macht. Dabei wird vor dem Hintergrund drohender Arbeitslosigkeit zunehmend auch die Chance, überhaupt eine Arbeit zu finden, zunehmend in Frage gestellt, was viele Frauen dazu zwingt, sich mit ungleicher Bezahlung und der fehlenden Möglichkeit, eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit zu finden, abzufinden. Ist dieser Zustand nach Ansicht der Russinnen selbst ein Überbleibsel aus der Sowjetzeit, oder haben die Reformen der letzten Jahre die Probleme der Diskriminierung verschärft? Nach den Ergebnissen der von uns durchgeführten Untersuchung ist die Mehrheit der Frauen überzeugt, dass ihre Situation sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat (siehe Tabelle 20). [Seite der Druckausg.: 41]
Wie aus Tabelle 20 ersichtlich, geben fast 80 % der Russinnen an, es sei für Frauen in den letzten zehn Jahren schwieriger geworden, Arbeit zu finden. Natürlich könnte man sagen, dass dies ein allgemeines Problem ist und die Männer davon ebenfalls betroffen sind. Wenn man jedoch die Situation beim Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsplätzen vergleicht, so sieht man, dass die russischen Frauen sehr genau wahrnehmen, ob es sich bei den von ihnen erlebten Schwierigkeiten jeweils um allgemeine, durch die allgemeine Situation des Landes bedingte handelt oder um eine verstärkte reale Diskriminierung. In jedem Fall nehmen nur 17,1 % der Frauen an, dass die Männer mehr Rechte haben, wenn es darum geht, die gewünschte Ausbildung zu erhalten, obwohl fast zwei Drittel von ihnen sagen, dass dies generell schwerer geworden ist. Davon unterscheidet sich die Situation in Bezug auf Arbeitsplätze ganz erheblich, wo fast die Hälfte der Frauen eine Ungleichheit im Vergleich zu den Männern sieht. Welche Gruppen von Frauen empfinden sich beim Zugang zu Ausbildung und der Gleichberechtigung mit den Männern in Qualifikation und Entlohnung der Arbeit als am stärksten diskriminiert? Eine Verschlechterung der Möglichkeiten von Frauen, die gewünschte Ausbildung zu bekommen, wurde in erster Linie von Vertreterinnen der am schlechtesten abgesicherten Bevölkerungsschichten angegeben. Man kann sagen, dass ungeachtet dessen, dass die kostenlose staatliche Ausbildung, einschließlich der höheren, die gleichen Zugang für die gesamte Bevölkerung vorsah, formal weiter besteht, eine reale Diskriminierung dieses am schlechtesten abgesicherten Teils der Bevölkerung Russlands stattfindet. Gleichzeitig ist dies kein spezifisch weibliches Problem. Nicht zufällig vertraten unabhängig vom Niveau ihres materiellen Lebensstandards nur 15-19 % der Frauen die Ansicht, dass die Männer hier mehr Rechte haben. Die Situation im Bereich der Ausbildung stellt sich eher als eine Konservierung bereits entstandener sozialprofessioneller Gruppen dar, als eine Schließung der Kanäle vertikaler, intergenerationeller Mobilität. In jedem Fall stieg die Zahl derer, die meinten, es sei schwieriger geworden, die gewünschte Ausbildung zu erhalten, unter den Hilfsarbeiterinnen bis auf 75 % an, während sie in der Gruppe der Unternehmerinnen 46,2 % betrug. Auch der Wohnort übte einen bemerkenswerten Einfluss auf die Vorstellungen der Frauen bezüglich der Zugänglichkeit von Bildung aus. In den Großstädten waren 48,5 % der [Seite der Druckausg.: 42] Ansicht, dass der Zugang zur gewünschten Ausbildung schwieriger wurde, während in den Kleinstädten und Dörfern dieser Wert praktisch 70 % betrug. In den am wenigsten begünstigten sozialen Schichten haben die Frauen also mit zwei sich gegenseitig überlappenden und verstärkenden Formen der Diskriminierung im Bereich der Ausbildung zu kämpfen. Einerseits werden sie als Vertreterinnen der armen Schichten diskriminiert, und andererseits unterliegen sie auch innerhalb dieser Schichten einer noch größeren geschlechtsspezifischen Diskriminierung als die wohlhabenderen Frauen. Obwohl der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten heutzutage immer weniger vom Geschlecht abhängt als von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, und außerdem die Lage der Frauen gerade in den am wenigsten begünstigten Schichten in Bezug auf eine Reihe von Parametern besonders schwierig ist, bedeutet die Erhaltung der Situation, wie sie sich gegenwärtig entwickelt hat, auch eine Konservierung all der schwerwiegenden Probleme der Frauen aus diesen sozialen Gruppen von problematischen psychologischen Verfassungen bis zum realen Risiko physischer Gewalt. Der Zugang zu Bildung als Eintrittskarte" in eine andere, bessere Welt scheint für sie verschlossen zu sein. Ein problematisches Bild ist auch bei der Einschätzung der Chancen in Bezug auf die Selbstverwirklichung in der Wirtschaft, der Politik und dem gesellschaftlichen Leben zu beobachten. Die Frauen aus den wohlhabenderen sozialen Schichten schätzen die Dynamik der diesbezüglichen Möglichkeiten deutlich optimistischer ein als die Frauen aus der Gruppe der sozialen Außenseiter". Gleichzeitig haben sich bei weitem nicht alle Karrieremöglichkeiten in den Jahren der Reformpolitik wesentlich zum Guten hin verändert, wenngleich dies für einige wenige Gruppen von Frauen durchaus der Fall ist. So wurde es nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der russischen Frauen (78,9 %) in den letzten zehn Jahren schwieriger, Führungspositionen einzunehmen. Selbst in den hohen Einkommensgruppen ist die Zahl derjenigen, die meinen, dass es für Frauen leichter wurde, Führungspositionen zu bekommen, kleiner als die Zahl derer, die glauben, dass dies schwieriger wurde. Ihr Verhältnis beträgt 32:38. Dabei ist sehr wichtig, dass die Skepsis in Bezug auf die Einschätzung der Chancen von Frauen auf diesem Gebiet unter denjenigen, die bereits eine Führungsposition einnehmen, deutlich über dem Durchschnitt liegt. Bei ihnen liegt dieses Verhältnis bei 18:41. Das heißt, die Frauen, die man als Expertinnen in diesem Gebiet bezeichnen kann, bewerteten die Dynamik der Chancen extrem schlecht. So hat die Reformperiode einerseits für ausnahmslos alle Gruppen von Russinnen die Möglichkeiten praktisch in allen mit Karriere und Bildung verbundenen Bereichen verringert (eine Ausnahme bildet lediglich die Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen zu gründen, die es früher überhaupt nicht gab). Andererseits betraf diese Verringerung der Möglichkeiten vor allem die Frauen aus den am schlechtesten gestellten Schichten und nahm für sie eine bedrohlichere Dimension an als für die anderen Frauen. Was berufliche Probleme betrifft, so ist die Meinung der Russinnen, dass die Reformen für viele von ihnen eine erfolgreiche Integration und ein effektives Auftreten auf dem Arbeitsmarkt wesentlich erschwert haben, den Ergebnissen dieser Untersuchung zufolge völlig berechtigt. Im gesamtrussischen Durchschnitt nannten über ein Viertel aller befragten Frauen (27,6 %) berufliche Probleme als eines der grundlegenden Probleme, die sie daran hindern, [Seite der Druckausg.: 43] ihr Leben für zufriedenstellend zu halten. Und dies, obwohl nur 3,8 % sich direkt als arbeitslos zu erkennen gaben. Unter den Folgen der Diskriminierung im beruflichen Bereich leiden die alleinerziehenden Frauen sowie Frauen mit mehreren Kindern am meisten, weil im ersten Fall die Frau oftmals als einzige Ernährerin auftritt und im zweiten Fall die Familie ohne einen Zusatzverdienst der Frau einfach nicht überleben kann. Der Umfrage zufolge gaben 37 % der alleinerziehenden Frauen mit zwei oder mehr Kindern an, berufliche Probleme zu haben, 30,1 % der Frauen aus Familien mit einem Kind und 11,9 % der Frauen, die überhaupt keine Familie haben. Möglicherweise haben Frauen, die gezwungen sind, ihre Kinder allein aufzuziehen, häufiger Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes (32 % bei 25,7 % im Durchschnitt der Stichprobe). Hier ist noch hinzuzufügen, dass unter den aktuellen Bedingungen in Russland die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht nur von den Alleinerziehenden, sondern in erheblichem Ausmaß auch von Frauen mit intakten Familien, d.h. aus Familien mit Kindern allgemein als schwerwiegend empfunden wird. Nicht zufällig erklärten fast 85 % der Frauen aus Familien mit zwei oder mehr Kindern, dass es für Frauen als Ergebnis der Reformpolitik schwerer wurde, Arbeit zu finden. Gleichzeitig betrug dieser Indikator bei den Alleinlebenden 67,4 % und bei den Verheirateten ohne Kinder 72,5 %. Recht verbreitet wurde von den Frauen mit Kindern auch die Ungleichheit der Rechte im Vergleich zu den Männern bezüglich aller Aspekte der beruflichen Tätigkeit der Frauen genannt (siehe Tabelle 21). Offensichtlich sind die Ängste der Arbeitgeber davor, dass die berufliche Effektivität von Frauen aus diesen Gruppen geringer ist als die beliebiger anderer Bewerber auf denselben Arbeitsplatz, nicht selten.
Für die jungen kinderlosen Frauen stellen sich Probleme ungleicher Rechte im Vergleich zu den Männern im beruflichen Bereich deutlich schärfer als für ältere Frauen, die auch keine minderjährigen Kinder haben. Bei den jungen Frauen mit verhältnismäßig niedrigem Bildungsniveau sind dies teilweise völlig unlösbare Probleme. Wenn es ihnen gelingt, dieses Problem zu lösen, so erwartet sie in der Regel schlecht- oder unqualifizierte Arbeit, die schlechter bezahlt ist, als sie es bei Männern wäre. [Seite der Druckausg.: 44] Möglicherweise ist gerade in dieser Gruppe der Anteil derer, die Frauen beneiden, die Ausländer heiraten, am höchsten. In jedem Fall antworteten von den Frauen mit nicht abgeschlossener mittlerer Bildung 16,2 % auf die Frage "Was halten Sie von Frauen, die einen Ausländer heiraten und das Land verlassen?", dass sie dies selbst gern tun würden. Unter den Frauen mit einem allgemeinen mittleren Bildungsabschluss waren dies 11 % und im Durchschnitt 7,5 % aller Russinnen. Im Spektrum von 11-14 % lag dieser Wert auch bei den Hilfsarbeiterinnen und Selbständigen sowie bei den Bewohnerinnen von Wohnheimen und Kommunalwohnungen in den Großstädten. In diesen Gruppen war auch der Anteil derer am höchsten, die meinten, diejenigen, die einen Ausländer geheiratet haben, hatten Glück im Leben (16-22 %), auch wenn die Befragten dies selbst nicht anstrebten. Unter den Studentinnen betrug der Anteil derer, die gerne einen Ausländer heiraten würden, nur 5,8 % (bei 10,8 % in der Altersgruppe zwischen 17 und 20 Jahren insgesamt), und unter den Frauen, die bereits promoviert sind oder einen wissenschaftlichen Grad haben, fand sich keine einzige, die dies anstrebte. So erscheint der Wunsch, das Land zu verlassen und dazu einen ausländischen Mann als "Transportmittel" zu benutzen, für einen bestimmten Teil der Russinnen als Kompensation für ihre fehlende Möglichkeit, eine passende "Nische" in ihrer Heimat zu finden. Bei dieser Lage der Dinge verwundert es nicht, dass 45,7 % der Befragten die Hilfe bei der Suche nach einem Arbeitsplatz für eine der vorrangigsten Aufgaben von Frauenorganisationen halten, um ihre Rechte zu schützen. Gleichzeitig demonstrieren die Frauen aus den Gruppen, die scheinbar das größte Interesse an derartigen Dienstleistungen der Frauenorganisationen haben sollten, daran kein größeres Interesse als alle anderen. Wir meinen, dass dies damit zusammenhängt, dass die Frauen aus Familien mit mehreren Kindern oder Alleinerziehende selbst verstehen, dass das Problem für sie nicht so sehr darin besteht, einen Arbeitsplatz zu finden, sondern darin, ihre familiäre mit der beruflichen Rolle zu vereinbaren. Dies bedeutet, dass viele Russinnen, wenn sie einen zufrieden stellenden Arbeitsplatz gefunden haben, gezwungen sind, darauf zu verzichten, besondere Erleichterungen bezüglich ihrer Arbeitsbelastung wegen familiärer Probleme zu fordern. Im Ergebnis überwinden sie die Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich (wo dies gelingt), indem sie dies zulasten der Interessen der Familie tun, was von ihnen als sehr schmerzhaft wahrgenommen und erlebt wird. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2003 |