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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 28 (Fortsetzung)]
Gewalt und Gewaltandrohung sind heute eine alltägliche Realität für viele Russinnen. Dabei sind die Formen dieser Gewalt recht vielfältig. Dazu gehört sowohl Straßenkriminalität als auch innerfamiliäre Gewalt oder sogar Gewalt seitens des Staates. Dies haben auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigt. Auf die direkte Frage "Sind Sie schon einmal zum Opfer von Gewalt geworden?" antworteten 13,4 % der befragten Frauen mit Ja". Wie aus Graphik 11 ersichtlich wird, ist außerhäusliche Gewalt am weitesten verbreitet (8,3 %). 4,3 % der befragten Frauen gaben an, dass sie Gewalt innerhalb der Familie erlebt haben, und 1,1 % nannten Fälle von Gewalt seitens von Vertretern des Staates. Dabei hatten unter innerfamiliärer Gewalt häufiger Frauen der mittleren Altersgruppen (26-40 Jahre) zu leiden, während Gewalt auf der Straße eher die jüngeren (17-25 Jahre) betraf. So litten ihren eigenen Angaben zufolge 25 % der befragten Frauen im Alter zwischen 26 und 30 Jahren und 30,2 % der Frauen im Alter zwischen 31 und 40 Jahren unter innerfamiliärer Gewalt, während in den jüngeren Altersgruppen 11,7 % der befragten Frauen zwischen 21 und 26 Jahren und 6,7 % der 19-20jährigen derartige Angaben machten.
Dies sind natürlich sehr hohe Werte, und nicht zufällig nannten 15,4 % der Frauen die Angst vor Kriminalität unter den fünf Hauptsorgen in ihrem Leben, und weitere 3,2 % nannten in der Reihe der Besorgnisse die Angst vor Gewalt seitens nahestehender Personen. In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass die überwältigende Mehrheit der Frauen sagt, dass es in den vergangenen Jahren schwieriger wurde, sich vor Gewalt zu schützen (siehe Graphik 12).
[Seite der Druckausg.: 30] Was sind die Gründe für familiäre Gewalt? Welche Gruppen von Frauen haben am häufigsten darunter zu leiden und warum wird die Gewalt für sie zur Realität? Vor allem ist festzuhalten, dass die optimistischsten Einschätzungen der Möglichkeiten, sich in den letzten zehn Jahren vor Gewalt zu schützen, unter den Frauen aus den hohen Einkommensgruppen zu beobachten waren (siehe Tabelle 13). In den ärmsten Schichten der Bevölkerung geben dagegen fast 80 % der Frauen einen Anstieg der Gewaltbedrohung in den letzten Jahren an.
Bei der Analyse der Daten aus Tabelle 13 fällt auf, dass die Dorfbewohnerinnen deutlich häufiger überzeugt sind, dass es in den letzten zehn Jahren schwieriger wurde, sich vor Gewalt zu schützen. Derartige Einschätzungen sind vielfach darauf zurückzuführen, dass gerade in den Rajonzentren und auf dem Dorf die Gewalt seitens nahestehender Personen relativ weiter verbreitet ist als in den großen Städten. So gaben 31,7 % der Einwohnerinnen von Rajonzentren und 25 % der Dorfbewohnerinnen an, dass sie zu Hause Gewalt erlebt haben, während dies unter den Frauen aus Großstädten buchstäblich nur einzelne sagten. Wie wir sehen, war alltägliche Gewalt vor allem ein Attribut des Lebens in der russischen Provinz und ist es allem Anschein nach auch heute noch. Ihre Opfer werden insbesondere Frauen aus den sowohl materiell als auch vom Ausbildungsniveau her am meisten benachteiligten Schichten. Dabei sind die Frauen mit einem minimalen Ausbildungsniveau in der schlechtesten Lage. Besonders besorgniserregend ist, dass viele Frauen dieser Studie zufolge sich in einer besonderen Risikogruppe befinden, nämlich die Frauen, die als einen der Gründe für ein ungeregeltes Leben das Problem des Alkoholismus oder der Drogensucht eines nahestehenden Menschen angeben. In dieser Gruppe haben nur 58,1 % überzeugend geantwortet, dass sie niemals Gewalt erlebt haben. [Seite der Druckausg.: 31] 12,9 % der Frauen aus der Risikogruppe erlebten Gewalt in der Familie und weitere 22,6 % außerhalb des Hauses. Bei den übrigen Frauen betrugen diese Werte 3,7 % bzw. 7,2 %, d.h. sie lagen dreimal niedriger. Damit werden Alkoholismus und Drogensucht und die mit ihnen verbundene Gewalt in einem bestimmten sozialen Umfeld zu ständigen Begleitern der Frauen nicht nur zu Hause, sondern auch auf der Straße, bei Bekannten usw. Die Befragung hat jedoch auch noch einen anderen Zusammenhang gezeigt. Geschiedene Frauen geben etwas häufiger Gewalterlebnisse von Seiten des früheren Ehemannes an, als dies verheiratete Frauen tun. Während im Durchschnitt 4,3 % der Frauen innerfamiliäre Gewaltakte angeben, so trifft dies für doppelt so viele unter den Geschiedenen zu (10,4 %). Unserer Ansicht nach hat dies zwei Gründe. Einerseits wird in der russischen Kultur traditionell angenommen, dass die Frauen für die emotionale Atmosphäre in der Familie verantwortlich sind, und daher sind verheiratete Frauen eher geneigt, über ein derartiges Ereignis zu schweigen, weil sie sich schuldig fühlen, dass sie nicht in der Lage waren, die Gewalt zu verhindern oder weil sie sich einfach schämen, darüber zu reden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass 6 % der befragten verheirateten Frauen angaben, dass sie sich nicht erinnern", ob sie schon einmal Gewalt erlebt haben oder nicht, obwohl man derartiges wohl kaum vergisst. Andererseits ist es auch möglich, dass Gewalt in der Familie und die damit unweigerlich verbundenen Konflikte selbst das Scheidungsrisiko steigern. Nicht zufällig hat ein Drittel der Frauen (31,7 %), in deren Familien häufig Konflikte auftreten, auch innerfamiliäre Gewalt erlebt. Zum Vergleich: in Familien, in denen selten oder praktisch nie Konflikte auftreten, gaben nur 9,2 % der Frauen Gewalterfahrungen an. In diesem Zusammenhang mutet die Hierarchie" der Ursachen innerfamiliärer Konflikte, die Gewalt provozieren können, unerwartet an. Diese Hierarchie unterscheidet sich grundlegend von der Verbreitung verschiedener Ursachen innerfamiliärer Konflikte in der russischen Bevölkerung insgesamt, wo auf dem ersten Platz materielle Schwierigkeiten und danach Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Kindererziehung und der Verteilung der familiären Pflichten usw. stehen. Dies bedeutet, dass nicht schon die Existenz von Konflikten in der Familie selbst, sondern ihre Ursachen und ihr Charakter das Risiko drohender Gewalt gegenüber den Frauen beeinflusst (siehe Tabelle 14). Wie aus den Daten in Tabelle 14 ersichtlich ist, nimmt der Alkohol als die traditionelle Ursache von Meinungsverschiedenheiten und infolgedessen von Gewalt in russischen Familien den ersten Platz unter den Gründen ein, die das Gewaltrisiko erhöhen. Er wurde in den letzten Jahren sehr schnell von Drogen eingeholt". Den nächsten Platz belegt ein relativ neuer möglicher Gewaltfaktor ein, der Erfolg der Frauen im Vergleich mit den Männern und dazu führenden Unterschiede im intellektuellen und kulturellen Niveau der Ehepartner. Hier ist anzunehmen, dass wenn das Niveau der Lebenserfolge des Mannes geringer ist als das der Frau, oder sein Status nicht auf gebührende Weise bestätigt wird, ein bestimmter Männertyp als Form der Kompensation ihres Misserfolgs zu Gewalt gegenüber den Frauen neigt. Wenn man berücksichtigt, dass die soziale Schichtung heute auch innerhalb vieler Familien existiert, so erscheint dieser Faktor erstens nicht außergewöhnlich und wird sich zweitens allem Anschein nach mit der Zeit noch verschärfen. [Seite der Druckausg.: 32]
Ein sehr ernstes Problem der heutigen russischen Situation ist nicht nur die Existenz von Gewalt in den Familien, sondern auch die Tatsache, dass viele Frauen keine Möglichkeit sehen, sich davor zu schützen. So glauben sich drei Viertel der Russinnen in rechtlicher Hinsicht schutzlos, während nur ein Viertel sich für geschützt hält.
8. FRAUEN UND POLITIK
Wie unsere Studien zeigen, hat das Interesse der Frauen an Politik und infolgedessen ihre Beteiligung daran in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Während auf der Höhe der Euphorie der Perestrojka- und Postperestrojkazeit viele Frauen sich politisch betätigten, in einer Reihe von Fällen auch Schlüsselpositionen in Staatsorganen einnahmen und sogar ihre Vertretung im Parlament in Form der unabhängigen Fraktion Frauen Russlands" hatten, so ist ihre politische Stellung gegenwärtig nicht nur im Zentrum, sondern besonders vor Ort deutlich schwächer. Die erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach den Gründen der Entpolitisierung" eines bedeutenden Teils der Frauen unseres Landes. Ist dies eine Folge der neuen Möglichkeiten der Realisierung der Interessen von Frauen, infolgedessen sich die Aktivität in die verschiedensten Gebiete, und zwar nicht nur in die Politik, sondern auch in den Beruf, die Ausbildung, den Alltag und das Privatleben verteilt und dort umgesetzt wird? Oder ist es eine neue Erscheinung der geschlechtlichen Diskriminierung, dass die Frauen faktisch von der aktiven Beteiligung am politischen Leben verdrängt werden, wie dies insbesondere für Gesellschaften typisch ist, die ein traditionelles patriarchalisches Modell der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Familie und in der Gesellschaft insgesamt bewahrt haben? [Seite der Druckausg.: 33] Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung belegen, dass die Frauen selbst in ihrer Mehrheit überaus klare und eindeutige Antworten auf alle diese Fragen geben. Einerseits halten sich viele von ihnen nicht für benachteiligt in Bezug auf ihre Möglichkeiten, sich politisch oder gesellschaftlich zu verwirklichen. Mehr noch: 45,8 % der befragten Frauen (gegenüber 29,3 %) meinen, dass die Möglichkeiten von Frauen, sich in der Wirtschaft, dem gesellschaftlichen Leben oder der Politik zu verwirklichen, bedeutend gestiegen sind. Andererseits gaben etwa ebenso viele (52,7 % gegenüber 24,9 %) der Befragten an, dass die Männer wie ehedem mehr Rechte und Möglichkeiten in der aktiven politischen Tätigkeit haben als die Frauen. Dieser Widerspruch ist vor allem dadurch zu erklären, dass die Einschätzung steigender Möglichkeiten in der Praxis keinesfalls dazu führt, dass diese auch ausgenutzt werden. Die Mehrheit der Frauen denkt sogar, dass es heute im Land keine ernsthaften formalen Beschränkungen für ein umfassendes gesellschaftliches und politisches Leben der Frauen gibt und dementsprechend auch keine politische Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts. Gleichzeitig müssen sich die Frauen jedoch mit derart vielen Problemen im Alltag herumschlagen, dass die Politik und die gesellschaftliche Tätigkeit für sie nicht in den Vordergrund treten kann. Für fast die Hälfte der Russinnen (44 %) liegt eine politische Karriere weder jetzt noch in der Zukunft im Bereich der wichtigen Lebenspläne. Nur 5,5 % erklärten, dass sie eine ernsthafte Karriere in diesem Gebiet erreicht haben. Alle übrigen denken entweder, dass sie dies erreichen könnten, wenn sie es wollten (25,7 %), oder dass sie es nicht erreichen könnten, selbst wenn sie es wollten (23,5 %). Dabei ist ein Zusammenhang zwischen den Einschätzungen der neuen Möglichkeiten einer politischen und gesellschaftlichen Selbstverwirklichung einerseits und den Einschätzungen der eigenen Möglichkeiten andererseits erkennbar. So werden derartige Möglichkeiten von denjenigen Russinnen positiver eingeschätzt, die in diesem Bereich bereits etwas erreichen konnten oder noch hoffen, dies in näherer Zukunft zu tun (siehe Tabelle 15).
Was stellen sich die Frauen des "aktiven" Typs vor, die nach Selbstverwirklichung im gesellschaftlichen und politischen Leben streben? Wie zu erwarten war, haben die Frauen der älteren Altersgruppen den größten Karrierezuwachs erreicht: 12,4 % bei 5,6 % im Durchschnitt der Stichprobe. In dieser Altersgruppe ist aber auch der Anteil derer, die schon keine Perspek- [Seite der Druckausg.: 34] tiven für die persönliche Selbstverwirklichung mehr sehen, am größten (56,9 %). Bemerkenswert ist, dass die Frauen der jüngsten Altersgruppen (17-25 Jahre) in Bezug auf ihre Möglichkeiten am optimistischsten gestimmt sind. Was die Frauen mittleren Alters betrifft (31-40 Jahre), so dominiert bei ihnen Skepsis. 53,3 % erklären, dass sie keine Pläne haben, eine gesellschaftliche oder politische Karriere zu machen, und 24 % glauben, dass selbst wenn sie dies wünschten, es ihnen kaum gelingen würde. Der Faktor Bildung beeinflusst die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung ebenfalls stark und differenziert die Bewertung dieser Chance. So verstärkt eine Ausbildung die gesellschaftliche Integration und, was wichtiger ist, gibt Zuversicht dahingehend, dass entsprechende Möglichkeiten sich ergeben werden. Zum Vergleich: Der Anteil derjenigen, die ihre Karriereperspektiven optimistisch einschätzen, ist unter den Russinnen mit Hochschulbildung doppelt so hoch wie unter denjenigen mit mittlerer oder nicht abgeschlossener mittlerer Ausbildung. Was die sozialen Charakteristika betrifft, so wird das "aktive" Modell in höherem Maße von den Frauen realisiert oder angestrebt, die ihre materielle und familiäre Lage, ihren sozialen Status sowie den Grad ihrer Zufriedenheit mit dem Leben in positiveren Farben beschreiben (als gut" oder zufriedenstellend"), als von denen, die diese Parameter negativ bewerten. Dennoch taucht die Frage auf, ob die Tatsache des bloßen Vorhandenseins oder Fehlens einer Familie, ihre Zusammensetzung und die Verteilung der familiären Rollen die politische Sozialisation der Frauen beeinflusst. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, ist dieser Einfluss, sofern überhaupt vorhanden, nicht so bedeutend, wie man hätte annehmen können. Die Verheirateten Frauen sind in der Tat etwas erfolgreicher, dafür sind die Unverheirateten optimistischer in ihren Zukunftsprognosen. Was die Verteilung der innerfamiliären Rollen im Hinblick auf den materiellen Beitrag der Partner betrifft, so war hier keine wesentliche Differenzierung zu beobachten. Die im Zuge der Befragung konstatierten größeren Möglichkeiten der Männer im Vergleich mit denen der Frauen in Bezug auf die Teilnahme am politischen Leben sind am ehesten auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Politik im gegenwärtigen Russland in bedeutendem Maße die Nutzung finanzieller, administrativer und anderer Machtressourcen voraussetzt. Da diese hauptsächlich in den Händen von Männer konzentriert sind, schätzen die Frauen deren Chancen entsprechend höher ein. Die Ungleichheit der Mittel versetzt die Frauen ihrerseits in eine ungleiche Position im politischen Konkurrenzkampf. Möglicherweise demonstrieren daher die wenigen Frauen, denen es gelungen ist, in diesem Kampf erfolgreich zu sein, teilweise auch persönliche und professionelle Qualitäten, die überwiegend keine positiven Gefühle hervorrufen. Infolgedessen haben viele russische Frauen ein äußerst zurückhaltendes Verhältnis zu professionellen Politikerinnen. Insbesondere verhält sich die Mehrheit der Russinnen skeptisch bezüglich der Möglichkeit, eine Frau zur russischen Präsidentin zu wählen. Eine solche Wahl halten nur 36,8 % der befragten Frauen für wünschenswert, während 61,2 % einen Mann in diesem Amt bevorzugen würden. Eine andere Sache ist die lokale politische Ebene, wo es um die Lösung konkreter sozialer Probleme geht. Dort wird das Engagement von Frauen gegenüber dem von Männern sogar etwas bevorzugt. So würden 51,8 % es vorziehen, sich zur Entscheidung ihrer persönlichen Probleme an eine weibliche Lokalpolitikerin oder Staatsangestellten zu wenden und nur 45,7 % an einen männlichen. Allem Anschein nach werden weiblichen Staatsangestellten auf der mittleren und unteren Ebene von den Frauen selbst Eigenschaften zugeschrieben, die für die Ausführung der dort anfallenden Arbeiten besser geeignet sind, wie etwa Geduld, Aufmerksamkeit, geringere Korrumpiertheit und vor allem ein Verständnis für die all- [Seite der Druckausg.: 35] täglichen Probleme, die den Frauen Sorgen bereiten und die sie nicht immer gerne mit Männern besprechen oder besprechen können. Die Mehrheit der Frauen betrachtet die Politik im landesweiten Maßstab insgesamt entweder als gemeinsame Angelegenheit oder als überwiegend männliche Domäne. Das Abstellen auf eine rein weibliche Sichtweise in der Politik wird nicht für produktiv gehalten. Nicht zufällig ist es der Fraktion "Frauen Russlands", die sich die Aufgabe stellte, einen eigenen Wählerstamm zu finden und speziell weibliche Themen auf die Tagesordnung zu setzen, auf diese Weise nicht gelungen, ein eigenständiges politisches Gesicht zu entwickeln und ihre Position in den folgenden Legislaturperioden zu festigen. Dies ist in erheblichem Maße damit verbunden, dass die politisch-ideellen Sympathien der Vertreter beider Geschlechter in der Regel vom Fehlen bedeutender geschlechtsbedingter Unterschiede zeugen. Sie verteilen sich in ungefähr gleichen Anteilen auf Linke und Rechte, Zentristen und Radikale. Aus dieser Perspektive erscheint es gerechtfertigt, dass es nach der gültigen Gesetzeslage nicht erlaubt ist, Parteien auf der Grundlage geschlechtlicher, nationaler oder religiöser Merkmale zu gründen. Gleichzeitig bleiben die Möglichkeiten für die Teilnahme an der Politik im Rahmen des bestehenden parteipolitischen Spektrums bestehen, ebenso wie die Selbstorganisation der Frauen zum Zweck der Lösung sozialer und humanitärer Aufgaben, woran heute zugleich ein großer Bedarf und ein beachtliches Defizit besteht. Es ist zu unterstreichen, dass die "erfolgreichen Frauen" in hohem Maße bereit sind, politische Rechte und Verantwortung an die Männer zu delegieren. Etwa dasselbe Bild ist auch in Bezug auf den materiellen Faktor zu beobachten, wenngleich dies auf den ersten Blick der Tatsache widerspricht, dass die Frauen aus hohen Einkommensgruppen in politischer Hinsicht aktiver sind und, wie es scheint, in höherem Maße weiblichen Politikerinnen vertrauen sollten, einschließlich der Wahl ins höchste Staatsamt, des Präsidentenamts. Dies ist aber nicht der Fall. Die Frauen aus hohen Einkommensgruppen bevorzugen doppelt so oft einen Mann im Präsidentenamt als eine Frau, während unter den Armen dieser Unterschied zwar ebenfalls vorhanden, aber weniger bedeutend ist (siehe Tabelle 16).
Unserer Ansicht nach ist dies dadurch zu erklären, dass eine Frau, die eine normale und glückliche Familie und zudem stabile materielle Wohlstandsquellen hat, stärker daran gewöhnt ist, dem Mann zu vertrauen, als die sowohl materiell wie auch persönlich weniger gut gestellten Frauen. Interessant ist auch, dass die Frauen der Ansicht nicht zustimmen, der zufolge sie angesichts der Belastung, die sie derzeit im Beruf und zu Hause zu tragen haben, besser gar nicht am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen sollten. Sie wird nur von 30,3 % aller befragten Frauen geteilt, während 41,6 % dies kategorisch ablehnen. Diese Frauen treten für die Umverteilung der Rollen im Rahmen der innerfamiliären Beziehungen ein, damit alle, die [Seite der Druckausg.: 36] dies möchten, die Möglichkeit erhalten, Haushalt und Familie mit einer vollwertigen Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben zu verbinden. Eine überwältigende Zahl von Russinnen (68 % gegenüber 10,5 %) besteht darauf, unabhängig von ihrer jeweiligen familiären Situation. Anders gesagt, die Frauen brauchen einen starken Rücken. Und wenn ein solcher vorhanden ist, haben sie in der Regel keinerlei Problem mit gesellschaftlicher Tätigkeit. Die Hauptsache ist aber, dass die Frauen in diesem Fall keine besonderen Privilegien seitens der Gesellschaft und des Staates fordern. Dies drückt sich insbesondere in der zurückhaltenden Bewertung der Idee einer Ämterquotierung in den Organen der Exekutive und der Legislative zugunsten der Frauen aus, die in letzter Zeit von einigen Frauenorganisationen und einzelnen Politikern vorgeschlagen wird. So sprechen sich 24,1 % bzw. 20,6 % der befragten Frauen für die Einführung von Quoten, etwa in der Staatsduma und der Regierung der RF aus, die eine Vertretung etwa gemäß der Stärke der männlichen und weiblichen Bevölkerung des Landes beinhalten würde, während die Zahl derjenigen, die überzeugt sind, dass dies keine prinzipielle Bedeutung hat, über 40 % der Frauen beträgt (siehe Tabelle 17).
Dabei ist bei den Antworten auf die gegebene Frage dieselbe Tendenz erkennbar, wenngleich weniger ausgeprägt, wie auch bei der Frage über die hypothetische Möglichkeit der Wahl einer Frau zum Staatspräsidenten. Die weibliche Solidarität, die sich in der Idee der Quotierung ausdrückt, wird in stärkerem Maße von weniger erfolgreichen und weniger abgesicherten Frauen unterstützt. Und umgekehrt demonstriert die Gruppe der Frauen mit hohem Einkommen, denen es insgesamt und auch persönlich gut geht, Skepsis gegenüber dieser Idee und ist vielmehr der Ansicht, dass das Zahlenverhältnis von Männern und Frauen in den Staatsorganen keine prinzipielle Bedeutung hat. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2003 |