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[Seite der Druckausg.: 18]



IV. Migration von Arbeitskräften und Freizügigkeit der Arbeit


Bei der Migration der Arbeitskräfte wurde Tschechien ab 1994 ein Zielland. Gegenwärtig arbeiten in der Tschechischen Republik – legal und illegal – 12 Mal mehr Ausländer als tschechische Bürger im Ausland. Tschechische Arbeiter gehen vor allem in die Nachbarländer – nach Deutschland und Österreich. In der Saison arbeiten etwa 20.000 Tschechen im Ausland, in Tschechien sind jedoch 250.000 Ausländer wirtschaftlich aktiv (davon 80-100.000 illegal). In der Tschechischen Republik arbeiten z. B. etwa ebenso viele Deutsche wie Tschechen in Deutschland. Auch mit Österreich sind die Zahlen fast ausgeglichen.

Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Tschechischen Republik und den Ländern Mittel- und Osteuropas brachten auch Möglichkeiten für eine freiere Bewegung der Arbeitskräfte. Gegenwärtig gibt es immer noch das wirtschaftliche Interesse tschechischer Bürger, im Ausland zu höheren Löhnen zu arbeiten. Auf der anderen Seite steigt das Interesse von Menschen aus Ländern mit niedrigeren Löhnen und einem niedrigeren Lebensstandard als in Tschechien, hier zu arbeiten. Zugleich gibt es auch die entgegengesetzte Bewegung von Experten, Managern und Beratern aus den entwickelten Industrieländern, die in weniger entwickelten Ländern arbeiten, d. h. auch in der Tschechischen Republik. [Zu einem bedeutenden Faktor wurde auch die „gemischte Kalkulierung", nach der es für deutsche und österrei chische Firmen vorteilhafter ist, in Tschechien bei niedrigeren Lohnkosten zu produzieren und dabei hoch bezahlte Manager aus den Mutterfirmen in Tschechien anzustellen.]

Auf dem tschechischen Arbeitsmarkt überwiegt die Arbeitsimmigration aus einigen Ländern mit einem niedrigeren Lebensstandard (Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Vietnam, Weißrussland) wesentlich die Arbeitsemigration in Länder mit höherem Lebensstandard (Deutschland, Österreich). Diese Bewegung wird auch durch die Arbeit von einigen Experten aus entwickelten Ländern am tschechischen Arbeitsmarkt begleitet (aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich). Traditionell gibt es weiter viele Arbeitnehmer aus der Slowakei, wo neben der Motivation durch den Verdienst auch die Tradition eine Rolle spielt.

Die Arbeit von Ausländern in Tschechien hat viele positive Seiten, birgt jedoch auch Probleme. Auf der einen Seite kommen aus den westlichen Ländern Experten, aus anderen Ländern, insbesondere aus östlichen, kommen sowohl Facharbeiter, aber vor allem Menschen für weniger qualifizierte Arbeiten. Ohne die Beteiligung der Ausländer wären einige Branchen sogar in ihrer Existenz gefährdet (z.B. Bauwesen, Saisonarbeiten in der Land- und Forstwirtschaft). Auf der anderen Seite entsteht jedoch hier Raum für Menschenhandel, für das Nichteinhalten der Lohn-, Arbeits- und der sozialen Bedingungen bei der Beschäftigung von Ausländern. Einige ethnische Gruppen von Ausländern mit andern sozialen und kulturellen Traditionen lassen sich allmählich ständig hier nieder, ohne dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Es gibt einen zu breiten Raum für die illegale Beschäftigung und den illegalen Aufenthalt von Ausländern.

Die Tschechische Republik war weder institutionell noch in ihrer Gesetzgebung auf den die gegenwärtige Dynamik Ausländerbeschäftigung vorbereitet. Tschechien ist ein Land mit einem sehr liberalisierten Arbeitsmarkt; es ist liberal bei der Genehmigung von Unternehmen und Gewerben.

Der Beitritt der Tschechischen Republik in die EU wird auch eine Anpassung an die europäischen Normen für die Freizügigkeit der Arbeit bedeuten, und zwar nicht nur formell, aber vor allem sachlich – bei der Verhinderung der illegalen Beschäftigung, im sozialen Bereich, bei den Arbeitsbedingungen, beim Arbeitsschutz. Dazu sind zum einen neue Rechtsnormen, zum andern aber auch ihre Einhaltung notwendig.

Die legale Beschäftigung von Ausländern auf dem tschechischen Arbeitsmarkt hat folgende Formen:

  1. Beschäftigung aufgrund einer Arbeitsgenehmigung (zum einen individuelle Arbeitsgenehmigungen, sog. für freie Arbeitsplätze, zum anderen Bewilligungen im Rahmen von Werkverträgen, sog. im Rahmen von Kontrakten),

    [Seite der Druckausg.: 19]

  2. Beschäftigung von Bürgern der Slowakischen Republik, die nur eine Arbeitsregistrierung benötigen,

  3. Unternehmungen aufgrund einer Gewerbeberechtigung.

Am 30. Juni 2001 erreichte die Zahl dieser Ausländer 167.500 Personen, d. h. 3,5 % der gesamten Beschäftigung in der Tschechischen Republik. Davon arbeiteten mehr als 106.700 Personen aufgrund einer Arbeitsgenehmigung und Pflichtregistrierung und 60.600 Personen mit einer Gewerbeberechtigung.

An diesen Zahlen sind die folgenden Länder am meisten beteiligt: Slowakei – 72.000, Ukraine – 37.600, Vietnam – 17.500, Polen – 8.400, Russland – 2.800 usw. Zu den registrierten Arbeitnehmern aufgrund von Arbeitsgenehmigungen und Gewerbeberechtigungen sind noch mehrere Tausend spezifische Pendler zuzurechnen, es handelt sich dabei um qualifizierte Angestellte, die nur zur Verwaltung oder Geschäftsführung gemeinsamer oder ausschließlich deutscher oder tschechischer Unternehmen kommen.

Im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen zur EU entstand gerade in Österreich und Deutschland das "Problem" der Arbeitsmigration in diese Länder. Die Lohnunterschiede zwischen der Tschechischen Republik und diesen Ländern und problematische Untersuchungen der "Bereitschaft" und des "Interesses" an einer Beschäftigung in diesen Ländern führten zu nicht realen Vorstellungen über eine "Schwemme" von Tschechen.

Zuverlässigere und repräsentativere Untersuchungen, die in den Jahren 2000–2001 in der Tschechischen Republik durchgeführt wurden, zeigen:

  • das Interesse an einer Arbeit in Deutschland und Österreich ist mit der Bedingung eines drei- bis fünffach höheren Verdienstes verbunden, was nicht realistisch ist,

  • es besteht ein höheres Interesse in grenznahen Regionen als Pendler, das Interesse sinkt zusammen mit dem Wohnbedarf,

  • das Interesse ist auch wegen der ungenügenden Beherrschung der deutschen Sprache nicht realistisch. In der Tschechischen Republik wird die deutsche Sprache im Unterschied zu Englisch nur sporadisch unterrichtet, weshalb ein höheres Interesse an einer Arbeit in den USA und Großbritannien besteht.

Die Löhne qualifizierter Fachkräfte in erfolgreichen Unternehmen sind in Tschechien sprunghaft gestiegen, bei der großzügigen "Greencard"-Aktion Deutschlands bewarben sich deshalb nur etwa 400 Tschechen für einen attraktiven Arbeitsplatz in Deutschland.

Aufgrund der Politisierung der Problematik der Freizügigkeit der Arbeit stimmten die tschechischen Vertreter einer Übergangszeit vor der vollständigen Freigabe der Arbeitsmigration zu. Meinungsumfragen ergaben daraufhin erhöhte Zahlen der Bevölkerung, die glaubt, dass "uns die EU nicht will" (47 %). Dennoch glauben etwa 54 % der Befragten, dass Tschechien eine schnelle Aufnahme in die EU anstreben solle.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002

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