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[Seite der Druckausg.: 4]



I. Wirtschaft




1. Gesamtentwicklung der Tschechischen Republik im Jahr 2001

Nach einer dreijährigen Rezession und Verschlechterung der sozialen Lage in den Jahren 1997 – 1999 trat 2000 eine Wende ein, wirtschaftliche und soziale Lage besserten sich. Die Entwicklung im Jahr 2001 bestätigte diesen günstigen Trend noch und verstärkte ihn. Das BIP stieg 2001 um etwa 3 %, auch die Investitionen in Industrie, Handel und Infrastruktur wuchsen wesentlich. Die Durchschnittslöhne sind um 8,5 % höher, der Anstieg der Verbraucherpreise (Inflation) beträgt 5 %, der Reallohn stieg also um 3,5 % bei einem größeren Anstieg der realen Produktivität. Die Sozialleistungen wurden nach der Entwicklung des Preisanstiegs angehoben, auch die sozialen Einnahmen stiegen. Der Rückgang der Beschäftigung insgesamt fand ein Ende, die Arbeitslosenrate sank von 9 % im Jahr 2000 auf 8,5 % (geschätzter Durchschnitt für 2001). Wesentlich verbesserten sich sozialer Dialog und das soziale Klima, die Arbeitnehmer mussten 2001 keine Forderungen durch Streiks durchsetzen, die Forderungen der Gewerkschaften waren zumeist wirtschaftlich und sozial real.

Das insgesamt gute Bild der Entwicklung im Jahr 2001 weist jedoch auch eine ganze Reihe von Schönheitsfehlern und Problemen auf, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Für die Bewertung der Entwicklung im Jahr 2001 ist der im November 2001 veröffentlichte "Bericht der Europäischen Kommission über die Tschechische Republik für das Jahr 2001" von großer Bedeutung. Schon im Untertitel werden "Fortschritte im Beitrittsprozess" festgestellt. Nach der entscheidenden Bewertung ist die "Tschechische Republik eine funktionierende Marktwirtschaft. Sie dürfte in naher Zeit fähig sein, im Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Europäischen Union zu bestehen, wenn sie die mittelfristige Haushaltskonsolidierung fortsetzt und die Strukturreformen vollendet."

Im Jahr 2001 erhöhte sich die Fähigkeit der Tschechischen Republik, die mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union verbundenen Verpflichtungen zu erfüllen, insbesondere den Acquis communautaire. Im November hatte Tschechien von 29 Kapiteln der Beitrittsverhandlungen schon 21 erfolgreich abgeschlossen.

Die tatsächliche objektive Charakteristik der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Tschechischen Republik in den Jahren 2000 – 2001 wird von den Oppositionspolitikern nicht anerkannt. Je näher die Wahlen rücken (Juni 2002), wird in den Medien immer mehr einseitig vor allem die steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte zitiert, die in den letzten drei Jahren von 17 % auf 20 % des BIP anstieg. Im Vergleich zur EU ist diese Zahl niedrig (dort sind es meist 60 %, d. h. dem Maastricht-Kriterium entsprechend). Obwohl die Regierungspolitik für die nächsten drei Jahre die Absicht verkündet hat, diese Verschuldung zu stabilisieren und abzubauen, erscheint dieses Thema in der Öffentlichkeit am meisten. Im Wahlkampf werden die Themen immer dramatisiert, die politische Lage wird in den Medien schlechter dargestellt als es das tatsächliche Leben ist.

Bei den wirtschaftlichen und sozialen Rechten wurde in den Jahren 2000/2001 ein gewisser Fortschritt erreicht, vor allem dank des erneuerten und vertieften sozialen Dialogs. Der aus Spitzenvertretern nach dem Triparitätsprinzip zusammengesetzte und nach der ursprünglichen Konzeption von Anfang der Neunzigerjahre erneuerte Rat für das Wirtschafts- und Sozialbündnis erreichte bei den meisten wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Problemen einen bedeutenden Konsens. Der soziale Dialog wurde bei der Erstellung von vielen Gesetzen ein wichtiger Faktor für deren Akzeptanz und optimale Gestalt. Vor der Verabschiedung im Parlament von den Sozialpartnern verhandelte Gesetze enthielten meist nicht die Fehler wie Gesetze, die in der konfliktreichen Atmosphäre des Parlaments mit auch oft engen Interessen entstanden.

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2. Reformen und Privatisierung

Eine funktionsfähige Marktwirtschaft erfordert die Liberalisierung der Preise, des Handels, ein funktionierendes Rechtssystem und die Respektierung der Eigentumsrechte. Barrieren für einen Markteintritt müssen beseitigt werden, es muss einen entwickelten Finanzsektor geben. Bei den genannten Prozessen und Bedingungen wurde 2001 große Fortschritte erreicht. Das Wirtschaftswachstum festigte die notwendige makroökonomische Stabilität und war zudem überwiegend ausgeglichen.

Mehr als je zuvor wurde das Wirtschaftswachstum 2001 von hohen Investitionen im Unternehmenssektor und von großen ausländischen Direktinvestitionen geprägt. Diese wirtschaftlichen Prozesse hingen zumeist positiv mit der

  • weitergeführten Privatisierung von Banken und Unternehmen und der

  • weiteren Restrukturierung und Modernisierung der Unternehmen

zusammen. Obwohl der Fortschritt in den angeführten Bereichen unterschiedlich ist, sind die folgenden Tatsachen eindeutig positiv zu sehen:

  • Vollendung der Bankenprivatisierung,

  • Privatisierung einiger strategischer Unternehmen.

Auch die Situation des Finanzsektors und die Erfüllung seiner Aufgabe als Vermittler in Sachen Finanzen hat sich verbessert. 40 Handelsbanken wurden restrukturiert, 27 davon haben einen Mehrheitseigentümer, der zu fast 90 % aus ausländischem Kapital besteht. Die Bilanzsumme der Banken betragen etwa 150 % des BIP, die Handelsbanken schreiben wieder schwarze Zahlen. Der Anteil von nicht zurückgezahlten und problematischen (sog. "klassifizierten") Krediten ging zurück, die Kapitalverhältnisse sind besser geworden. Verbessert hat sich auch die Aufsicht über den Finanzsektor. Trotz mehrerer auch weiter bestehender Mängel haben vor allem die großen Banken in den Augen der Öffentlichkeit Vertrauen gewonnen, die Sparquote der Bevölkerung stieg, ebenso wie sich der Zustand des Bankensektors insgesamt verbesserte.

Für die angeführten Verbesserungen wurde jedoch ein hoher Preis gezahlt. Die hohen Schulden in Banken und einigen Unternehmen aus der Transformation der Wirtschaft wurden bei der Privatisierung und Restrukturierung in die Konsolidationsbank/später Konsolidierungsagentur überführt. Zum großen Teil werden sie in den nächsten Jahren auf eine Weise zurückgezahlt, die vor allem zu Lasten der Bevölkerung, also der Steuerzahler, geht.

Bei der Privatisierung der großen "strategischen" Unternehmen wurden die Pläne der Regierung für das Jahr 2001 nicht erfüllt, einige Unternehmen werden mit mehreren Monaten Verspätung erst 2002 privatisiert.

Der Zufluss der ausländischen Direktinvestitionen und die Einnahmen aus der Privatisierung von ausländischen strategischen Partnern führten 2001 zu einer großen Nachfrage nach tschechischer Währung, der Tschechischen Krone. Dieser Einfluss wird auch in den nächsten zwei Jahren anhalten. Trotz Interventionen der Nationalbank beträgt der Wechselkurs Ende 2002 17 CZK für eine DM (1 EUR = 33,3 CZK). Der durchschnittliche Kurs 2000 war noch 1 DM = 18,20 CZK. Die Stärkung der tschechischen Währung führt zu einer wesentlichen Minderung bei den Einnahmen aus dem Export, eingeführte Waren werden preiswerter.

Trotz der angeführten Währungsentwicklung wurde das äußere wirtschaftliche Gleichgewicht 2001 nicht erschüttert. Die Außenhandelsbilanz erreicht nicht das erwartete Defizit und gegenüber einem Minus von 127 Mrd. CZK 2000 werden es 2001 etwa 115 Mrd. CZK sein. Waren- und Preisprozesse im Außenhandel wirkten bei verschiedenen Warengruppen entgegensätzlich. Im Vergleich zu den Jahren 1999 und 2000 kann auch die Entwicklung der Tauschrelationen – Terms of Trade – als günstig bezeichnet werden. Die Preise des tschechischen Exports stiegen im Vergleich zu den Importpreisen schneller, der TT entwickelte sich positiv.

Ende 2001 wurde die Wirtschaft durch eine Senkung der Leitzinsen der Zentralbank um 0,5 Punkte auf 4,75 % (REPO-14 Tage) unterstützt. Die Senkung der Zinssätze wird offensichtlich die Wirtschaft auch im Jahr 2002 positiv beeinflussen.

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3. Wirtschaftsentwicklung und Annäherung an die EU

Der Anstieg der Industrieproduktion betrug 2001 etwa 8 %, in der Baubranche ca. 12-14 %. Die Produktionspreise in diesen Branchen stiegen nur um 4-5 % an. Zum Jahresende nahm die Dynamik der Industrieproduktion jedoch wegen der Flaute in den EU-Ländern, die die wichtigsten Handelspartner für Tschechien sind, ab. Insbesondere geht es dabei um Deutschland, mit dem die Tschechische Republik mehr als 40 % des gesamten Außenhandelsumsatzes erwirtschaftet.

Auch trotz des schon hohen Verflechtungsgrades an Liberalität öffnete sich die tschechische Wirtschaft 2001 noch weiter. Die tschechischen Ausfuhren in EU-Länder überschritten 70 % des gesamten Exports, bei den Einfuhren sind es 65 %. Der Anstieg des Handelsaustauschs mit hochentwickelten Industrieländern wurde 2001 vor allem bei Waren mit höherem Mehrwert erreicht, also Maschinen, Elektrotechnik, Verkehrsmittel usw. Die Konkurrenzfähigkeit von Qualität und Preisen tschechischer Produkte erhöhte sich weiter.

Die Unternehmen mit ausländischer Beteiligung trugen zu dieser günstigen Entwicklung vor allem in der Industrieproduktion bei. Die Dynamik und Rentabilität dieser Unternehmen war höher als in rein tschechischen Unternehmen, die es schwerer hatten, Bankkredite zu erhalten und Märkte für ihre Produkte zu finden. Viele tschechische Unternehmen bewegten sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit und hielten nicht einmal die Termine für die Lohnauszahlungen und Abführung der Sozial- und Krankenversicherung ein u. Ä. ein.

Die unterschiedliche Dynamik und der unterschiedliche Erfolg haben steigende Probleme bei der Lohndifferenzierung zur Folge. Während der Durchschnittslohn in der Industrie etwa 15.000 CZK/Monat beträgt, erreichen mehrere Branchen im Durchschnitt nicht einmal 10.000 CZK (Textil-, Leder-, Kleidungsindustrie). Erfolgreiche Unternehmen hingegen zahlen im Durchschnitt 25.000 CZK/Monat.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen und regionale Unterschiede wirkten sich negativ auf die Arbeitslosigkeit aus. In den Krisenregionen blieb sie chronisch und betrug dort 12 bis 20 %. Die angeführte hohe Arbeitslosenrate in 16 Landkreisen (von 76 insgesamt) besteht vor allem aus Arbeitslosen mit objektiv eingeschränkter Mobilität (Beschränkungen aufgrund der Familie, Wohnungsfrage und Verkehrsanbindung). Weiter fehlten neue Arbeitsplätze, um die verlorenen Jobs zu ersetzen.

Eine effektive "europäische" Regionalpolitik hat sich in der Tschechischen Republik bislang noch nicht etabliert. Erst in den letzten Jahren konzentriert sich die Investitionsförderung und Unterstützung für neue Gewerbegebiete auf Krisenregionen. Diese Förderung kann für die Jahre 2000 und 2001 auch für sich in Anspruch nehmen, dass so mehr als 20.000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Die Anreize und Unterstützungen dieser Aktivitäten bestehen vor allem in "Steuerferien" – die Unternehmen zahlen bis zu 10 Jahren keine Körperschaftssteuer, ihre neu eingestellten Arbeitnehmer werden auf Kosten der Arbeitsämter ausgebildet u. Ä. – in Übereinstimmung mit den EU-Prinzipien, vor allem der Förderung aus EU-Programmen und –Fonds. Seit dem 1. Januar 2001 bestehen übergeordnete Gebietskörperschaften – die Regionen. Die dortigen Parlamente und Regionalpräsidenten wurden im November 2000 in Regionalwahlen gewählt. Eine vollständig eigenständige Regionalpolitik werden die Regionen jedoch erst in etwa zwei Jahren entfalten können, da das neue System der relativen finanziellen Unabhängigkeit der Regionen vom Staatshaushalt noch im Werden begriffen ist.

Die Rezession der tschechischen Wirtschaft in den Jahren 1997 bis 1999 verzögerte auch den Aufholprozess zu den Wirtschaften der EU-Länder. In den Jahren 1996 bis 2000 stieg das Pro-Kopf-BIP jährlich durchschnittlich nur um 0,8 % im Vergleich zu Ungarn 4,2 %, Polen 5,4 %, Slowenien 4,2 %. Erst die Jahre 2000 und 2001 brachten eine Wende dieses ungünstigen Trends. Real kann erwartet werden, das die Tschechische Republik 75 % des Pro-Kopf-BIP der entwickelten EU-Länder in 10 bis 15 Jahren erreichen wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002

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