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5. Tadschikistan – ein Staat am Abgrund


Vergleicht man die politische Entwicklung Tadschikistans nach Erlangung der Unabhängigkeit mit derjenigen der anderen zentralasiatischen Staaten, so lassen sich einerseits Parallelen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Evolution und dem politischen System feststellen, andererseits jedoch gravierende Unterschiede bezüglich der innenpolitischen Situation. Während der Wandel in Kasachstan, Kirgistan, Turkmenistan und Usbekistan friedlich verlief und diese vier Staaten als herausragendes Merkmal ihrer staatlichen Entwicklung innenpolitische Stabilität vorweisen können, musste Tadschikistan, welches gemeinhin schon als das „Armenhaus der Sowjetunion" galt, seit 1992 einen Bürgerkrieg durchleben, der die Gesellschaft zutiefst spaltete und das Land wirtschaftlich noch mehr ruinierte.

Die „Afghanisierung" Tadschikistans

Zu Beginn der neunziger Jahre hatte sich das politische Klima in Tadschikistan stark aufgeheizt und nach dem gescheiterten Moskauer August-Putsch von 1991 spitzte sich der Machtkampf zwischen kommunistischer Partokratie und Opposition immer weiter zu. Ideologische Differenzen waren jedoch nur ein Grund für die Auseinandersetzungen, ethnische und regionale Gegensätze spielten eine nicht minder wichtige Rolle. So verfügt Tadschikistan wohl über das komplizierteste Ethnogramm Zentralasiens, in dem nicht nur tatsächliche Nationalitätsunterschiede von Bedeutung sind, sondern auch subjektiv wahrgenommene inner-ethnische Unterschiede zwischen Nord- und Südtadschiken, Berg- und Taltadschiken etc. [Im Jahr 1989 verteilte sich die Bevölkerung wie folgt: Tadschiken (62,3 v. H.), Usbeken (23,5 v. H.), Russen (7,6.v.H.), Tataren (1,4 v. H.), Kirgisen (1,3 v. H.). Nach Erlangung der Unabhängigkeit war auch in Tadschikistan ein rückläufiger Trend der ethnischen Russen zu verzeichnen. ]
Stark vereinfacht lässt sich für die Zuspitzung der Lage in Tadschikistan feststellen, dass es sich bei der Opposition um Landesregionen und deren Bewohner handelt, die an der Macht im Staat und der materiellen Ressourcenzuteilung partizipieren wollen und den bislang etablierten Regionen deren alleinigen Zugriff auf Macht und Ressourcen streitig machen. So hat die kommunistische Bürokratie ihren regionalen Rückhalt vor allem im Norden um Chodschand (dem ehemaligen Leninabad) [Die mit Abstand wirtschaftlich wichtigste und infrastrukturell am weitesten entwickelte Region Tadschikistans mit wichtigen Industrieanlagen, in der in sowjetischer Zeit bis zu 70 v. H. des tadschikischen Nationalprodukts erwirtschaftet wurden.] sowie im Süden um Kurgan-tjube und Kuljab. Dagegen haben die Oppositionsgruppen ihren stärksten Rückhalt hauptsächlich in der Region Garm und in Berg-Badaschan, die östlich der Hauptstadt Duschanbe gelegen sind. Aber auch aus Teilen Kurgan-tjubes und auch aus Kuljab hat die Opposition stets partielle Unterstützung erhalten. [Vgl. zum Ethnogramm Tadschikistans vor allem Götz/Halbach, Politisches Lexikon GUS, S. 299-303 und 308ff und Ahmad Hasan Dani, New Light on Central Asia, Islamabad/Lahore 1993, insbesondere das Kapitel „Tajikistan Today", S. 117-124]

Neben dieser inter- als auch inner-ethnischen Fragmentierung Tadschikistans spielen auch die besonderen geographischen und klimatischen Voraussetzungen eine nicht unbedeutende Rolle für den staatlichen Zusammenhalt und die Stabilität des Landes: Tadschikistan wird nicht nur von mächtigen Bergketten durchzogen, die das Territorium in einzelne isolierte Täler zerstückeln, sondern unterliegt auch klimatischen Bedingungen, die zahlreiche Passstraßen nur wenige Monate im Jahr befahrbar machen und so den Norden und Osten des Landes vom südwestlichen Zentrum für den Rest des Jahres praktisch voneinander trennen. Somit stellen allein schon Geographie und Klima Hindernisse, zumindest aber enorme Herausforderungen für die territoriale und nationale Integration und die Entstehung eines regierbaren, von einer Zentralgewalt kontrollierten tadschikischen Staatsgebildes dar.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Tadschikistan sich schon kurz nach Erlangung seiner Unabhängigkeit als gescheiterter Staat zeigte, gleichsam ein Prozess der „völligen Afghanisierung Tadschikistans" [Vgl. So der tadschikische Herausgeber und Redakteur der Zeitung „Tschagori Rus" (Tageslicht), Dododschon Atowullojew. Zit. nach: Der Spiegel, Nr. 29/2001, S. 104] einsetzte, in dessen Verlauf das Land

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in rivalisierende Regionen und Lokalgemeinschaften zerfiel. [Vgl. Götz/Halbach, Politisches Lexikon GUS, S. 308] „Unglücklicherweise hatte Tadschikistan keine starke Führung, die in der Bevölkerung die notwendige Legitimität besaß." [Hasan Dani, New Light on Central Asia, S. 117] So setzte sich nach turbulenten Ereignissen zunächst Rachman Nabijew in der Staats- und Parteiführung durch, ein altgedienter KP-Funktionär, der schon von 1973 bis 1985 an der Spitze der Regierung stand, dann von Gorbatschow abgesetzt wurde und nun am 24. November 1991 in umstrittenen Wahlen die Präsidentschaft errang. Gegen den autoritären Kurs des aus der Chodschander Parteibürokratie stammenden Nabijew, der auch Unterstützung aus Kuljab erhielt, regte sich jedoch sofort Widerstand. Die Region Berg-Badaschan erklärte sich im April 1992 sogar zur Autonomen Republik und leitete damit eine Sezessionstendenz ein, der auch andere Landesteile folgten und die die territoriale Integrität des Landes in Frage stellten. [Vgl. ebd. S. 118 und Götz/Halbach, Politisches Lexikon GUS, S. 313. Die Nordregion um Chodschand, die von der alten Nomenklatura beherrscht wird, drohte mit Sezession und Anschluss an Usbekistan, falls die Regierung die Kooperation mit der Opposition nicht einstellte. Auch in Kuljab formierte sich Widerstand gegen das Zentrum.]
Versuche, die Opposition in die Regierung einzubinden scheiterten und schließlich wurde der am Ende machtlose Nabijew im September 1992 abgesetzt.

Allerdings konnte dies den aufgrund ethnischer und staatsanschaulicher Gegensätze sowie wegen Stammes- und Regionalkonflikten ausgebrochenen blutigen Bürgerkrieg nicht beenden. [Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de] Die wichtigsten Oppositionsgruppen, die sich in dem Bündnis UTO (Vereinigte Tadschikische Opposition) zusammengeschlossen haben, sind bis heute die Demokratische Partei (DPT), die Bewegung „Rastochez" (Wiedergeburt) und die Islamische Partei der Wiedergeburt, die das Oppositionslager dominiert. Doch handelt es sich weniger um ideologisch motivierte Bewegungen, als vielmehr um Vertreter bislang benachteiligter Landesteile, die unter solch unterschiedlichen „Etiketten" wie „Demokratie", „Islam" und „nationale Wiedergeburt" an der Macht beteiligt werden wollen. [Vgl. Götz/Halbach, Politisches Lexikon GUS, S. 307]

Fragile Stabilität

Als neues Staatsoberhaupt wurde Ende November 1992 Imomali Rachmonow vom Parlament (dem alten Obersten Sowjet) eingesetzt, der den Bürgerkrieg zwar offiziell für beendet erklärte, de facto schwelt dieser jedoch weiter. Mit Rachmonow als erstem Mann im Staate ist es mittlerweile zu einer personellen Kontinuität an der Staatsspitze gekommen, da er sowohl die Präsidentenwahlen 1994 als auch 1999 (in allerdings umstrittenen Wahlgängen) für sich entscheiden konnte. [Beide Wahlgänge waren von sehr starken Unregelmäßigkeiten begleitet worden. Im November 1994 erzielte Rachmonow rund 60 v. H. der Stimmen, 1999 erreichte er bereits das übliche zentralasiatische Maß von 96,99 v. H. Die erhöhte Stimmenzahl bzw. deren verbesserte Fingierung, ist ein Indiz dafür, dass Rachmonow seine Position gefestigt hat. Auffallend bei beiden Wahlen ist, dass die erste international nicht anerkannt, die zweite allerdings von der OSZE gebilligt wurde. Offensichtlich ist auch im Westen der Wunsch nach Stabilität in Tadschikistan größer, als nach demokratischen und freien Wahlen. Vgl. http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/ti.html]

Wie für die Präsidentenwahlen, so gilt auch für die Ausarbeitung der Verfassung, dass die Regierung diese unter Bedingungen durchsetzte, die eine Beteiligung aller Landesteile und politischen Kräfte verhinderte. Die am 06. November 1994 verabschiedete Verfassung ist denn auch auf den Präsidenten zugeschnitten dessen Amtszeit auf sieben Jahre verlängert wurde. Mit der Ernennung des Premierministers, der Regierung und der Provinzgouverneure, sowie der Mitglieder des Obersten Gerichtshofes, hat er großen Einfluss auf die Exekutive und die Judikative. Die Legislative besteht aus einem Zweikammer-Parlament (Majlisi Oli) [Vgl. ebd.], das überwiegend von der alten kommunistischen Elite beherrscht wird: die meisten Vertreter stammen von den Lokalverwaltungen, die vom Kuljaber Machtclan, dem der amtierende Präsident angehört, abhängig sind.

Das im Juni 1997 von Rachmanow und dem Führer der islamischen Fraktion der UTO, Said Abdulla Nuri, unterzeichnete Friedensabkommen hat bis heute nicht zu der erhofften Befriedung geführt, da einige Oppositionsgruppen nicht an der Aushandlung beteiligt waren und weiterhin auf Beteiligung an der Macht pochen. Die politische Szene des Landes ist bis heute von politischen Morden, immer wieder aufflackernden bewaffneten Auseinandersetzungen und allgemeiner Instabilität gekennzeichnet. [In 2001 wurden bereits drei hochrangige Regierungsvertreter getötet, zuletzt am 8. September 2001 der Kulturminister, Abdurachim Rachimow. Die anderen Opfer waren der Vize-Innenminister und ein Berater des Präsidenten. Vgl. Welt am Sonntag vom 09. Sept. 2001, S. 9]
So hat sich die Lage seit Frühsommer 2001 vor allem im Raum Duschanbe wieder verschlechtert. Unter

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diesen Bedingungen schneidet Tadschikistan in der Bewertung von Freedom House über die Lage der Bürgerrechte entsprechend negativ ab. [Vgl. http://www.freedomhouse.org/survey99/tables/indeptab.html Allein verwunderlich ist, dass die Lage in Tadschikistan positiver als in Turkmenistan oder Usbekistan bewertet wird.]
Meinungsfreiheit existiert nicht: seit 1992 wurden 62 Journalisten ermordet, die exilierten werden noch im Ausland vom Geheimdienst behelligt. [So der tadschikische Herausgeber und Redakteur Dododschon Atowullojew in: Der Spiegel, Nr. 29/2001, „62 Journalisten umgebracht", S. 104]
Auch amnesty international bestätigt ein hohes Maß an politisch motivierter Gewalt und berichtet von mindestens 38 Todesurteilen im Jahr 2000, von Gefangenenfolterungen sowie allgemeiner staatlicher Willkür und Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte. [Vgl.http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/ 875d5040dcf8be43c1256aa000463dab?OpenDocument]

Insgesamt reiht sich Tadschikistan mit seiner verfassungsrechtlichen Entwicklung und der repressiven Lage in eine Reihe mit den anderen zentralasiatischen Ländern ein. Es unterscheidet sich aber dadurch, dass es als einziges Land Zentralasiens in einen internen Konflikt abdriftete. Jedoch existiert nur in Tadschikistan eine politische Opposition, die dem regierenden Präsidenten gefährlich werden kann und auf die dieser Rücksicht nehmen muss. Auch die Parlamentswahlen vom 27.02.2000, die gemeinsam von UNO und OSZE beobachtet und die als bedeutsamer Schritt für den Friedens- und Demokratisierungsprozess gewertet wurden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Instabilität in Tadschikistan weiterhin (latent) vorhanden ist und die Zentralgewalt jederzeit wieder in Frage stellen kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001

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