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4. Kirgistan 2001: keine „demokratische Insel"


Die politische Entwicklung in Kirgistan entsprach den konstitutionellen Vorgaben noch am ehesten - zumindest vorläufig. Dieses Land wurde im Westen plakativ als „Insel der Demokratie" und als die „Schweiz Zentralasiens" dargestellt, doch in diese Wahrnehmung ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt, und für die letzten Jahre kann auch für Kirgistan klar ein allgemeiner Trend hin zu einem autoritären Präsidialsystem und einem politischen Illiberalismus festgestellt werden. [Vgl. Uwe Halbach, Zentralasien: eine Weltregion formiert sich neu, Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Juli 1997, S. 10 und http://www.ihf-hr.org/appeals/180701.htm]

Die zunächst egalitäre Verteilung der Macht zwischen den drei Gewalten in der Anfangsphase der Republik kann wohl auch daher erklärt werden, dass der am 27. Oktober 1990 vom Obersten Sowjet Kirgistans zum Präsidenten gewählte Askar Akaev ein Kompromisskandidat war: die Deputierten konnten sich nicht zwischen KP-Chef Massalijew und Ministerpräsident Dschumagulow einigen, so dass Akaev, damals Leiter der nationalen Akademie der Wissenschaften, zum Zuge kam.

Aber gerade weil Akaev keine machtvolle Stammesklientel vertrat und auch zunächst nicht auf eine interne Hausmacht zählen konnte, musste er dem von der alten Nomenklatura beherrschten Obersten Sowjet, später dem Parlament, Konzessionen in der Machtverteilung gewähren. Zwischen dem Präsidenten, der im Oktober 1991 bei direkten Wahlen mit 95 v. H. in seinem Amt bestätigt wurde [Allerdings war kein Gegenkandidat aufgestellt worden, ein Faktum, welches die demokratische Legitimität der neuen Präsidentschaft zumindest einschränkt.], und dem Parlament entbrannte ein erbitterter Machtkampf. Da Akaevs Politik auf Stärkung der Regierungsautorität und auf weitere politische wie wirtschaftliche Reformen zielte, durch die die traditionellen Privilegien der Nomenklatura in Frage gestellt worden wären, wurde die Verabschiedung wichtiger Gesetze vom Parlament derart verzögert, dass das Land zunehmend nur noch mit Präsidialdekreten regiert werden konnte. [Vgl. Götz/Halbach, Politisches Lexikon GUS, S. 217]

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt zeichnete sich die paradoxe Situation ab, dass eine politische und wirtschaftliche Transformation des Landes hin zu mehr Demokratie und Liberalismus offensichtlich nur mit autoritären Mitteln erfolgen konnte.

Die Verfassung von Mai 1993 sah ein ständig tagendes Einkammer-Parlament (Dschogorku Kenesh) und strikte Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative vor. Das ursprüngliche Einkammer-Parlament hatte eine Fülle von Kompetenzen und verdiente als einziges Legislativorgan der zentralasiatischen Länder seinen Namen: es besaß zunächst sowohl die gesetzgeberische Initiative, als auch das Budgetrecht, also eine der originärsten legislativen Kompetenzen. Zudem konnte es, wie anfänglich auch in Kasachstan, in bestimmten Fällen Gesetze ohne die Unterschrift des Präsidenten in Kraft setzen. [Vgl. John Anderson, Constitutional Development in Central Asia, in: Central Asian Survey, 16 (1997) 3, S. 306f]

Angesichts dieser parlamentarischen Kompetenzen war das Amt des Präsidenten von Kirgistan zunächst zwar nicht mit demjenigen von Usbekistan, Kasachstan oder gar Turkmenistan zu vergleichen. Doch hat die Verfassung dem Präsidenten auch eine Reihe von Kompetenzen eingeräumt, wie etwa das Vorschlags- oder Besetzungsrecht für alle entscheidenden Ämter (Ernennung der Provinzgouverneure und der „Akime", in etwa vergleichbar mit einem deutschen Landrat) und in bestimmten Fällen auch die Gesetzesinitiative. Zudem gewährt die Verfassung dem Staatsoberhaupt ein Notverordnungsrecht, d. h. dass er in bestimmten Fällen am Parlament vorbei per Dekret regieren kann.

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Gewichtsverlagerung zur Exekutive

Genau von diesem Recht sollte Akaev bald schon Gebrauch machen: die Auseinandersetzungen mit dem sich seiner Reformpolitik verweigernden Parlament dauerten auch nach der Verabschiedung der Verfassung an und kulminierten schließlich im Herbst 1994, als Akaev die aus seiner Sicht besonders präsidentenkritische Parlamentszeitung verbieten ließ. Zudem initiierte er mit Hilfe ihm ergebener Abgeordneter die Selbstauflösung des Parlaments (02. September 1994). Da auch die Regierung (unter Ministerpräsident Dschumagulow) geschlossen zurücktrat, regierte Akaev in der Folgezeit uneingeschränkt per Ukas.

Anschließend konzipierte er eine Neuordnung der Legislative, die er sich Ende Oktober 1994 per Referendum bestätigen ließ. Zukünftig sollte das Parlament aus zwei Kammern bestehen: einer 70-köpfigen, nur gelegentlich zusammentretenden Volkskammer und einer 35-köpfigen, ständig tagenden Gesetzgebenden Kammer. [http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/kg.html]
Da aber auch ins neue Parlament viele Angehörige der renitenten Nomenklatura gewählt wurden, setzten sich die Schwierigkeiten für Akaev fort. Schließlich setzte er erneut das von ihm bevorzugte Mittel des Referendums ein, um seine Position zu stärken und seinen Willen gegenüber dem neuen Parlament durchzusetzen. Durch Volksentscheid am 10. Februar 1996 wurden seine Kompetenzen erheblich ausgeweitet. Seitdem bestimmt der kirgisische Präsident wie seine Amtskollegen in den anderen zentralasiatischen Ländern die Richtlinien in der Innen- und Außenpolitik. [Schon während der Phase der Auseinandersetzungen mit dem Einkammer-Parlament hatte Akaev sich im Januar 1994 durch ein Referendum seine Politik vom Volk bestätigen lassen: damals stimmten 96,2 v. H. für seine Reformvorhaben und sprachen ihm so das Vertrauen aus, eine Entscheidung, die Akaevs Position gegenüber dem Parlament erheblich stärkte. Zuletzt hat Akaev am 17. Oktober 1999 seine Politik und eine erneut mit dem Parlament umstrittene Verfassungsänderung über die Privatisierung von Agrarland per Volksabstimmung bestätigen lassen: bei einer Stimmbeteiligung von 96 v. H. sprachen sich 90 v. H. zu Gunsten des Präsidenten aus. Vgl. Fischer-Weltalmanach 2000, S. 444 ]
Dadurch hat sich das Zentrum politischer Gewalt eindeutig in Richtung Präsidialexekutive verschoben.

Dennoch wäre es übereilt von einer Autokratie Akaevs zu sprechen. Kirgistans politisches System kann wohl eher, mit Blick auf Akaevs Neigung zu Referenden, bei denen er die Stimmungslagen der Bevölkerung bislang stets richtig eingeschätzt hat, als „populistische Präsidialdemokratie" bezeichnet werden. Verglichen mit der parlamentarischen Demokratie der Anfangsphase hat Kirgistan zwar einen demokratischen Rückschritt gemacht, doch muss diese Entwicklung auch immer in der besonderen Situation betrachtet und bewertet werden (Widerstand des reformfeindlichen Parlaments gegen die Transformationsbemühungen des Präsidenten). Auch hat Akaev 1995 der Versuchung widerstanden, seine Amtszeit wie seine Amtskollegen per Referendum zu verlängern und hat sich stattdessen sowohl 1995 als auch zuletzt im Oktober 2000 Neuwahlen gestellt. Allerdings wurden beide Wahlen von der OSZE, die Beobachtermissionen entsandt hatte, als nicht konform mit ihren Kriterien kritisiert.

Menschenrechte unter Druck

Bezüglich der Bürger- und Menschenrechte sowie dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Bestandteil der Verfassung sind, nahm Kirgistan von allen zentralasiatischen Ländern noch 1999 eine besondere Rolle ein: allein hier schätzte Freedom House die Situation bezüglich der Grundrechte noch als „teilweise frei" ein. [Vgl.http://www.freedomhouse.org/survey99/tables/indeptab.html]
Seitdem hat es allerdings eine stete Verschlechterung gegeben: so sahen sich auch die unabhängigen Medien im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2000 zunehmendem Druck durch die Behörden ausgesetzt, ebenso Menschenrechtsgruppen. [Vgl. den Länderbericht „Kirgisistan" von amnesty international im Jahresbericht 2001 in: http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/ 39b11140529c9b7cc1256aa000463d75?OpenDocument]
Und die Helsinki-Föderation beklagt in ihrem Bericht 2001, dass die Menschenrechtslage sich deutlich verschlechtert hat und z. B. die Medien immer stärker gegängelt und zensiert werden. [Vgl. http://www.ihf-hr.org/appeals/180701.htm]

Zwar gilt noch, dass Kirgistan das pluralistischste zentralasiatische Land ist und über eine aktive und relativ starke Zivilgesellschaft verfügt: so soll es 1997 über 1000 gesellschaftliche Organisationen gegeben haben, Ende 1999 waren 25 politische Parteien regist-

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riert. [Vgl. Eschment, Autoritäre Präsidialregime, S. 26] Seitdem der Staat jedoch die Daumenschrauben angezogen hat, ist der Spielraum für diese Organisationen jedoch kleiner geworden und politische Aktivitäten ohne Registrierung werden nunmehr weit weniger großzügig behandelt. Die vormalige Gelassenheit ist einer Nervosität gewichen, seitdem muslimische Rebellen im August 1999 im Süden des Landes fünf Dörfer besetzt hatten und nur nach schweren Gefechten mit Regierungstruppen vertrieben werden konnten. [Vgl. Fischer-Weltalmanach 2000, S. 444 ] Damit ist auch in Kirgistan das „Gespenst vom islamischen Fundamentalismus" präsent geworden. Ein Teil der Grundrechte wurde im Süden des Landes durch die Verhängung des Ausnahmezustandes außer Kraft gesetzt, staatliche Willkür und Übergriffe sowie Festnahmen von angeblichen Anhängern verbotener islamistischer Oppositionsparteien haben zugenommen. [Vgl. Länderbericht Kirgisistan 2001 von amnesty international, a. a. O.]
Stabilität ist auch in Kirgistan oberste Staatsmaxime und hat eindeutig Priorität vor Demokratie und politischem Liberalismus.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001

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