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[Seite der Druckausg.:19]



Zusammenfassung und Ausblick


In den zentralasiatischen Staaten ist es seit der Unabhängigkeit zu einer „Entdemokratisierung" und „Autokratisierung" der politischen Herrschaftssysteme gekommen. Dies hat zu einer Nivellierung der Regime geführt, sodass anfängliche Unterschiede zwischen einem als relativ liberal eingestuften Kirgistan und dem jeher autokratischen Turkmenistan kaum noch auszumachen sind.

Entscheidende Akteure in allen Staaten sind die Präsidenten sowie die alte Nomenklatura aus sowjetischer Zeit. Zu einem echten Bruch, einem Neuanfang, ist es in keinem der Staaten gekommen, vielmehr ist eine Kontinuität der alten Machtstrukturen festzustellen. Nur in Tadschikistan hat es bislang einen Wechsel an der Staatsspitze gegeben, doch ist auch der seit 1992 regierende Imomali Rachmonow ein Kind der alten kommunistischen Nomenklatura.

Allein in dem durch den Bürgerkrieg geschwächten Tadschikistan gibt es eine Opposition, die dem Regime gefährlich werden könnte. In den anderen Staaten Zentralasiens ist die Opposition der staatlichen Kontrolle und Repression bislang komplett unterlegen.

Die Menschen- und Bürgerrechte werden mit Füßen getreten, ein offener kritischer Dialog innerhalb der Gesellschaft ist unbekannt und unerwünscht.. Zentralasien erhält regelmäßig schlechteste Noten von bekannten Menschenrechtsorganisationen. Die alleinige innenpolitische Priorität besteht in der Wahrung der Sicherheit und Stabilität und somit in der Sicherung der Herrschaft der amtierenden Präsidenten und deren Gefolge. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Anzeichen dafür, dass diese Stabilität nur trügerisch ist und bald vorbei sein könnte: durch die Gängelung und den autoritären Kurs der Regime in den Untergrund gedrängt und radikalisiert, tritt in Kirgistan und Usbekistan zunehmend eine islamische Untergrundbewegung gewaltsam in Erscheinung. So hat es insbesondere im Sommer 2000 wiederholte bewaffnete Zusammenstöße zwischen usbekischen und kirgisischen Regierungstruppen und der IMU gegeben. [Vgl. International Crisis Group: Central Asia Briefing, Recent Violence in Central Asia: Causes and Consequences, Central Asia/Brussels 18.10.2000, S. 3ff]
Noch hat diese Bewegung zwar keine Massenbasis, jedoch wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und damit der Nährboden für radikale politische Opponenten und die Suche nach neuen „Heilsbringern".

Gerade die potentielle oder sogar tatsächlich vorhandene Gefahr durch den islamischen Fundamentalismus und ethnische Konflikte begreifen die Machthaber jedoch nicht als Notwendigkeit zur politischen Reform, sondern als Beweis für die Schreckensszenarien, vor denen sie warnen und als weitere Rechtfertigung für ihren autoritären Kurs. Dies macht die Hoffnung auf einen Demokratisierungsprozess in den zentralasiatischen Ländern auch langfristig unrealistisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die politische Realität der Länder ihren Verfassungen, die westlich-demokratischen Standards durchaus entsprechen, wieder annähert, ist somit ziemlich gering.

Stärkeres Engagement und Druck des Westens notwendig

Seit den Terroranschlägen des 11. September in den USA ist zwar ein verstärktes Interesse des Westens für die zentralasiatischen Länder, insbesondere für die Nachbarstaaten Afghanistans (Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan) festzustellen. Alleiniges Anliegen des Westens scheint jedoch die Einbindung der zentralasiatischen Länder in die globale Anti-Terror-Allianz sowie die Aufrechterhaltung der Stabilität in der Subregion,

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d. h. die Stützung der aktuellen Regime zu sein. Diese eindimensionale Strategie des Westens ist jedoch wenig geeignet, um langfristig auch demokratische Veränderungen zu bewirken, denn bislang stehen die angekündigten Maßnahmen wie Schuldenerlasse sowie Wirtschafts- und Militärhilfe noch ohne politische Komponente. Allem Anschein nach scheint gar die Haltung des Westens aus der Zeit der Unabhängigkeit wieder hervorzutreten, nach der Stabilität in Zentralasien auch unter Inkaufnahme demokratischer Defizite akzeptiert wird.

Wie verständlich der Kampf gegen die islamistischen Rebellen und den Terrorismus im allgemeinen insbesondere nach dem 11. September auch sein mag, so darf er nicht dazu ausgenutzt werden, die demokratische Idee in der Region vollends auszuhöhlen. Militärische Antworten auf die terroristische Herausforderung und die wachsende Unzufriedenheit in den zentralasiatischen Ländern dürfen die Notwendigkeit eines breiteren Ansatzes, der wirtschaftliche und politische Reformen einschließt, nicht überschatten. Es ist Aufgabe und Pflicht des Westens, die Regierungen der zentralasiatischen Länder daran zu erinnern, notfalls mit sanftem Druck.

Dabei wäre die vor kurzem von deutscher Seite verlautete Idee eines „Stabilitätspaktes für Zentralasien" ein erster Schritt in die richtige Richtung, wenn dieser analog zum Stabilitätspakt für Südosteuropa nicht nur wirtschaftliche und finanzielle, sondern auch politische Inhalte besäße. Diese Idee wurde vom BMZ verlautet, jedoch entbehrt dieser „Plan" noch einer konkreten Ausgestaltung und steht (noch) ohne internationale Unterstützung. [Vgl. die Rede der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul anläßlich des 40-jährigen Bestehens des BMZ in Bonn am 07.11.2001 unter http://www.bmz.de und den Bericht v. 30.10.2001 in der Welt online bei http://www.welt.de/daten/2001/10/30/1030au292274.htx]

Angesichts der politischen Realität in den zentralasiatischen Ländern sowie der potentiellen Konfliktszenarien ist er es wert, weiterverfolgt zu werden. Denn sollte das gewaltige Konfliktpotential, welches in Zentralasien schlummert und die Region zum globalen Pulverfass macht, eines Tages ausbrechen, dann dürfte vor allem der Westen die Konsequenzen spüren (Zukunft der Erdöl- und Gaslieferungen, Migrationswellen, politischer und religiöser Radikalismus). Eine breitere Wahrnehmung der Region, die nicht nur auf wirtschaftlichen und militär-strategischen Aspekten begrenzt bleibt, und letztendlich Druck auf die Regime zugunsten politischer Reformen und einer Demokratisierung sind erforderlich und wären Bestandteil einer notwendigen Konfliktprävention für die zentralasiatische Subregion. Der internationale Kampf gegen den Terrorismus kann mithin nicht mit ein paar Bomben gewonnen werden, sondern muss auch eine politische Komponente enthalten, die Demokratisierung und Liberalisierung einfordert - auch in Zentralasien.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001

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