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Die Reform des Internationalen Währungsfonds / [Alfred Pfaller]. - [Electronic ed.]. - Bonn, [2000. - 2] Bl. = 22 Kb, Text . - (Politikinfo / Analyseeinheit Internationale Politik)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




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Ineffektiv, entwicklungsfeindlich, undemokratisch:
Der Währungsfonds im Kreuzfeuer der Kritik


Die Finanzkrisen von 1997/98 haben offenkundig gemacht, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) weit davon entfernt ist, ein Garant für die Stabilität des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems zu sein. Viele Ökonomen teilen die Einschätzung, der Fonds habe mit seiner fehlgeleiteten Politik die Asienkrise unnötig verschärft. Manche werfen ihm sogar vor, er habe mit seinen Politikempfehlungen zur Entstehung der Krise beigetragen.

Die Debatte, wie das Internationale Finanzsystem zu stabilisieren sei und welche Rolle dem Währungsfonds dabei zufalle, ist nun durch eine engere, IWF-zentrierte Debatte überlagert worden. Die Parameter dieser Debatte werden seit März 2000 durch den Bericht der vom US-Kongress eingesetzten „Meltzer-Kommis-sion" vorgegeben. IWF-Reform ist plötzlich „in". Gefordert wird sie indes seit langem, wenn auch von ganz anderer Seite und mit anderer Stoßrichtung.

Seit Jahrzehnten wird dem Fonds vorgeworfen, seine Politik treibe Entwicklungsländer in die Armut. Länder in Zahlungsschwierigkeiten würden die dringend benötigten IWF-Kredite nur bekommen, wenn sie ein wirtschaftspolitisches „Sanierungsprogramm" durchführten, das in Wirklichkeit die Mehrung von Wohlstand behindere und seine Verteilung drastisch verschlechtere.

Die Erklärung für das kritisierte Verhalten des Fonds wird zunächst darin gesehen, dass er falschen ökonomischen Vorstellungen verhaftet sei. Diese „ideologische Befangenheit" wird von einigen darauf zurückgeführt, dass der Fonds letzten Endes den ordnungspolitischen Präferenzen „des Kapitals" und seines mächtigen Anwaltes, der US-Regierung, verpflichtet sei. Andere stellen eher die Selbstherrlichkeit der IWF-Technokraten, die sich einer politischen Kontrolle weitgehend entzögen, in den Vordergrund.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Dem IWF fehlt es seit 1971 an einer klar definierten, international abgesegneten, Aufgabenstellung. Damals wur-de ihm mit dem Zusammenbruch des Fixkurssystems von Bretton Woods seine ursprüngliche raison d’être entzogen. Aus der objektiven Orientierungslosigkeit erwuchs eine Tendenz zur planlosen, kontingenzgesteuerten Übernahme aller möglichen Aufgaben in Verbindung mit internationalen Zahlungsproblemen.

Bei den diversen neuen und alten Forderungen nach einer Reform des IWF lassen sich insgesamt drei zentrale Ziel-Variable unterscheiden. Sie betreffen

  • das Vorgehen des IWF gegenüber Entwicklungsländern (Entwicklungsfokus);
  • die Rolle des Fonds bei der Stabilisierung des Weltfinanzsystems (Systemfokus);
  • die Kontrolle über den IWF (Machtfokus).

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Wenn Entwicklungsländer zahlungsunfähig sind

Der Internationale Währungsfond bietet Ländern Kredite an, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können (seit einem Vierteljahrhundert nur noch Entwicklungs- und sogenannte Transformationsländer). Der Fonds tritt aber auch schon auf den Plan, wenn sich die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit abzeichnet. Oft fließen private Kredite erst dann, wenn der IWF der Wirtschaftspolitik des Landes sein „Gütesiegel" aufgedrückt hat.

Als Kreditgeber „of last resort" knüpft der Fonds sein Darlehen an die Bedingung, dass der Schuldner über kurz oder lang wieder zahlungsfähig wird und nachvollziehbar alles tut, um dahin zu gelangen. Hinsichtlich des besten Weges zur Wiedergewinnung von Zahlungsfähigkeit wird sich letztlich die Meinung des Kreditgebers durchsetzen. Dass dies zu Konflikten führt, ist der Konstellation gleichsam immanent.

Die Probleme zwischen IWF und seinen Entwicklungsländer-Schuldnern verkomplizierten sich jedoch in dem Maße, wie sich herausstellte, dass es meist keinen schnellen Weg zurück zur internationalen Solvenz gibt. Der Fonds ließ sich immer mehr dazu verleiten, den langen Weg zur „strukturellen" Sanierung der Volkswirtschaft zu überwachen - mit immer umfassenderen und langfristiger ausgelegten Bedingungen für die Kreditvergabe. Das Diktum ist nicht ganz verkehrt, dass der IWF zur heimlichen Regierung in einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten (aber auch anderswo) geworden sei. Die wirtschaftlichen Konsequenzen solcher „Regie-rungsübernahme" sind im günstigsten Fall äußerst umstritten und aus der Sicht vieler ein Zeugnis geradezu monströser Inkompetenz.

Drei alternative politische Schlußfolgerungen werden gezogen:

Position 1: Der IWF soll künftig die Finger von der Entwicklungspolitik lassen. Dies fordert sowohl die radikale Linke als auch nun die Meltzer-Kommission.

Position 2: Der IWF soll nicht aus der entwicklungspolitischen Verantwortung entlassen werden. Seine makroökonomische Einflußnahme soll sich aber am Primat der wirtschaftlichen Entwicklung und der Armutsminderung ausrichten. So wollen es internationale NGOs wie Oxfam und WEED sowie ihre rot-grünen Sympathisanten.

Position 3: Der IWF soll seine Politik zwar permanent verbessern, aber an seiner Grundstrategie führt kein Weg vorbei. Diese Haltung dürfte vorerst die politisch dominierende in den Industrieländern sein.

Position 1 muß die Frage beantworten, wie die Welt mit der strukturell bedingten Zahlungsunfähigkeit von Ländern umgehen soll. Bedingungslose IWF-Kredite in jedem Fall kann nicht die Antwort sein. Das Problem der Weltbank zuschieben, wie es u.a. die Meltzer-Kommission befürwortet, heißt nicht, das Problem lösen, sondern nur die Zuständigkeit verlagern. Die Weltbank kann dann dreierlei tun:

  • eine Lösung im Sinne der Positionen zwei oder drei anstreben,
  • so verfahren wie der IWF bisher, dann möglicherweise auf Kosten der übrigen Weltbankprogramme,
  • sich ebenfalls verweigern.

Letzteres läuft auf die eigentliche, aber oft nicht klar herausgestellte Konsequenz der Position 1 hinaus: Zahlungsunfähigkeit von Ländern gegebenenfalls nicht überwinden, sondern akzeptieren! Es ist dann Sache der einzelnen Gläubiger, mit dem Schuldnerland das weitere Vorgehen auszuhandeln. Damit verbindet sich die Perspektive, dass die Gläubiger gehörig Federn lassen müssen und in Zukunft risikobewußter werden. Krisen - so die Hoffnung - werden dadurch unwahrscheinlicher.

Was aber geschieht mit dem Schuldnerland? Werden es die Gläubiger überall auf der Welt pfänden, so dass es doch wieder händeringend nach einem Kreditgeber „of last resort" sucht? Wird es von den Gläubigerländern politisch unter Druck gesetzt, seine Zahlungsfähigkeit wiederzuerlangen (gleichsam eine hemdsärmelige Variante des IWF-Vorgehens)? Oder wird ein internationales Insolvenzverfahren etabliert, dass die Schuldner nach festgesetzten Regeln vor ihren Gläubigern schützt? Letzteres wäre in der Tat ein zentraler Bestandteil einer Lösung im Sinne von Position 2. Die Meltzer-Kommission bleibt in diesem Punkt unklar. Sie fordert, der IWF solle kurzfristige teuere Überbrückungskredite für Länder bereit halten, die einige wenige Grundbedingungen erfüllen, dabei eine so weitreichende wie die Öffnung ihrer Kapitalmärkte. Ansonsten sollten aber keine Politikauflagen gemacht werden. Doch was geschieht mit den Ländern, die unter solch restriktiver Regelung zahlungsunfähig bleiben? Droht ihnen eine internationale „Strafverfolgung" ?

Position 2 erkennt die Problemkonstellation an, die den IWF in der Vergangenheit auf den Plan gerufen hat. Sie sieht keinen Vorteil darin, den Fonds von der Lösung zu entbinden. Letztlich müßte dann eine neue IWF-ähnliche Institution geschaffen werden. Position 2 erkennt auch an, dass Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt werden muss und dass dies ohne Strukturanpassung nicht geht (wenngleich hier auch die Industrieländer gefordert sind). Sie fordert aber eine radikale Umkehr der Prioritäten. Während bisherige IWF-Programme Wohlstandsvernichtung und soziale Katastrophen inkaufnahmen, um Länder finanziell zu stabilisieren („bittere, aber unvermeidliche Medizin"), würden Reformen im Sinne von Position 2 die makroökonomischen Weichen anders, entwicklungsfreundlicher, stellen. Schwerwiegende Wachstumseinbußen wären mit allen Mitteln zu vermeiden, Einschnitte bei wichtigen Sozialleistungen wären unakzeptabel. Dies verlangt großzügigere Kredite, längere Laufzeiten und eine andere Verteilung der Anpassungslasten (Schuldenerlass!). Es erfordert aber auch Einwirkung auf die Entwicklungsländer, entsprechende Pri-oritäten-Verschiebungen in ihren öffentlichen Haushalten und ihren wirtschaftspolitischen Weichenstellungen vorzunehmen. Von einer stabilisierungsorientierten also zu einer armutszentrierten Konditionalität? Die Nord-Süd-NGOs setzen eher auf Konsens. Werden ihn die Eliten in den Entwicklungsländern mittragen?

Position 3, die natürlich konservativere und reformfreudigere Varianten umfasst, setzt auf institutionelles Lernen. Vergangene Fehler gelte es zu bedenken, neue Einsichten aufzugreifen, z.B. hinsichtlich der institutionellen Einbettung von Marktprozessen. Aber ein Grund zur radikalen Richtungsänderung bestünde nicht. Das Problem der strukturell bedingten Zahlungsunfähigkeit sei nicht einfach zu ignorieren, wie es die Tendenz der Position 1 sei. Doch anders, als es Position 2 unterstelle, führe an einer bitteren Medizin oft kein Weg vorbei. So erfolglos, wie es die Kritiker beider Positionen behaupten, seien die IWF-Programme keineswegs gewesen. Und trotz allem habe sich der Fonds auch als lernbereit erwiesen.

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Der IWF und die neue internationale Finanzarchitektur

Auch was die Rolle des IWF für die Stabilisierung des internationalen Finanzsystems betrifft, lassen sich drei grundsätzliche Reformpositionen unterscheiden:

Position 1: Der Fonds soll nicht mehr, wie bisher, mit gewaltigen Stützungskrediten eingreifen, wenn es zu einer plötzlichen Kapitalflucht aus den Aktiva eines Landes kommt, im Gefolge seine Währung an Wert verliert und seine Schuldner zahlungsunfähig werden. Die Perspektive, dass der IWF im Notfall nicht eingreift, wirkt disziplinierend auf Investoren und Kreditgeber und dämmt krisenfördernde Spekulation ein. Kommt es zur Krise, müssen die internationalen Gläubiger die anfallenden Verluste tragen. Diese Position wird von marktradikalen Ökonomen vertreten. Die Meltzer-Kommission steht ihr nahe.

Position 2: Der IWF soll ein voll einsatzfähiger „lender of last resort" werden, um im Krisenfall die Wohlfahrtsverluste so gering wie möglich zu halten. Zu diesem Zweck muß der IWF über weit mehr Liquidität verfügen als bisher. Andererseits müssen die internationalen Finanzgeschäfte strikteren Regeln und einer entsprechenden Aufsicht unterworfen werden, sonst wäre dem Mißbrauch der „lender-of-last-resort"-Funktion Tür und Tor geöffnet. Klare Vorkehrungen zur Verlustbeteiligung privater Gläubiger im Krisenfall sollten Teil des neuen Regelwerkes sein. Evtl. ist auch an eine weltweit koordinierte Stabilisierung der Wechselkurse zu denken. Dies ist die Position mehrerer Wirtschaftsprofessoren, aber auch eines großen Teils der NGO-Bewegung für die Demokratisierung des Weltfinanzsystems.

Position 3: Der IWF soll, wie bisher, im Krisenfall mit Stützkrediten intervenieren Bei Gefahr für das Weltfinanzsystem werden sich derartige Rettungsaktionen gar nicht vermeiden lassen. Stützkredite sollten auch weiterhin an Verhaltensauflagen für das Schuldnerland binden. Über deren Inhalt kann man indes diskutieren - in Ostasien 1997/98 lief hier sicher einiges verkehrt. Gleichzeitig müssen aber Rahmenbedingungen geschaffen werden, die das Eintreten von Krisen unwahrscheinlicher machen. Die Eckpunkte entsprechender Reformen sind:

  • bessere und schnellere Information über die Entwicklung von Verschuldungssituationen
  • verstärkte Krisenfestigkeit von Finanzinstitutionen (z.B. durch angemessene Eigenkapitalquoten) und effektivere Aufsicht
  • erhöhte Beteiligung der Privatgläubiger an krisenbedingten Verlusten.

Dies ist die „main-stream"-Position, die derzeit die offiziellen Bemühungen um eine Festigung des Weltfinanzsystems orientiert.

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Die Machtverteilung im IWF

Das Mißbehagen an mangelnder demokratischer Kontrolle über den IWF entspringt zwei grundverschiedenen Interessenlagen. Entsprechend mündet es in diametral entgegengesetzte Forderungen.

Dem US-Kongress, der die Meltzer-Kommission ins Leben gerufen hat, geht es (a) um die Kontrolle über die eigene Regierung, die den Fonds - so wird es gesehen - als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzt, und (b) um die Beschränkung des Handlungsspielraums der niemandem Rechenschaft schuldenden IWF-Technokraten. Vielen US-Abgeordneten ist es grundsätzlich suspekt, wenn Regierungshandeln in multilaterale „Sachzwänge" eingebunden und so der Kontrolle durch die Volksvertreter entzogen wird. Internationale Organisationen sind dieser Denkrichtung die latente Ausgeburt weltweiten demokratiewidrigen Exekutivhandelns. Diese Kritik an einer im Wesen undemokratischen „Global Governance" geht natürlich nahtlos über in die Präferenz für einen Unilateralismus, wie sie ihn sich nur die "G-1" leisten kann. Der Grundverdacht der Verschwendung von Steuergeldern zur Rettung inkompetenter und im Zweifelsfall undemokratischer Regierungen sowie auf eigenes Risiko handelnder Privatgläubiger fließt ebenfalls in diese Haltung ein. Die politische Forderung ist klar: den Aufgabenbereich des IWF und seine Verfügungsgewalt über Ressourcen so eng wie möglich halten, den Ermessensspielraum seiner Funktionäre drastisch beschneiden.

Die „linke" Kritik am IWF hat eine andere Frontstellung im Auge: US-Außenpolitik in Allianz mit US-Großkapital auf der einen Seite, die Opfer dieser Allianz, insbesondere die Armen in den Entwicklungsländern, auf der anderen. Dieser Kritik geht es darum, den US-Einfluss auf den Fonds einzudämmen. Entsprechend fordert sie

  • mehr Stimmrechte für die Entwicklungsländer in den Entscheidungsgremien des IWF;
  • mehr Einfluss der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Entwicklungsländer auf die konkrete Politik des Fonds;
  • in jedem Fall aber eine Beendigung der in den jetzigen Quotenverteilung begründeten US-Vetomacht.

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Drei Reformpakete

Die einzelnen Positionen im Entwicklungs-, im System- und im Machtfokus verbinden sich zu drei alternativen - idealtypisch stilisierten - Reformpaketen.

1. Marktradikaler Minimalismus: IWF-Rückzug aus der Entwicklungspolitik, keine IWF-Rettungsaktionen bei Finanzkrisen mehr. Die nicht thematisierte Folge: offenes Feld für ad-hoc-Aktionen der USA bzw. der G-3 oder G-7.

2. Demokratische „Global Go-vernance": Weitreichende Funktionen für den IWF in der Steuerung der globalen Finanzen, aber Ausrichtung an entwicklungspolitischen Prioritäten (Wachstumsprimat, Ar-mutsbekämpfung) und umfassende Regulierung der internationalen Finanzmärkte; deutliche Umverteilung der Stimmrechte innerhalb des Fonds, Beteiligung von NGOs. Eine extreme Variante plädiert für völlig neue Strukturen der Global Governance.

3. Stabilisierungsorientierter Gradualismus: Flexiblere IWF-Kreditkonditionen, stärkere Berücksichtigung sozialer Ziele; weiterhin IWF-Rettungsaktionen bei Finanzkri-sen, aber im Rahmen einer gestärkten Weltfinanzarchitektur und mit im Einzelfall angemesseneren Krisenbekämpfungsstrategien; graduelle Umverteilung der Stimmrechte im IWF, aber Beibehaltung der G-7-Vorherrschaft.

Auch wer das zweite Reformpaket präferiert, muss das dritte Paket als den einzigen politisch gangbaren Weg dorthin anerkennen. Wichtig wäre dann, innerhalb der (einstwei-ligen) Grenzen ein Maximum an Reformen in Richtung „Glo-bal Governance" durchzusetzen. Gleichzeitig könnten regionale Währungsarrangements die Krisenanfälligkeit der Weltfinanzen und die „Angriffsfläche" für IWF-Interventionen reduzieren.

Alfred Pfaller

Friedrich-Ebert-Stiftung, 5310 Bonn, fax: 0228 / 883 625, e-mail: PfallerA@fes.de


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