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Kapitalverkehrskontrollen gegen Finanzkrisen? / [Alfred Pfaller]. - [Electronic ed.]. - Bonn, [2000. - 2] S. : graph. Darst. = 15 Kb, Text & Image files . - (Politikinfo / Analyseeinheit Internationale Politik)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




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Finanzmärkte funktionieren anders als Gütermärkte

Finanzmärkte können nicht primär als ein Mechanismus verstanden werden, der Ersparnisse in produktive Investitionsvorhaben lenkt. Sie werden weitgehend von der Logik der Märkte für Vermögenstitel (assets) beherrscht. Die Entscheidungen der Käufer und Verkäufer auf Finanzmärkten werden nicht in erster Linie von Information über Produktionskosten und Absatzperspektiven auf Güter- und Dienstleistungsmärkten bestimmt, sondern von Erwartungen hinsichtlich des Kaufs- und Verkaufsverhaltens anderer Finanzmarktteilnehmer. Dadurch entsteht leicht eine zyklische Dynamik von Preisinflationierung (Bildung von „Blasen") und Deflationierung.

Von 1980 bis 1998
  • verdoppelte sich in etwa der Marktwert des weltweiten Sozialprodukts (Dollarpreise) (1)
  • verachtfachte sich in etwa der Marktwert des weltweiten Aktienbestandes (2)
  • verhundertfachte sich in etwa der Umsatz auf den Aktienmärkten (3)

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Vorgänge auf den Finanzmärkten können den Wohlstand einer Nation gefährden



Was auf den asset-Märkten geschieht, ist von großer Bedeutung für die Erzeugung bzw. Vernichtung von Wohlstand. Boom-Phasen können das Wirtschaftswachstum beflügeln, wie es für die nunmehr sieben Jahre andauernde Hochkonjunktur in den USA weithin unterstellt wird. Phasen des starken Preisverfalls hingegen können Kettenreaktionen von Zahlungsunfähigkeit, Rückgang wirtschaftlicher Aktivität und Vernichtung von Realkapital im Zuge von Firmenpleiten auslösen. Diese Gefahr ist besonders groß, wenn es zu einer massiven Abwertung der Landeswährung kommt, weil Finanzkapital panikartig aus dem Land strömt. Länder mit eigener Währung haben ein fundamentales Interesse daran, sich hiergegen zu schützen.

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Stopp von Kapitalabflüssen als Notbremse

Wenn - aus welchen Gründen immer - eine Verkaufspanik ausbricht und das Finanzkapital plötzlich in großen Mengen aus dem Land strebt, kann ein „Schließen der Tore", d.h. ein ad hoc erlassenes Kapitalausfuhrverbot, vielleicht den Kursverfall der heimischen Währung aufhalten und seine desaströsen Folgen verhindern. So könnte Zeit für Maßnahmen gewonnen werden, die das Vertrauen „der Märkte" wiederherstellen. Die Frage, ob offene Kapitalmärkte generell effizienter sind (weil sie ja das Kapital dorthin leiten, wo es den größten Nutzen stiftet), bekommt dann zeitweise nachgeordnete Priorität, ähnlich wie bei einer schweren Krankheit Medizin ange-

sagt sein kann, die man aufgrund ihrer Nebenwirkungen ansonsten besser meidet. Die Medizin „Kapitalausfuhrverbot" konkurriert hier mit anderen Medizinverschreibungen, deren Nebenwirkungen ganz unmittelbar äußerst gravierend sind (geldpolitische Maßnahmen mit starker Kontraktionswirkung auf die Wirtschafts-

aktivität). Es geht hier um trade-offs - um das kleinere Übel. Wird die Beschränkung von Kapitalausfuhr als Notbremse akzeptiert, kommt es freilich auch darauf an, sie rechtzeitig auszulösen. Malaysia, das in der Asienkrise mit seinem Kapitalausfuhrverbot Aufsehen erregte, war hier eher zu spät dran.

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Kapitalverkehrskontrollen als Vorsorge

Wie in der Frage von Krankheit und Gesundheit ist angemessene Vorsorge gegen eine Finanzkrise besser als Krisenbekämpfung. Hier geht es zunächst darum, das nationale Finanzsystem durch eine vernünftige Regulierung des Verhaltens von Kreditnehmern und -gebern (Bankenaufsicht etc.) weniger krisenanfällig zu machen. Bevor die entsprechende institutionelle Infrastruktur steht, sollte der grenzüberschreitende Kapitalverkehr nicht völlig freigegeben werden. Dies ist heute - da hat man aus den Krisen der letzten Jahre gelernt - allgemein akzeptiert. Für die Stabilisierung der Kapitalflüsse ist außerdem eine angemessene Wirtschaftspolitik wichtig. Besondere Bedeutung kommt dabei der Währungspolitik zu.

Indes, auch hier kommen Kapitalverkehrskontrollen ins Spiel. Die schlichte Empfehlung "solide Wirtschaftspolitik und solide Institutionen statt Kontrollen" vereinfacht die Sache. Freier Kapitalverkehr führt vor allem kleine Länder leicht in ein Dilemma: Entweder sie verteidigen einen bestimmten Wechselkurs oder sie richten die Wirtschaftspolitik an nationalen Konjunkturerfordernissen aus. Geben sie den Wechselkurs frei, wird ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit den Launen der Finanzmärkte ausgeliefert. Wenn ein Land bei den Märkten „hoch im Kurs" stehen, kann Euphorie-getriebener Kapitalzustrom die Landeswährung unter unwillkommenen Aufwertungsdruck setzen.

Kapitalverkehrskontrollen schaffen das Dilemma aus der Welt. Beschränkungen speziell der Kapitaleinfuhr können Aufwertungsdruck abwehren und jene „Blasen" verhindern, deren späteres Platzen zur Krise führt.

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Kosten-Nutzen-Abwägung

Kapitalverkehrskontrollen machen Investitionen teurer. Dies ist ganz klar bei Ausfuhrbeschränkungen - ein Risiko, das sich das Kapital bezahlen läßt. Aber auch Einfuhrbeschränkungen verwehren nationalen Unternehmen leicht den Zugang zu billigerem Kapital. Die Nachteile für das nationale Wirtschaftswachstum lassen sich verringern, wenn Einfuhrbeschränkungen situationsabhängig verfügt und variiert werden. Eine Verteuerung des Kapitals kann durchaus angesagt sein, wenn mehr Kapital ins Land strömt, als in wirtschaftlich sinnvoller realer Investition absorbiert werden kann. Derartige situationsabhängige Einfuhrbeschränkungen stellen freilich hohe Anforderungen an das nationale Finanzmanagement. Chile hat sie über Jahre hinweg mit Erfolg praktiziert.

Kontrollen verteuern Kapital nicht nur. Sie führen auch leicht dazu, daß die Kontrollinstanz die Bedingungen für die einzelnen Unternehmen unterschiedlich günstig gestaltet. Dadurch entstehen Rentenquellen und Ineffizienz. Diese Gefahr ist umso größer, je dauerhafter die Kontrollen sind.

Die Kosten von Kapitalverkehrskontrollen sind gegen die Risiken freier Kapitalmärkte abzuwägen. Bessere internationale Regeln könnten letztere mindern. D.h. eine internationale „Finanzarchitektur", die - mit welchen Mitteln immer - das Auftreten von Krisen unwahrscheinlicher und ihren Verlauf weniger zerstörerisch macht, würde den Argumenten für Kapitalverkehrbeschränkungen einiges an Gewicht nehmen. Auch die Schaffung größerer Währungsräume würde die Gefahren verringern, die sich aus großen und wechselhaften Kapitalströmen über Ländergrenzen hinweg ergeben.

Alfred Pfaller


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000