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TEILDOKUMENT:



Fortgeschrittene Harmonisierung der Verbrauchsteuern

Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer

Seit Mitte der sechziger Jahre wurden die nationalen Umsatzsteuersysteme in der EU weitgehend harmonisiert. Dies wurde als erforderlich angesehen, um den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im gemeinsamen europäischen Markt zu gewährleisten. Die umfassende Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen wurde ferner durch die Finanzierung des EU-Haushalts mit Mehrwertsteuer-Eigenmitteln begründet.

Seit den siebziger Jahren praktizieren alle EU-Länder das Konzept der (Allphasen-)Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug (Mehrwertsteuer).

Umsatzsteuersätze
Stand: 1.April

Staat1)

Umsatzsteuer-
systeme

Steuersätze

Normalsatz

ermäßigt

Nullsatz2)

EU-Staaten

Mehrwertsteuer




Belgien


21

1; 6; 12

Ja3)

Dänemark


25

-

Ja3)

Deutschland


16

7

-

Finnland


22

8; 17

Ja

Frankreich


20,6

2,1 ; 5,5

-

Griechenland


18

4 ; 8

-

Irland


21

3,3; 12,5

Ja

Italien


20

4; 10

Ja4)

Luxemburg


15

3; 6; 12

-

Niederlande


17,5

6

-

Österreich


20

10; 12

-

Portugal


17

5; 12

-

Schweden


25

6; 12

Ja

Spanien


16

4; 7

-

Vereinigtes Königreich


17,5

5

Ja






Andere Staaten





Japan

Mehrwertsteuer

5

-

-

USA - Einzelstaaten

Verkaufsteuer

0 bis 6,5



(USA - ) Gemeinden


0 bis 7



Kanada - Bund

Mehrwertsteuer

7

-

Ja

(Kanada - )Provinzen

Verkaufsteuer

0 bis 12

-

-

Norwegen

Mehrwertsteuer

23

11,11

Ja

Schweiz

Mehrwertsteuer

6,5

2; 3

-

1) Ohne regionale Sondersätze.
2) Nullsatz = Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug („echte Befreiung"); wird hier nur erwähnt, sofern er außer Ausfuhrumsätze auch für bestimmte Inlandsumsätze gilt.
3) Für Zeitungen.
4) Für Baugrundstücke, Rohgold, Metallabfälle.
Quellen: Bundesfinanzministerium, I A 7; DIW.

[Seite der Druckausg.:4]

Eine grundsätzliche Alternative zum Mehrwertsteuer-System ist die Einphasen-Verkaufsteuer, wie sie etwa in den meisten Einzelstaaten der USA als „sales tax" praktiziert wird. Die nationalen Mehrwertsteuersätze unterscheiden sich allerdings erheblich (vgl. Tabelle). Die EU konnte bisher nur Mindeststeuersätze durchsetzen. Diese betragen 15 % für den Normalsteuersatz, bei den ermäßigten Steuersätzen werden 5 % angestrebt.

Für grenzüberschreitende Transaktionen gilt grundsätzlich das Bestimmungslandprinzip:

Güter und Dienstleistungen sind dort zu besteuern, wo sie verbraucht werden. Exporte werden entlastet: Sie sind steuerfrei, bei vollem Vorsteuerabzug. Im Gegenzug werden Importe durch die Einfuhrumsatzsteuer belastet, was früher durch die Zollkontrollen an den Grenzen gewährleistet wurde.

Da keine Einigung über ein binnenmarktkonformes Mehrwertsteuersystem in Sicht ist, gilt für den grenzüberschreitenden Handel seit 1993 eine Übergangslösung.



Dieses Verfahren gilt heute nur noch gegenüber Drittstaaten. Denn mit dem Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarktes im Jahre 1993 wurden die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen aufgehoben. Eine weitgehende Annäherung der Mehrwertsteuersätze, die von der Europäischen Kommission angestrebt wurde, war aus finanzpolitischen Gründen nicht realistisch. Da sich die Mitgliedsländer nicht auf ein binnenmarktkonformes Mehrwertsteuersystem einigen konnten, jedoch massive Wettbewerbsprobleme der Hochsteuerländer durch Importe aus Niedrigsteuerländern verhindert werden mußten, verständigte man sich zunächst auf eine Übergangsregelung. Diese hätte eigentlich bis zum 1.1.1997 durch eine endgültige Mehrwertsteuerregelung ersetzt werden sollen. Da sich die Mitgliedstaaten bis heute nicht über deren Ausgestaltung einigen konnten, bleibt sie bis auf weiteres bestehen.

Für Direktkäufe von privaten Haushalten und öffentlichen Körperschaften sowie bestimmten Unternehmen gilt das Ursprungslandprinzip.



Nach dieser Übergangsregelung gilt für den Großteil der grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb der EU weiterhin das Bestimmungslandprinzip, nämlich für den Handel zwischen steuerpflichtigen Unternehmen. Daneben kommt bei ausländischen Direktkäufen privater Haushalte, öffentlicher Körperschaften oder bestimmter Unternehmen (dies sind Unternehmen, die ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführen, Kleinunternehmer sowie pauschal besteuerte Land- und Forstwirte) in stärkerem Maße das Ursprungslandprinzip zur Geltung. Das heißt, es gelten die Steuersätze des Landes, in dem die Produkte gekauft werden, ein Grenzausgleich findet nicht statt. Zwar besteht für diese Fälle ein teilweise erhebliches Steuersatzgefälle, wenn man die deutlich unterschiedlichen Steuersätze betrachtet (Tabelle). Doch selbst in bestimmten „sensiblen" Grenzregionen mit hohen Steuersatzunterschieden lassen sich bisher kaum nennenswerte Wirkungen beobachten - etwa an der deutsch-dänischen Grenze sowie entlang der Grenzen von Deutschland oder Luxemburg mit Belgien oder Frankreich. So gesehen kann die Übergangsregelung zunächst weiter praktiziert werden, ohne daß unmittelbarer Handlungsdruck besteht.

Kritisch an der Übergangsregelung sind die hohen Vollzugskosten. Die Unternehmen klagen darüber, daß die neuen komplizierten steuerrechtlichen Regelungen für innergemeinschaftliche Transaktionen höhere Kosten auslösten als das alte Regime. Praktisch wurde ein Teil des Verwaltungsaufwandes, den früher die Zollbehörden hatten, nun auf die Unternehmen verlagert. Beklagt wird ferner, daß kleine und mittlere Unternehmen, für die das Ausfuhr- und Einfuhrgeschäft nur ein geringes Gewicht hat, stärker von den Problemen der Übergangslösung betroffen sind. Zudem zeigen die Erfahrungen, daß die Übergangsregelung für die Finanzverwaltung mit erheblichen Problemen verbunden ist. Da eine effektive Kooperation zwischen den nationalen Steuerbehörden bisher schwer fällt, eröffnen sich erhebliche Potentiale zur Steuerhinterziehung.

Eine endgültige Mehrwertsteuerlösung läuft auf die Einführung eines modifizierten Ursprungslandprinzips hinaus.



Wie soll nun die endgültige Mehrwertsteuerlösung für den Binnenmarkt aussehen? Die Überlegungen aus der Wissenschaft sowie auch die politischen Willensbildungsprozesse laufen letztlich auf die Einführung eines modifizierten Ursprungslandprinzips hinaus. Dabei sollen die vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen für ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe die in Rechnung gestellte ausländische Umsatzsteuer gegenüber dem heimischen Fiskus als Versteuern geltend machen können - es kommt also zu einem grenzüberschreitenden Vorsteuerabzug.

Vor der Einführung des modifizierten Ursprungslandprinzips muß aber noch eine Hürde überwunden werden, die politisch äußerst hochgesteckt ist: Durch die inländische Verrechnung ausländischer Vorsteuern kommt es zu merklichen Verschiebungen im Steuerauf-

[Seite der Druckausg.:5]

kommen zwischen den Mitgliedsländern. Sie hängen von den Handelsströmen einerseits und den Steuersatzunterschieden andererseits ab. Gelöst werden könnte dies zum einen durch eine Angleichung der Mehrwertsteuersätze, zum anderen werden verschiedene Verfahren der Zahlungsverrechnung („Clearing") diskutiert, mit denen die Einnahmenverteilung nach dem Bestimmungslandprinzip wiederhergestellt werden könnte.

Eine weitgehende Annäherung der Steuersätze ist derzeit kaum realistisch. Zwar werden in einzelnen Ländern Erhöhungsspielräume bei der Mehrwertsteuer diskutiert oder sind bereits realisiert worden, wie zuletzt in Deutschland im April 1998. Angesichts der weiten Spanne der Mehrwertsteuer-Normalsätze, die gegenwärtig von 15 % (Luxemburg) bis 25 % (Dänemark und Schweden) reicht (Tabelle l), sind Verpflichtungen zur Senkung oder Erhöhung um mehrere Prozentpunkte derzeit aber kaum vorstellbar.

Offen bleibt auch die Frage nach dem Clearingsystem. Dazu kommen entweder mikro- oder makroökonomische Verfahren in Frage.

  • Mikroökonomisches Clearing basiert auf den Angaben der Unternehmen über alle innergemeinschaftlichen Waren- und Mikroökonomische Clearings basieren auf den Angaben der Unternehmen Dienstleistungsgeschäfte mit Leistungsempfängern in anderen Mitgliedstaaten. Dies erfordert aber einen erheblichen Dokumentations- und Verwaltungsaufwand für die Unternehmen.

  • Makroökonomisches Clearing kann aus Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgeleitet werden. Dies reduziert von vornherein die Detailgenauigkeit, hat aber den Vorteil der klaren Überprüfbarkeit und der einfachen Durchführung aufgrund des geringen Verwaltungsaufwandes.


Die Diskussion der letzten Jahre hat gezeigt, daß praktisch nur ein Makro-Clearing in Frage kommt. Als Basis dafür bieten sich die Grundlagen der nationalen Mehrwertsteuerbemessung an, wie sie für die Berechnung der Mehrwertsteuereigenmittel der EU ermittelt werden. Auch die Europäische Kommission favorisiert ein solches makroökonomisches Clearingsystem. Allerdings fehlt es am erforderlichen Vertrauen in die Verläßlichkeit. Es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Modelle detaillierter zu entwickeln und zu testen. Die gegenwärtige Übergangsregelung wird wohl noch lange Bestand haben. In näherer Zukunft sind daher bei der europäischen Mehrwertsteuerharmonisierung nur kleine Schritte zu erwarten.

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Sonderverbrauchsteuern

Anders als bei der Umsatzsteuer wurde für die Sonderverbrauchsteuern - Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Steuern auf alkoholische Getränke - das Bestimmungslandprinzip endgültig festgeschrieben. Steuertechnisch wird dies dadurch erleichtert, daß die besteuerten Produkte bereits einem speziellen Besteuerungsverfahren unterliegen. Hier spielen „Steuerlager" eine wesentliche Rolle, in denen die erzeugten oder eingeführten Güter steuerfrei aufbewahrt werden können. Errichtung und Betrieb eines Steuerlagers sind indes mit erheblichen Kosten verbunden. Kleinere Produktions- und Handelsbetriebe, insbesondere Versandhändler, die an ausländische Kunden liefern wollen, werden dadurch stark benachteiligt.

Die Sonderverbrauchsteuern werden nach dem Bestimmungslandprinzip erhoben. Es besteht ein Bedarf zur Harmonisierung der Steuersätze.



Ebenso wie bei der Mehrwertsteuer sind auch bei den Sonderverbrauchsteuern mit dem Binnenmarkt die Höchstmengen für grenzüberschreitende Direktkäufe von Privatverbrauchern entfallen. Auch hier gilt also das Ursprungslandprinzip. Dazu gibt es nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zwar keine Alternative; im Gegensatz zur Mehrwertsteuer unterscheiden sich die Sätze der Sonderverbrauchsteuern zwischen den Ländern aber teilweise erheblich. Dadurch sind spürbare Wirkungen in einzelnen grenznahen Regionen nicht zu vermeiden. Es entsteht ein Bedarf zur Harmonisierung der Steuersätze in gewissen Bandbreiten. Die EU rührte dazu 1993 Mindestsätze ein.

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Energiebesteuerung und ökologische Steuerreform

Inzwischen haben eine Reihe von EU-Ländern aus umweltpolitischen Überlegungen bestimmte Steuern und Abgaben eingeführt. Im Mittelpunkt steht die Belastung des Energieverbrauchs. In Verbindung mit einer „ökologi-

[Seite der Druckausg.:6]

schen Steuerreform" tritt der finanzpolitische Aspekt hinzu: dauerergiebige Einnahmen aus den Ökosteuern sollen bestehende Steuern und Abgaben senken („Aufkommensneutralität"). In der Regel denkt man dabei an die Belastung der Arbeitseinkommen mit Sozialabgaben oder an die „direkte" Besteuerung durch Einkommensteuern und Unternehmenssteuern.

Da Ökosteuern zu spürbaren Belastungen in einzelnen umwelt-intensiven Wirtschaftszweigen führen können, ist eine Koordinierung auf europäischer Ebene sinnvoll, um Wettbewerbsnachteile der heimischen Wirtschaft zu vermeiden. Die Europäische Kommission hat seit Anfang der neunziger Jahre mehrere Initiativen für eine Ausweitung der Energiebesteuerung unternommen.

Ökologische Steuerreform:
Umweltbelastungen besteuern,
Arbeit von Abgaben entlasten.


Das entstehende Steueraufkommen soll die Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen senken. Zwar ist bisher keiner dieser Vorschläge auf Ebene der EU umgesetzt worden. Die Mitgliedsländer werden aber zur Einführung eigener Konzepte ermuntert.

Bei den direkten Steuern hat es bisher keine Harmonisierung durch die EU-Staaten gegeben.



Die deutsche Bundesregierung will im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 darauf hinwirken, daß die Energiebesteuerung innerhalb der EU stärker harmonisiert wird. Zum April 1999 wird in Deutschland die erste Stufe der ökologischen Steuerreform eingeführt. Die bestehende Energiebesteuerung wird erhöht und eine Stromsteuer eingeführt. Die Steuereinnahmen dienen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte.

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Vielfalt der Einkommen- und Unternehmensbesteuerung

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der direkten Steuersysteme innerhalb der EU

Während die EU-Harmonisierung die indirekte Besteuerung der Mitgliedsländer deutlich geprägt hat, ist Vergleichbares bei den direkten Steuern bisher nicht erfolgt. Weder in den nationalen Steuervorschriften, noch in den Normen des internationalen Steuerrechts hat das Europarecht wesentliche Spuren hinterlassen.

Zwar weisen die nationalen Steuersysteme in ihren Grundmustern ähnliche Strukturen auf - dies gilt nicht nur für die Mitgliedsländer der EU, sondern auch für die übrigen Industrieländer - und ist insoweit Ausdruck des Entwicklungsstandes von Wirtschaft und Gesellschaft. Im Detail unterscheiden sich die direkten Steuern aber teilweise erheblich, sowohl hinsichtlich der konkreten Abgrenzung der Besteuerungsobjekte und deren Besteuerungsgrundlagen als auch in der fiskalischen Gewichtung der Teilkomponenten des Steuersystems (vgl. Kasten).

Direkte Steuern in den EU-Ländern:
Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Als „direkt" werden üblicherweise Steuern auf die Einkommensentstehung oder auf Vermögen verstanden, die in der Regel von den Steuerpflichtigen wirtschaftlich getragen - also nicht „überwälzt" werden. Als Subjekt- oder Personalsteuern berücksichtigen sie die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (etwa bei der Einkommen- oder Vermögenssteuer); als Objekt- oder Realsteuern werden sie auf den Ertrag oder den Vermögensbestand von wirtschaftlichen Objekten erhoben (Gewerbe-, Grund- oder Kraftfahrzeugsteuer).

Einkommensteuer: Sämtliche Mitgliedsländer der EU verfügen über Einkommensteuersysteme, die sich jedoch in Bemessungsgrundlagen und Tarifen erheblich unterscheiden. Die Zusammenfassung von verschiedenen Einkünften geht unterschiedlich weit (Erwerbs- und Vermögenseinkünfte, teilweise auch öffentliche und private Transferzahlungen); dies gilt auch für die steuermindernde Berücksichtigung von persönlichen Merkmalen (etwa Grundbedarf/Existenzminimum, Unterhaltspflichten, außergewöhnlichen Belastungen), die dabei angewendete Steuertechnik (persönliche Abzugsbeträge versus Steuerabzug) sowie die Systeme der Familienbesteuerung

[Seite der Druckausg.:7]

(Ehegatten- oder Familiensplitting, Haushalts- und Kinderfreibeträge sowie Kindergeld). Die Tarifverläufe sind regelmäßig progressiv, weisen aber in Niveau und Struktur große Unterschiede auf.

Kapitalertragssteuern: Diese werden ebenfalls in allen EU-Ländern als Quellensteuern (d. h. beim Zahlenden) erhoben. Bei den unbeschränkt steuerpflichtigen Inländern werden sie zumeist auf die Einkommens- oder Körperschaftssteuer angerechnet und stellen insoweit eine Vorauszahlung dar; in einigen Ländern (Belgien, Frankreich, Griechenland, Portugal) können die inländischen Steuerpflichtigen auf eine Abgeltungssteuer optieren, in Italien und Österreich wird generell eine Abgeltungssteuer praktiziert, d.h., die Besteuerung der Kapitalerträge ist mit der Quellenbesteuerung grundsätzlich abgegolten. Zinsen und Dividenden unterliegen häufig unterschiedlichen Steuersätzen; Gebietsfremde sind von der Zinsbesteuerung in vielen Ländern ausgenommen, so auch in Deutschland. Luxemburg und die Niederlande verzichten ganz auf eine Kapitalertragsbesteuerung von Zinserträgen.

Körperschaftsteuer: Die Körperschaftsteuer stellt eine eigenständige Ertragssteuer auf den Gewinn von Kapitalgesellschaften dar, die jedoch hinsichtlich der Gewinnausschüttungen mehr oder weniger in die Einkommensbesteuerung integriert ist. Im „klassischen" System wird der Gewinn einem einheitlichen Körperschaftssteuersatz unterworfen; die Anteilseigner müssen die (Netto-)Ausschüttungen zusätzlich bei der Einkommensteuer berücksichtigen - insoweit kommt es also zur Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne. Dieses System verwenden Schweden, Dänemark, die Niederlande und Belgien; Griechenland verzichtet auf die Einkommensbesteuerung beim inländischen Teilhaber; Luxemburg stellt die Hälfte der Ausschüttung steuerfrei; Österreich ermäßigt die Einkommensteuerbelastung der Ausschüttungen auf die Hälfte. In den übrigen Ländern wird die Körperschaftssteuer bei Gewinnausschüttungen teilweise (Großbritannien, Irland, Portugal, Spanien) oder vollständig (Italien, Finnland, Frankreich) auf die persönliche Einkommensteuer angerechnet; Deutschland praktiziert ein Vollanrechnungsverfahren mit gespaltenem Steuersatz: Einbehaltene Gewinne werden mit einem höheren Satz belastet (40 % seit dem 01.01.1999); bei Gewinnausschüttungen wird diese Belastung auf 30 % ermäßigt (dies gilt auch für Ausschüttungen von Gewinnrücklagen früherer Jahre, wobei für steuerfreie Gewinnrücklagen die Ausschüttungsbelastung hergestellt werden muß).

Gewinnermittlungsvorschriften: Die Gewinnermittlungsvorschriften unterscheiden sich ebenfalls erheblich innerhalb der EU-Staaten. So ist in Deutschland die steuerliche Gewinnermittlung relativ eng an den handelsrechtlichen Jahresabschluß gebunden. Die führt zu Gestaltungsspielräumen der Unternehmen. In anderen Ländern gibt es diese Anknüpfung an die Handelsbilanz nicht; auch in Deutschland soll im Zuge der Unternehmenssteuerreform dieser Zusammenhang gelockert und damit die Gewinnermittlung „objektiviert" werden. Besonders relevant sind die Unterschiede bei den Abschreibungsbedingungen, in den Vorschriften zur Vorratsbewertung, zur Bildung von Rückstellungen und zur Wertaufholung bei außerordentlichen Abschreibungen, deren Grund entfallen ist, ferner bei der Abschreibung von Firmenwerten, beim Verlustrück- und -vortrag, bei der Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter sowie bei den Steuerbegünstigungen für Veräußerungsgewinne.

Vermögenssteuer: Allgemeine Vermögenssteuern für natürliche Personen bestehen in Dänemark, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden und Spanien; in Luxemburg sind auch juristische Personen steuerpflichtig. Dabei gibt es große Unterschiede in der Erfassung, Abgrenzung und Bewertung der Vermögensarten. In Deutschland wird die Vermögenssteuer seit 1997 nicht mehr erhoben, da es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einheitsbewertung des Grundbesitzes nicht zu einer Neuregelung der Vermögensbewertung kam.

[Seite der Druckausg.:8]

Gewerbesteuern: Einzelne Länder erheben zusätzlich zur Einkommens- oder Körperschaftssteuer noch besondere Gewerbe- oder Unternehmenssteuern. In Deutschland werden „Gewerbebetriebe" (nicht jedoch die freien Berufe, die Landwirtschaft, die Wohnungswirtschaft) mit der Gewerbesteuer belastet. Eine ähnliche Gewerbesteuer wird in Luxemburg erhoben. In Frankreich erfaßt eine „taxe professionelle" selbständige Tätigkeiten ausschließlich der Landwirtschaft, die nach dem Anlagevermögen und der Lohnsumme bemessen wird. In allen drei Ländern wenden die Gemeinden eigene Steuersätze an. Österreich hat seine Gewerbesteuer inzwischen abgeschafft; dort wird noch eine Kommunalsteuer auf die Lohnsumme erhoben.

Sonstige direkte Steuern: Ferner sehen die nationalen Steuersysteme noch vielfältige Steuern auf bestimmte Vermögensobjekte vor: Zu erwähnen ist hier vor allem die Grundsteuer, die zumeist von den regionalen Gebietskörperschaften auf den Vermögenswert des Grundbesitzes erhoben wird. Größere Bedeutung hat zumeist auch die Kraftfahrzeugsteuer.





Bei grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Beziehungen sind ferner Normen des internationalen Steuerrechts von maßgeblichem Interesse, insbesondere die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vgl. Kasten auf Seite 9). Die Mitgliedsländer der OECD, die meisten osteuropäischen Transformationsländer sowie die großen Schwellenländer haben untereinander bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, in denen die Besteuerungsansprüche der Vertragspartner für einzelne Einkunftsarten geregelt werden. Dabei kommt dem OECD-Musterabkommen eine zunehmende Leitbildfunktion zu. Deutschland hat gegenwärtig mit knapp 80 Ländern Doppelbesteuerungsabkommen, darunter sämtliche wichtigen Handelspartner. Das Europarecht spielt in diesem Bereich so gut wie keine Rolle. Vorschläge, die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den EU-Ländern durch eine einheitliche Regelung zu ersetzen, sind bisher nicht ernsthaft konkretisiert worden.

Während für internationale Direktinvestitionen in der Regel die Quellenlandbesteuerung gilt, greift für Portfolioinvestitionen das Wohnsitzlandprinzip.



Vereinfacht läßt sich sagen, daß für internationale Direktinvestitionen (in Form von Betriebsstätten oder wesentlichen Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften) in der Regel die Quellenlandbesteuerung in Verbindung mit der Freistellungsmethode im Sitzland gilt, während für Portfolioinvestitionen das Wohnsitzlandprinzip greift. Für Arbeitseinkünfte gilt als Grundregel das „Arbeitsortprinzip", nach dem der Staat denjenigen besteuern darf, in dessen Hoheitsgebiet die unselbständige Arbeit ausgeübt wird. Gewerbesteuern, Grundsteuern und vergleichbare Besteuerungsformen sind zumeist als Objektsteuern mit regionalem Bezug konzipiert. Diese werden in den Doppelbesteuerungsabkommen nicht berücksichtigt; die inländische Belastung wird somit definitiv.

Initiativen der EU zur Harmonisierung der direkten Besteuerung

Die Vielfalt der direkten Besteuerung innerhalb der EU erscheint bemerkenswert, ist doch die Möglichkeit zur unbeschränkten Mobilität von Produktionsfaktoren - die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr - neben der Warenverkehrsfreiheit zentrales Element des Binnenmarktprogramms. Unterschiede in den nationalen Systemen der Besteuerung oder in den bilateralen Doppelbesteuerungsregelungen können vor diesem Hintergrund spürbaren Einfluß auf Umfang und Richtung des internationalen Einsatzes der Produktionsfaktoren nehmen. Dies gilt zumal angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Integration, die durch den Binnenmarkt sowie die Währungsunion maßgeblich gefördert wird und das Potential für Faktormobilität beträchtlich erhöht. Hinzu kommen - wie unten ausführlich beschrieben - die gezielten Maßnahmen einzelner Mitgliedsländer, mittels Steuervergünstigungen mobile Produktionsfaktoren anzulocken.

Im Gegensatz zur „indirekten" Besteuerung von Gütern und Dienstleistungen sieht der EG-Vertrag (EGV) für die „direkten" Steuern keine ausdrückliche Harmonisierungskompetenz der EU vor. Gemeinschaftliche Maßnahmen auf diesem Gebiet können sich daher allein auf die allgemeinen Vorschriften der Art. 100 und 101 EGV stützen. Danach sind jene Rechts- und Verwal-

[Seite der Druckausg.:9]

tungsvorschriften anzugleichen, „die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken" (Art. 100) oder „die Wettbewerbsbedingungen auf dem Gemeinsamen Markt verfälschen und dadurch eine Verzerrung hervorrufen" (Art. 101). Zwar ist unbestritten, daß diese Vorschriften grundsätzlich auch die direkte Besteuerung tangieren können; es ist jedoch unklar, was als Wettbewerbsbeschränkung oder als Verzerrung im Sinne dieser Vorschriften zu interpretieren ist.

Grundzüge des internationalen Steuerrechts

Traditionell wenden die Nationalstaaten bei der Besteuerung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Beziehungen gleichzeitig das Wohnsitzland- und das Quellenlandprinzip an:

  • Die Inländer unterliegen mit ihrem gesamten Welteinkommen der unbeschränkten Steuerpflicht (Wohnsitzlandprinzip, Welteinkommensprinzip); die Staatsangehörigkeit ist dabei irrelevant. Dies gilt auch für Kapitalgesellschaften, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Ausländische Einkünfte der Inländer werden in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Mit der Besteuerung nach dem Wohnsitzlandprinzip wird dem zentralen Leitbild der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit Rechnung getragen.

  • Zugleich unterliegen Nicht-Gebietsansässige mit ihren inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht (Quellenlandprinzip, Territorialprinzip). Neben den fiskalischen Interessen des Inlands können hierfür auch Gesichtspunkte des Äquivalenzprinzips der Besteuerung angeführt werden, nach dem sich die Abgabenerhebung so weit wie möglich an einer zurechenbaren Gegenleistung orientieren sollte: Der beschränkt steuerpflichtige Ausländer hat wirtschaftliche Interessen im Inland und profitiert somit von den öffentlichen Leistungen.

Dadurch droht eine mehrfache Belastung internationaler Einkünfte. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung kommen folgende Maßnahmen in Betracht:

  • die Freistellungsmethode, bei der das Wohnsitzland die vom Quellenland belasteten Einkünfte steuerfrei stellt;

  • die Anrechnungsmethode, bei der das Wohnsitzland die im Quellenland erhobene Steuer auf seine Steuerforderung anrechnet;

  • die Abzugsmethode, bei der das Wohnsitzland die im Quellenland erhobene Steuer zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zuläßt.

Tatsächlich verfolgte die Europäische Kommission seit den späten sechziger Jahren weitreichende Pläne zur Harmonisierung der direkten Besteuerung. Dabei stand vornehmlich die Unternehmensbesteuerung im Mittelpunkt. Entsprechende Vorstöße der Europäischen Kommission scheiterten jedoch an der Einstimmigkeitsregel im Rat. Zu Beginn der neunziger Jahre revidierte die Europäische Kommission ihr Ziel einer weitgehenden Harmonisierung. Die EU-Steuerpolitik beschränkte sich im Vorfeld des Binnnenmarktes auf die Beseitigung der größten steuerlichen Hindernisse für grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten und Konzernbildungen (Fusionsrichtlinie, Mutter-Tochter-Richtlinie).

Die EU hat keine ausdrückliche
Harmonisierungskompetenz
für die direkten Steuern.



Eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Harmonisierungsziele leitete die Europäische Kommission im März 1996 mit ihrem Diskussionspapier „Steuern in der Europäischen Union" ein. Seitdem wird der „unfaire" Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsländern betont, der die Steuereinnahmen aushöhle und zu einer Verlagerung der Steuerbelastungen auf den weniger mobilen Produktionsfaktor Arbeit geführt habe. Im Europäischen Rat werden diese Entwick

[Seite der Druckausg.:10]

lungen inzwischen auch als Problem erkannt. Im Dezember 1997 einigte man sich grundsätzlich über einen Verhaltenskodex zur Vermeidung eines unfairen Steuerwettlaufes sowie über Leitlinien für eine Richtlinie zur Zinsbesteuerung:

  • Der Verhaltenskodex soll Kriterien für unfaire Steuermaßnahmen festlegen. Die Europäische Kommission und Vertreter der nationalen Regierungen sind verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung; inkriminierte Praktiken sind möglichst binnen zweier Jahre, spätestens bis zum Jahr 2002 zurückzunehmen.

  • Die von der Kommission zu erarbeitende Richtlinie zur Zinsbesteuerung soll für die Mitgliedstaaten die Wahlmöglichkeit bieten, entweder eine Mindestquellensteuer zu erheben (genannt wird ein Steuersatz von 20 %) oder den anderen Mitgliedsländern Informationen über die Zinserträge von Gebietsfremden zu übermitteln.

Indes ist die getroffene Einigung bisher nur politisch, nicht aber rechtlich bindend. Die Details müssen noch erarbeitet werden. Einige Regierungen haben Vorbehalte angemeldet. Da noch eine Reihe von Differenzen zu klären sind, ist eine gesetzliche Regelung derzeit nicht abzusehen.

Das ursprüngliche Ziel der EU-Steuerpolitik,
eine weitgehende Harmonisierung der
direkten Steuern in der EU zu erreichen,
wurde mittlerweile darauf reduziert, den
unfairen Steuerwettbewerb zu unterbinden.



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Entwicklungstendenzen in den Steuer- und Abgabensystemen

Faktormobilität und Steuerwettbewerb

Wie wirken sich nun Steuer- und Abgabenbelastungen einerseits und wirtschaftsbezogene öffentliche Ausgaben andererseits auf die internationale Mobilität von Produktionsfaktoren aus, insbesondere auf die Kapitalbewegungen?

Bei den Standortentscheidungen spielt die Besteuerung oft nur eine untergeordnete Rolle.



Aus einzelwirtschaftlicher Sicht sind Steuern und Sozialabgaben ein Standortfaktor unter vielen. Auch und gerade in Zeiten des „shareholder value" sind international operierende Investoren letztlich an der Netto-Rendite interessiert, die sie nach Steuern erzielen und an der sich der Marktwert der Investition orientiert. Positiv gesprochen heißt dies aber auch, daß ausländische Investoren durchaus bereit sind, höhere Abgaben zu bezahlen, wenn sie eine entsprechende Gegenleistung in Form von hoher Produktivität erhalten. Steuer- und Abgabenbelastungen sowie das Angebot an öffentlichen Leistungen sind also im Zusammenhang zu sehen - dies ist auch der Grundgedanke des Äquivalenzprinzips der Besteuerung.

Unternehmensbefragungen und Fallstudien zu den Motiven von Direktinvestitionen und Produktionsverlagerungen zeigen, daß bei der Standortentscheidung zumeist die Erschließung von Marktpotentialen der Zielländer im Vordergrund steht („Absatzorientierung"). Die konkreten Produktionskosten im Ausland weisen demgegenüber eine geringere Bedeutung auf. Auch innerhalb der Kosten werden die Lohnkosten in der Regel höher gewichtet als die Besteuerung. Zugleich legen die Investoren ebenso großen Wert auf produktivitätssteigernde Standortfaktoren wie wirtschaftsnahe Infrastrukturausstattung, Humankapital, FuE-Umfeld etc. Wichtig erscheinen nicht zuletzt die Infrastrukturangebote in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur - etwa wenn es darum geht, spezialisierte Arbeitskräfte zum Wohnortwechsel zu bewegen.

Makroökonomische Analysen zu Struktur- und Entwicklungstendenzen der internationalen Kapitalbewegungen ergeben für die Vergangenheit noch deutliche Beschränkungen der internationalen Kapitalmobilität, insoweit Sach- bzw. Direktinvestitionen betrachtet werden. Dabei ist insbesondere zu beobachten, daß Veränderungen der inländischen Ersparnis kaum Auswirkungen auf den Leistungsbilanzsaldo oder die ausländischen Direktinvestitionen dieses Landes haben. Grund dafür dürfte neben den Unterschieden in den rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen vor allem risikoaverses Verhalten der Anleger sein (Risiko von Wechselkursveränderungen, Politik-Risiken). Diese Risiken sind für Inländer leichter abzuschätzen als für Ausländer.

Im Zuge der Internationalisierung ist aber davon auszugehen, daß zukünftig diese Hemmnisse an Bedeutung verlieren werden. Dies gilt vor allem für die europäische Integration: Der Binnenmarkt wird immer mehr zur Realität, mit

[Seite der Druckausg.:11]

der Währungsunion entfallen die Wechselkursrisiken; auch die übrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken werden infolge der einzuhakenden Konvergenzbedingungen wie auch der fortschreitenden rechtlich-institutionellen Vereinheitlichung geringer. Neuere Entwicklungen in der Verkehrs- und Kommunikationstechnologie (z.B. „electronic commerce" über das Internet) dürften diese Entwicklung fortsetzen. Das Potential für Faktormobilität erhöht sich damit beständig. Neben den übrigen - realwirtschaftlichen - Produktionsfaktoren kommt dann der Steuer- und Finanzpolitik eine wachsende Bedeutung zu.

Die zunehmende wirtschaftliche Integration erhöht
die Bedeutung der Steuer- und Finanzpolitik, da
sich die Hemmnisse für die Faktormobilität verringern.
Dies verstärkt den internationalen Steuerwettbewerb.



Schon seit einigen Jahren lassen sich verschiedene Tendenzen eines internationalen Steuerwettbewerbs beobachten. In den meisten Ländern der EU sowie der OECD sind die Unternehmen in den letzten Dekaden steuerlich entlastet worden. Insbesondere sahen sich Staaten mit hohen Körperschaftssteuersätzen zu Tarifsenkungen veranlaßt. Entlastungen der Unternehmen wurden auch durch Veränderungen bei den Bemessungsgrundlagen und bei den übrigen Steuern erreicht. Auch in Deutschland wurde der Körperschaftssteuersatz für einbehaltene Gewinne von 50 % Anfang der neunziger Jahre auf zuletzt 40 % (seit 1999) verringert. Im Zuge der Einkommens- und Unternehmenssteuerreform, die in Deutschland gegenwärtig ansteht, sind weitere Senkungen geplant.

Deutlicher als bei grundlegenden Reformen der Unternehmensbesteuerung offenbart sich ein Steuerwettbewerb über spezifische Steuervergünstigungen. Diese werden gezielt auf die Attrahierung von Finanzkapital, zugehörigen Dienstleistungen, hochqualifizierten Arbeitnehmern oder einkommens- und vermögensstarken Privathaushalt zugeschnitten.

Dabei zeigt sich: Mobilität oder multinationale wirtschaftliche Beziehungen von Unternehmen oder Haushalten bieten einen Nährboden für Steuerarbitrage zwischen den nationalen Systemen. In vielen Fällen werden die realwirtschaftlichen Investitionsströme davon nicht nennenswert umgelenkt, vielmehr handelt es sich dabei entweder um reine Buchungsvorgänge der Finanzierung (etwa die Zwischenschaltung einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft), oder die auf einem internationalen Finanzplatz angelegten Gelder werden unmittelbar wieder in die Volkswirtschaft der Herkunftsländer zurückgespeist. D. h., lediglich die Steuerbemessungsgrundlagen und damit das Steueraufkommen wird zu Lasten der Hochsteuerländer umverteilt.

Die nationalen Steuerpolitiken reagieren darauf, indem sie zum einen diese Aktivitäten zu unterbinden versuchen; zum anderen setzen sie aber auch gezielte Anreize durch Steuervergünstigungen, um mobile Produktionsfaktoren in ihr Hoheitsgebiet zu locken. Letzteres wird inzwischen auch in einer breiteren Öffentlichkeit unter den Stichworten „unfairer", „unlauterer" oder „schädlicher" Steuerwettbewerb diskutiert. Im folgenden sollen die wichtigsten Phänomene skizziert werden.

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Formen des Steuerwettbewerbs

Gestaltung von Geschäftsbeziehungen

International verflochtene Unternehmen haben gewisse Möglichkeiten, über die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen ihren Mitgliedern steuerpflichtige Gewinne in Länder mit niedrigerem Besteuerungsniveau zu transferieren. Dies geschieht über die Ausgestaltung der internen Verrechnungspreise, von Kosten- und Gewinnumlagen oder Finanzierungen. Die Steuerrechtsnormen der Hochsteuerländer versuchen dieser Praxis entgegenzuwirken, indem sie den Ansatz von Fremdvergleichspreisen („arm's length prices") vorschreiben - also von Preisen, die unabhängige Dritte („unrelated parties") vereinbaren würden. Dies ist schwierig und enorm verwaltungsaufwendig, wenn es sich um hochspezielle Güter und Leistungen handelt, für die keine Marktpreise zu beobachten sind. So bleibt für die Unternehmen ein Spielraum, in dem die Steuerbelastung mit den Finanzbehörden „ausgehandelt" werden kann.

Konzerngestaltung

Internationale Konzernstrukturen bieten weitere Möglichkeiten zur Steuerminimierung, die nationale Unternehmen nicht haben. Multinationale Unternehmen werden in ihrem Sitz-

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land nicht mit ihrem gesamten Welteinkommen nach inländischem Maßstab besteuert. Vielmehr unterliegen die Gewinne ausländischer Tochterunternehmen häufig ausschließlich der ausländischen Quellenbesteuerung, solange die Gewinnrücklagen im Konzernverbund bleiben. Denn bei Dividenden auf „Schachtelbeteiligungen" (das sind wesentliche Beteiligungen an Unternehmen) sehen die Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig die Steuerbefreiung im Sitzland vor (Freistellungsmethode). Es bleibt also bei der Quellenlandbesteuerung mit ausländischer Körperschaftssteuer sowie Kapitalertragssteuern auf die (Netto-)Gewinnausschüttungen, die allerdings nach der Mutter-Tochter-Richtlinie innerhalb der Europäischen Union auf Schachteldividenden nicht mehr zulässig sind. Um Konzern- und Holdingfunktionen zu erleichtern, lassen die nationalen Körperschaftssteuersysteme häufig auch die steuerneutrale Weiterleitung von steuerfreien ausländischen Schachteldividenden an verbundene inländische Kapitalgesellschaften zu, sofern diese unbeschränkt steuerpflichtig sind („Holdingprivileg"). Erst wenn die betreffenden Gewinnrücklagen endgültig an die Teilhaber ausgeschüttet werden, unterliegen sie zusätzlich der Einkommens- oder Körperschaftssteuer. Dann allerdings kommt es zur Doppelbelastung, da die inländischen Steuerpflichtigen die von der ausländischen Tochtergesellschaft im Ausland bezahlten Körperschafts- und Kapitalertragssteuern nicht auf ihre inländische Steuerschuld anrechnen können.

Dadurch entsteht ein Anreiz zum gezielten Aufbau von internationalen Holdingstrukturen. Durch Eingliederung ausländischer Töchter in die Beteiligungskette lassen sich Steuerdifferentiale und insbesondere Steuervergünstigungen (vgl. die folgenden Abschnitte) systematisch ausnutzen, um die Gesamtsteuerbelastung des Konzerngewinns zu minimieren. Kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht auf der Klaviatur des internationalen Steuerrechts mitspielen können, bleiben auf der teilweise hohen Unternehmenssteuerlast in Deutschland sitzen.

Multinationale Unternehmen können
internationale Steuervergünstigungen nutzen.



Zwischengesellschaften in Steuer-„0asen"

Eine traditionelle Strategie der Steuerausweichung besteht darin, Finanzkapital oder bestimmte Finanzdienstleistungen auf von Inländern beherrschte „Basis-" oder „Zwischengesellschaften" zu verlagern, die in Niedrigsteuerländern oder notorischen Steuer-„0asen" (in Europa z. B. die britischen Kanalinseln, Liechtenstein, einzelne Kantone der Schweiz, Andorra, Malta) beheimatet sind.

Die Hochsteuerländer haben schon vor Jahrzehnten damit begonnen, diesen Aktivitäten im Rahmen der nationalen Steuergesetzgebung entgegenzuwirken. In Deutschland ist hierzu die „Hinzurechnungsbesteuerung" der §§ 7 bis 14 Außensteuergesetz (AStG) entwickelt worden. Die einzelnen Regelungen dieser Materie sind höchst komplex und enorm kompliziert.

Festzustellen ist, daß in letzter Zeit zunehmend EU-Mitgliedsländer, die ansonsten durchaus „normale" Verhältnisse bei der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung aufweisen, für Kapitalanlage-, Holding- und Finanzdienstleistungsgesellschaften günstige steuerliche Sonderkonditionen gewähren (siehe Kasten).

Steuerliche Sonderzonen in EU-Mitgliedsländern:

  • die Dublin-Dock-Gesellschaften in Irland,

  • die Coordination Centers in Belgien,

  • die "international headquarters" in Frankreich,

  • die Sonderkonditionen für Finanzierungs- und Holdinggesellschaften in Luxemburg,

  • das Finanzzentrum Triest,

  • die Niederlande, die nach dem Vorbild der Niederländischen Antillen Steuererleichterungen für Finanzierungsgesellschaften vorbereiten,

  • die "Sonderzone Kanarische Inseln".


Der begünstigten Besteuerung im Rahmen dieser Niedrigsteuerzonen unterliegen Kapitalanlagegesellschaften, Holding- und Konzernfinanzierungsgesellschaften, häufig auch sonstige Finanzdienstleistungen wie bestimmte

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Bankgeschäfte, Geschäfte mit Devisen und Derivaten, Lizenzvergabe oder Versicherungen bis hin zu Factoring, Leasing oder Softwareentwicklung. Die effektiven Steuerbelastungen sind teilweise sehr niedrig: Entweder werden die betreffenden Tatbestände aus der normalen Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung herausgenommen oder es werden pauschale Gewinnermittlungskonzepte angewendet, die lediglich einen Bruchteil des tatsächlich entstandenen Gewinns der (ansonsten normalen) Besteuerung unterwerfen - etwa indem der „Gewinn" der Gesellschaften als Aufschlag auf die Geschäftsführergehälter ermittelt wird. Da mit den betreffenden Ländern Doppelbesteuerungsabkommen vorliegen (im Gegensatz zu den traditionellen Steuer-„0asen", auf die die Hochsteuerländer im Rahmen des nationalen Steuerrechts mit gesetzlichen Gegenmaßnahmen reagiert haben), können die niedrig versteuerten Gewinne unter dem Schutz des internationalen Schachtelprivilegs häufig steuerfrei ins Inland zurückgeholt werden.

Vermeidung deutscher Körperschaftssteuer

Die Freistellung der Gewinne ausländischer Tochterunternehmen von der inländischen Besteuerung legt es nahe, diese zu thesaurieren, sofern sie im Quellenland niedrig besteuert sind. Zur Ausschüttung können dann die heimischen Gewinne verwendet werden. Die daraufhin in Deutschland entstehende Körperschaftssteuer von 30 % ist international eher günstig, und unbeschränkt steuerpflichtige Inländer können diese sogar mit ihrer Einkommensteuer verrechnen.

Durch Einschaltung einer ausländischen Zwischengesellschaft können deutsche Konzerne auch die hohe inländische Körperschaftssteuerbelastung auf einbehaltene Gewinne von 40 % auf den Ausschüttungssatz von 30 % herabschleusen: Die inländische Konzerngesellschaft schüttet ihre Gewinne an eine Zwischengesellschaft aus, die möglichst in einem EU-Mitgliedsland ansässig ist. Auf die Gewinne fallen dann lediglich 30 % der deutschen Körperschaftssteuer an, eine Kapitalertragssteuer wird innerhalb der EU nicht mehr erhoben (Mutter-Tochter-Richtlinie). Aufgrund der Freistellung entsteht im Ausland keine Zusatzbelastung. Anschließend können die Gewinne - ebenfalls steuerfrei - in die inländische Muttergesellschaft oder Holding geholt und dort thesauriert werden. Die effektive Steuerbelastung beträgt dann 30 %. Wenn die einbezogene ausländische Tochter auch aktive Geschäfte betreibt, fällt es den Finanzbehörden häufig schwer, derartige Gestaltungen mit Hilfe von Mißbrauchsvorschriften zu unterbinden.

Gesellschafter-Fremdfinanzierung

Das deutsche Steuersystem benachteiligt die Beteiligungsfinanzierung und begünstigt die Fremdfinanzierung. Dies gilt erst recht im internationalen Zusammenhang: Im Vergleich zu Ausschüttungen an Ausländer bleiben entsprechende Zinszahlungen vom deutschen Fiskus unbehelligt, da Deutschland darauf keine Quellensteuern erhebt. Ausländische Konzerne nutzen dies, indem sie ihre inländischen Tochterunternehmen mit Darlehen und anderen Formen von Fremdkapital finanzieren („thin capitalisation"). Im Zuge des Standortsicherungsgesetzes wurde diese eigenkapitalersetzende Fremdfinanzierung bereits eingeschränkt.

Vollzug der Besteuerung

Im internationalen Vergleich stellt sich auch die Frage nach der tatsächlichen Durchsetzung („enforcement") des formalen Steueranspruchs im Verwaltungsverfahren. Hierbei bestehen erhebliche Unterschiede in der Besteuerungspraxis der einzelnen Länder. „Maßvoller" Vollzug kann auch zur gezielten Standortförderung eingesetzt werden.

Regionale Wirtschaftsförderung

Zu beobachten ist ferner eine Tendenz, im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung neben direkten Subventionen auch differenzierte Steuervergünstigungen einzusetzen. Dies geschieht etwa auf Korsika, den Kanarischen Inseln oder Madeira, aber auch im Rahmen der Gebietsförderung für die neuen Bundesländer, bei der maßgeblich auf das Instrument der Sonderabschreibung zurückgegriffen wurde.

Zinsbesteuerung

Besonders flexibel auf nationale Besteuerungsunterschiede reagiert das Finanzkapital („scheues Reh"). Da einzelne EU-Mitgliedsländer keine Quellensteuern auf Kapitalerträge aus festverzinslichen Wertpapieren und Spareinlagen erheben, kommt es zu einer spürbaren Steuerausweichung. So verzichtet Luxemburg vollständig auf eine Quellenbesteuerung von Zinserträgen und sichert damit seinem Finanzdienstleistungsgewerbe Einlagekapital aus den Nachbarländern. Aber auch in Deutschland oder

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Österreich sind Gebietsfremde von der Quellenbesteuerung auf Zinsen ausgenommen. Jedes Land eröffnet also eine Steuer-„0ase" für die Steuerpflichtigen des Nachbarlandes.

Nach Einführung des Zinsabschlages in Deutschland, der nur für inländische Kapitalanleger zu entrichten ist, kam es zu hohen Verlagerungen von Geldvermögen ins Ausland; die deutschen Banken haben diese Steuerflucht teilweise mit organisiert, indem sie die Kunden an ihre ausländischen Töchter empfohlen haben. Das Geld bleibt in diesen Fällen dem Bankkonzern erhalten und wird wohl größtenteils wieder in die - zumeist nationalen - Aktivgeschäfte zurückverlagert, in die es auch vom Inland aus geflossen wäre. Auch hier gilt also, daß lediglich ein steuervermeidender Umweg über ausländische Finanzplätze genommen wird. Die nationalen Kapitalmärkte werden davon kaum betroffen. Das Nachsehen haben aber die nationalen Fisken.

Arbeitskräfte, private Haushalte

Schließlich sind auch Menschen mobil. Bei Grenzgängern spielt die Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Rolle; ferner ist zu regeln, inwieweit persönliche Abzugsbeträge oder andere sozialpolitische Vergünstigungen (Splitting, Kindergeld) im Rahmen der Quellenlandbesteuerung gewährt werden. Daneben kommt es - besonders am oberen Ende der Einkommensskala sowie bei hoch spezialisierten und gut verdienenden Fachkräften - zu steuerlichen Einflüssen der Wohnsitz- oder Arbeitsplatzentscheidung. Einzelne Gebietskörperschaften der Schweiz etwa bieten vermögenden Zuwanderern Sonderkonditionen bei der Besteuerung. Von Wohnsitzverlagerungen wird auch von Berufssportlern und Unterhaltungskünstlern berichtet. Ferner gewähren manche Einkommensteuersysteme unter bestimmten Voraussetzungen Nachlässe bei der Besteuerung von ausländischen Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse ins Land geholt werden. So etwa stellen die Niederlande in derartigen Fällen 35 % des Arbeitslohns steuerfrei. Ähnliches wird auch in Großbritannien praktiziert.

Konsequenzen für die öffentlichen Einnahmen

Alle diese Entwicklungen führen tendenziell zu einer Verschiebung der Steuerlasten von den mobilen Produktionsfaktoren hin zu immobilen Besteuerungsobjekten wie kleine und mittlere Unternehmen, Arbeit, Boden, anderen natürlichen Ressourcen sowie dem örtlichen Verbrauch.

In den Strukturen der Steuersysteme der EU sind derartige Tendenzen zumindest ansatzweise erkennbar. Die Europäische Kommission verweist auf die europaweit zu beobachtende Aushöhlung der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung sowie auf die zunehmende Abgabenbelastung der Arbeit: In der EU sei von 1980 bis 1993 der Anteil der Steuern auf Lohneinkünfte am Gesamtsteueraufkommen insgesamt um etwa ein Fünftel gestiegen, während der Anteil der Steuern auf andere Produktionsfaktoren - im wesentlichen selbständige Arbeit und Kapital - um mehr als ein Zehntel gesunken sei. Ferner berechnet die Europäische Kommission „kalkulatorische Steuersätze" für Produktionsfaktoren und den Verbrauch als Relation der entsprechenden Steuereinnahmen zu den zugehörigen Bemessungsgrundlagen. (vgl. Abbildung 1) Danach ist für die EU von 1980 bis 1995 die kalkulatorische steuerliche Belastung des Faktors Arbeit von 34,7 % auf 40,6 % gestiegen, während sie für die übrigen Produktionsfaktoren (Kapital, selbständige Arbeit, Energie und sonstige natürliche Ressourcen) von 42,8 % auf 37,0 % gesunken ist; die kalkulatorischen Verbrauchsteuersätze sind dagegen nur wenig gestiegen (von 13,5% auf 14,3%).

Der Steuerwettbewerb führt zu einer Verschiebung der Steuerlasten von den mobilen hin zu den immobilen Produktionsfaktoren:
In der EU ist der Anteil der Steuern auf Lohneinkünfte am Gesamtsteueraufkommen um 20% gestiegen, auf andere Produktionsfaktoren um mehr als 10% gesunken.



Diese Entwicklungen spiegeln sich in den nationalen Steuersystemen wider. Betrachtet man die Entwicklung von Niveau und Struktur des deutschen Steuer- und Abgabenaufkommens seit den sechziger Jahren (Abbildungen 2 und 3), so fällt auf, daß die gesamtwirtschaftliche Steuerquote (Steueraufkommen in % des Bruttosozialprodukts) erstaunlich konstant verlief und in den letzten Jahren sogar gesunken ist. Demgegenüber stieg die Belastung mit Sozialabgaben im Verhältnis zum BSP ständig an. Innerhalb des Steueraufkommens verlor die

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Umsatz- und Verbrauchsbesteuerung leicht an Gewicht. Deutlich verringerte sich der Beitrag der Gewinn- und Kapitaleinkünfte zum Steueraufkommen. Innerhalb des Steueraufkommens ist ferner das zunehmende Gewicht der Lohnsteuer bemerkenswert. Der deutsche Steuerstaat hat sich im Laufe der Zeit zunehmend in einen Lohnsteuer- und Sozialabgabenstaat verwandelt.





Abbildung 3

Steuer- und Abgabenquoten in Deutschland 1960 bis 19991)


Der deutsche Steuerstaat ist zu einem Lohnsteuer- und Sozialabgabenstaat geworden.



Interessant ist das Verhältnis der direkten Steuern zu den jeweiligen Einkommensaggregaten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (Abbildung 3). Die Lohnsteuerquote (Lohnsteuer bezogen auf die Bruttolohn- und -gehaltssumme) stieg von 7 % Anfang der sechziger Jahre kontinuierlich auf zuletzt knapp 17 %. Demgegenüber verringerte sich die Belastung der Gewinn- und Kapitaleinkünfte in Relation zu den Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von über 34 % Anfang der achtziger Jahre auf gegenwärtig weit unter 15 %. Auch wenn derartige Vergleiche mit großer Vorsicht zu interpretieren sind - dies gilt wohl in gleicher Weise für die „kalkulatorischen Steuersätze", die von der Euro-

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päischen Kommission berechnet werden -, so ist doch im Trend der letzten 10 Jahre auch in Deutschland eine deutliche Belastungsverschiebung innerhalb der direkten Steuern zu Lasten der Arbeitseinkommen und zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkünfte zu verzeichnen.

In Deutschland hat eine deutliche Belastungsverschiebung zu Lasten der Arbeitseinkommen und zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkünfte stattgefunden.



Inwieweit sich in dieser Entwicklung die zunehmende Faktormobilität im Zuge der Internationalisierung sowie ein verstärkter Steuersenkungswettlauf bei der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung niederschlagen, ist schwer zu sagen. In Deutschland machte sich in den letzten Jahren vor allem das zunehmende Gewicht der Steuervergünstigungen bemerkbar, die im Zuge der Investitionsförderung in den neuen Bundesländern erheblich ausgeweitet wurden. Zinserträge sind schon seit längerem weitgehend steuerfrei gestellt: Früher wurden sie massenhaft hinterzogen, da die Finanzverwaltung bei den Banken bis heute nicht effektiv kontrolliert; mit Einführung des Sparerfreibetrags von 6 000 DM ist dieser Zustand mittlerweile bei der Mehrzahl legalisiert worden.

In abgeschwächter Form dürfte dies auch für die Besteuerung international verbundener Konzerne gelten. So gibt es Anhaltspunkte dafür, daß die Ertragssteuerbelastungen der deutschen Großunternehmen tendenziell rückläufig sind. Generell sind die größeren Gestaltungsspielräume und die geringere Kontrollintensität der Finanzverwaltung bei den Beziehern von Gewinn- und Kapitaleinkünften zu beobachten, die in den letzten Jahren offenbar verstärkt genutzt werden; auch die Bedeutung der Schattenwirtschaft dürfte zugenommen haben. Demgegenüber werden die Arbeitseinkünfte der Arbeitnehmer von der Lohnsteuer im Wege des Quellenabzugsverfahrens nahezu vollständig erfaßt.

Trotz Steuervergünstigungen für Investitionen sowie größerer Gestaltungsspielräume und geringerer Kontrollintensitäten bei Gewinn- und Kapitaleinkünften ist ein ruinöser Steuerwettbewerb nicht zu befürchten.



Auf der anderen Seite sollten die Entwicklungen auch nicht dramatisiert werden. Ein ruinöser Steuersenkungswettlauf ist nicht zu beobachten und auch für die nächsten Jahre selbst bei verstärkter Integration innerhalb der Europäischen Union nicht zu erwarten. Dies lassen auch Erfahrungen aus Bundesstaaten wie der Schweiz oder den USA erkennen, deren Gliedstaaten eine sehr weitgehende Besteuerungsautonomie aufweisen - Harmonisierungsbedürfnisse werden dort kaum vorgetragen.

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Steuerpolitische Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten

Die vorangehenden Ausführungen haben zahlreiche Tendenzen der gegenwärtigen Besteuerung vor dem Hintergrund einer sich internationalisierenden Wirtschaft aufgezeigt. Auch wenn die einzelnen Entwicklungen in ihrem komplexen Zusammenwirken teilweise schwierig zu beurteilen sind, so läßt sich doch als Befund festhalten: In einem Umfeld, das durch zunehmende Öffnung der nationalen Güter- und Kapitalmärkte und wirtschaftliche Integration gekennzeichnet ist, verliert die nationale Steuerpolitik tendenziell an Autonomie bei der Besteuerung von relativ mobilen Faktoren wie Kapital, unternehmerischer Tätigkeit oder mobilen Arbeitskräften und Privathaushalten, letztere zumeist mit hohem Einkommen oder Vermögen. Auch zeigen sich gewisse Anzeichen eines Steuersenkungswettlaufs um Investitions- und Finanzkapital, nicht zuletzt mittels der diversen Steuervergünstigungen, die gerade von verschiedenen EU-Ländern für Holding- und Kapitalanlagegesellschaften, Finanzierungsdienstleistungen sowie im Rahmen der regionalen oder sektoralen Wirtschaftsförderung gewährt werden.

Mobile Produktionsfaktoren lassen sich künftig schwerer besteuern.



Diese Entwicklungen stärken tendenziell das Quellenlandprinzip und das Ursprungslandprinzip der Besteuerung: Unternehmen verlagern ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer; private Haushalte schaffen ihr Geldvermögen in Steuer-„0asen" oder kaufen in Ländern mit niedrigen Mehrwert-/ Verbrauchssteuersätzen ein. Der Fiskus hat zunehmend Schwierigkeiten nachzuvollziehen, wieviel seine Unternehmen und Bürger verdienen oder ausgeben, insbesondere wenn sie dies im Ausland tun. Dann muß sich der nationale Fiskus stärker an die inländischen Steuerquellen halten.

Das Leistungsfähigkeitsprinzip wird zugunsten des Äquivalenz-Prinzips geschwächt.



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Dies bedeutet für die direkte Besteuerung die Tendenz zur Abkehr vom Personalsteuersystem, jedenfalls vom Welteinkommensprinzip, hin zum Objektsteuersystem. Die Verbrauchsbesteuerung richtet sich stärker nach dem Ursprungslandprinzip aus. Besteuert wird dort, wo ein physisch greifbarer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung gegeben ist (Produktion, Verkauf). Letztlich bedeutet dies eine Abkehr von der personellen Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, hin zum Äquivalenzprinzip.

In den gegenwärtigen Diskussionen über Vor- und Nachteile des Steuer- und Finanzwettbewerbs wird dies nicht unmittelbar als Problem gesehen. In der neueren Theoriediskussion zu internationaler Besteuerung, Finanzverfassung und Finanzausgleich ist eine Renaissance des Äquivalenzprinzips unter den Stichwörtern „fiskalische Äquivalenz" und „fiskalischer Föderalismus" festzustellen.

Die ökonomischen Theorien zum Föderalismus liefern eine Bewertung der Finanz- und steuerpolitischen Konkurrenz von Staaten unter Effizienzgesichtspunkten. Leitidee ist, daß die Nutzer von abgrenzbaren öffentlichen Leistungen über deren Art und Umfang entscheiden und zugleich deren Finanzierungsverantwortung tragen sollten („fiskalische Äquivalenz"). Mit anderen Worten: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen.

Ein Vorteil des Steuerwettbewerbs ist
die Effizienzsteigerung im öffentlichen Sektor.



Steuerlicher Wettbewerb wird hier grundsätzlich positiv gesehen. Bürger und Wirtschaft artikulieren dann eher, was sie vom Staat wollen („Voice", „Präferenzoffenbarung"), oder sie wandern im Extremfall in ein anderes Land ab, wo sie eine angenehmere Abstimmung von Steuern und öffentlichen Leistungen finden („Exit"). Sowohl das staatliche Angebot öffentlicher Güter als auch das Steuersystem können dadurch effizienter und wachstumsfreundlicher werden. Die Finanzpolitik muß besser auf die Präferenzen von Unternehmen und Bürgern eingehen und stärker auf die Kosten staatlicher Ausgaben sowie die Wirkungen der Besteuerung achten. Nicht zuletzt sollen damit die effiziente Mittelverwendung durch Politik und Verwaltung besser kontrolliert, die Ausweitung des Staatssektors gebremst sowie die Akzeptanz der Steuerbelastung verbessert werden.

Probleme des Steuerwettbewerbs

  • Fiskalischer Wettbewerb funktioniert schwer, wenn Umverteilungsziele im Vordergrund stehen. Denn Umverteilung geht notgedrungen über das Äquivalenzniveau hinaus; sie bedeutet, daß den Leistungsfähigeren genommen und den weniger Leistungsfähigen gegeben wird. Mehr Äquivalenz bei der Besteuerung - letztlich im öffentlichen Sektor allgemein - bedeutet eine Verringerung der redistributiven Funktion staatlicher Maßnahmen. Wenn die Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung im Zuge der Internationalisierung an Bedeutung verliert und die Verbrauchsbesteuerung an Gewicht gewinnt, hat dies offensichtlich Konsequenzen für die Einkommensverteilung. Auf Haushaltsebene werden die Kapitalerträge bereits gegenwärtig vielfach geschont (durch besondere Freibeträge oder Vollzugsdefizite bei der Besteuerung), international zeichnet sich eine Entlastung der Kapitaleinkommen durch einen Übergang zur Abgeltungsbesteuerung ab („Dual Income Tax").


Die Verringerung der redistributiven Funktion staatlicher Maßnamen
sowie höhere Kosten für die Steuerpflichtigen
sind Nachteile des fiskalischen Wettbewerbs.



  • Selbst wenn man mehr fiskalische Äquivalenz grundsätzlich begrüßt, setzt ein Wettbewerb der Finanzsysteme voraus, daß der „Steuer-Preis" für die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen auch wahrgenommen und gezahlt wird.

  • Ein solcher Wettbewerb führt tendenziell zu höheren Kosten für die Steuerpflichtigen, da regional verschiedene Steuer- und Finanzsysteme angewendet werden; konkrete Steuerbelastungsvergleiche für einzelne Standortentscheidungen verursachen Informationskosten, die insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen oder private Haushalte stärker treffen als multinationale Unternehmen.

  • Es droht die Gefahr eines „Rosinenpickens", für das es bereits Anhaltspunkte gibt: Unternehmen nutzen die gute Infrastrukturausstattung in Hochsteuerländern, versteuern aber ihre Gewinne mittels Gestaltung von Verrechnungspreisen oder durch Nutzung von Steuervergünstigungen in Niedrigsteuerländern; private Haushalte genießen die Daseinsvorsorge der öffentlichen

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    Hand und die Absicherung des Sozialstaates, schaffen aber ihr Geldvermögen in Steueroasen oder kaufen in Ländern mit niedrigen Mehrwert-/Verbrauchsteuersätzen ein.

  • Da die Grenzkosten einer zusätzlichen Inanspruchnahme öffentlicher Güter in der Regel gering sind, lohnt es sich für einzelne Gebietskörperschaften bei unterausgelasteten Infrastruktur-Kapazitäten in gewissem Umfang, Unternehmen oder Haushalte mit Steuervergünstigungen oder sonstigen Subventionen anzulocken.


Steuervergünstigungen für Finanzkapital bergen die Gefahr für eine Tendenz zur „beggar-my-neighbour-policy".



Bedenklich am internationalen Steuerwettbewerb erscheint vor allem die Zunahme von Steuerbefreiungen oder -vergünstigungen, die gezielt Finanzkapital sowie einkommens- und vermögensstarke Haushalte anlocken. Diese Entwicklungen tragen deutliche Zeichen einer „beggar-my-neigh-bour-policy". Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß derartige Strategien zu einem weiteren Steuersenkungswettlauf Anlaß geben. Dies würde längerfristig das Angebot an öffentlichen Leistungen - also beispielsweise an wirtschaftsnaher Infrastruktur und beruflicher Bildung - gefährden; Defizite in der Sozialpolitik können die soziale Polarisierung und Desintegration verschärfen. Letztlich würden damit wichtige Standortfaktoren der Industrieländer untergraben. Ferner würde eine weitere Verlagerung der Abgabenbelastung hin zu immobilen Faktoren vor allem den Faktor Arbeit stärker belasten. Die Steuerstaaten Europas sind in der vergangenen Dekade immer stärker zu Sozialabgaben- und Lohnsteuerstaaten geworden; angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit ist dies eine bedenkliche Entwicklung.

Zwar versuchen die betroffenen Länder im Rahmen ihres nationalen Steuerrechts die Steuerflucht einzudämmen. Die Möglichkeiten dazu sind aber begrenzt. Nationale Maßnahmen treten leicht in Konflikt mit den Doppelbesteuerungsabkommen. Hier sind letztlich internationale Vereinbarungen erforderlich - vor allem innerhalb der EU, möglichst aber auch darüber hinaus, etwa auf OECD-Ebene.

Da eine weitreichende Harmonisierung der direkten Steuern
innerhalb der EU derzeit nicht realistisch ist, wäre
die Vereinheitlichung der Steuerbasis ein Kompromiss.
Der Wettbewerb könnte dann über die Steuersätze ausgetragen werden.



So wäre daran zu denken, die Unternehmensbesteuerung zu harmonisieren und effektive Mindeststeuersätze einzuführen. Zuletzt hatten im Herbst 1998 die Finanzminister Frankreichs und Deutschlands einen Vorstoß in diese Richtung unternommen, waren jedoch vor allem am Widerstand Großbritanniens gescheitert. Eine weitreichende Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der Europäischen Union erscheint auf absehbare Zeit unrealistisch. Letztlich zeigen die EU-Mitgliedsländer bis heute nur wenig Bereitschaft, ihre nationalen Kompetenzen über den finanz- und wirtschaftspolitisch hochsensiblen Bereich der direkten Besteuerung aus der Hand zu geben.

Als Kompromiß wäre längerfristig vorstellbar, die Bemessungsgrundlagen der Unternehmensbesteuerung innerhalb der EU stärker zu harmonisieren, wie dies auch in Bundesstaaten mit steuerpolitisch autonomen Einzelstaaten erfolgt ist (etwa den USA oder der Schweiz). Eine Annäherung der Bemessungsgrundlagen würde nicht zuletzt die Transparenz verbessern und die Transaktionskosten für internationale Investoren senken. Offener Steuerwettbewerb könnte dann über die Steuersätze ausgetragen werden, ohne daß ein Subventionswettlauf mittels differenzierter Steueranreize droht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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