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Zusammenfassung

1. Die zunehmende Internationalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen, in den letzten Jahren allenthalben unter dem Stichwort „Globalisierung" thematisiert, bedeutet neue Herausforderungen für die nationale Wirtschaftspolitik. Märkte wachsen zusammen, Aktionsmöglichkeiten von Investoren erweitern sich, Arbeitskräfte und Haushalte werden mobiler. Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch die erheblichen Verbesserungen in der Verkehrs-, Informations- und Telekommunikationstechnik sowie durch die Liberalisierung und Deregulierung der internationalen Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkte.

2. Dies gilt insbesondere für die europäische Integration. Durch die Umsetzung eines gemeinsamen Binnenmarktes haben die rechtlich-institutionellen Hemmnisse für wirtschaftliche Aktivitäten innerhalb der EU stark abgenommen. Mit dem Eintritt in die Währungsunion sind die Wechselkursrisiken endgültig weggefallen.

3. In einem solchen Umfeld grenzüberschreitender Mobilität von Produkten und Produktionsfaktoren wird die Steu-

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er-, Finanz- und Sozialpolitik zunehmend zum Standortfaktor - tendenziell kommt es zu einem Wettbewerb der nationalen Steuer-, Finanz- und Sozialsysteme.

4. Die bisherige Steuerpolitik der EU war von unterschiedlichen Leitbildern geprägt. Die indirekten Steuern wurden im Laufe der Jahrzehnte weitgehend harmonisiert. wobei es bei den Steuersätzen nach wie vor merkliche Unterschiede gibt. Demgegenüber stehen die Systeme der direkten Besteuerung weitgehend unkoordiniert nebeneinander. Zwar wurden immer wieder Anläufe zu einer stärkeren Angleichung unternommen. Unter den Vorzeichen von Subsidiaritätsprinzip und Systemwettbewerb dominieren heute jedoch Vorstellungen einer möglichst weitgehenden Besteuerungsautonomie. Nicht zuletzt spielen dabei die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der europäischen Gesetzgebung eine maßgebliche Rolle. Für Steuerfragen gilt nach wie vor die Einstimmigkeitsregel im Europäischen Rat, was die Entscheidungsfindung stark erschwert.

Eine internationale Kooperation der nationalen Steuerpolitiken ist erforderlich, um unfairen Steuerwettbewerb einzuschränken.

5. In den letzten Jahren sind die Gefahren eines ..unfairen" oder sogar „ruinösen" Steuerwettbewerbs in das öffentliche Bewußtsein getreten. Die Unternehmens- und Körperschaftssteuern wurden in vielen Ländern gesenkt. Die Kapitalertragsbesteuerung ist schwer durchzusetzen, wenn die Anleger auf ausländische Finanzplätze ausweichen. Zudem locken mittlerweile eine Reihe von EU-Mitgliedsländern durch Steuervergünstigungen gezielt Holding- und Kapitalanlagegesellschaften sowie diverse Finanzierungsdienstleistungen an und entziehen damit anderen Ländern Teile der Steuerbasis.

6. Diese Entwicklungen führen längerfristig zu einer Verschiebung der Steuerlasten von den mobilen Produktionsfaktoren zu immobilen Besteuerungsobjekten wie kleine und mittlere Unternehmen, Arbeit, Boden und anderen natürliche Ressourcen sowie dem Verbrauch. Im Ansatz schlagen sich diese Tendenzen bereits gegenwärtig in den Aufkommensstrukturen der nationalen Abgaben- und Steuersysteme nieder - namentlich in Deutschland. Auch wenn der Bezug zur Internationalisierung häufig nicht eindeutig zu belegen ist und von weiteren Einflußfaktoren überlagert wird: Der deutsche Steuerstaat hat sich zunehmend in einen Lohnsteuer- und Sozialabgabenstaat gewandelt, während Gewinn- und Kapitaleinkünfte im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt in den letzten Jahren deutlich entlastet wurden. Eine internationale Kooperation der nationalen Steuerpolitiken ist erforderlich, um den Steuersenkungswettlauf einzuschränken.

7. Um den Steuersenkungswettlauf mittels Steuervergünstigungen einzuschränken, ist eine verstärkte internationale Kooperation der nationalen Steuerpolitiken erforderlich. Dies sollte naheliegenderweise in der EU erfolgen. Ergänzende Übereinkommen wären auf OECD- oder WTO/UN-Ebene wünschenswert. Die deutsche Bundesregierung will im Rahmen ihrer gegenwärtigen EU-Präsidentschaft Initiativen zu einer verstärkten Koordination der Steuerpolitik auf europäischer Ebene ergreifen; auch die französische Regierung unterstützt dies ausdrücklich.

8. Bei der Unternehmens- und Kapitaleinkommensbesteuerung könnten die Bemessungsgrundlagen harmonisiert und Mindeststeuersätze eingeführt werden. Eine weitreichende Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der Europäischen Union ist allerdings auf absehbare Zeit unrealistisch, da die nationalen Steuerpolitiker nicht bereit sind, wesentliche nationale Kompetenzen über den finanz- und wirtschaftspolitisch hochsensiblen Bereich der direkten Besteuerung aus der Hand zu geben.

9. Allerdings deuten sich gegenwärtig in der EU-Übereinkommen an. die den zunehmenden Steuervergünstigungen entgegenwirken sollen (Verhaltenskodex zur Vermeidung eines unfairen Steuerwettlaufes); ferner bereitet die EU eine Richtlinie vor, nach der die Mitgliedstaaten die Wahlmöglichkeit erhalten, entweder eine Mindestquellensteuer zu erheben oder den anderen Mitgliedsländern Informationen über die Zinserträge von Gebietsfremden zu übermitteln. Wünschenswert wäre auch eine bessere Koordination der steuerlichen Be-

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handlung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen von multinationalen Unternehmen. Auch die Doppelbesteuerungsabkommen müßten an die veränderten Gegebenheiten der Internationalisierung angepaßt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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