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[Seite der Druck-Ausg.: 40]

Hilfsorganisationen in Deutschland:
Das Beispiel ZAPO in Berlin


Berlin gilt als Drehscheibe des internationalen Frauenhandels. Und so befaßt sich die vom Polnischen Sozialrat schon vor Jahren eingerichtete Stelle ZAPO (Zentrale Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler aus Osteuropa) heute auch immer mehr mit den Nöten von Frauen, die in Berlin als Prostituierte arbeiten oder von Berlin aus in andere Regionen und andere Länder verschleppt werden. In einem Bericht von ZAPO heißt es dazu:

„Besonders Frauen aus visapflichtigen Ländern wie der ehemaligen Sowjetunion geraten schnell in Abhängigkeits- und extreme Ausbeutungsverhältnisse, wenn sie mit dem Versprechen auf eine Arbeit als Kindermädchen, auf eine Arbeit in einer Bar oder auf abwechslungsreiche Tätigkeiten hierher kommen. Der Weg ist klassisch: Verschuldet wegen Visabeschaffung und überhöhter Transportkosten werden viele Frauen genötigt, das Geld in der Prostitution abzuarbeiten. Die Einbehaltung des Passes, Angst vor der Polizei und hohe Isolation sorgen für weitere Einschüchterung. Immer häufiger werden die angeworbenen Frauen in Wohnungen untergebracht, von wo aus sie zu Privatclubs oder zu Hausbesuchen gebracht werden, die telefonisch organisiert werden. Von den circa 8000 Frauen, die in Berlin in der Prostitution arbeiten, wird angenommen, daß fast die Hälfte aus Osteuropa stammt. Ein großer Teil der Frauen entscheidet sich zwar freiwillig für die Prostitution, häufig finden sie aber Bedingungen vor, unter denen ihr Selbstbestimmungsrecht in eklatanter Weise verletzt wird. Merkmale sind der Einsatz von Gewalt, Drohung, Täuschung, Machtmißbrauch, Verschuldung und Freiheitsentzug im Zusammenhang mit der Anwerbung zu Arbeits- und Dienstleitungen, unabhängig davon, ob dabei nationale Grenzen überschritten werden."

ZAPO beklagt - wie viele andere Hilfsorganisationen auch -, daß zwar das Interesse der Medien und auch der politischen Ebenen bis hin zur Europäischen Union in den letzten Jahren zugenommen hat, daß dies aber bisher für die Frauen keinerlei Erleichterung ihrer Situation gebracht habe. In Berlin werden jährlich zwischen 100 und 150 Verfahren wegen Menschenhandel eingeleitet. Diese Zahlen lassen sich auf andere Städte in Deutschland und im westeuropäischen Ausland übertragen. Im

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Verlauf der Ermittlungen wird der Vorwurf Menschenhandel dann meist fallengelassen, was für die Frauen bedeutet, daß sie nicht mehr als Nebenklägerinnen auftreten können. Statt dessen wird nur noch gegen die Förderung der Prostitution geklagt. Zu Verurteilungen kommt es selten. Nur vier Urteile wegen Menschenhandel gab es in den letzten Jahren in Berlin.

Eine ZAPO-Mitarbeiterin nennt ein besonders krasses Beispiel, das keiner Frau Mut machen dürfte, sich gegen ihre Peiniger zu wehren: Zwei junge polnische Frauen, die betäubt über die Grenze geschleppt, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen wurden, sahen sich selbst als Angeklagte wegen unerlaubter Prostitutionsausübung. Sie erhielten unter anderem ein mehrjähriges Einreiseverbot.

Obwohl auch in Berlin eine Reihe von Organisationen sich für Verbesserungen stark macht und obwohl beim Senat eine „Fachkommission Frauenhandel" einberufen wurde, in der VertreterInnen zahlreicher Behörden und nichtstaatlicher Organisationen endlos diskutieren, ist am Ende wenig konkretes herausgekommen. Der größte Erfolg ist wohl eine Weisung, in der die Ausländerbehörde aufgefordert wird, bei Verdacht auf Menschenhandel drei Tage vor der Abschiebung Polizei und Staatsanwaltschaft zu informieren. Kommt die Frau als Zeugin in einem Gerichtsverfahren in Frage und ist sie zur Aussage bereit, dann erhält sie eine Duldung, die aber spätestens mit dem Ende des Prozesses aufgehoben wird. Da die Frauen vor den Zuhältern nicht geschützt werden, werden nur besonders couragierte Frauen zu einer Aussage bereit sein. Unter solchen Umständen kann ZAPO nicht viel mehr tun als aufzuklären, zwischen Frauen und Behörden zu vermitteln, die hilfesuchenden Frauen zu beraten. Die Klagen der ZAPO-Mitarbeiterinnen sind identisch mit denen der EuropaparlamentarierInnen: „Es gibt keine vernünftigen Zeugenschutzprogramme, keinerlei Rückkehrhilfen oder Formen von Unterstützungsangeboten im Herkunftsland, ganz zu schweigen von Bleiberecht, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis."

Damit arbeiten staatliche Behörden ungewollt den Zuhältern in die Hände. Die betroffenen Frauen schweigen, was es fast unmöglich macht, an die organisierten Menschenhändlerringe heranzukommen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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