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[Seite der Druck-Ausg.: 35]

Die strafrechtliche Situation in anderen EU-Ländern

In den Niederlanden und in Belgien wurden Menschenhändler und Zuhälter bis 1993 nicht bestraft. Erst nachdem (wegen der liberalen Gesetze) die beiden Länder zu Zentren des Menschenhandels wurden, hat sich das geändert. Doch bis heute kritisieren Beratungsstellen, wie etwa Payoke in den Niederlanden, die milden Strafen, die vor allem von belgischen Gerichten verhängt werden. Meist kommen die Täter nach einer Untersuchung von Payoke mit Strafen von maximal zwei bis drei Jahren davon. In den letzten Jahren tummeln sich in Belgien vor allem albanische, rumänische und bulgarische Händlerringe. Nachdem sie die Strafen verbüßt haben, werden sie nicht einmal des Landes verwiesen, wie Frauenorganisationen immer wieder kritisieren.

Die Holländer können nach der Strafrechtsänderung von 1993 überführte Menschenhändler und Zuhälter für sechs Jahre, bei straferschwerenden Umständen sogar für bis zu zehn Jahren, hinter Gitter schicken. Das holländische Strafrecht gewährt inzwischen den weiblichen Opfern sehr viel Unterstützung.

Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Gesetzgebern, Justiz, Polizei und NROs ist beispielsweise ein dreimonatiger Schutz vor Ausweisung für die Opfer. In dieser Zeit erhalten sie psychologische Hilfen und können sich mit einem Anwalt darüber beraten, ob sie Strafanzeige erstatten wollen. Sie werden dabei von Beratungsstellen betreut. Erstatten die Frauen keine Strafanzeige gegen ihre Peiniger, müssen sie nach drei Monaten das Land verlassen. Zeigen sie die Täter an, genießen sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis bis zum Ende des Prozesses, was auch in Holland Jahre dauern kann.

Auch nach Ende des Gerichtsverfahrens gibt es für Härtefälle Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen. Diese werden gewährt, wenn die Frauen berechtigte Angst haben müssen, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland wieder durch die Mitglieder der Verbrechersyndikate unter Druck gesetzt zu werden.

[Seite der Druck-Ausg.: 36]

Auf ein hartes Strafrecht, also auf Abschreckung der Täter, setzen die Franzosen. Seit 1997 werden in Paris und den größeren Provinzstädten Banden des organisierten Verbrechens beobachtet, die neben Rauschgifthandel, Waffenhandel und Autodiebstahl auch die Prostitution kontrollieren.

In einem Zentralbüro für die Bekämpfung des Menschenhandels laufen die Fäden zusammen. Dadurch war es in kurzer Zeit möglich, größere Menschenhändlerringe aus Albanien, Bulgarien und Litauen auszuheben. Die verhängten Strafen sind drakonisch: Handelt es sich um organisiertes Verbrechen, müssen die Angeklagten mit Haft bis zu 20 Jahren rechnen. Bei Zwangsprostitution drohen bis zu 10 Jahren, bei Zuhälterei fünf Jahre Gefängnis.

Frauenorganisationen in Frankreich werfen der Europäischen Union vor, sie legitimiere die Zuhälterei, die ja vom Frauenhandel lebt, durch zu niedrige Strafen, zu laschen Strafverfolgung, zu geringen Schutz für die betroffenen Frauen. Statt mit ihrer Hilfe die Täter zu greifen, würden die Frauen als illegale Immigrantinnen abgeschoben und zu unerwünschten Personen erklärt, denen die Wiedereinreise für alle Zeiten verwehrt bleibe.

Skepsis herrscht über den neuen schwedischen Weg. Dort ist Sex gegen Bezahlung seit 1999 strafbar. Bestraft werden allerdings nur die Freier. Damit ließe sich, so die Hoffnung schwedischer Feministinnen, auch dem Frauenhandel der Boden entziehen. Doch zu befürchten ist das Gegenteil. Die erzwungene Illegalität könnte zur großen Chance für Zuhälter und Händlerringe werden, da sie nun - anders als früher - gebraucht werden als Beschaffer verschwiegener Apartments und als Kontaktpersonen.

Zuhälterei und Zwangsprostitution waren nach Aussage der Generalsekretärin des Verbandes für sexuelle Aufklärung bisher im liberalen Schweden kein großes Problem. Nun könnte die Zahl der heimlichen Bordelle, vor allem die Zahl der international agierenden Zuhälterringe erheblich ansteigen.

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Sorge bereitet Polizei und Justiz in Westeuropa, daß es in vielen osteuropäischen Ländern das Delikt „Menschenhandel" gar nicht gibt, also auch keine effektive Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden möglich ist. Ohne eine gemeinsame Rechtsgrundlage zwischen den EU-Ländern und den künftigen osteuropäischen Beitrittsländern, ohne engere Zusammenarbeit mit Europol und Interpol, ohne Schutz für die Opfer nach holländischem Beispiel aber wird sich dieser Sumpf nicht trockenlegen lassen. Denn zu verlockend sind die Summen, um die es geht. Nach Kalkulationen von Interpol verdient ein Zuhälter an einer einzigen Prostituierten in Europa jährlich 210.000.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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