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[Seite der Druck-Ausg.: 30]

Strafrecht und Strafverfolgung in Deutschland

Kürzlich fand in Berlin ein informelles Treffen der europäischen Innen- und Justizminister statt. „Null Toleranz" bei dieser Art von Kriminalität verkündete die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Verfolgung und Strafmaß müßten auf EU-Ebene vereinheitlicht werden.

Die „Europäisierung" dieses modernen Sklavenmarktes hat die Verantwortlichen mobilisiert, denn so lange dies ein Problem der Entwicklungsländer war, haben sich stets nur einzelne engagierte PolitikerInnen für die Bekämpfung dieser Form von Kriminalität eingesetzt. Das Problembewußtsein soll durch die EU-Kampagne „Gewalt gegen Frauen" vertieft werden. Daß mit Hilfe von mehr Aufklärung und Öffentlichkeit in der Tat Erfolge verzeichnet werden können, zeigt beispielsweise ein Urteil des Hamburger Landgerichts. Es hat einen lettischen Zuhälter für 13 Jahre ins Gefängnis geschickt. Und die „Frankfurter Rundschau" zitierte jüngst den früheren Präsidenten des Bundesgerichtshofs, Gerd Pfeiffer, der forderte, diese Verbrecher effektiver zu bestrafen: „Man muß ihnen das nehmen, was ihnen am wichtigsten ist: Geld."

Schätzzahlen gehen davon aus, daß mit Frauenhandel innerhalb der Europäischen Union pro Jahr mindestens zehn Milliarden Mark umgesetzt werden. Unübersichtlich wird das Bild, weil eine Vielzahl von weiteren Verbrechen bei dieser besonderen Form der organisierten Kriminalität zu beobachten ist. So hat die Polizei immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Frauenhändler gleichzeitig mit Drogen handeln oder Autos im großen Stil verschieben.

Die übereinstimmende Meinung bei Polizei, Justiz und Politik lautet, daß die Strafgesetze in Deutschland zur Verfolgung und Abschreckung der Menschenhändler ausreichen. Das Problem liegt eher in ihrer konsequenten Umsetzung, was wiederum damit zusammenhängt, daß Menschenhandel ohne Aussage der Opfer nur schwer beweisbar ist.

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Im Paragraphen 180 b StGB Menschenhandel heißt es:

„Wer auf eine andere Person seines Vermögensvorteils wegen einwirkt, um sie in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen zu bringen, die sie an oder vor einer dritten Person vornehmen oder von einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer auf eine andere Person in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, einwirkt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen oder sie dazu bringt, diese aufzunehmen oder fortzusetzen. Im letzteren Fall ist auch der Versuch strafbar."

Schwerer Menschenhandel liegt in folgenden Fällen vor (Paragraph 181 StGB):

„Wer eine andere Person 1. mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution bestimmt, 2. gewerbsmäßig anwirbt, um sie in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Auch hier ist der Versuch strafbar."

Durch Gesetzesnovellierungen hat sich manches zum besseren gewendet. 1992 wurden die Strafvorschriften gegen Menschenhandel erweitert und verschärft. Bis zu jener Novellierung genossen nur sogenannte „unbescholtene" Mädchen und Frauen strafrechtlichen Schutz. Seither reicht es aus, daß der Täter die hilflose Lage des Opfers ausnutzt, wenn sich beispielsweise Frauen ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land aufhalten. Bis zur Gesetzesänderung konnten nur die Händler bestraft werden, die körperliche Gewalt ausgeübt hatten. Das neue Gesetz akzeptiert, daß Frauen durch Einschüchterung - etwa die Drohung, die Familie zu informieren - genauso gefügig gemacht werden können, wie durch körperliche Gewalt.

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Ebenfalls 1992 trat das Gesetz zur Bekämpfung organisierter Kriminalität in Kraft. Es brachte auch für ausländische Zwangsprostituierte Verbesserungen des Zeugenschutzes. Die durch dieses Gesetz möglich gewordene Abschöpfung illegaler Gewinne läßt sich auch auf den organisierten Frauenhandel anwenden.

Im Herbst 1994 wurden die Strafen für das illegale Einschleusen von AusländerInnen erheblich verschärft. Seither sind Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren möglich. 1998 wurde auch der sogenannte „einfache" Menschenhandel zum nebenklagefähigen Delikt. Nun können die Opfer als Nebenklägerinnen mit den entsprechenden Rechten auftreten, das heißt sie haben Anspruch auf anwaltliche Vertretung und Akteneinsicht.

Das diese Gesetze allerdings in der Praxis nicht viel geändert haben, läßt sich an der niedrigen Zahl von Strafverfahren und Verurteilungen ablesen. In einem Bericht der bundesweiten „Arbeitsgruppe Frauenhandel" werden u.a. folgende Gründe für diese von allen Experten beklagte Situation angeführt:

  • Die Täter operieren international,
  • ihre Strukturen sind ausgeklügelt,
  • die wahren Drahtzieher bleiben im Hintergrund,
  • sie verfügen über die neueste Technik und
  • die Opfer von Menschenhandel stehen oftmals nicht als Zeuginnen zur Verfügung, d.h. nur in wenigen Fällen findet ein Personenbeweis statt.

Als Motive dafür, daß so wenig Opfer als Zeuginnen zur Verfügung stehen, nennt die Arbeitsgruppe, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geleitet wird und zu dessen Gremium u.a. weitere Bundeministerien, das Bundeskriminalamt, die Beratungsstellen SOLWODI und AGISRA zählen, vielfältige Gründe: Häufig können die Frauen keine Angaben über die eigentlichen Täter machen, oder sie wollen nicht aussagen, weil sie bedroht wurden und so Angst vor Rache haben. Auch sind sie und ihre Familien auf den Verdienst angewiesen, und sie können sich nicht mehrere Jahre in Deutschland als

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Zeugin zur Verfügung halten ohne eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Frauen, die nicht aussagten, wurden abgeschoben und erhielten keine Duldung.

In einigen Bundesländern (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) gilt inzwischen, daß die Frauen vier Wochen lang nicht abgeschoben werden dürfen. In dieser Zeit soll zum einen geprüft werden, ob sie für das Gericht verwertbare Aussagen machen können, zum anderen ist dies eine Bedenkzeit für die oft traumatisierten Frauen, um das für und wider ihrer Aussage mit allen persönlichen Konsequenzen abwägen zu können. Doch häufig halten sich die Kommunen wegen der daraus resultierenden finanziellen Belastungen nicht an diese Richtlinien und Kabinettsbeschlüsse. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen die Städte und Gemeinden nämlich in solchen Fällen für Unterhalt, Unterkunft und Betreuung der Frauen aufkommen. Das kann bei komplizierten Verfahren mehrere Jahre dauern. Dazu kommt, daß die Polizeibeamten vor Ort oft von diesem vierwöchigen Abschiebeschutz nichts oder zu wenig wissen. Für sie ist eine ausländische, bei einer Razzia aufgegriffene, Prostituierte mit abgelaufenem Touristenvisum, mit falschen oder gar keinen Papieren eine Kriminelle, die möglichst schnell abgeschoben wird. So wird ganz ohne böse Absicht den Tätern in die Hände gearbeitet. Denn die haben natürlich kein Interesse an der Aussage von Frauen, die ihnen entkommen sind und die vom Staat auch noch beschützt werden. In einem Papier der „Arbeitsgruppe Frauenhandel" heißt es dazu: „Das Dilemma ist: Steht der Aspekt des Frauenhandels im Vordergrund, wird die Migrantin als Opfer angesehen und die Händler werden verfolgt. Steht die Ausländerpolitik im Vordergrund, ist die Migrantin die zu verfolgende Täterin und das Risiko der Menschenhändler, verurteilt zu werden, sinkt."

Alle ExpertInnen bei staatlichen Behörden, bei Polizei und Justiz wissen, daß dieses organisierte Verbrechen „Frauenhandel" erfolgreich nicht gegen die Opfer bekämpft werden kann. Wer von den Frauen den Mut erwartet, gegen die Menschenhändler auszusagen, muß auch bereit sein, ihre Rechte zu wahren. Niemand widerspricht diesen Forderungen, doch die Frage nach der Übernahme der Kosten ist weiterhin strittig.

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So konzentriert man sich in Deutschland eher auf eine Begrenzung der illegalen Einreise. Dazu gehören neben der Verschärfung der Visumpflicht die schnellere Abschiebung, verschärfte Ausländerkontrollen sowie Nachprüfungen bei binationalen Ehen, die von den Betroffenen als äußerst demütigend empfunden werden. Auch Strafverfolgung nicht nur der Schleuser, sondern auch der illegal eingereisten Frauen, ist hier zu nennen. Um den Frauenhandel einzuschränken, finden in den Herkunftsländern warnende Kampagnen statt, von denen man hofft, sie würden die jungen Frauen abschrecken. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, muß angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Not aber bezweifelt werden. Die Arbeitsgruppe Frauenhandel kommentiert dies so: „Letztlich schützen diese Maßnahmen den Staat vor illegalen Einreisen, sie schützen aber nicht die Migrantinnen vor Gewalt und Ausbeutung. Sie dienen vorrangig dem Interesse des Staates, nicht dem der Frauen, Im Gegenteil: Ihre Illegalität macht sie noch ausbeutbarer und abhängiger."

Schwierig ist, wenn die Zeuginnen fehlen, regelmäßig die Beweislage. Das zeigen beispielsweise die Erfahrungen von SOLWODI, die 33 Menschenhandelsfälle aus dem Jahre 1991 von den ersten Ermittlungen bis zum Abschluß der Gerichtsverfahren verfolgt haben. 15 Anklagen wurden formuliert. Es gab 5 Prozesse, aber nur eine Verurteilung zu mehr als einer Bewährungsstrafe. Der Grund: Die Zeuginnen waren längst abgeschoben und standen vor Gericht nicht zur Verfügung. Nach Erfahrungen von Strafverfolgungsbehörden und Hilfsorganisationen für die Opfer der Menschenhändler ist es nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, eine einmal abgeschobene Frau für eine Zeugenaussage wieder nach Deutschland zu bekommen. Aus Angst vor Repressalien tauchen die Opfer ab oder weigern sich, erneut nach Deutschland zu reisen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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